Protocol of the Session on March 22, 2012

Erstens. Meine Damen und Herren! Wir brauchen endlich ein tragfähiges Konzept für die Zukunft des gemeinsamen Unterrichts von Kindern mit und ohne Behinderung.

(Zustimmung bei der LINKEN)

In der letzten Plenarsitzung haben wir eine umfassende Debatte darüber geführt; sämtliche Befunde sind bekannt. Außerdem sind die Berichte von Praktikerinnen und Praktikern bekannt. Auch die wichtigsten Stellschrauben sind bekannt.

Wir brauchen zum einen eine Offensive zur Kompetenzentwicklung von Lehrkräften. Das wollen die Lehrkräfte auch, wie alle Studien belegen. Die Lehrkräfte sagen aber auch: Es bringt mir sehr viel weniger, wenn ich von A nach B reise und mir akademische Festvorträge anhöre. Besser ist es, im System Schule selbst zu arbeiten.

Meine Damen und Herren! Es sind neue Ideen gefragt. Fortbildungen vor Ort zu stärken, ist ein guter Gedanke; denn immer dann ist Fortbildung am nachhaltigsten.

Was im Bereich der Kitas läuft, finde ich im Übrigen sehr spannend und sehr interessant. Dabei kann man sich auch etwas abgucken. Es gibt das 100-Tage-Programm, bei dem Expertinnen und Experten quasi in der Rolle eines pädagogischen Coachs in die Einrichtungen gehen und dort die Arbeit der Pädagoginnen und Pädagogen begleiten.

Wir brauchen des Weiteren die nötigen Ressourcen für einen Wandel. Zumindest für den Beginn eines solchen Wandels an der Regelschule brauchen wir beide Professionen. Wir brauchen die Grundschullehrerinnen, die Sekundarschullehrerinnen, also die Lehrkräfte der Regelschule, und wir brauchen die Lehrkräfte mit sonderpädagogischer Ausbildung.

Wir hatten Modellprojekte, die relativ klar Auskunft darüber gegeben haben, dass ein verlässlicher Ansprechpartner an der Schule selbst wichtig ist und dass eine „Kofferpädagogik“ für zwei Wochen

stunden nicht wirklich hilft. Dazu wäre nach meiner Auffassung eine Aktuelle Debatte sehr viel sinnvoller gewesen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde es durchaus nachdenkenswert, an dieser Stelle mit einer vorsichtigen Konzentration zu beginnen. Das Problem ist nur, wir diskutieren über dieses Problem mindestens das dritte Mal allein in dieser Legislaturperiode. Die Landesregierung ist fast ein Jahr im Amt und es liegt nicht mehr vor als die Ansage: Zurück auf Los. Die Modellschulen sind ausgelaufen.

Im Übrigen ist die Ansage an die Modellschulen, an die Integrationsschulen bereits während der Laufzeit ergangen. Dafür gab es nur einen Grund, nämlich den - das wurde gesagt -, dass die Ressourcen nicht ausreichen und dass das Land nicht bereit ist, die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Nun gibt es eine gemeinsame Arbeitsgruppe. Es gibt auch eine Reihe von Geheimpapieren, meine Damen und Herren, die das Parlament auf Umwegen erreichen.

Ich will an dieser Stelle deutlich sagen: Ich bin der CDU-Fraktion außerordentlich dankbar dafür, dass sie in der letzten Sitzung des Sozialausschusses beantragt hat, dass über die Ergebnisse der Arbeitsgruppe endlich auch im Ausschuss diskutiert wird. Gut, dass das Kultusministerium zugesagt hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Bildungspolitische Konzepte sind hierzulande wohl geheime Verschlusssache. Nur gut, das beeindruckt den „gemeinen Ossi“ nicht mehr wirklich. Nur diesem Umstand, meine Damen und Herren, ist es zu verdanken, dass sich die Oppositionsfraktionen hier halbwegs unterrichtet zu den Dingen äußern können. Wertschätzung, Transparenz von Politik, demokratischer Diskurs sehen anders aus.

Zweitens. Wir brauchen eine neue Lernkultur mit ganztagsschulischem Bildungsverständnis. Das ist unverzichtbar. Ganztagsschulen sind eben nicht die Notlösung für sogenannte Brennpunktviertel oder Brennpunktschulen. Sie sind auch nicht die Notlösung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Ganztagsschulen - das hat auch der Minister gesagt; dem ist zuzustimmen - bieten Potenziale für eine neue Lernkultur weg von dem starren 45Minuten-Unterricht. Man hat mehr Möglichkeiten, auch selbstorganisiertes Lernen zu organisieren jenseits von den starren Formen, in denen der Lehrer noch immer die zentrale, die zentrierte Rolle spielt.

Der Stand der Dinge ist: Die Bertelsmann-Studie besagt, 19,9 % der Schüler in Sachsen-Anhalt in

der Primar- und der Sekundarstufe sind in Ganztagsschulen. In diesem Schuljahr haben wir insgesamt 88 öffentliche Schulen, die Ganztagsschulen sind. Das sind vier Schulen mehr als im letzten Jahr. Ein Drittel der Sekundarschulen sind Ganztagsschulen.

