Protocol of the Session on July 13, 2012

Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist Freitag, der 13. Juli. Ich wünsche uns einen guten Verlauf. Ich begrüße alle Anwesenden auf das Herzlichste und stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir setzen die 16. Sitzungsperiode fort. Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:

Aktuelle Debatte

Bewertung des Dessauer Fördermittel- und CDU-Spendenskandals

Aktuelle Debatte Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/1267

Es wurde eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion vereinbart. Wir haben eine Redereihenfolge vereinbart. Sie lautet: DIE LINKE als einbringende Fraktion, dann SPD, GRÜNE und CDU.

Zunächst hat die antragstellende Fraktion das Wort. Für die Fraktion DIE LINKE spricht deren Fraktionsvorsitzender Gallert.

Guten Morgen, Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist kein erfreulicher Tagesordnungspunkt, mit dem wir heute unser Tagwerk beginnen, aber es ist ein außerordentlich notwendiger. Warum ist es notwendig, sich mit eben diesem Dessauer Fördermittelskandal, der die Öffentlichkeit in Sachsen-Anhalt nun doch schon seit einigen Wochen beschäftigt, hier im Landtag zu beschäftigen?

Da haben wir zum einen den Fakt, dass wir es den Menschen schuldig sind, denen Steuermittel und Möglichkeiten für Qualifizierung am Arbeitsmarkt entzogen worden sind. Glaubt man den bisherigen Meldungen, dann geht es um fast 4 Millionen €, die eigentlich dafür bereitgestellt worden waren, Menschen für den Arbeitsmarkt zu bilden, um sie vor Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung zu bewahren. Diese fast 4 Millionen € scheinen in dunkle Kanäle versickert zu sein. Wir sind es den Menschen schuldig, denen diese Chance genommen wurde, dass wir uns damit hier beschäftigen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Dies ist eine politische Dimension, die durch die nächste politische Dimension ergänzt wird. Nach all dem, was wir inzwischen erfahren haben, war es ein sehr vielfältiger Fördermittelskandal mit sehr vielen Beteiligten über einen längeren Zeitraum. Die Frage ist: Wie kann ein so sehr wahrschein

licher Betrug überhaupt über eine solche Dimension abgelaufen sein?

Das, was wir bisher ahnen oder wissen, ist Folgendes: Es gab ein Netzwerk, angefangen vom Wirtschaftsministerium dieses Landes über die öffentlich-rechtliche Körperschaft IHK in Dessau bis hin zu einer Vielzahl von privaten Firmen, die darin verstrickt waren. Es war ganz offensichtlich keine Einzeltat, sondern es war die Tat eines weit verzweigten Netzwerks mit politischer Dimension. Deswegen müssen wir uns heute hier damit beschäftigen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Wir haben ein nächstes Problem: All diese Dinge liegen inzwischen mindestens vier Jahre zurück. Wir erkennen bis heute nicht e i n e wirkliche politische Konsequenz in diesem Land. Wir erkennen bis heute keine wirkliche Auseinandersetzung der Verantwortlichen mit diesem Fördermittelskandal, die dem Problem angemessen wäre. Auch deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir uns heute hier damit beschäftigen.

Es steht für uns eine Vielzahl an Informationen im Mittelpunkt. Die kann man in zehn Minuten nicht alle aufzählen; deswegen will ich das bleiben lassen. Aus unserer Sicht konzentrieren wir uns auf drei zentrale Themenstellungen.

Erstens: Wie ist ein solcher Fördermittelskandal überhaupt erst möglich gemacht worden? - Da gibt es sicherlich eine ganze Palette von Antworten, aber wir kennen einen exemplarischen Fall, der die Dinge zumindest schlaglichtartig beleuchtet.

