Protocol of the Session on March 22, 2012

(Zuruf: Quatsch!)

Kinder, die in Elternhäusern aufwachsen, in denen - ich nenne sie einmal so - bildungsrelevante bürgerliche Tugenden gelebt werden, kommen viel eher dazu, eine anspruchvolle Erziehung und Bildung zu genießen, als Kinder aus anderen sozialen Schichten.

Die fiktive Feststellung, dass bei Kindern von Berufsmusikern die Wahrscheinlichkeit, ein Instrument spielen zu lernen, vergleichsweise sehr hoch ist, würde ja auch niemanden vom Hocker reißen.

(Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE: Falsch!)

Daher stimmt die Schlussfolgerung, dass wir als Bildungspolitiker und die Politik natürlich insgesamt in stärkerem Maße auf diese Schichten zugehen und einwirken müssen, um auch dort die bestmöglichen Voraussetzungen für eine gelingende Bildung und Erziehung zu schaffen. Doch wie weit kann und darf die staatliche Einflussnahme dabei gehen?

Dürfen wir, darf die Gesellschaft den Eltern vorschreiben, wie sie ihre Kinder tagtäglich erziehen und bilden sollten? - Sicherlich, in der Schule besteht diese Möglichkeit, da die Schule eine öffentliche Angelegenheit ist und bleibt. Doch bei und in den Elternhäusern wird dies schon schwierig, wenn nicht gar wegen der grundgesetzlichen Beschränkungen unmöglich.

Meine Damen und Herren! Gelegentlich spricht man auch mit jungen Eltern. Ich habe die Chance, weil meine Kinder in dem Alter sind. Mich hat eine Mutti durchaus entwaffnet, als sie sagte: Na ja, meiner - sie meinte damit ihren Sohn -, der will nicht lernen und der will auch nicht lesen. Aber das ist mir auch schon schwergefallen. Dann ist es eben so. Dann guckt er eben Fernsehen; das bildet schließlich auch.

(Zuruf: Ach, Quatsch!)

Meine Damen und Herren! Als Gesetzgeber sollten wir die Möglichkeiten nutzen, die uns gegeben sind, um die Kinder in Sachsen-Anhalts Schulen in den Bereichen besonders zu fördern und zu stärken, die durch die Studie angesprochen sind. Dies ist vorrangig der Bereich der Kompetenzförderung.

Ich plädiere dafür, dass wir weiterhin deutlich machen, dass unsere Kinder mit ihren an den Schulen erworbenen Abschlüssen gute Chancen bei der späteren Berufssuche haben, dass gute Schulabschlüsse der Schlüsselfaktor sind, um im Berufsleben erfolgreich zu sein.

Eines möchte ich in Bezug auf die Chancengerechtigkeit noch nachschieben. Ich fände ein Schul- bzw. Bildungssystem unerträglich, in dem Kinder aus bildungsfernen Schichten - jetzt kommt es - trotz bester intellektueller Anlagen keine Chance hätten, einen höheren Bildungsabschluss zu erlangen.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE)

Dies wäre ein bildungspolitischer Skandal. Aber so etwas sehe ich - gottlob! - in Sachsen-Anhalt und in Deutschland nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU - Zuruf: Ja!)

Im Übrigen hat die Studie auch belegt: Sogar Jugendliche ohne Schulabschluss bzw. Hauptschüler in den ostdeutschen Bundesländern haben vergleichsweise die besseren Chancen, auf dem Arbeitsmarkt eine Anstellung zu finden, als ihre Altersgenossen aus dem Westen. Das ist fürwahr kein sonderlich solides Fundament. Aber darauf kann man aufbauen.

Es gilt für uns, diese sich bietenden Chancen in stärkerem Maße zu eröffnen, wie es für die Schülerinnen und Schüler gilt, die Chancen, die sich ihnen bieten, auch tatsächlich zu begreifen und dann zu ergreifen und so zu nutzen. Denn nur wer seine Chancen nutzt, der kann am Ende des Tages sagen, dass er alles in seinen Möglichkeiten Stehende für sich selbst und in gleichem Maße auch für die Gesellschaft getan hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unter dem Abschnitt Kompetenzförderung findet sich eine andere, aus unserer Sicht sehr aufschlussreiche Aussage. Danach werden leistungsstarke Schüler in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Sachsen besonders gut gefördert.

