Dann stellen wir uns die Frage, warum derselbe Mitarbeiter, der bereits 2008 mit erheblichen Indizien belastet worden ist, dass er an diesen Dingen beteiligt gewesen ist, bis zur ersten Presseveröffentlichung hier immer noch auf diesem Platz sitzen konnte und nicht versetzt worden ist. Hat die Staatsanwaltschaft denn kein Ministerium informiert oder hat es im Ministerium niemanden interessiert?
Deswegen sage ich ganz deutlich: Die Fragezeichen werden immer größer. Das Misstrauen in das Funktionieren rechtsstaatlicher Grundsätze in diesem Land wird immer größer.
Ein zentrales Mittel werden wir dagegen einsetzen: das sind die Öffentlichkeit und die Debatte in der Öffentlichkeit über Grundregeln in unserer Gesellschaft, die Trennung von Staat und Partei und die Trennung von Exekutive und Judikative, liebe Kolleginnen und Kollegen. Darauf können Sie sich verlassen.
Werte Kollegen von der Landesregierung und von der CDU, Sie haben heute die Gelegenheit, zu Ihrem bisherigen Verhalten und zu Ihren bisherigen Fehlern Stellung zu nehmen. Davon, wie Sie dies tun werden, werden wir abhängig machen, in welcher Form wir diese Dinge in Zukunft auf der Tagesordnung halten. - Danke.
Damit ist die Debatte eröffnet. Als Erster spricht für die Landesregierung Staatsminister Herr Robra.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wegen des ressortübergreifenden Charakters der Angelegenheit will ich als in jedweder Hinsicht unbefangener Chef der Staatskanzlei versuchen,
Ihnen in der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit auf der Grundlage von Zuarbeiten von MW, MS, MF, MJ und dem Landesverwaltungsamt ein paar Fakten zu vermitteln, die Sie zur unvoreingenommenen und fairen Beurteilung des auch in den Medien sehr verkürzt und zugespitzt dargestellten Sachverhalts benötigen.
Allzu offensichtlich werden in durchsichtiger Absicht die Arbeit der Landesverwaltung bei der Ausreichung von Fördermitteln, deren in Einzelfällen möglicherweise betrügerische Verwendung durch Zuwendungsempfänger und einige Parteispenden auf örtlicher Ebene miteinander verknüpft.
Versetzen wir uns gedanklich in den Sommer 2006. Die Landtagswahl liegt hinter uns. Am 24. April 2006 wird die neue Landesregierung gebildet. Soweit es die zu Ende gehende Förderperiode bis 2006 betrifft, laufen Initiativen zur Übertragung von Haushaltsresten aus dem Jahr 2005 und zur Umschichtung von EU-Mitteln, um die aktuelle Überbindung im ESF in Höhe von 36,3 Millionen € aufzulösen.
Schon Anfang April 2006 hatte der für Arbeitsmarktpolitik zuständige Abteilungsleiter Cramer seinen Staatssekretär Dr. Haseloff per E-Mail darauf hingewiesen, dass möglicherweise ein Eingreifen auf Leitungsebene erforderlich sei.
Am 15. Mai 2006 wird der neue Arbeitsminister Dr. Haseloff auf seine Nachfrage vom zuständigen Referatsleiter Beck per E-Mail auf den gestiegenen Bedarf der Wirtschaft nach Förderung der Qualifizierung und auf Probleme bei der Steuerung des Mittelabflusses hingewiesen.
Für die Förderperiode 2000 bis 2006 ist die sogenannte Punktlandung vorzubereiten. Das heißt, alle Fördermittel sind so umzudisponieren, dass es möglichst keine unverbrauchten Reste gibt.
Der neue Minister macht Druck, den Einsatz der ESF-Mittel zu optimieren. Vorzugsweise sind Maßnahmen zu fördern, die Arbeitsplätze schaffen; denn es ist Sommer und gerade in MecklenburgVorpommern zieht der Arbeitsmarkt an und wir wollen die rote Laterne nicht mehr.
Anfang Juni 2006 wird das Kabinett mit einer Vorlage zur finanziellen Gewichtung der für die Förderperiode 2007 bis 2013 vorgesehenen Förderschwerpunkte und Maßnahmen befasst, nach der künftig die Ansätze für Maßnahmen zur Qualifizie
Gleichzeitig wird die Arbeitsmarktabteilung darauf aufmerksam, dass sich beim Landesverwaltungsamt ein erheblicher Antragsstau aufgebaut hat. 48 Maßnahmen stehen als prioritär zur Bewilligung auf einer Liste, die dem Landesverwaltungsamt als Arbeitsgrundlage dient. Die meisten Qualifizierungsmaßnahmen haben die höchste Priorität 1, weil sie im Zusammenhang mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze stehen. Dazu gehören auch die beiden Projektanträge, die Anlass für die heutige Aktuelle Debatte sind.