Da gab es also im Jahr 2006 im Wirtschaftsministerium einen Mitarbeiter, der an das Landesverwaltungsamt zweimal E-Mails schickte, zweimal mit der Information, dass der Minister dieses Hauses - der heutige Ministerpräsident - ausdrücklich darauf bestanden hat, zwei Fördermittelanträge nicht etwa so schnell wie möglich zu bearbeiten, sondern so schnell wie möglich zu bewilligen - Fördermittelanträge für Weiterbildungsfirmen, beide mit Sitz in Wittenberg, davon eine noch nicht einmal mit einer Gewerbeerlaubnis. Beide haben offensichtlich die massive Unterstützung - so behauptet es der ministerielle Mitarbeiter - für die Bewilligung von Fördermitteln im niedrigen sechsstelligen Bereich, also etwas mehr als 100 000 €, erhalten.

Und was passiert? - Offensichtlich nach einigem Zögern der Verantwortlichen im Landesverwaltungsamt wird das Geld gezahlt. Wir wissen heute: mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem betrügerischen Kontext. Wir wissen, dass eben diese Firmen danach eine nicht ganz unerhebliche Spende an die CDU leisteten.

All diese Dinge sind bis heute unwidersprochen. All diese Dinge sind bis heute unwiderlegt.

Jetzt gibt es eine Reaktion des Ministerpräsidenten dazu. Erstens: Er kann sich nicht erinnern. Und zweitens: Er ist empört.

Ja, Herr Haseloff, worüber sind Sie eigentlich empört? Sind Sie darüber empört, dass diese Dinge damals so gelaufen sind? Sind Sie darüber empört, dass es möglich gewesen ist, solche Dinge zu realisieren? Sind Sie darüber empört, dass diese Gelder verschwunden sind? Oder sind Sie darüber empört, dass die Dinge an die Öffentlichkeit gekommen sind?

Leider ist unser Eindruck, dass Letzteres der Fall ist. Deswegen sagen wir: Wir haben es möglicherweise schon mit einem Fördermittelskandal zu tun.

Der noch viel größere Skandal ist das Abducken der politisch Verantwortlichen bis heute, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Das alte Prinzip: Nicht das Problem ist das Problem. Das Problem ist, dass es herausgekommen ist.

Nein, es gab bisher noch überhaupt keine Unterstellungen, gegen die Sie sich wehren. Wir haben nur Fakten, die man aneinanderreihen kann, Fakten, die man bewerten muss, Fakten, die man untersuchen muss. Deswegen müssen wir uns als Landtag damit beschäftigen.

Wir haben eine zweite Dimension. Die zweite Dimension ist die Verbindung zwischen diesem Fördermittelskandal und der CDU. Ich will mich nicht im Einzelnen auf die Dinge kaprizieren, die noch von der Staatsanwaltschaft zu untersuchen sind. Ich nenne nur einen Zusammenhang - der ist völlig unwidersprochen, der ist unstrittig -:

In Dessau gibt es einen CDU-Funktionär, der in seiner öffentlichen Funktion als Vertreter der IHK, einer öffentlich-rechtlichen Institution, zu Firmen geht und sagt: „Ich verspreche euch Fördergelder“ - mit höchster Wahrscheinlichkeit bei vielen in betrügerischer Absicht, aber das sei dahingestellt. Im gleichen Gespräch sagt er: Aber bitte eine Spende für die CDU, das müsste doch drin sein!

Dieser Fakt ist unwidersprochen. Er ist so. Da sage ich Ihnen: Ob er dann gesagt hat: „Fördermittel nur dann, wenn du eine CDU-Spende machst“, ist völlig egal. Er hat im selben Gespräch beide Dinge angesprochen. Das ist schon die erste Stufe der Korruption, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Natürlich muss bei den Leuten der Eindruck entstehen, Fördermittel bekommst du besonders gut, wenn du CDU-Spenden leistest. Das ist der Skandal.

Aber der noch größere Skandal, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die nächste Stufe. Wie reagieren die Verantwortlichen der CDU darauf? Wie reagiert der objektive Nutznießer dieser CDU-Spenden aus diesen Gesprächen, nämlich der Kreisvorsitzende dort vor Ort? Er sagt: Was interessiert mich das Gespräch eines IHK-Mitarbeiters?

