Protocol of the Session on May 12, 2011

Die kontinuierliche Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen Kräften in unserem Bundesland und auch darüber hinaus sowie unser gemeinsames bürgerschaftliches Engagement in all den Fällen, in denen wir auch als Abgeordnete auf den Straßen und Plätzen diesen Tendenzen entgegentreten wollen und müssen, wird weiterhin erforderlich sein.

Viele von uns haben in ihren kommunalen Parlamenten mit rechtsextremistischen Kräften zu tun. Wir sollten aber in jedem Fall auch Wert auf eine inhaltliche Auseinandersetzung legen und wir sollten bei der vereinfachten Herleitung von Gründen für die Entwicklung von Rechtsextremismus in unserem Land Sachsen-Anhalt sehr vorsichtig sein.

(Zustimmung bei der CDU)

Lassen Sie uns, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, in den nächsten fünf Jahren auf keinem Auge blind sein. Menschenverachtendes Verhalten und Demokratiefeindlichkeit können vielerorts lauern. Eine Demokratie muss immer wachsam sein. Wir sollten daher nicht den kleinsten, sondern den größten gemeinsamen Nenner suchen und damit unsere parlamentarische Arbeit in der sechsten Wahlperiode beginnen.

Ich bitte um Zustimmung zu dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Gorr. - Für die Fraktion GRÜNE spricht jetzt der Abgeordnete Herr Herbst. Herr Herbst, auch für Sie ist es die erste Rede. Viel Glück und alles Gute!

Herzlichen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich komme um diesen Rückgriff in unsere jüngste Geschichte nicht herum. Als am Abend des 20. März 2011 endlich Gewissheit darüber bestand, dass die NPD

nicht in den Landtag einziehen würde, war klar, dass Sachsen-Anhalt eine große Schande erspart bleiben würde.

Die Öffentlichkeit und die Bedeutung des Landtages als Verfassungsorgan hätten dieser NaziPartei hierzulande eine Basis gegeben, um ihre Ressourcen aufzufrischen und sich strukturell im Land zu festigen. Die NPD hätte sicherlich versucht, den Wahlerfolg dafür zu nutzen, die zersplitterten rechtsextremen freien und anderen Kräfte im Land hinter sich zu einen und als parlamentarischer Arm sozusagen einen Führungsanspruch durchzusetzen.

Sie hätte in diesem Hause - darin bin ich mir sicher - auf übelste Art und Weise gegen alles gehetzt, was nicht in das verengte und menschenfeindliche ideologische Bild ihrer Anhänger passt. Die Ereignisse in den ostdeutschen Landtagen, in denen sie vertreten ist, sind dafür gute Beispiele.

Dafür, dass es hierzu nicht gekommen ist, können wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht dankbar genug sein; denn das war nach meiner Auffassung das an diesem Abend unwahrscheinlichere Ergebnis. Unser Dank hat deswegen vor allem denjenigen Bürgerinnen und Bürgern Sachsen-Anhalts zu gelten, die zur Wahl gegangen sind, die demokratisch gewählt haben und die dadurch nicht nur gezeigt haben, dass Sachsen-Anhalt kein Ort für Extremisten ist, sondern dass Sachsen-Anhalt kein Ort für Neonazis ist.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD)

Dank gilt auch allen Vereinen und Initiativen, allen Bildungseinrichtungen, Einrichtungen der sozialen Wohlfahrtspflege, der Kirchen etc. sowie vielen couragierten Privatpersonen, die sich in SachsenAnhalt tagtäglich und oft mit großem Eigenanteil gegen Rassismus und Antisemitismus und für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie stark machen.

Das knappe Scheitern der NPD zeigt, dass die Arbeit dieser Initiativen nicht vergebens ist, dass sie wichtig ist, dass sie nicht nur Sinn ergibt, sondern in höchstem Maße von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung für uns alle ist.

Dafür zu sorgen, dass dieser Arbeit nicht nur in Zeiten vor und nach Wahlen Anerkennung gebührt, ist unsere gemeinsame Aufgabe als Landesparlament. Diese Initiativen benötigen mehr Aufmerksamkeit, mehr Unterstützung und verlässliche Finanzierungen, nicht von heute auf morgen, sondern um mittel- und langfristig wirksame Strategien gegen Rechtsextremismus zu entwickeln.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Die NPD - auch das wurde schon gesagt - ist nur eine Fassette des Rechtsextremismus in unserem Land, aber eine wichtige. Die neonazistische Par

tei bietet eine soziale und organisatorische Struktur. Sie bietet Anknüpfungspunkte, Mitmachoptionen für Menschen, die ihre Ideologien teilen. Die Partei ist in Teilen unseres Bundeslandes - auch das darf man nicht schönreden - gesellschaftlich verankert. Es gibt diese Orte, wie ein Blick auf die Wahlergebnisse zeigt.

