Protocol of the Session on March 23, 2012

ken wir uns als Stichwort: Daseinsvorsorge im ländlichen Raum.

(Beifall bei der LINKEN)

Für eine nachhaltige Entwicklung im Einzelhandel ist zudem eine andere Einkommens- und Verteilungspolitik unabdingbar. So hat die schwache Binnennachfrage durch stagnierende und schrumpfende Realeinkommen vor allem die Einzelhandelsbranche insgesamt in eine schwierige Lage geführt.

Der massive Verdrängungswettbewerb im Einzelhandel wurde durch die Politik noch forciert, indem beispielweise Rabatt- und Ladenschlussgesetze gelockert wurden. Hierbei ist ein Umdenken notwendig; denn das Anheizen der Konkurrenz innerhalb der Branche trägt offensichtlich zu ihrer Destabilisierung bei.

Die Binnennachfrage - das ist eine alte These von uns, die Sie auch kennen - muss durch höhere Löhne angekurbelt und ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Merken wir uns als Stichwort für die politische Agenda: Mindestlohn.

Ist denn nun Schlecker ein Einzelbeispiel in ganz weiter Ferne? - Wohl kaum. Denken wir auch einmal an naheliegende Beispiele. Erst als die wirtschaftliche Lage für Q-Cells kritisch wurde, kam die Wahl eines Betriebsrates zustande, um eben die Mitbestimmung bei Entlassungen zu sichern. Die Mitbestimmung war der Geschäftsführung über lange Zeit ein Dorn im Auge.

In dieser Woche ist die Firma Fahrzeug-Technik Dessau in die Insolvenz gegangen, geführt mit Unternehmerwillkür. Auch diese konnte das Unternehmen nicht retten.

Das sind Einzelbeispiele, werden manche sagen. Das mag wohl sein. Aber sie sind die Spitze eines Eisbergs und zeigen, wie auch in anderen deutschen Unternehmen Mitbestimmung, Belange der Beschäftigten und die Lebenssituation der Familien Beachtung finden.

Natürlich gibt es auch gute Beispiele für Unternehmerinnen und Unternehmer, die die Beschäftigten wirklich als ihr wertvollstes Potenzial ansehen. Gerade deshalb geht es darum, die Einhaltung von Gesetzen durchzusetzen und Lücken, die solche negativen Beispiele kultivieren, zu schließen.

Da sind wir bei unseren altbekannten Themen, die ich gerade genannt habe. Ich fasse sie noch einmal zusammen: Mitbestimmung, Tariftreue - wir haben in Kürze die Gelegenheit, bei den Beratungen über das Vergabegesetz da nachzuhelfen -, Mindestlohn - auch dafür bietet sich eine Möglichkeit im Vergabegesetz des Landes -, Leiharbeit, Datenschutz, Unternehmensbesteuerung, Handels

gesetzbuch und öffentliche Daseinsvorsorge im ländlichen Raum.

Das sind ausgewählte Beispiele für den Nachholbedarf der Politik und für die Konsequenzen, die aus der Schlecker-Pleite für das zukünftige Handeln gezogen werden sollten. Es kann nicht sein, dass nur bei Banken oder bei der Automobilindustrie die Rettungsschirme aufgespannt werden, aber die Politik zögerlich und zwiespältig handelt, wenn es um das Schicksal vorrangig von Frauenarbeitsplätzen mit zum Teil geringen Einkommen geht.

(Beifall bei der LINKEN)

Übrigens: Bis zum heutigen Tag, dem 23. März, müssten Frauen prozentual gesehen in Deutschland länger arbeiten, um den Abstand zum Vorjahresgehalt ihrer männlichen Kollegen aufgeholt zu haben. Daran soll der Equal-Pay-Day jährlich erinnern. 23 % - so groß ist die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen in Deutschland. Das hat verschiedene Gründe. Typische Frauenberufe sind eben tariflich schlechter bewertet.

Auch das sieht man bei Schlecker ganz deutlich. Gerade das Beispiel Schlecker zeigt, dass sich mit Lohndumping und Gewinnsteigerungen zulasten der Beschäftigten auf Dauer kein Unternehmen erfolgreich entwickeln kann. Es beeinträchtigt die Unternehmenskultur, die Mitgestaltung und das Engagement der Beschäftigten.

Die Frage ist: Ist Schlecker mit der Transfergesellschaft wirklich gerettet? Und wollen wir das eigentlich? Oder ist das sogenannte freie Spiel der Kräfte besser? Dann teilen sich eben dm, Müller und Rossmann den Kuchen neu auf.

Nein, gerettet ist mit der Transfergesellschaft beileibe noch nichts. Der dornige Weg aus der Insolvenz heraus steht noch bevor. Es hat aber trotzdem wieder einmal eine Weile gedauert, bis die Landesregierung hier ein klares Signal gesetzt hat, um mit 1,74 Millionen € zu bürgen, noch nicht einmal zu bezahlen. Wir hoffen, dass die Landesregierung die Konzepte der sich bewerbenden Gesellschaften ordentlich prüft.

