Protocol of the Session on April 26, 2012

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch wir sind der Auffassung, dass der Antrag ein sehr wichtiges Politikfeld aufgreift und heute zu Recht an erster Stelle der Tagesordnungspunkt steht. Ich muss jedoch kritisieren, dass er viele Beschlüsse und Empfehlungen der fünften Wahlperiode nicht aufnimmt, sie teilweise sogar unberücksichtigt lässt. Dabei sind wir also nicht so weit auseinander, Kollege Bergmann.

(Herr Bergmann, SPD: War mir doch so!)

Man kann mir wohl kaum nachsagen, dass ich der Arbeit des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt nicht kritisch gegenüberstünde. Jedoch gehört zur Ehrlichkeit, dass Sachsen-Anhalt als eines von

wenigen Bundesländern eine eigene Biodiversitätsstrategie hat. Das hat der Minister hier zu Recht angeführt und auch gewürdigt.

Das haben übrigens auch die beiden großen Umweltverbände im vorigen Jahr in einer Analyse zu Recht gewürdigt. Sie haben unter anderem hervorgehoben, dass in der vorliegenden Biodiversitätsstrategie von 16 Indikatorenfeldern, die sie abgebildet hatten, 13 für Sachsen-Anhalt zutreffen. Zur Ergänzung sei vielleicht gesagt: Thüringen folgt mit acht Indikatoren als Nächster.

Wer diesen Analysebericht der Umweltverbände aufmerksam liest - das, werte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, gehört auch dazu -, wird jedoch feststellen, dass in der Gesamtbewertung auch für unsere Strategie die Ampel auf Rot steht. Rot ist zwar durchaus eine sympathische Farbe,

(Zuruf von der LINKEN: Das stimmt!)

in diesem Fall aber leider nicht.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Was sind die Ursachen dafür? - Dies habe ich bereits unmittelbar nach dem Beschluss im Mai 2010 kritisiert. Es besteht in dieser Strategie ein großer Mangel an Verbindlichkeit und Zielorientiertheit. Das haben auch die Umweltverbände zu Recht festgestellt; denn über 80 % der bereits zitierten 214 Zielsetzungen sind weder konkret noch abrechenbar gestaltet. Darum steht auch die Ampel auf Rot.

Verschiedene Wissenschaftler haben das in einer Analyse - auch das kann man nachlesen - ebenfalls bestätigt. Offensichtlich wurde das letztlich auch im Ministerium so gesehen, denn im November 2012 wurde, wie bereits erwähnt, für das erste Quartal 2012 eine „Vorhabenplanung“ avisiert. Leider haben wir bereits den 26. April, und der Minister hat uns wieder auf später vertröstet. Das ist meines Erachtens zu kritisieren.

Es ist auch zu kritisieren - so wie es der Minister dargelegt hat -, dass die Arbeitsgruppe, die jetzt diese Vorhabenplanung erarbeitet, nur im Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt agiert. Denn wir sprechen hier über eine ressortübergreifende Strategie, und das ist meines Erachtens wiederum zu kurz gesprungen.

Gleiches könnte ich für die Indikatoren feststellen. Sie sind zwar in dem Strategiepapier aufgeführt, aber von 14 aufgeführten Indikatoren sind ganze sieben auf Landesebene untersetzt, bei drei Indikatoren erfolgt eine teilweise Bezugnahme auf uns, und für vier gibt es keinerlei Bezüge zu Sachsen-Anhalt.

Dies ist zum Beispiel - anders, als es der Minister dargestellt hat - die Flächeninanspruchnahme, die nicht konkret untersetzt ist. Auch die gebietsfrem

den Tier- und Pflanzenarten sind nicht untersetzt - auch das wurde hier schon erwähnt - und es gibt erhebliche Defizite bei den gefährdeten Arten. Hierbei besteht unseres Erachtens dringender Handlungsbedarf.

Wer sich die Gesamtstrategie vornimmt, wird sehr schnell bemerken, dass die hierin aufgeführten zwölf Schwerpunkte eine gute Analysebasis bieten, die Handlungsempfehlungen aber zu 80 % wenig oder gar nicht verbindlich sind. Das ließe sich an vielen Beispielen erläutern; das lässt aber meine Redezeit leider nicht zu. Deshalb, werte Kolleginnen und Kollegen, nur einige wenige Beispiele.

