Protocol of the Session on June 8, 2012

Wir haben einen hohen Krankenstand im Bereich der Förderschulen. Es geht also nicht um die Frage, wird man nur nicht so schnell das Gute und die Revolution und sonst was durchsetzen. Vielmehr sind wir an einem neuralgischen Punkt angekommen. Wenn wir im nächsten Schuljahr immer noch

keine Entscheidung treffen, besteht die Gefahr, dass wir die Ressourcen immer, immer schmaler gestalten und uns die Zustimmung von wirklich gutwilligen Lehrkräften im Verlaufe der nächsten Monate völlig abhanden kommt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich stimme Ihnen in Bezug auf den ersten Teil Ihrer Frage zu. Wir haben die Arbeitsgruppe eingerichtet, weil wir jetzt in der Tat an einer solchen Weggabelung sind, an der man sagt, die 20 % sind scheinbar eine Hürde, an der grundsätzliche Überlegungen dahin gehend angestellt werden müssen, wohin die Reise in dem System geht, entweder stärker in Richtung gemeinsamer Unterricht oder in Richtung Aufrechterhaltung dieser beiden nebeneinander liegenden Systeme von Förderschule und allgemeinbildender Schule.

Deswegen haben wir uns von Fachleuten mit Blick auf die Frage, in welchen Förderbereichen wir denn jetzt tatsächlich Handlungsbedarf haben, beraten lassen. Dabei sind diese beiden Förderbereiche Lernen und Sprache herausgekommen. An diesen Stellen wird es diese Umsteuerung geben und dann werden auch die Ressourcen umgesteuert.

Die Arbeitsgruppe schlägt auch vor, dann nicht mehr mit 23 Komma irgendwas und 28 Komma sonst etwas Lehrerstunden zu rechnen, sondern dann wirklich mit halben Stellen Zuordnungen der Kollegen vorzunehmen, damit wir zu stabilen Verhältnissen kommen und nicht die Förderschullehrer die Zeche zahlen lassen, durch unnötige Wege und fehlende Verankerung in den Schulen. Das ist der Sinn. Das werden wir im Rahmen dieses Konzeptes diskutieren.

Wir haben in unserem Haus damit begonnen, dazu Berechnungen vorzunehmen. Wir glauben, dass das mit den vorhandenen Ressourcen funktionieren wird. Darüber werden wir im Ausschuss im Rahmen des Fachgesprächs miteinander sprechen können.

Danke sehr, Herr Minister. - Wir treten jetzt in die Debatte der Fraktionen ein. Zuvor begrüßen wir Damen und Herren aus Dessau-Roßlau. Seien Sie recht herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Für die CDU-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Gorr.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Laut Koalitionsvereinbarung gehört der weitere Ausbau des gemeinsamen Unterrichts zu den

bildungspolitischen Schwerpunkten der Koalition. Als Bildungspolitikerin, die gleichzeitig die Funktion der behindertenpolitischen Sprecherin innehat, bekenne ich mich ebenso wie die CDU-Fraktion und auch alle anderen Fraktionen dieses Hohen Hauses uneingeschränkt zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auch und gerade im schulischen Bereich.

(Zustimmung von Frau Bull, DIE LINKE)

Deshalb begrüße ich, dass in einer Arbeitsgruppe Empfehlungen für die Weiterentwicklung des gemeinsamen Unterrichts im Land Sachsen-Anhalt erarbeitet worden sind - druckfrisch, kann man sagen -, die nun die Grundlage für die Fortschreibung des Konzeptes bilden sollen.

Die Arbeitsgruppe hat sich aus ganz unterschiedlichen Vertretern aus der schulfachlichen Ebene und am Prozess beteiligter Verbände zusammengesetzt. Der Minister benannte einige davon. Sie alle, so hoffe ich, hatten immer das Wohl des jeweiligen Kindes mit seiner besonderen Lebenssituation im Blick und werden es auch weiter haben.

Es wird nun die Aufgabe des Parlamentes, insbesondere der Ausschüsse für Bildung und Kultur sowie für Arbeit und Soziales, sein, diese Vorschläge zu diskutieren, wie es in unserem Änderungsantrag unter Punkt 3 ausgeführt ist.

Die Beteiligung beider Ausschüsse, werte Kolleginnen und Kollegen, halte ich für außerordentlich wichtig; denn wir werden uns dringend unter anderem auch mit der Definition von Behinderung und von sonderpädagogischem Förderbedarf beschäftigen müssen, um jeweils die für das Kind angemessene Form der Beschulung gestalten zu können.