Alle Anträge sind so weit abgeprüft, dass sie unter Wahrung des verbindlich vorgegebenen VierAugen-Prinzips, also willkürfrei, jederzeit bewilligt werden könnten. Viele der Unternehmen, die auf geförderte Qualifizierung von Mitarbeitern angewiesen sind, sind beunruhigt, weil sie wissen, dass trotz des Antragsstaus an sich noch Mittel vorhanden sind, die aber aus technischen Gründen nicht ausgereicht werden können. Es besteht Handlungsbedarf.
Nachforschungen auf Arbeitsebene ergeben, dass das Landesverwaltungsamt zum damaligen Zeitpunkt irrtümlich die Mittel für bereits erschöpft hält, weil es, wie eine am 13. Juni 2006 vom Landesverwaltungsamt übermittelte Finanzplanungsliste zeigt, mit einem veralteten Finanzplan arbeitet.
Nachdem geklärt ist, dass noch Mittel zur Verfügung stehen und der Ansatz durch Umschichtungen sogar weiter aufgestockt wird, ordnet der zuständige Referatsleiter Beck am 19. Juni 2006 an - das ist eine der E-Mails, von denen hier immer wieder die Rede ist -, den Rückstand abzuarbeiten und dabei mit Maßnahmen zu beginnen, die schwerpunktmäßig noch zulasten des Haushaltsjahres 2006 umgesetzt werden können.
Die erforderlichen Landesmittel und erste Verpflichtungsermächtigungen für 2007 werden nach Freigabe durch das Finanzministerium dem Landesverwaltungsamt mit Erlass des MW vom 27. Juni 2007 zugewiesen.
Warum zwei der 48 Anträge in der E-Mail von Herrn Beck als „auf Wunsch des Ministers vorrangig zu bewilligen“ bezeichnet sind, ist nur mittelbar zu rekonstruieren.
Gegenwärtige und frühere Mitarbeiter der Arbeitsmarktabteilung verweisen darauf, dass in der Praxis Unternehmen, die mit Recht auf Defizite im Verwaltungsvollzug hinweisen und dadurch zu deren Abstellung beitragen, vor anderen sonst gleichrangigen Antragstellern beschieden werden, wenn alle rechtlichen Vorraussetzungen vorliegen, damit sie durch weiteres Liegenlassen keine zusätzlichen Nachteile erleiden.
Solche auch für die Wahrnehmung der politischen Verantwortung sachdienlichen Hinweise oder Eingaben werden seit jeher auf allen denkbaren Wegen und an alle Ebenen des Hauses herangetragen, insbesondere durch Kammern und Verbände und nicht selten natürlich auch bei Außenterminen oder, wie es tagtäglich geschieht, am Rande von Landtagssitzungen an den Minister selbst.
Soweit es die beiden Förderfälle aus der Liste des Landesverwaltungsamts betrifft, will ich, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, betonen: Es gab und gibt keinerlei persönliche Verbindungen des damaligen Ministers und heutigen Ministerpräsidenten zu den fraglichen Unternehmen oder den dahinter stehenden Personen. Es handelte sich um einen Routinevorgang, an den es nach Jahr und Tag keine Erinnerung mehr geben kann.
Im Übrigen ist wichtig zu wissen: Die beiden Anträge vom 5. bzw. 7. April 2006, beide eingegangen beim Landesverwaltungsamt am 11. April 2006, wären auch unabhängig vom Hinweis des Referatsleiters in ausschließlicher Zuständigkeit des Landesverwaltungsamts unverzüglich bewilligt worden, wenn die vorhandenen Finanzmittel wie erforderlich möglichst zeitnah umgeschichtet worden wären, ohne dass das Ministerium eingegriffen hätten.
Seine E-Mail ist übrigens nicht einmal zu den Fördervorgängen gelangt, sondern bei den Generalakten verblieben, weil sie sich im Schwerpunkt auf die allgemeine Finanzplanung bezog.
Die ergänzende Nachfrage des Sachbearbeiters - es waren zwei Personen - vom 18. Juli 2006, die im Übrigen, wie es Aufgabe des Ministeriums ist, zwei weitere dringliche Restanten erwähnt, überschnitt sich mit dem bereits laufenden Verwaltungsverfahren. Sie war also ebenfalls nicht kausal für den Bewilligungsvorgang.
Im Zusammenhang mit dem Abschluss der Förderperiode 2000 bis 2006 wird die Arbeitsmarktabteilung Mitte 2008, also im Folgejahr nach Beendigung der Maßnahmen, durch Prüfungen der im Wirtschaftsministerium eingerichteten EU-Prüfstelle darauf aufmerksam, dass Förderungen missbrauchsanfällig sind, wenn sich das antragstellende Unternehmen für die Durchführung der Maßnahme eines Dritten bedient, der seinerseits das antragstellende Unternehmen in die Ausführung einbezieht. Parallel dazu betreibt die IHK HalleDessau eine Prüfung ihres Bildungszentrums, das in solchen Konstellationen oft der Dritte gewesen ist.