Ich erlaube mir den Hinweis, dass diese Länder - Sie werden es nicht anders erwarten - alle CDU- bzw. CDU/CSU-regierte Länder sind bzw. dies über Jahrzehnte waren.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE)

Aufgrund unserer guten Ergebnisse bei den jüngsten Pisa- und Iglu-Untersuchungen, über die wir uns zumindest mehrheitlich alle sehr gefreut haben und auf die wir alle stolz gewesen sind, kann man Sachsen-Anhalt zwar noch nicht ganz in diesen Kreis der Spitzenländer einbeziehen, aber wir können uns durchaus schon einmal diesen Ländern an die Seite stellen.

Denn bei der besonders hoch zu gewichtenden Lesekompetenz - auch das ist gerade gesagt worden -, so die Studie, verfügen die Schülerinnen und Schüler aus Sachsen-Anhalt bereits im Grundschulalter über einen Leistungsvorsprung von immerhin über einem halben Jahr. Dies ist erfreulich und auch darauf kann man aufbauen.

Das, meine Damen und Herren, ist nun wirklich ein sicheres Fundament. Bei dem Kompetenzerwerb haben die Schülerinnen und Schüler in unserem Land also die vermeintliche soziale Barriere entschieden abgebaut.

Diesen Befund für die ersten Schuljahre gilt es, für die Zeit danach, also für den Sekundarbereich I, zu nutzen und in einen weiteren positiven Trend umzusetzen. Auch hierzu sagt die Studie durchaus Verheißungsvolles, nämlich: Ostdeutsche sind dabei in der Sekundarstufe besser als die westdeutschen Bundesländer.

Meine Damen und Herren! Die Studie macht aber leider auch auf einen Bereich aufmerksam, in dem wir als Bundesland Sachsen-Anhalt noch deutlichen Nachholbedarf haben. Das betrifft die Verringerung der Zahl der Schüler, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Auch wenn sich ein Teil mit dem hier hervorragend ausgebauten Förderschulsystem begründen lässt. Das Risiko hierfür ist in Ostdeutschland eindeutig höher als im Westen.

Fazit: Es ist eindeutig zu hoch. Wir müssen verstärkt Anstrengungen unternehmen, um diese Quote - ich habe jetzt Zahlen von 8 % bzw. 14 % gehört; das deckt sich wahrscheinlich mit dem, was Frau Bull angedeutet hat - auf ein niedrigeres Niveau zu bringen. Ich sage mit Blick auf unser beispielhaft gutes System von flächendeckenden Förderschulen: Die Quote muss niedriger werden, aber sie muss sich nicht unbedingt an das westdeutsche Niveau anpassen.

(Beifall bei der CDU)

Die bittere Folge der Perspektivlosigkeit für viele dieser Jugendlichen darf nicht zum Einstieg in ein verfehltes Leben führen.

Meine Damen und Herren! Die Ergebnisse der Studie dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gerechtigkeit nicht verordnet werden kann. In einer freien Gesellschaft ist jeder eingeladen und aufgerufen, die sich ihm bietenden Chancen zu nutzen. Tut er oder sie dies nicht, ist nicht der Staat derjenige, der letzte Gerechtigkeit herstellen muss.

Zur Realität des Gerechtigkeitsbegriffs gehört auch, dass zu viele der gebotenen Chancen ungenutzt verstreichen. Deshalb müssen wir den Eltern und deren Kindern deutlich machen, wann sich wo welche Chancen bieten. Wie hat es Heike Schmoll

in der „FAZ“ vom vergangenen Wochenende treffend formuliert? - Es geht nicht um Chancenverteilung, sondern es geht um Chancennutzung.

(Zustimmung bei der CDU)

Dazu müssen wir als Politiker aufrufen und unseren Beitrag leisten. Wir müssen den Eltern, aber vor allem den Schülern die Bereitschaft nahebringen - Schule muss diese auch abverlangen dürfen -, sich für die Chancen, die ihnen eröffnet werden, auch anzustrengen, kurzum, dann auch Leistungsbereitschaft zu zeigen.

