Protocol of the Session on February 24, 2012

Drittes Beispiel: Der Leiter einer Grundschule in privater Trägerschaft schwärmt vom integrativen Unterricht, weil er sich die Schüler aussuchen kann, die zusammen- und in eine bestimmte Klasse passen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, wir werden im Ausschuss noch sehr viel zu besprechen haben. Dennoch möchte ich schon heute einige Schlussfolgerungen aus den mir bekannten Fakten ziehen. Ich betone dabei ausdrücklich, dass es sich hierbei um meine persönliche Meinung handelt; denn wir hatten innerhalb der CDU-Fraktion bisher nicht genug Zeit, um uns eine schlüssige Meinung zum weiteren Vorgehen zu bilden.

Also meine Meinung dazu: Wir sollten nicht warten, bis eine Expertengruppe eine Stellungnahme abgibt, sondern schon jetzt folgende Maßnahmen einleiten.

Erstens. Der Herr Minister hat daraufhin hingewiesen, dass es schon jetzt unbestritten ist, dass die Schulen bei der Zusammensetzung der Lerngruppen mehr Flexibilität brauchen. Das steht auch so in der Antwort. Ich werde noch konkreter: Wenn eine Schule nach einer qualifizierten Diskussion feststellt und plausibel machen kann, dass ein Schüler unter den jeweils herrschenden Umständen nicht sinnvoll integrativ unterrichtet werden kann, dann weist die Behörde den Schüler einer entsprechenden Förderschule zu, auch gegen den Willen der Eltern.

Zweitens. Dasselbe gilt auch für Schüler, die in einer Schule mangels spezifisch qualifizierten Personals nicht wirklich angemessen unterrichtet werden können.

Drittens. Integrativer Unterricht findet vorerst nicht statt für verhaltensauffällige Schüler bzw. für Schüler mit emotional-sozialen Entwicklungsstörungen, wie es wohl offiziell heißt. Das betrifft ausdrücklich auch die Schüler, die eigentlich einer LB-Schule zugeordnet werden könnten, aber zusätzlich auch noch emotional-soziale Defizite aufweisen, was wiederum statistisch meist gar nicht erfasst wird. Ich denke, Frau Schotte wird am besten wissen, welche Probleme hierbei noch am Rande existieren, die wir gar nicht so klar benennen können.

Viertens. In einem Punkt sind wir uns in der CDUFraktion allerdings schon einig: Wir müssen umgehend im Bildungsausschuss über das weitere Vorgehen beraten, und zwar unter Einbeziehung weitester Fachkreise. Ich freue mich auf die Diskussionen im Ausschuss und auf bessere Zeiten für unsere Kinder mit Förderbedarf. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Danke, Herr Kollege Bönisch. Es gibt eine Anfrage von Frau Kollegin Koch-Kupfer. Möchten Sie die beantworten?

Herr Bönisch, Sie haben vorhin betont, dass Sie von Statistik nicht wirklich viel halten. Ihnen liegt das Kindeswohl am Herzen. Welche Indikatoren für eine gute Förderung würden Sie denn aufrufen, wenn Ihnen die Statistik wenig sagt?

Es ist nicht so, dass mir die Statistik nicht am Herzen liegt. Vielmehr haben die Statistiker vergessen, die richtigen Zahlen zu erfassen; das habe ich gesagt. Sie haben einige richtige Frage gestellt, zum Beispiel die Frage 10, in der es darum geht, welchen Schulabschluss die Kinder, die integrativ beschult worden sind, denn erreicht haben. - Das wissen wir nicht; das ist alles in den großen Zahlen mit drin.

Das meine ich mit einem Mangel an Statistik. Der Indikator ist eben genau der Erfolg. Der Schulabschluss, der am Ende dabei herauskommt, ist das, was uns interessieren muss. Das muss aber auch erfasst werden, wenn wir damit umgehen wollen.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön, Herr Kollege Bönisch. - Als nächste Rednerin spricht in der Aussprache Frau Professor Dr. Dalbert.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manche Wortbeiträge in dieser Debatte machen mich dann doch relativ sprachlos

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

wegen ihrer parlamentarischen und verfassungsrechtlichen Ignoranz. Aber darauf möchte ich an dieser Stelle gar nicht eingehen,

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

sondern mich auf das Thema konzentrieren, über das wir heute hier sprechen wollen. Es geht um die Situation der Inklusion an unseren Schulen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir uns heute im Parlament die Zeit nehmen, hierüber in einen Austausch zu treten.

Die Große Anfrage und die Antworten darauf haben vor allen Dingen eines deutlich gemacht - das wurde auch schon in den Redebeiträgen des Ministers und der Kollegin Bull deutlich -: Auf dem Weg zur Integration sind wir einen kleinen Schritt vorangekommen, aber bis zur echten Inklusion ist es noch ein weiter Weg.

Wenn wir uns fragen, was denn die Punkte sind, die wir bedenken sollten, um auf diesem weiten Weg zur Inklusion ein Stück voranzukommen, dann möchte ich drei Punkte in die Debatte einbringen.

Erstens. Wir müssen Exklusion vermeiden. Was heißt das? - Ich denke, wir müssen daran arbeiten, dass wir eine Schule für alle Kinder mit einem individuellen Lernfokus haben, das heißt eine Schule, in der für alle Kinder individuelle Lernentwicklungspläne erarbeitet werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Das heißt eben auch, dass das jetzige System der Feststellung eines Förderbedarfs, der an die Vergabe von Ressourcen gebunden ist, der erste Schritt zur Exklusion von Kindern ist.

Wir brauchen individuelle Lernentwicklungspläne für alle Kinder und damit auch für die Kinder, von denen wir heute als Kinder mit Förderbedarf sprechen. Diese individuellen Lernentwicklungspläne müssen dann umgesetzt werden.

