Protocol of the Session on March 23, 2012

Was mir ganz konkret beim Lesen der Großen Anfrage auffällt: Der Betreuungsschlüssel, der als Status quo angegeben wird, entspricht noch nicht einmal den ungenügenden Vorgaben des gültigen Gesetzes, weder dem gültigen KiFöG noch dem neuen Referentenentwurf.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Im Krippenbereich wird ein Personalschlüssel von 1 : 6,75 und im Kita-Bereich von 1 : 14,625 angegeben.

Um den Personalschlüssel gesetzeskonform anzuheben, wären laut der Antwort der Landesregierung allein im Krippenbereich rund 22 Millionen € nötig. Um Ausfallzeiten der Erzieher und Erzieherinnen, also Urlaub, Krankheit, Fortbildung etc., auszugleichen, wäre ein weit höherer Betrag nötig. Es handelt sich hierbei immerhin um 15 bis 20 % der Arbeitszeit. Ich finde, dass jeder Träger und jede Erzieherin ein Recht auf diese Ausfallzeiten hat.

Bisher habe ich leider nicht vernommen, dass Geld in die Hand genommen werden soll, um den Personalschlüssel überhaupt auf das gesetzlich vorgeschriebene Niveau anzuheben. Das finde ich, vorsichtig ausgedrückt, mehr als sträflich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diese Frage bringt mich zu der nächsten Frage, die sich bei der Großen Anfrage, aber auch generell bei den jetzt begonnenen Diskussionen um das KiFöG auftut, nämlich die Frage: Woher wollen wir überhaupt die neuen Erzieherinnen nehmen? - Diese zentrale Frage ist bisher kaum gestellt, ge

schweige denn beantwortet worden. Wir brauchten zum Beispiel rund 500 Vollzeitstellen, um den Personalschlüssel auf 1 : 6, wie ich es eben erläutert habe, anzuheben.

Auch die Gewährleistung des Ganztagsanspruches wird über eine bloße Aufstockung der Teilzeitstellen nicht funktionieren. Es muss in den nächsten Jahren erhebliches Personal neu eingestellt werden. In der „Mitteldeutschen Zeitung“ von diesem Mittwoch wird der Minister damit zitiert, dass rund 1 300 Fachkräfte nötig seien. Das ist eine immense Zahl.

Ich möchte an den grünen Vorschlag erinnern, den wir im Rahmen der KiFöG-Debatte sicherlich noch einmal einbringen werden: den Ganztagsanspruch für die Familien, bei denen ein Elternteil zu Hause ist, auf acht Stunden und für alle anderen auf zehn Stunden festzuschreiben. Das würde einen kleinen, aber immerhin einen Spielraum ermöglichen.

(Zustimmung von Herrn Erdmenger, GRÜ- NE)

Dass unser Land auf den Fachkräftemangel, wie ich ihn eben angedeutet habe, gut vorbereitet ist, dazu ist unsere Fraktion bei weitem nicht so optimistisch wie die Landesregierung. In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage bezüglich der Ausbildungssituation ist zu lesen - ich zitiere -:

„Die Ausbildungssituation in Sachsen-Anhalt gewährleistet jedoch, dass ein flächendeckender Fachkräftemangel nicht eintreten wird.“

Das ist sicherlich richtig, ein flächendeckender Fachkräftemangel wird nicht gegeben sein. Dem stimme ich auch zu. Aber ich finde es trotzdem sträflich, sich nicht weiterhin mit dieser Frage zu beschäftigen. Denn die Ausbildungszahlen in der Antwort auf dieselbe Anfrage zeigen deutlich, dass der Bedarf an Erzieherinnen kaum vollständig zu decken sein wird und dass wir jetzt schon große Lücken im Land haben.

Auch werden wir in den nächsten Jahren zahlreiche neue Erzieherinnen brauchen, um das in Rente gehende Personal ausgleichen zu können. Auch das neue KiFöG macht, wie dargestellt, zusätzliche neue Stellen notwendig. Zudem - das dürfen wir nicht verkennen - stehen wir in immer härterer Konkurrenz zu anderen Bundesländern.

Die Absolventenzahlen der Fachhochschulen und der Fachschulen sowie die Auszubildendenzahlen geben ebenfalls Anlass zur Sorge. Das wird mir auch immer wieder in den Gesprächen mit Trägern und Erzieherinnen vor Ort bestätigt. Sie sprechen jetzt schon davon, dass der Markt leergefegt sei, dass junge Leute kaum zu bekommen seien. Sie sagen offen, dass sie, wenn das Gesetz in Kraft tritt, Schwierigkeiten haben werden, die notwendigen Stellen zu besetzen.