Unser Antrag benennt eine Vielzahl von zu berücksichtigenden Punkten und verweist damit auch auf die Bedeutung des zukünftigen Landesaktionsplanes, der die Notwendigkeit der Querschnittsaufgabe bei der Bewältigung der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention deutlich macht - oder deutlich machen soll; er ist noch nicht ganz fertig.

Eine breite parlamentarische und öffentliche Diskussion der vorgelegten Empfehlungen zum gemeinsamen Unterricht erscheint mir angesichts der Ängste, die es zum Teil in der Bevölkerung und auch bei manchen Lehrerinnen und Lehrern immer noch geben mag, dringend notwendig.

Nur mit der nötigen Akzeptanz in unserer Gesellschaft - der Minister wies auch schon darauf hin - und in der Lehrer- bzw. Elternschaft sowie mit einer ressortübergreifenden Kraftanstrengung kann das Konzept, das die Landesregierung zur Weiterentwicklung des gemeinsamen Unterrichts erstellen soll, gelingen.

Lassen Sie uns also in aller Ernsthaftigkeit, werte Kolleginnen und Kollegen, die vor uns liegende Aufgabe angehen. Das Spektrum an Kindern, für die wir verantwortlich sind, reicht von Kindern im Rollstuhl mit wachem Geist bis zu Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten, die oft durch äußerst schwierige Familienverhältnisse verursacht werden.

Ich zitiere aus der Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD:

„Die Schülerinnen und Schüler sollen bei Respektierung des Elternwillens nur dann in Förderschulen überwiesen werden, wenn eine integrative Förderung im gemeinsamen Unterricht nicht realisiert werden kann.“

Das ist ein gutes Ziel. Daher bitte ich um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag. Im Übrigen sollte in diesem Hohen Hause das Wort Restschule möglichst keine weitere Verwendung finden. - Danke.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Danke sehr. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Frau Professor Dr. Dalbert. Ich möchte vorher mitteilen, dass sich die parlamentarischen Geschäftsführer darauf verständigt haben, dass nach diesem Tagesordnungspunkt die Mittagspause eingelegt wird, die wir - das haben wir gemeinsam verabredet - auf 45 Minuten begrenzen. Ich sage nachher an, wo wir zeitlich landen. - Bitte sehr.

Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich halte das Anliegen, das Grundanliegen des Antrages der Fraktion DIE LINKE für richtig. Ich halte es auch für an der Zeit, mahnend darauf hinzuweisen, dass der gemeinsame Unterricht in Sachsen-Anhalt weiterentwickelt werden muss und dass hierzu dann, wenn ein Konzept vorliegt, zeitnah ein Diskussionsprozess im Lande in Gang gesetzt werden muss, um mit den Akteuren vor Ort über die Zukunft des gemeinsamen Unterrichts zu sprechen.

Ich stimme auch mit Ihren Anmerkungen überein, Frau Bull, mit denen Sie Ihren Antrag eingeleitet haben. Das wissen Sie. Ich selbst sage dies in diesem Hohen Hause auch immer. Wir können uns eines nicht leisten: Wir können uns nicht zwei parallel laufende Systeme leisten. Sie haben es noch mehr spezifiziert und gesagt, eigentlich sind es, das Übergangssystem eingerechnet, drei. Das wird nicht funktionieren; denn dafür haben wir kein Personal und kein Geld.

Ich verstehe dann aber Ihren Antrag nicht. In Ihrem Antrag gehen Sie sehr halbherzig, wie ich finde, auf die ganze Sache ein, wenn Sie schreiben,

dass in zumutbarer Entfernung ein hochwertiges inklusives Bildungsangebot vorhanden sein muss.

Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Inklusion heißt und die Behindertenrechtskonvention besagt, dass jedes Kind das Recht hat, an der Schule seiner Wahl inkludiert zu werden, also dort zu lernen. Dabei geht es überhaupt nicht um Steuerungsfunktionen, sondern es geht um die Frage, wie wir alle Schulen im Lande dafür fit machen, gemeinsamen Unterricht zu machen.

In den nachfolgenden Punkten gehen Sie differenziert darauf ein, wie man mit der Bündelung mehrerer Förderschwerpunkte an einer Förderschule Übergangssysteme bei der Weiterentwicklung des gemeinsamen Unterrichts erhalten kann. Das verstehe nicht; denn den Punkt 3 Ihres Antrages verstehe ich so - dort steht kein Verfallsdatum -,

(Frau Bull, DIE LINKE: Schulgesetz!)

dass Sie Visionen entwickeln, wo es hingehen soll. Das ist mir dann in der Tat zu halbherzig. Am Ende entspricht das auch nicht der Behindertenrechtskonvention.