Wir brauchen eine Diagnostik - das zeigt übrigens auch die Fachwissenschaft -, die losgelöst ist von der Ressourcenvergabe. Denn ansonsten fließt in die Diagnostik die Überlegung ein, ob die Ressourcen benötigt werden oder nicht. Wenn ich mehr Kinder mit Förderbedarf habe, dann habe ich mehr Förderschulstunden, habe aber mehr Kinder exkludiert. Wenn ich weniger Kinder mit einer solchen Diagnose habe, dann habe ich weniger Ressourcen, habe aber auch weniger Kinder exkludiert.

Wir müssen daran arbeiten, dass wir diesen Knoten aufbrechen und die Schulen vernünftig ausstatten, sodass sie für alle Kinder ein gutes Lernumfeld unabhängig von dieser ausschließenden Diagnostik bilden.

Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt, zu den Lehrerinnen und Lehrern. Wir brauchen die Förderschullehrer und -lehrerinnen, die gut ausgebildet sind und die eine exzellente Arbeit machen, als Mitglieder in einem multiprofessionellen Team an den Schulen und nicht lediglich für einzelne Schulstunden. Wir brauchen vielmehr die ganzen Lehrerinnen und Lehrer im Team.

Frau Bull hat von einer anderen Lernkultur gesprochen. Das kann ich nur unterstreichen. Dazu müssen wir aber die Ängste von Lehrerinnen und Lehrern ernst nehmen. Das heißt, wir brauchen einerseits die Förderschullehrer und -lehrerinnen im

Team und wir müssen uns andererseits die Lehrerbildung ansehen. Alle Lehrerinnen und Lehrer müssen besser auf Inklusion vorbereitet werden.

Inklusion kann nicht nur auf dem Rücken der Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer ausgetragen werden. Auch die Sekundarschullehrerinnen und Sekundarschullehrer sowie die Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer müssen vernünftig darauf vorbereitet werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich komme zum letzten Punkt meines Debattenbeitrags. All das kostet Geld. Wir können es uns leisten. Wir haben das Geld. Wir haben nur für eines kein Geld. Wir haben nicht das Geld, um uns auf Dauer eine Doppelstruktur mit einer großen Anzahl an Förderschulen in diesem Land zu leisten.

Ich habe es schon an anderer Stelle im Parlament gesagt und sage es heute noch einmal: Letztlich werden wir vielleicht zwei, drei oder vier Förderschulen haben. Aber - das möchte ich betonen - wir können es uns auf Dauer nicht leisten, eine Doppelstruktur zu haben mit einem breit gefächerten Netz von Förderschulen und schlecht ausgestatteten Regelschulen, die die Inklusion nicht bewältigen können.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Deswegen sage ich, meine Damen und Herren: Echte Inklusion benötigt nicht mehr Geld, als wir im Augenblick in das System stecken, aber wir brauchen beherzte Schritte in die richtige Richtung.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Es gibt eine Anfrage des Kollegen Bönisch. Möchten Sie diese beantworten? - Danke schön.

Es sind sogar zwei Anfragen. Erstens. Sie haben betont, dass Diagnostik wichtig ist. Der Minister hat berichtet, dass nach der Einrichtung dieser flexiblen Beurteilungsgruppe - -

Meinen Sie die flexible Schuleingangsphase?

Nein, die Gruppe, die die Bewertung vornimmt - ich habe den Fachbegriff vergessen -, ob ein Förderbedarf vorliegt oder nicht.

(Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Ach so, ja.

Schon die Einführung hat dazu geführt, dass nicht deutlich weniger Anträge bewilligt worden sind, sondern dass deutlich weniger Anträge gestellt worden sind. Können Sie sich das erklären? Denn dann hat die Diagnostik praktisch gar nicht stattgefunden. Man hat also von Vornherein - das wird jetzt als Erfolg gefeiert - weniger Anträge auf Diagnostik gestellt. Das ist die erste Frage.

Zweitens. Sind in dem Sinn zum Beispiel auch die Sportschulen, die wir im Land pflegen, abzuschaffende Exklusionsschulen, in denen die sportlichen Eliten in besonderer Weise gefördert werden? Das sind in besonderer Weise auch Förderschulen. Ich frage das einfach einmal.

(Herr Borgwardt, CDU: Musikschulen! - Herr Rosmeisl, CDU: Eine Schule für alle! - Zuruf von Herrn Lange, DIE LINKE)

Ich glaube, ich erlaube mir, mir die Antwort auf Ihre zweite Frage zu schenken.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Auf die erste Frage möchte ich sehr gern eingehen. Es ist so, dass wir jetzt Maßnahmen haben, die dazu geeignet sind, vor dem Schuleintritt eine bessere Diagnostik von Kindern bezüglich ihres Förderschulbedarfs durchzuführen. An dieser Stelle stellt sich das Problem, das Herr Minister bereits dargelegt hat, dass nämlich eine Lernbehinderung festgestellt wird, bevor die Kinder überhaupt in die Schule kommen. Die Kinder hatten also noch keine Chance, einen Lernrückstand zu entwickeln, weil sie noch gar nicht in der Schule waren. Das stellt eine schwierige Situation dar.

Außerdem haben wir - daher bin ich Ihnen für Ihre erste Frage sehr dankbar, Herr Bönisch - das Problem, das Sie mit Ihrer Frage aufgerufen haben und das ich versucht habe, in meinem Beitrag zu erklären, dass nämlich dann, wenn eine Diagnostik mit einer Ressourcenverteilung verknüpft ist, immer der Zwiespalt zwischen einer reliablen und einer validen Diagnostik der Kinder besteht.