Das ist stillschweigende Akzeptanz dieses Verfahrens. Das ist stillschweigende Akzeptanz einer solchen Mittelverwendung. Deswegen sagen wir: Der Skandal an sich ist schon da.

(Zuruf von Herrn Kolze, CDU)

Der Umgang mit diesen Dingen ist noch viel skandalöser, Herr Kolze, als die Sache an sich.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Das Mindeste, was man hätte tun müssen, ist zu sagen: Nein, von solchen Dingen distanzieren wir uns. Das wollen wir nicht. Hier kommen wir in ein ganz schwieriges Fahrwasser.

Nein, man distanziert sich nicht, weil man es offensichtlich auch weiter so haben will, und das ist der nächste Skandal.

Wir haben eine dritte Dimension. Die dritte Dimension ist die Justiz in diesem Land. Was haben wir dazu bisher gehört? - Seite Ende 2008 weiß die Staatsanwaltschaft Halle von einer Vielzahl belastender Dokumente und Aussagen in diesem Fördermittelskandal - seit fast vier Jahren!

Was ist bis heute das greifbare Ergebnis der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft Halle? - Nichts. Es gibt nach fast vier Jahren kein einziges greifbares Ergebnis der Staatsanwaltschaft Halle - übrigens im Gegensatz zum Landesverwaltungsamt, das schon seit mehreren Jahren erhebliche Rückforderungen ausgesprochen hat, die also für sich nachgewiesen haben, dass die Dinge nicht rechtskonform gelaufen sind. Die Staatsanwaltschaft Halle hat bis heute nicht ein einziges handfestes Ergebnis gebracht.

Worin liegen die Ursachen dafür? - Das Ministerium sagt: Personelle Fragen können es nicht sein. Die Staatsanwaltschaft Halle ist personell hervorragend ausgestattet, haben wir gehört.

Da fragen wir uns: Wenn das so ist, warum gibt es einen einzigen Staatsanwalt in dieser Staatsanwaltschaft, der sich nach Aussagen der Staatsanwaltschaft mit wahrscheinlich einem der größten Wirtschaftsfördermittelskandale dieses Landes beschäftigt,

(Oh! bei der CDU)

ein einziger, der daneben noch viele andere Dinge zu tun hat - wenn sie denn mit Personal hervorragend ausgestattet sind? Warum wird dieser einzige Staatsanwalt ausgerechnet zu dem Zeitpunkt

versetzt, als dieser Fall das erste Mal das Licht des Gerichtssaals erblicken soll?

Da kamen die Fragezeichen, die immer größer geworden sind. Und dann kamen die nächsten Fragezeichen.

(Zurufe von der CDU)

Dann wird die Sprecherin der Staatsanwaltschaft gefragt: Na, wollen Sie denn eigentlich bei den CDU-Spenden auch mal ermitteln? - Klare Aussage: Nein. Die CDU-Spenden, die in diesem Kontext möglicherweise geflossen sind, interessieren uns als Staatsanwaltschaft überhaupt nicht.

Und mein Kollege Schröder nimmt den Ball natürlich auf, befragt vorgestern auf der Pressekonferenz: Hat denn die CDU ein Problem? Nein, die CDU hat natürlich kein Problem. Gegen uns wird nicht ermittelt. - Damit schließt sich der Kreis.

Dann stellen wir uns die Frage, warum derselbe Mitarbeiter, der bereits 2008 mit erheblichen Indizien belastet worden ist, dass er an diesen Dingen beteiligt gewesen ist, bis zur ersten Presseveröffentlichung hier immer noch auf diesem Platz sitzen konnte und nicht versetzt worden ist. Hat die Staatsanwaltschaft denn kein Ministerium informiert oder hat es im Ministerium niemanden interessiert?