Unsere Fraktion regt daher an, im Land einen runden Tisch zur Ausbildungssituation und eine entsprechende Ausbildungsoffensive auf den Weg zu bringen. Es sind zu viele Partner in diesem Spiel, als dass das Land allein diese Fragen regeln könnte. Wir müssen uns mit den kommunalen Berufsschulen und mit den freien Trägern an einen Tisch setzen und müssen gemeinsam planen, wie wir den Fachkräftenachwuchs im Erzieherbereich im Land Sachsen-Anhalt regeln können.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Auch denken wir, dass es dringend notwendig ist, eine Stärkung des dualen Studiums und der dualen Ausbildung voranzutreiben. Das bietet die Chance, die Anbindung der Auszubildenden und der Studierenden an die Einrichtungen im Land zu forcieren und die Verwurzelung der jungen Menschen in Sachsen-Anhalt zu vertiefen.

Der Equal-Pay-Day ist heute schon mehrfach angesprochen worden. Wir sollten uns auch in diesem Zusammenhang dringend um die Eingruppierung der Erzieherinnen und Erzieher kümmern. Ich finde es manchmal beschämend, wie schlecht wir die Frauen bezahlen - in der Regel sind es Frauen -, die sich um die Zukunft dieses Landes kümmern, und das auch noch auf sehr hohem Niveau.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Auch wird es immer wichtiger werden, konkurrenzfähig zu bleiben - in Konkurrenz zu anderen Bundesländern, aber zunehmend auch in Europa. Andere Bundesländer zahlen wesentlich mehr und sind auch in ihren Nebenabreden und in den Positionen, die sie zusätzlich zu den Tariflöhnen zahlen, wesentlich besser, als es in Sachsen-Anhalt der Fall ist.

Da kommt noch eine weitere Unbekannte ins Spiel, nämlich die Lohnstruktur der freien Träger. In der Antwort auf die Große Anfrage ist zu lesen - ich zitiere -:

„Angaben zum Umfang der Tarifbindung, zum angewendeten Tarifvertrag, zur Gestaltung der einzelnen Arbeitsverträge bei den freien Trägern und damit zur tatsächlich gezahlten Vergütung liegen der Landesregierung nur in Einzelfällen vor.“

In Magdeburg zum Beispiel werden alle Kitas von freien Trägern geführt. Wir wissen also nichts über die Personalkosten vor Ort. Da zahlt das Land die Hälfte der Personalkosten, und zwar gemäß den Berechnungen nach dem TVöD - alles völlig korrekt -, und weiß nicht, ob das Geld bei den Erzieherinnen tatsächlich ankommt. Ich finde, das ist ein fahrlässiger Umgang mit Landesgeldern.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Dazu werden wir - so lässt jedenfalls der Referentenentwurf aufgrund der Auskunftspflicht, die dort verankert werden soll, vermuten - demnächst mehr wissen. Aber mehr zu wissen und vielleicht genau zu wissen, welcher Träger nicht nach Tarif bezahlt, ist nur die eine Seite der Medaille. Wir müssen auch offensiv darangehen, das zu ändern.

Wenn das Land die Personalkosten annähernd zur Hälfte trägt und wenn wir ein Interesse daran haben - ich sage: haben müssen -, junge Fachkräfte im Land zu halten, vielleicht sogar ins Land zu holen, wenn wir Absolventinnen und Absolventen der Fachhochschule angemessen bezahlen wollen und wenn wir auch die Leiterin entsprechend entlohnen wollen, dann sollte das Land die tarifgerechte Bezahlung von Erzieherinnen und Erziehern im Gesetz festschreiben. Ansonsten - das befürchte ich - stehen wir in kurzer Zeit vor der Macht des Faktischen. Wir können noch so schöne Gesetze erlassen, wenn das Personal fehlt, wird es auch den Kindern fehlen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wir müssen in diesem Land endlich auf Qualität setzen. Die hohen Betreuungsquoten in SachsenAnhalt sind zu begrüßen, selbstverständlich. Aber wenn der Personalschlüssel nicht stimmt, dann werden Kinder halt doch nur verwahrt.

(Frau Niestädt, SPD: Das stimmt ja nicht! Die Kinder werden bei uns nicht verwahrt!)

Das kann und darf nicht das Interesse dieses Landes und des Hohen Hauses sein.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Mein Fazit also: Wir brauchen dringend eine einfachere Berechnungsgrundlage, wir brauchen transparente Finanzierungswege, wir müssen sicherstellen, dass die Erzieherinnen und Erzieher im Land Sachsen-Anhalt tarifgerecht bezahlt werden. Nur so werden wir konkurrenzfähig sein, was die Kinderbetreuung betrifft.