Aber, meine Damen und Herren, Ganztagsschulen benötigen auch zusätzliches Personal.

(Zuruf von der CDU: Ach ja?)

Wir haben bereits jetzt 57 Sekundarschulen, die Ganztagsschulen sind.

(Frau Feußner, CDU: Ach!)

Das sind zwei mehr als im letzten Jahr. In 31 Schulen davon fehlen pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das entspricht 45 pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die fehlen.

Wir haben 17 Gymnasien, die Ganztagsschulen sind. Das sind ebenfalls zwei mehr als im letzten Schuljahr.

Nach der Auskunft der Landesregierung fehlen in zwölf Schulen pädagogische Mitarbeiterinnen. Die Landesregierung ist noch immer der Auffassung, dies sei ein Auslaufmodell.

Ich will nicht wieder auf das Schlimme eingehen, aber ich muss sagen: Ein Konzept für die Zukunft liegt uns auch diesbezüglich immer noch nicht vor.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Drittens. Meine Damen und Herren! Wir brauchen Kontinuität in den Angeboten, die wir den Schülerinnen und Schülern zur Verfügung stellen, die mit ihrer Bildungsbiografie an den Rand des Scheiterns geraten sind. Die Stichworte „Sitzenbleiben“, „Schulversagen“ und „Schulsozialarbeiter“ sind bereits genannt worden.

Ich will nur sagen - wir haben erst morgen die Debatte -: Sitzenbleiben ist tatsächlich eine der ineffektivsten Formen von vermeintlicher Leistungssicherung, meine Damen und Herren. Das führt lediglich dazu, dass wir Kinder stigmatisieren und demotivieren.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es ist schon gesagt worden: Wir brauchen dringend in den nächsten zwei, drei Monaten eine Aussage darüber, wie wir mit dem Programm „Schulsozialarbeit“ umgehen, um es zu verstetigen.

Ich will an dieser Stelle auch deutlich sagen: Die Verantwortung für Kinder mit problematischen Lernausgangslagen oder mit familiären oder sozialen Schwierigkeiten liegt bei Weitem nicht nur bei der Schulsozialarbeit. Sie liegt vor allen Dingen in der Verantwortung von Schulen, und zwar von Schulen, die für alle Kinder da sein sollen.

Ein letzter Punkt. Meine Damen und Herren! Eine Insellösung Gemeinschaftsschule quasi als neue Schulform für die guten Sekundarschulen ist nicht unbedingt zu verteufeln, wird jedoch die Probleme in diesem Land ganz sicher nicht lösen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE)

Wir brauchen eine Reform aller Sekundarschulen.

Alles in allem muss gesagt werden: Ich finde Ihre Bilanz nicht wirklich umwerfend. Unser Problem ist, dass man immer noch keine Bewegung erkennen kann. Wir sind noch immer - das haben meine Vorrednerinnen und Vorredner illustriert - in dem Stadium, in dem wir uns allgemeine Wahrheiten und allgemeine Bedeutungssätze erzählen.

Ich denke, wir müssen hierbei endlich ein Stück vorankommen. Die größte Herausforderung, meine Damen und Herren, ist die Überarbeitung des Personalentwicklungskonzeptes.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Kultusministerium muss endlich die Handbremse lösen und vor allen Dingen vorzeigbare und substanzielle Konzepte vorlegen. Erst dann machen solche Debatten wirklich Sinn.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Dr. Schellen- berger, CDU: Ja? Für was denn?)

Danke schön, Frau Kollegin Bull. - Als nächster Redner in der Debatte spricht für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Weigelt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mich hat es schon überrascht, dass wir heute eine Aktuelle Debatte zur BertelsmannStudie, zum Bildungsspiegel führen. Die Überraschung war aber nicht unangenehm.

Ich bin dafür insbesondere meiner Kollegin Corinna Reinecke dankbar; denn das gibt nun wiederum Anlass, dass man sich sehr zeitnah und auch sehr intensiv mit den Ergebnissen dieser Studie beschäftigt.

Dabei bietet sich auch die Möglichkeit, auf einzelne Befunde dieser Studie näher einzugehen, zum Beispiel auf die in allen Medien wiedergegebene Aussage, es bestehe ein Zusammenhang - das haben wir nun auch in den Redebeiträgen deutlich gehört - zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen.

Bei genauerer Betrachtung gibt es durchaus weitere und nicht viel uninteressantere Schlussfolgerungen, die sich aus dieser Studie ergeben. Ich möchte zunächst auf einige ausgewählte Befunde

der Studie eingehen, um dann abschließend eine Bewertung derselben zumindest zu versuchen.

Ich sagte bereits, die zentrale Aussage der Studie ist: Es besteht ein Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft von Schülerinnen und Schülern und ihren Bildungschancen.

Meine Damen und Herren! Dies ist - wie sollte es auch anders sein? - gar nicht anders zu erwarten gewesen; denn natürlich besteht ein solcher Zusammenhang.

(Zuruf: Quatsch!)