In unserer Gesellschaft sind gebratene Tauben eher die große Ausnahme; aber leider tut manch einer so, als müssten sie zum Standard erklärt werden.

Es besteht also die Hoffung, aus dieser Studie insgesamt positive oder wenigstens gute Schlussfolgerungen für unser Schulwesen ziehen zu können. Zumindest mit dem Letzten können Sie mitgehen, meine Damen und Herren.

Ich möchte die Chance, die sich mir in dieser Debatte bietet, nicht ungenutzt lassen, auf eine Tatsache aufmerksam zu machen, die von allen anderen Fraktionen in diesem Haus wahrscheinlich nicht so gesehen - das haben wir auch schon gehört - und auch nicht so beurteilt wird.

Ich bin der Auffassung, dass unser Streben nach Chancengerechtigkeit im Sinne einer Zielchancengerechtigkeit Grenzen hat, Grenzen, die durch unsere genetische Disposition determiniert oder auch von manchen Zeitgenossen explizit so gewollt sind. Jeder von uns ist zum Glück unterschiedlich geartet. Deshalb wird es auch immer unterschiedliche Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft unter unseren Schülerinnen und Schülern, unter deren Eltern und auch unter manchen Lehrern geben.

Kein Staat der Welt ist fähig, Zielchancengerechtigkeit zu gewährleisten. Das können und sollten wir nicht ignorieren und durch vermeintlich gut gemeinte Appelle oder Strukturexperimente auflösen wollen.

Sicherlich, man kann Grenzen teilweise oder gänzlich aufheben, wenn man zum Beispiel das Anspruchsniveau senkt oder als erledigt definiert. Dass das gewollt sein kann, möchte ich bezweifeln. Das, meine Damen und Herren, lehnen wir ab.

(Zustimmung bei der CDU)

Im Übrigen - das muss man auch einmal sagen - ist der Zusammenhang der Wirtschaftskraft eines Landes und der Bildungs- und Chancengerechtigkeit offensichtlich, er wird aber in aller Regel wegdiskutiert. Doch darüber werden wir an dieser Stelle noch einmal sprechen.

(Zustimmung bei der CDU)

Wenn wir unser Gemeinwesen mit all seinen Standards, sei es im Gesundheitswesen, in der Wirtschaft, in anderen Bereichen und vor allen Dingen in der Schule, erhalten wollen, um unseren allgemeinen Lebensstandard auf einem hohen Niveau zu halten, dann dürfen wir nicht das Niveau unserer Anforderungen und Ansprüche senken wollen, damit eine vermeintliche Chancengerechtigkeit geschaffen werden kann.

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Danke schön. Ich komme zum Schluss. - Nein, wir müssen endlich Chancengerechtigkeit im Hinblick auf unsere unterschiedlichen Bildungsabschlüsse und damit für jeden bzw. jede, der oder die unser Bildungssystem verlässt, herstellen. Durch die demografische Entwicklung wird im Übrigen - die Studie belegt das auch -, an dieser Stelle ein gesellschaftliches Umdenken erzwungen. - Recht herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

Vielen Dank. Herr Kollege Weigelt, die Chance, weiter zu dem Thema zu sprechen, ist Ihnen gegeben, wenn Sie bereit sind, die gestellten Anfragen zu beantworten.

Das machen wir zu einem späteren Zeitpunkt.

Sie wollen also keine Anfragen beantworten?

(Herr Gallert, DIE LINKE: Aber eine Inter- vention kann ich trotzdem machen?)

- Ja, eine Intervention gibt die Geschäftsordnung her. Herr Kollege Gallert.

Dann will ich bloß auf Folgendes hinweisen. Herr Weigelt hat eine sehr emotionale Stelle in seiner Rede gehabt: dass er sich auf keinen Fall mit einem Schulsystem abfinden könne, bei dem die Kinder selbst dann, wenn sie aus bildungsferneren sozialen Schichten kämen, benachteiligt würden, wenn sie genauso intelligent oder intelligenter seien.

Herr Weigelt, das ist genau das Problem. Diese Studie von Bertelsmann und sehr viele andere Studien beweisen genau das auch für SachsenAnhalt, lieber Herr Weigelt.