Über Inhalte und Qualität habe ich heute nicht gesprochen - jedenfalls nur ansatzweise, nur angedeutet. Das werden wir zu gegebener Zeit im Rahmen der KiFöG-Novelle tun. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke sehr, Frau Abgeordnete Lüddemann. - Bevor Minister Bischoff für die Landesregierung das Wort erhält, haben wir die Freude, Damen und Herren des Stadtverbandes BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Halle bei uns begrüßen zu können. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Minister Bischoff, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will ich zum Anlass nehmen - Frau Lüddemann hat nur ein paar Aspekte herausgenommen und ist nicht auf jede Frage eingegangen -, ein paar grundsätzliche Dinge anzusprechen.

Ein Grund dafür, dass wir das KiFöG novellieren, ist, den Ganztagsanspruch wiederherzustellen. Die qualitative Verbesserung ist durch die Dialogveranstaltung noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt worden. Deshalb ist das mit vorgesehen. Aber einer der wesentlichen Punkte war die Frage der Transparenz und Vereinfachung der Finanzierung.

(Zustimmung bei der SPD)

Das war der eigentliche Grund: weil wir es nicht wissen. Ich sage nach wie vor: Wenn es hier im Hause jemanden gibt, der das alles genau weiß, der nachprüfen kann, wie die Finanzierungsstränge funktionieren und der auch noch Vorschläge machen kann, dann würde ich mit dem Finanzminister reden und würde denjenigen, der das kann, einstellen.

Es ist aufgrund des damaligen Gesetzes - ich mache gar keinen Vorwurf - mit unterschiedlichen Pauschalierungen, die manchmal jetzt auch gefordert werden nach dem Motto „Macht es lieber pauschal“, seit dem Jahr 2003 eine Situation entstanden, die dazu geführt hat, dass wir tatsächlich jedes Jahr Steigerungen zu verzeichnen hatten und dass wir erfahren haben, dass diese Steigerungen bei den Trägern oft nicht ankommen. Pauschal ist immer nicht transparent, aber es ist eine vereinfachte Regelung. - Diese Steigerungen haben die Fraktionen zu Recht kritisiert.

Gerade die Frage des Tarifs - das habe ich bei den Dialogveranstaltungen gemerkt - ist tatsächlich eine zentrale Frage. Wir geben den öffentlichen Tarif weiter. Deshalb zu Ihrer Frage, welcher Träger nicht nach Tarif bezahlt. Sie sagen, wir sollten eine tarifliche Verpflichtung in das Gesetz schreiben.

Das heißt im Umkehrschluss: Wer nicht nach Tarif bezahlt, bekommt kein Geld. - Dann fragen Sie einmal die Träger, die nicht nach dem öffentlichen Tarif bezahlen, warum sie nicht nach diesem Tarif bezahlen: Weil sie ihr eigenes Tarifgefüge haben. - Das können wir ihnen nicht vorschreiben.

Wir sagen sehr deutlich: Sie bekommen nach dem neuen Gesetz nur die Personalkosten erstattet, die tatsächlich anfallen. Wenn sie nach dem öffentlichen Tarif bezahlen, bekommen sie auf der Grundlage dieses Tarifs von uns das Geld.

Die Eingruppierung brauchen wir nicht. Unsere Erzieherinnen werden, auch was den Ost-West-Vergleich angeht, gut bezahlt - nach öffentlichem Ta

rif, weil wir den weitergeben. Deswegen zieht auch niemand weg. Die finanzielle Situation ist oft nicht sehr gut, weil die Erzieherinnen auf 20 oder 25 Stunden angestellt sind. Das war damals die Kürzung. Der geringere Teil der Erzieherinnen hat überhaupt einen Vollzeitjob. Die Mehrheit liegt, glaube ich, zwischen 20 und 30 Stunden.

Deshalb gehe ich davon aus - um zu dem nächsten Problem, dem Fachkräftemangel, zu kommen -, dass wir dem Fachkräftemangel begegnen können. Wir kennen die Zahlen aus den Fachschulen, wir kennen die Zahlen aus den Universitäten, wir wissen auch ungefähr, wie viel pädagogische Grundausbildung erforderlich ist. Wir erweitern den Begriff in Zukunft.

Wir werden noch darüber diskutieren, ob Sie es auch unter dem Fachkräftebegriff sehen, dass diejenigen, die zum Beispiel Kindheitswissenschaften studiert haben oder Lehrer geworden sind, aber später sagen: „Wir entscheiden uns doch eher für die frühkindliche Bildung“, dann, wenn sie ein Praktikum in einer Einrichtung gemacht haben, auch als Erzieher/Erzieherin tätig werden können. Wir glauben, dass wir den Anstieg, den wir bis 2016/2017 haben werden, damit bewältigen können. Das ist zugegebenermaßen eine Herausforderung.