Deswegen haben wir den Punkt 3 Ihres Antrages in unserem Änderungsantrag interpretiert und mit Blick auf die Zukunft des gemeinsamen Unterrichts im Land Kernpunkte benannt.

Drei Kernpunkte beschreiben eigentlich den Prozess, den Sie zu Beginn Ihrer Einbringungsrede zum Teil beschrieben haben. Es wird darum gehen, dass wir allen Schulen ausreichend Ressourcen zur Verfügung stellen, um für Schülerinnen und Schüler ein optimales Lernumfeld gestalten zu können. Das heißt natürlich, dass die Förderschullehrerinnen und -lehrer fester Bestandteil der multiprofessionellen Teams in den Schulen sind. Anders kann das gar nicht gehen. Hierbei muss es um eine feste Zuweisung gehen.

Natürlich bedeutet das auch, wie Sie richtig gesagt haben - denn alles andere können wir uns gar nicht leisten -, dass wir in dem Augenblick, an dem wir die Förderschullehrer und -lehrerinnen an die Regelschulen überleiten und dort zuweisen, Förderschulen schließen müssen. Alles andere wird überhaupt nicht funktionieren.

Für uns gehört auch ein anderer zentraler Punkt dazu; auch den habe ich hier im Hohen Haus bereits genannt: Die Diagnose des Förderbedarfs der einzelnen Kinder muss weitgehend unabhängig von der Ressourcenzuweisung sein, weil die Diagnose sonst unter die Abwägung der Ressourcenzuweisung gestellt wird. Die Schulen müssen über ausreichende Ressourcen verfügen, unabhängig vom diagnostizierten Förderbedarf der Kinder, die diese Schulen besuchen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Letzter Punkt. Guten gemeinsamen Unterricht werden wir nur mit Lehrerinnen und Lehrern hinbe

kommen, die ordentlich darauf vorbereitet sind. Deswegen erwähnen Sie auch die Frage der Qualifizierung der Lehrerinnen und Lehrer. Ich denke, es reicht nicht, dies nur vor Ort zu regeln. Wir haben drei Punkte aufgeführt, die wir für zentral in diesem Bereich halten.

Erstens. Dazu haben Sie schon ein Beispiel erwähnt. Alle Lehrerinnen und Lehrer müssen in ihrer Hochschulausbildung auf Inklusion vorbereitet werden, völlig unabhängig von der Schulform und von dem Schulfach.

Zweitens müssen alle Lehrerinnen und Lehrer auf eine Didaktik vorbereitet werden, die sie befähigt, mit Lerngruppen unterschiedlicher Schülerinnen und Schüler umzugehen. Das ist noch einmal etwas anderes. Das eine ist das Wissen, wie inkludiere ich Kinder mit Förderbedarf, das andere ist auch die Frage des Umgangs mit Heterogenität.

Drittens. Dann folgt, so wie Sie es in Ihrem Antrag haben, dass die Schulen bei der Entwicklung hin zur Inklusion begleitet werden müssen. Dabei ist die schulspezifische Fortbildung vor Ort sehr wichtig.

Deswegen unser Änderungsantrag zu dem Punkt 3, für den ich sehr werben möchte.

Meine Redezeit ist nahezu um. Deswegen noch ein letztes kurzes Wort zum Schluss: Herr Minister, wenn Sie in Ihrer Auseinandersetzung mit den vorliegenden Anträgen dieses Kernstück 3 durch die Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Gemeinsamer Unterricht vom 15. Mai 2012 ersetzen und in Ihrem Antrag schreiben, dass diese Empfehlung am 15. Mai 2012 vorgelegt wurde - - Wir haben heute den 8. Juni. Ich kann Ihnen nur sagen, mir wurden sie am 15. Mai nicht vorgelegt. Wenn das das Kernstück Ihrer Argumentation heute ist, dann hätten es die Höflichkeit und der Respekt gegenüber dem Hohen Hause geboten, dass Sie dieses Druckwerk, zumindest für die Landtagsabgeordneten ausgefertigt, rechtzeitig vor der Debatte, vorlegen. - Herzlichen Dank. - Ich kaufe doch hier keine Katze im Sack!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Frau Professor Dalbert, es gibt eine Nachfrage von Herrn Lange. - Bitte sehr.

Frau Professor Dalbert, Sie haben unseren Antrag in einigen Punkten als halbherzig beschrieben. Stimmen Sie mit mir darin überein, dass man ein exklusives Bildungssystem, so wie wir es jetzt ha

ben, nur schrittweise zu einem inklusiven Bildungssystem umbauen kann und dass unser Antrag auch so interpretiert werden kann? - Das ist die eine Frage.