Diese Ergebnisse nehmen nicht ab - auch das müssen wir konstatieren -, sondern sie steigen an. Dies ist für uns mehr als eine Warnung. Es ist ein konkreter Arbeitsauftrag für das Parlament und die Landesregierung in der gesamten sechsten Legislaturperiode.

Die NPD und die Gefährdung der Demokratie von rechts sind das Problem in Sachsen-Anhalt. Das wollen wir benennen. Es ist eben im Moment nicht die MLPD oder irgendein linksextremistischer Geist; es ist die Gefahr von rechts. Deswegen müssen wir uns dieser Gefahr mit konkret zugeschnittenen Programmen stellen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Mit unserem Antrag für ein Landesprogramm für Demokratie gegen Neonazismus, Rassismus, Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wollen wir diesen Arbeitsauftrag annehmen und zeigen, dass es uns sehr ernst ist mit der Auseinandersetzung mit denen, die unsere Demokratie direkt bedrohen.

Wir sehen es so, dass der von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Änderungsantrag dieser Anforderung nicht vollumfänglich gerecht wird, weil er das Problem eben nicht beim Namen nennt.

Wir wollen auch den Schritt wagen anzuerkennen, dass Einstellungen wie Demokratiefeindlichkeit und Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in breiten Bevölkerungsschichten wiederzufinden sind. Nicht das Kleinreden, sondern nur die offene Auseinandersetzung mit den Ursachen dafür kann ein erfolgversprechender Weg sein.

Die NPD als Partei kann eine politische Heimat für Menschen sein, die aus unterschiedlichsten Gründen rassistische, antisemitische oder xenophobe Gedanken in sich tragen. Hierin liegt die eigentliche Gefahr dieser Partei als Struktur, dass sie gewissermaßen als Kristallisationspunkt hasserfüllter Ideen zu einem Gegenpol zu dem Gestaltungswillen und der auf Menschenrechten, nicht auf Menschenverachtung ruhenden Ausrichtung der demokratischen Parteien wird. Auf diese Weise entfaltet die Partei eine negative, eine die Demokratie gefährdende Wirkungsmacht, der wir uns entschieden entgegenstellen müssen.

Wir erkennen deshalb die Bemühungen der Landesregierung an, erneut juristisch zumindest prüfen zu wollen, ob die Grundlagen für ein Verbot der NPD gegeben sind, und werden Sie, Herr Minis

ter Stahlknecht, auf diesem Wege auch unterstützen.

Die Auseinandersetzung mit menschenverachtendem Gedankengut und seinen Auswirkungen für unsere Gesellschaft kann jedoch eben nicht nur im Gerichtssaal geführt werden.

(Minister Herr Stahlknecht: Stimmt!)

Politik gründet sich in der Tatsache der Pluralität der Menschen oder wie Hannah Arendt so zutreffend formulierte:

„Politik handelt von dem Zusammen- und Miteinander-Sein der Verschiedenen.“

Wo Gedanken breiten Raum greifen, die Pluralität nicht nur in infrage stellen, sondern bekämpfen, wo eine rassisch reine Volksgemeinschaft angestrebt wird, da ist Politik folglich abwesend, da kann Politik nicht sein.

Wir aber sind für die Politik in diesem Lande verantwortlich. Wir wollen unseren Gestaltungswillen nicht nur zur Schau tragen, sondern wir wollen ihn durchsetzen. Wir wollen Vertrauen in die Politik zurückgewinnen und gerade auch das Terrain für die demokratische Mehrheitsgesellschaft in Anspruch nehmen, das vielleicht verloren scheint. Dafür braucht es Zielstrebigkeit, Klarheit und Verlässlichkeit im Kurs.

Schon deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, brauchen wir ein Landesprogramm für Demokratie. Demokratie ist kein Naturzustand. Demokratie braucht Freunde und Demokratie muss jeden Tag aufs Neue verteidigt werden.