Arbeitslosigkeit kostet im Schnitt etwa 18 000 € pro Jahr. Selbst wenn jeder zweite Beschäftigte einen neuen Job findet, würden sich die gesellschaftlichen Folgekosten der Arbeitslosigkeit in diesem Fall auf 113 Millionen € im Jahr belaufen. Bei 400 Betroffenen in Sachsen-Anhalt wären das ungefähr 7,2 Millionen €. Es ist doch eigentlich Wahnsinn, wenn die Politik Arbeitslosigkeit anstatt Arbeitsplätze finanziert.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Transfergesellschaften lösen die oben genannten Probleme nicht. Aber sie sind ein Mittel, das die Politik einsetzen kann, um die Folgen der eigenen Versäumnisse zu mildern. Und ja, es ist ein Mittel, um dem Insolvenz

verwalter ab April mit deutlichen weniger Beschäftigten und Filialen den Einstieg von Investoren zu erleichtern.

Schlecker hatte mit seinem Filialnetz einen Marktanteil von etwa 75 %. Hinsichtlich des Umsatzes kann man nur schätzen. In Branchenkreisen spricht man von etwa 35 %. Diese Brocken müssten andere Marktteilnehmer auch verdauen können.

Für die Beschäftigten ist es zumindest ein Lichtblick, um wieder gesicherte Perspektiven zu sehen. Sie sollen mit der heutigen Debatte aber auch die Gewissheit haben, dass sich die Politik ihrer Verantwortung stellt. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Herr Kollege Dr. Thiel, für die Einbringung. - Für die Landesregierung spricht nunmehr Frau Ministerin Professor Dr. Wolf.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In der Tat hat sich in den letzten Tagen in der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik und in sonstigen Foren unseres Landes einiges um den Fall Schlecker gedreht. Ich finde es deswegen auch gut und logisch, dass wir heute auch hier darüber reden und darüber diskutieren, wie wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Sachsen-Anhalt helfen können, nachdem sich das Geschäftsmodell von Schlecker ganz offensichtlich nicht bewährt hat.

Wir haben es ausführlich gehört. Dem ist nichts hinzuzufügen. Dass es sich zeigt, dass ein Geschäftsmodell nicht funktioniert, ist nichts, worüber man traurig sein müsste, wenn ein solches Modell auf einer schlechten Behandlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beruht.

Bevor ich Ihnen den derzeitigen Sachstand darstelle, erlauben Sie mir bitte eine Bemerkung, Herr Gallert, auch vor dem Hintergrund des Frauentages Anfang März und des heutigen Equal-PayDays. Mich hat Ihre Twitter-Meldung vom Mittwoch schon einigermaßen verwundert; denn da hieß es, CDU und SPD lehnten die Transfergesellschaft für Schlecker in Sachsen-Anhalt ab. Sie wollten zwar helfen, ohne aber zu verraten, wie; es gehe ja nur um Frauenarbeitsplätze. - Was war denn das für eine Nummer?

(Beifall bei der LINKEN - Herr Gallert, DIE LINKE: Da waren Ihre Kollegen! Frau Wolff, das war die Aussage der Fraktionsvorsit- zenden von CDU und SPD in der Presse- konferenz! - Zuruf von Herrn Schröder, CDU)

- Vielleicht darf ich einfach meine Position, von der ich glaube, dass sie allgemein geteilt wird, auch in den Koalitionsfraktionen, dagegenhalten.

Es geht natürlich überwiegend um Frauenarbeitsplätze. Ja, es geht um Arbeitsplätze von Frauen, die in vielen Fällen aufgrund ihrer familiären Bindung nicht von heute auf morgen etwa ein Arbeitsangebot in Dresden oder Berlin annehmen können, sondern die sehr wohl darauf setzen, einen neuen Arbeitsplatz hier in Sachsen-Anhalt zu erhalten, und die wir - das möchte ich auch betonen - im Land halten wollen.

Von den insgesamt 441 betroffenen Personen arbeiten nur 36 in Vollzeit. Alle übrigen sind in Teilzeit beschäftigt, zum Teil, weil Schlecker keine anderen Verträge angeboten hat, und zum Teil, um das Erwerbs- und Familienleben unter einen Hut zu bekommen.

Ich hoffe doch sehr, dass wir uns darin einig sind, dass jeder dieser Arbeitsplätze genauso viel Engagement der Landesregierung wert ist wie die Arbeitsplätze von Mechatronikern oder Maschinenbauern.

(Beifall bei der CDU)

Sachsen-Anhalt hat deshalb angeboten, sich mit einer Bürgschaft in Höhe von 1,74 Millionen € an der Absicherung der geplanten Transfergesellschaft für die von der Kündigung bedrohten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Drogeriekette Schlecker zu beteiligen. Die Kuh ist noch nicht vom Eis. Es wird weiter verhandelt.