Beide Prüfergebnisse, die des Ministeriums und die der IHK, werden noch im Jahr 2008 der Staatsanwaltschaft vorgetragen, die daraufhin ein Ermittlungsverfahren einleitet und im Februar 2010 Hausdurchsuchungen durchführt.
Auf der Grundlage der Prüfvorgänge werden von der Verwaltung Rückforderungen von Fördermitteln verfügt. Bei den beiden Vorgängen, die Gegenstand der öffentlichen Diskussion sind, gibt es aus der Sicht der Verwaltung allerdings bislang keine Anhaltspunkte für eine irreguläre Abwicklung. Weitere Rückforderungen bleiben aber vorbehalten, wenn das Ergebnis der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dazu Anlass geben sollte. Solange würde ich mich mit der Bezifferung eines Schadens sehr zurückhalten.
Auf seiner Ebene zieht das Wirtschaftsministerium weitere Konsequenzen und verschärft die Förderbedingungen und Nachweispflichten für Unternehmen im Rahmen der schon seit 2001 bestehenden und an sich bewährten Richtlinie zur Qualifizierung von Beschäftigten, die hier zugrunde lag.
Anfang 2009 überträgt es die Durchführung vom Landesverwaltungsamt auf die IB. Bei dieser Gelegenheit wird abermals eine Reihe weiterer Maßnahmen zur Qualitätssicherung und Verhinderung von Fördermittelmissbrauch ergriffen, deren Darstellung im Einzelnen hier zu weit führen würde.
Damit sind noch unter der Verantwortung des Wirtschaftsministers Dr. Haseloff sehr wohl alle notwendigen Konsequenzen vollzogen worden, um eine missbräuchliche Gestaltung von Maßnahmen künftig auszuschließen.
Von Vorwürfen gegen den beschuldigten Sachbearbeiter hat das Wirtschaftsministerium erst im Anschluss an eine Veröffentlichung in einer regionalen Tageszeitung Ende Februar 2011 erfahren. Ein nach der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen mitteilungspflichtiger Verfahrensstand, zum Beispiel eine Anklage, war nicht erreicht. Den erstellten Bericht nach der Anordnung über Berichtspflichten in Strafsachen, der sogenannten BeStra, hat das MJ nicht weitergegeben.
Von Maßnahmen sah das Personalreferat des Wirtschaftsministeriums im Benehmen mit dem Leiter der Fachabteilung auch im Hinblick auf die zunächst von der Staatsanwaltschaft zu würdigende Einlassung des Beschuldigten ab.
Der Sachbearbeiter macht geltend, ihm werde zur Last gelegt, er habe im Sommer 2007 die Zweiraumwohnung seiner Mutter mit von ihm bestellten Material durch einen von einer Qualifizierungsgesellschaft bezahlten Maler streichen lassen. Seine Mutter habe die Rechnungsstellung allerdings mehrfach vergeblich angemahnt.
Nach erneuter öffentlicher Diskussion hat das nunmehr zuständige Sozialministerium dem Mitarbeiter eine andere Aufgabe zugewiesen.
Im Übrigen geht es in dem Ermittlungsverfahren, das sich nach Mitteilung des Landesverwaltungsamts aufgrund der zahlreichen Verdachtsfälle auf Schwerpunkte konzentriert, um Vorwürfe wegen der Art und Weise der Durchführung einzelner
Maßnahmen. Involviert sind auch Kursteilnehmer, die möglicherweise wahrheitswidrig ihre Teilnahme quittiert haben. Es erstreckt sich nicht auf das Bewilligungsverfahren, das tatsächlich und rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Wenn es also strafrechtlich klärungsbedürftige Fragen wegen einer betrügerischen Ausgestaltung und Durchführung einzelner Qualifizierungsmaßnahmen geben mag, so bleibt doch hier und heute festzuhalten, dass die bei Weitem überwiegende Zahl der Träger völlig einwandfrei gearbeitet und mit Tausenden von Qualifizierungsmaßnahmen einen wertvollen Beitrag zur Beschäftigungssicherung geleistet hat.
Zum Stand des Ermittlungsverfahrens hat das Justizministerium im Übrigen im Benehmen mit der Staatsanwaltschaft erklärt, es sprächen letztlich auch ermittlungstaktische Erwägungen gegen eine offensive Weitergabe von Sachständen, zumal diese in einem nur losen Zusammenhang zum avisierten Gegenstand des Antrags stünden.
Ganz allgemein, meine Damen und Herren, erlaube ich mir, daran zu erinnern, dass trotz einer Vorverurteilung von Zuwendungsempfängern durch bestimmte Medien für sie wie für den betroffenen Mitarbeiter der Landesverwaltung weiterhin die Unschuldsvermutung gilt, solange kein unabhängiges Gericht rechtskräftig über die Vorwürfe befunden hat.
Soweit es eine vom Antrag unterstellte Spendenpraxis und etwaige Motive von Spendern betrifft, ist bislang nichts bewiesen.