Protocol of the Session on February 24, 2012

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend noch auf einen Punkt hinweisen, den Sie auch in der Antwort auf die Große Anfrage finden und der mich sehr nachdenklich gemacht hat.

Im Schuljahr 2010/2011 verließen 1 040 Schülerinnen und Schüler die Schule für Lernbehinderte, davon 189, also rund 18 %, mit einem Hauptschulabschluss. Man kann und sollte dies als Bestätigung der guten Arbeit und Förderung sehen, die die Lehrerinnen und Lehrer dort leisten. Man kann und sollte aber auch damit die Frage verbinden, ob dieser Umweg über die Förderschule in jedem Fall der bestmögliche Bildungsweg war und ob das Ziel nicht auch über die allgemeinbildende Schule hätte erreicht werden können oder müssen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Minister. - Es ist eine 45-Minuten-Debatte der Debattenstruktur D vereinbart worden. Bevor die Abgeordneten sprechen, kann noch auf Wortmeldungen und Anfragen eingegangen werden. Herr Minister würden Sie eine Anfrage der Frau Kollegin Hohmann beantworten wollen?

Ja.

Sehr geehrter Herr Minister, ich habe Ihre Ausführungen natürlich recht aufmerksam verfolgt, schon aus dem Interesse meiner ehemaligen Profession als Förderschullehrerin heraus. Dennoch kann ich nicht alles teilen. Ich habe einen Schwerpunkt vermisst, den Frau Bull in ihrer Rede angesprochen hat, und zwar den Schwerpunkt des erhöhten Krankenstandes an den Förderschulen, der momentan bei ca. 8 % liegt. Unter Berücksichtigung der Grauzone wird dieser Wert sogar noch etwas höher sein.

Welche Maßnahmen hat die Landesregierung diesbezüglich ergriffen, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten bzw. um Vorsorge zu treffen, dass dort vernünftige Arbeitsbedingungen gegeben sind?

Ich gehe davon aus, dass wir an den Förderschulen vernünftige Arbeitsbedingungen haben. Ich höre diese Zahl heute zum ersten Mal. Wir werden überprüfen, ob das so ist.

Im Übrigen ist es Aufgabe der von mir zuvor erwähnten Arbeitsgruppe, in der Vertreter der Sonderschulpädagogen und der Gewerkschaften mitwirken, zu überlegen, was man an dieser Stelle zu steuern hat und warum es zu diesem hohen Krankenstand, wie Sie ihn benennen, gekommen ist.

Auch im Bereich der Förderschullehrerinnen und -lehrer müssen wir die Alterskurve in den Blick nehmen. Wir haben natürlich ein großes Interesse daran, ausreichend Nachwuchs zu bekommen, damit wir die offenen Stellen, die wir nicht alle fachgemäß besetzen konnten, dann auch besetzen können.

Danke schön, Herr Minister. Weitere Nachfragen gibt es nicht. - Als Nächster spricht in der Debatte für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Bönisch.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute hier tatsächlich über ein, wie es der Minister schon gesagt hat, sehr brisantes und sehr wichtiges Thema.

Die Einführung von Frau Bull hat mich dann, ehrlich gesagt, gleich geärgert. Sie haben nicht angefangen mit „die beste Bildung für alle“, sondern Sie haben angefangen mit „eine Schule für alle“.

(Frau Bull, DIE LINKE: Das ist die beste Bil- dung, ja!)

- Das wissen Sie schon? Warum haben Sie dann noch Fragen gestellt?

(Frau Bull, DIE LINKE: Wir haben sie be- schrieben als Vision!)

- Ja. Aber die Frage ist doch, wie wir die beste Bildung für alle erhalten.

(Beifall bei der CDU)

Wenn uns diese Frage leitet, dann werden wir, denke ich, möglicherweise verschiedene Fragen stellen und wir werden möglicherweise auch zu verschiedenen Antworten kommen.

Ich bin dankbar dafür, dass das Thema aufgrund Ihrer Großen Anfrage auf der Tagesordnung steht. Ich finde es auch richtig, dass wir es hier im Plenum behandeln, obwohl das Plenum nicht der richtige Ort für eine Fachdebatte ist. Aber ich denke, es gibt viele Lehrer und Eltern im Lande, die das als wichtiges Zeichen erkennen und nun wissen, dass an diesem Thema gearbeitet wird. Lange genug hat es geschlummert und ist nicht wirklich adäquat behandelt worden.