Wir haben angeboten mitzumachen, allerdings unter Bedingungen. Ziel ist es, 13 000 bis 14 000 der bundesweit etwa 25 000 Arbeitsplätze zu erhalten. 11 000 bis 12 000 Arbeitsplätze sollen in die bereits erwähnte Transfergesellschaft überführt werden, die im Laufe eines halben Jahres das Personal weiterqualifizieren soll, um die Aufnahme neuer Beschäftigungsverhältnisse zu ermöglichen.

Die Kosten dieser Gesellschaft werden sich auf ca. 80 Millionen € belaufen. Davon wird ein Anteil von 10 Millionen € aus dem operativen Geschäft des Unternehmens beglichen und ein Anteil von ca. 70 Millionen € durch die öffentlichen Hand. Formal sollen die Länder für diesen Betrag lediglich bürgen.

Der Bund lehnt eine Haftungsbeteiligung ab, gibt aber eine technische Hilfe in Form der Kreditierung des Betrages durch die KfW, für den die Länder zu 100 % bürgen sollen. Die quotale Aufteilung der Haftungsrisiken erfolgt auf der Basis der zu erhaltenden Arbeitsplätze.

Aus rechtlichen Gründen muss die Transfergesellschaft bis Ende März stehen; ansonsten sind 11 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu entlassen. Aus beihilferechtlichen Gründen reden wir

über eine Hilfe für eine Dauer von lediglich sechs Monaten.

Wir wollen helfen. Deshalb haben wir gestern in Berlin gemeinsam mit den meisten anderen Bundesländern angeboten, die vom Insolvenzverwalter erbetene Bürgschaft mit zu übernehmen. Bedingungen für unser Angebot waren unter anderem, dass in Sachsen-Anhalt dann auch tatsächlich 435 Arbeitsplätze in 72 Schlecker-Filialen erhalten bleiben sollen und dass die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme der Bürgschaft durch werthaltige weitere Sicherheiten auf ein Minimum begrenzt wird. Zudem sollen die Länder bei der Übernahme von Schlecker durch einen Investor aus der Bürgschaft entlassen werden.

Darüber hinaus - das ist uns besonders wichtig - muss eine der elf geplanten Transfergesellschaften ihren Sitz bei uns im Land haben, um auch räumlich möglichst nah an den ca. 440 Betroffenen zu sein. Das ist für uns ein Muss. Denn - dies räsonierten auch schon die Koalitionsfraktionen öffentlich - wir wollen eine landesspezifische Lösung und keine Transfergesellschaft, die uns im schlimmsten Fall die mobilen dieser Arbeitskräfte wegtransferiert. Das war übrigens die spontane Befürchtung eines IHK-Präsidenten im Gespräch über dieses Thema.

Wenn wir schon jetzt ein spontanes kleines Konjunkturprogramm für Träger von Arbeitsmarktdienstleistungen veranstalten, dann wäre es auch schön, wenn entsprechende Unternehmen aus Sachsen-Anhalt angemessen daran beteiligt werden.

Was spricht darüber hinaus für die Transfergesellschaft in diesem Einzelfall? Folgendes: Sollten die Transfergesellschaften nicht zustande kommen, rechnet der Insolvenzverwalter mit bis zu 8 000 Kündigungsschutzklagen. Aufgrund der damit verbundenen finanziellen Lasten würde eine Übernahme der nicht zur Schließung vorgesehenen Schlecker-Filialen durch einen Investor ganz massiv erschwert.

Mit der Bürgschaft, die hoffentlich nicht gezogen wird, helfen wir also nicht nur mehreren Hundert Schlecker-Beschäftigten, eine andere Arbeitsstelle zu finden, sondern wir erhöhen auch die Wahrscheinlichkeit, dass im Land 72 Filialen mit 435 Stellen erhalten bleiben, erheblich. Für dieses strukturpolitische Anliegen gehen wir das Risiko der Bürgschaft ein.

Auch Sie, Herr Thiel, haben ein bisschen herumgerechnet. Das habe ich auch getan. So ist ein Risiko in Höhe von 4 000 € pro erhaltenem Arbeitsplatz im Vergleich zu anderen Maßnahmen, mit denen wir Jobs im Land gerettet haben, wirklich auch okay.

Darüber hinaus beteiligt sich Sachsen-Anhalt nicht an Finanzhilfen zur Rettung des Unternehmens

Schlecker. In der Drogeriebranche ist schon seit einigen Jahren eine Marktbereinigung zu beobachten. So ist die Anzahl der Märkte deutschlandweit im Zeitraum von 2006 bis 2010 um mehr als ein Sechstel von 20 100 Märkten auf 16 500 Märkte geschrumpft. Zu kleine Märkte scheinen einfach keine Überlebenschance zu haben.

Auch deshalb wäre es wirtschaftspolitisch unvertretbar, offenbar nicht rentable Filialen durch den Steuerzahler zu retten oder zu erhalten. Dies würde im schlimmsten Fall auch Arbeitsplätze bei Mitbewerbern von Schlecker gefährden, die ihre Geschäfte rentabel führen.