Wenige Tage vor Weihnachten, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurde an einer Magdeburger Haltestelle ein Student aus Ecuador mit zwei Begleiterinnen zum Opfer eines brutalen rassistischen Übergriffs. Grundlos wurde José gezielt angegriffen, rassistisch beleidigt und zu Boden getreten. Vier junge Magdeburger führten diesen feigen Angriff aus und mussten bzw. müssen sich dafür vor Gericht verantworten. Dieser Angriff steht nur exemplarisch für eine Vielzahl ähnlicher Vorfälle in den letzten Jahren.

Einer der zwei Männer, die bereits für die Tat zur Rechenschaft gezogen wurden, gehörte dem sozialen Spektrum an, das wir gemeinhin als rechte Szene bezeichnen. Der andere jedoch konnte vor Gericht glaubhaft machen, dass dies für ihn nicht zutrifft, dass er vielmehr ein normales Leben mit Bildungsabschluss und Ausbildung führte. Und dennoch stimmte er zu, den „Asiaten“, wie sie ihr Opfer nannten, anzugreifen. Dennoch besorgte auch er sich wie die anderen vor der Tat Stahlkappenschuhe, schlug und trat genauso stark zu.

Weshalb teilt jemand, der es eigentlich viel besser wissen sollte, der kein Nazi ist, die menschenverachtenden Auffassungen der anderen? - In einem

Menschen, der die Vorzüge einer Mehrheitsgesellschaft zu schätzen weiß, der Kenntnisse über Minderheiten hat und ihnen Respekt entgegenbringt, reifen solche Gedanken nicht heran.

Wir müssen uns gemeinsam der Aufgabe stellen, besonders, aber nicht nur junge Menschen besser auf ihr Leben vorzubereiten und ihre Kompetenzen als soziale Akteure zu stärken. Wir brauchen einen Masterplan, wie dies in Sachsen-Anhalt geschehen kann.

Ein wirksames Landesprogramm kann deswegen nur dann Erfolg haben, wenn alle relevanten Akteure einbezogen werden und selbstverständlich - das hat der Herr Sozialminister bereits gesagt - auch alle Ministerien. Das steht explizit in unserem Antrag. Deswegen sollen nicht nur alle Ressorts ihren Beitrag leisten, sondern auch die Erfahrungen aus den vorhandenen Maßnahmen und Programmen berücksichtigt werden, sei dies auf staatlicher oder zivilgesellschaftlicher Ebene.

Der eben von mir exemplarisch angeführte Fall zeigt auch, wie wichtig die gezielte Beratung und Betreuung der Opfer ist. Die damit befassten Organisationen haben in diesem Fall hervorragende Arbeit geleistet und tun dies tagtäglich an vielen weiteren Stellen. Ihnen gegenüber sind wir zu Dank verpflichtet; denn sie stärken das Vertrauen in den Rechtsstaat, auch wenn sie diese Arbeit freiwillig und oft auch aus eigener Überzeugung heraus tun. Dass sie manchmal nicht wissen, ob sie ihre wichtige Arbeit im Folgejahr weiterführen können - so ist das in Sachsen-Anhalt ab und zu - oder durch andere Programme ersetzt werden, können wir in Zukunft weder ihnen noch uns zumuten.

Meine Damen und Herren! Es ist an der Zeit, die Arbeit für Demokratieförderung mit einem integrativen Landesprogramm auf sichere Beine zu stellen. Lassen Sie uns heute dafür einen wichtigen, den richtigen Schritt tun.

Wir beantragen in diesem Hause, die vorliegenden Anträge in die Ausschüsse zu überweisen, und zwar in den Ausschuss für Inneres, in den Ausschuss für Bildung und Kultur, in den Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie in den Ausschuss für Recht und Verfassung, weil offensichtlich Beratungsbedarf im Hohen Hause besteht und auch Konkretisierungsbedarf an der einen oder anderen Stelle. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Herbst. - Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Dann treten wir jetzt in das Abstimmungsverfahren ein.

Ich lasse zuerst über die Drs. 6/26 abstimmen. Das war der Antrag der LINKEN. Es wurde soeben

der Antrag gestellt, diesen Antrag in den Ausschuss zu überweisen. Darüber lasse ich als Erstes abstimmen. Wer ist für eine - - Ich sehe so viele fragende Gesichter.

(Frau Budde, SPD: Änderungsanträge!)

Es ist eben der Antrag gestellt worden, beide Anträge, also den der LINKEN und den der Fraktion GRÜNE, in die Ausschüsse zu überweisen. Das habe ich richtig verstanden?

(Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE: Korrekt!)