Ich möchte auf einige wenige inhaltliche Fragen eingehen. Ich komme zuerst zur Anfrage selbst. Diese Große Anfrage hat ihren Namen verdient; sie hat wirklich viel Inhalt. Aber ich kann mir die Anmerkung nicht verkneifen, dass auch eine Menge heiße Luft drinsteckt.

(Frau Bull, DIE LINKE: In der Antwort, oder?)

Anfangs geht es nur um langweiliges und nichtssagendes Zahlenmaterial. Man fragt sich ernsthaft, was Sie damit anfangen wollen. Aber wenn man sich dann durchgeackert hat, wird es etwas interessanter und sogar richtig spannend; denn irgendwann wird man hibbelig und fragt sich: Wann kommen denn nun endlich die qualitativen Fragen?

(Zustimmung bei der CDU)

Am Anfang gab es schon eine, nämlich wie die integrativ unterrichteten Kinder die Schule abgeschlossen haben. Aber dazu gibt es keine Zahlen, also keine Antwort.

(Zuruf von Herrn Lange, DIE LINKE)

Und hinten beim Modellversuch bleiben die Fragen qualitativ genauso vage wie die Antworten.

(Frau Bull, DIE LINKE: Die haben wir doch 5 000-mal gestellt!)

Zur Qualität der Förderschulen und des integrativen Unterrichts haben wir also durch die Große Anfrage unter dem Strich kaum etwas gelernt, leider.

(Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Nur das - und das ist schon einmal ganz wichtig - haben wir gelernt: Es interessiert die Statistiker wenig, mit welchem Erfolg integrativ unterrichtet wird.

Der Minister sagt, dass wir uns davor hüten müssen, dieses Thema ideologisch zu behandeln. Darin gebe ich ihm völlig Recht. Er hat auch völlig zu

Recht gesagt, dass wir uns am Kindeswohl orientieren müssen. Ich hoffe, dass das auch die Statistiker gehört haben.

Zur Einführung berichtete der Minister über unser Problem: Wir haben zu viele Schüler, denen ein sonderpädagogischer Förderbedarf zugesprochen wird. Aber warum glauben wir eigentlich, dass das u n s e r Problem ist? - Das ist jetzt ein bisschen Rhetorik, das gebe ich zu, aber kann es nicht auch sein, dass die anderen Bundesländer zu wenigen Kindern Förderbedarf attestieren, und nicht wir zu vielen? Vielleicht sind wir einfach nur die Anspruchsvolleren?

Solange wir jedenfalls keine handfesten Messgrößen haben, kann die Frage gar nicht schlüssig beantwortet werden. Ich möchte deutlich sagen: Es ist unsere erste Pflicht, solche Messgrößen zu definieren und sie dann zu ermitteln. Ansonsten kommen wir nämlich doch wieder ins ideologische Fahrwasser und das wollen wir alle erklärtermaßen nicht.

Wir müssen also konstatieren: Wir wissen nicht viel, sogar fast nichts über die Auswirkungen des verstärkten integrativen Unterrichts, aber wir freuen uns über dessen Zunahme. Warum tun wir das eigentlich? Weil es gut klingt und weil uns irgendjemand dafür lobt? - Das wäre mir zu wenig. Das muss uns zu wenig sein.

Wir machen einmal eine simple Rechnung auf. Nehmen wir an, dass ein Förderschüler 30 Wochenstunden Unterricht hat. Bei dem genannten Fachkräfteanteil von ca. zwei Dritteln an den Förderschulen hat der Schüler in der Förderschule also ca. 20 Stunden Unterricht in der Art, die ihm am meisten bringt. Dafür gibt es diese Fachkräfte. Beim integrierten Unterricht entfallen darauf zwei Stunden; wenn er Glück hat, vielleicht vier oder fünf Stunden, je nach Gruppenkonstellation.

(Zuruf von der CDU: Nein, zwei!)