Arten- und Biotopenschutz: Zielsetzungen waren, Betreuungssysteme auszubauen, eine umfängliche Erfassung der Bestandssituation, Monitoringsysteme, Nutzungsanpassung sowie Ökosysteme vernetzen und schützen. Das ist ehrenwert. Ich würde all dies unterschreiben, jedoch ist eine Entwicklung nur sehr zögerlich erkennbar. Es gibt auch keine konkreten Festlegungen, bis wann welche Maßnahmen umgesetzt werden sollen.

Auch bei den invasiven Arten - auch in diesem Fall gab es eine schöne Zielfestlegung, und zwar Handlungskonzepte zu erstellen - ist bei der Umsetzung Fehlanzeige zu verzeichnen. Wie die schöne Zielfestlegung, die Biotopverbundplanung von überörtlicher bis hin zur örtlichen Planung umzusetzen, vor Ort aussieht, dürften die meisten Kolleginnen und Kollegen hoffentlich wissen. Wir sind davon noch sehr weit entfernt.

Oder gar das Grüne Band in die Planungen einzubeziehen: Auch das war erst vor kurzem Thema im Ausschuss und auch hier im Landtag. Das ist immer noch Wunsch und nicht Realität.

Noch problematischer wird es bei der Bindungswirkung der Biotopverbundplanung für alle Bereiche der Raumordnung und Vorhabenplanung, also auch die einzelnen Bebauungspläne vor Ort.

So richtig nach „Wünsch dir was!“ hören sich die Zielfestlegungen im Bereich Siedlung und Verkehr an. Eine Bindungswirkung der Biodiversitätsstrategie sucht man hier vergebens.

Das praktische Handeln der Landesregierung konterkariert diese Zielfestlegungen in erheblichem Maße. Zur Verdeutlichung seien nur die Stichworte Flächeninanspruchnahme, Reduzierung des Verkehrs- und Siedlungsflächenwachstums, Fokussierung auf Brachflächen und Altstandorte bei Industrieansiedlungen, Nutzung alternativer Energieformen, Ausbau ÖPNV, um Individualverkehr zu reduzieren, usw. genannt. Es ließe sich eine Vielzahl von „Wünsch dir was!“-Positionen anführen.

Anrede: Werte Kolleginnen und Kollegen!

(Heiterkeit bei der LINKEN - Zustimmung bei der SPD)

- Sie hören mir zumindest zu. - Sie sehen, es gibt noch sehr viel zu tun, um die Strategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt auch in praktisches politisches Handeln der Landesregierung und des Landtages umzusetzen.

Deshalb lautet unsere Forderung, nicht einen neuen, losgelösten Aktionsplan zu kreieren, sondern auf dieser Strategie aufzubauen, sie konkret und detailliert zu untersetzen - und das möglichst zeitnah - und dabei den Landtag wie auch die interessierte Öffentlichkeit mitzunehmen.

Eine letzte Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen: Ein Nachhaltigkeitsbeirat wäre für den Landtag sehr hilfreich gewesen. Er würde auch Hinweise der Wissenschaft und der Verbände schneller in unsere parlamentarische Arbeit einfließen lassen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und hoffe auf eine positive und zeitnahe Berichterstattung in den Ausschüssen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Geschätzter Herr Kollege Lüderitz, ich darf § 63 unserer Geschäftsordnung nur der Überschrift halber zitieren. Dort steht: „freie Rede“.

(Oh! und Heiterkeit bei der LINKEN - Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Dann ist das Versehen bezüglich der Anrede vermutlich erledigt.

Es gibt eine Anfrage des Kollegen Bergmann. Möchten Sie diese beantworten?

In freier Rede.

Kollege Lüderitz, Sie haben berechtigterweise auf einige Schwachstellen - auch im Rahmen der Bauleitplanung - hingewiesen. Meine Frage lautet: Inwieweit hätten Sie dazu Vorschläge? Was könnten wir als Gesetzgeber hierbei tun? Die Planungshoheit der Gemeinden einschränken? Oder sehen Sie, da Sie kommunalpolitisch verhaftet sind, Möglichkeiten, solche Dinge in entsprechenden Gremien zu regeln?

Die Antwort ist relativ einfach. Ich möchte die Bauleitplanung der Kommunen nicht einschränken. Ich möchte den Kommunen klare Zielsetzungen geben, was aus der Sicht des Landes die Vorgaben hinsichtlich der Biotopverbundplanung sind.

Es ist eine Unsitte, in zunehmendem Maße Landschaftsschutzgebiete bzw. Naturschutzgebiete auf

zuweichen, um sie für Bauvorhaben im Industrie- und Gewerbebereich, aber auch im örtlichen Bereich auszunutzen, um auf der Grünen Wiese oder im Landschaftsraum Wohngebiete zu errichten. Das halte ich für wenig zweckdienlich. Das ist auch kein Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Danke schön, Herr Kollege Lüderitz. - Als Nächster spricht der Abgeordnete Stadelmann für die Fraktion der CDU.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich schwierig, nachdem vor mir schon so viele Gutmenschen zum Thema Artenvielfalt gesprochen haben, noch Neuigkeiten hinzuzufügen.

Ich bin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dafür dankbar, dass sie das Thema aufgerufen hat. Wir hatten es ohnehin erst letzte Woche bei unserer gemeinsamen Klausur auf der Agenda.

Es ist richtig, dass Handlungsbedarf besteht. Das EU-Parlament hat in der „Entschließung des Europäischen Parlaments vom 20. April 2012 zu Lebensversicherung und Naturkapital: Eine Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr 2020“ unter anderem festgestellt, dass die Ziele der Strategie für das Jahr 2010 in der Europäischen Union nicht erreicht worden sind.

Auch die Vereinten Nationen haben mittlerweile erkannt, dass es mit dem Artensterben so nicht weitergehen kann, und haben deshalb die Dekade 2010 bis 2020 als Dekade der Biodiversität ausgerufen. Wir sind mitten darin. Deswegen sind auch die entsprechenden Aktionen, die wir jetzt vorhaben, wichtig.

Ich will noch zwei Themen ansprechen, die meiner Meinung nach verstärkt beraten werden sollten. Das eine ist die Vielfalt invasiver Arten. Immer mehr Arten dringen bei uns ein, werden heimisch, zum einen aufgrund der Klimaveränderungen, zum anderen durch Biotopverbünde wie das Grüne Band etc., wo sie sich verbreiten. Das sollte auch diskutiert werden.

Ein weiteres Problem, das zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist die - in Anführungszeichen - Energiewende. Das heißt, auch dort, wo Bioenergiepflanzen angebaut werden, Stichwort Vermaisung, wo Windkraftanlagen stehen und wo Fotovoltaik auf Freiflächen aufgebaut wird, ist die Artenvielfalt eingeschränkt. Zwar will ich nicht behaupten, dass dort jedes Mal gleich Arten verlorengehen, jedoch ist es für die Artenvielfalt sicherlich nicht positiv. Mit diesem Thema müssen wir uns beschäftigen.

Was mir noch wichtig ist und auch von den Kollegen vorher angesprochen wurde, ist der ressortübergreifende Ansatz. Es ist nicht so, Herr Lüderitz, dass die Arbeitsgruppe im MLU vor sich hindümpelt, sondern es ist eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe.

Gleichwohl - die Gelegenheit möchte ich hier nutzen - sei an die Adresse der Damen und Herren in der ersten Reihe hier links und rechts von mir Folgendes gerichtet: Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass die Biodiversitätsstrategie nicht eine Strategie des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt ist, sondern eine Strategie der Landesregierung.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Das heißt, es müssen in den anderen Ressortbereichen noch Anstrengungen unternommen werden, um die Zielstellungen der Biodiversitätsstrategie umzusetzen. Ich denke dabei an das Kultusministerium - Stichwort Ökoschulerlass -, an das Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr, da es große Infrastruktur- und Baumaßnahmen gibt - Straße, Schiene, Gewässer -, und auch an das Finanzministerium und den Landesrechnungshof, wenn die Beschaffung nachhaltiger Fahrzeuge oder nachhaltiger Büromaterialien ansteht, die bekanntermaßen nicht unbedingt die preiswertesten sind. Auch hierbei muss ein Umdenken einsetzen. So hat jedes Ressort seinen Beitrag zu leisten, um die Strategie des Landes umzusetzen.