- Nein, wenn Gruppen zusammen sind und der Unterricht gemeinsam stattfinden kann, dann ist das schon in Ordnung. - Das ist aber trotzdem zuerst einmal unter rechnerischen Aspekten ein klarer Nachteil.

(Frau Koch-Kupfer, DIE LINKE, lacht)

Der Vorteil der integrierten Beschulung besteht darin, dass der Schüler andere soziale Kontakte hat und nicht durch die Schulform stigmatisiert ist. Man kann auch vieles andere aufführen. Am Ende der Schulzeit steht der Schüler aber in jedem Fall im Wettbewerb um einen Ausbildungsplatz und einen Job. Was wiegt dann schwerer? Die Vorteile oder die Nachteile? Ich weiß es nicht. Weiß es jemand von Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren?

(Frau Koch-Kupfer, DIE LINKE: Ja!)

Ich fürchte, Sie wissen es nicht. Eine Meinung habe ich auch. Wahrscheinlich hat die jeder von uns. Aber die Frage ist, ob das reicht. Ich kann den Elternwillen respektieren, jedenfalls weitgehend. Wenn also die Eltern die eine oder die andere Form nach einer guten Beratung bewusst wählen, dann ist das in Ordnung.

Eine Frage der LINKEN lautete: In wie vielen Fällen haben in den Schuljahren jeweils die Erziehungsberechtigten nach Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs bei ihren Kindern deren Beschulung außerhalb von Förderschulen beantragt? Die Antwort lautet: Die Anzahl der Anträge wurde statistisch nicht erfasst.

Heißt das, dass die Kinder durch die Schulbehörde der integrativen Beschulung zugeführt werden? Wäre das in Ordnung? Kennt die Behörde die Situation in den Schulen?

Mir sind mehr oder weniger heftige Beschwerden zu Ohren gekommen. Deshalb hat die CDU-Fraktion eine bunte Schar von honorigen Lehrern und Schulleitern Anfang Januar 2012 zu einem Gespräch eingeladen. Das Ergebnis war schlecht und gut. Schlecht, sogar richtig schlimm, waren die Beschreibungen der Ist-Zustände. Gut war, dass konstruktive Vorschläge für das Gelingen der Integration unterbreitet wurden.

Ich möchte einmal drei Beispiele schildern. Erstes Beispiel: In einer Sekundarschule gibt es mehrere Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, aber in vier verschiedenen Ausprägungen. Und es gibt einen Sonderpädagogen mit einer einzigen spezifischen Qualifikation. Dem Schulleiter tun die Kinder leid, die überhaupt nicht qualifiziert betreut werden können. An ein autistisches Kind kommt überhaupt niemand heran - aber es stört auch nicht...

Zweites Beispiel: In einer Gesamtschule gibt man sich wirklich Mühe mit der Integration. Aber in einer Klasse mit mehreren Förderschülern ist ein verhaltensoriginelles Kind, wie es heute angeblich heißen soll, das allein schon einen geordneten Unterricht unmöglich macht. Die Schulleiterin ist verzweifelt, aber es gelingt ihr nicht, das Kind in einer speziellen Förderschule unterzubringen. Sie findet kein Verständnis mehr bei ihren Kolleginnen und Kollegen, die nicht glauben wollen, dass dies das neue gute System sein soll. Keiner möchte mehr in dieser Klasse unterrichten.

Die Schulleiterin sagt, dass sie es sich sehr gut vorstellen könnte, dass der integrative Unterricht gelingen kann, wenn sie bzw. das Kollegium die Klasse aus geeigneten Kindern zusammenstellen kann. Wenn sie jedes Kind nehmen muss, das an ihre Schule kommt, dann wird es nicht gelingen, nicht unter den gegebenen Umständen im Hinblick auf die Lehrerstunden und dem Zwang, so heterogene Klassen bilden zu müssen.

Die Frage, wie der integrative Unterricht auf die Kinder ohne besonderen Förderbedarf wirkt, habe ich übrigens nicht vergessen, sondern heute ganz bewusst ausgelassen.

Drittes Beispiel: Der Leiter einer Grundschule in privater Trägerschaft schwärmt vom integrativen Unterricht, weil er sich die Schüler aussuchen kann, die zusammen- und in eine bestimmte Klasse passen.