Danke schön, Herr Kollege, für die Einbringung. - Wir beginnen nunmehr mit der Debatte. Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Die Fraktionen sprechen in der Reihenfolge SPD, GRÜNE, CDU und DIE LINKE.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ist festzuhalten - diesbezüglich gilt mein Dank meinem Vorgänger Holger Hövelmann -, dass die Gemeindegebietsreform sorgfältig durchgeführt worden ist.
Dies können wir an den Verfassungsbeschwerden ermessen, die gegen diese Kommunalreform vorgebracht worden sind. Es sind bereits elf Beschwerden zurückgewiesen worden. Es sind noch weitere Klagen anhängig. Lediglich eine Verfassungsbeschwerde war erfolgreich, allerdings nicht wegen rechtlicher Mängel unserer gemeinsam getragenen Reform, sondern allein wegen vor Ort aufgetretener verwaltungstechnischer Verfahrensfehler.
Zu der Wahrheit, lieber Herr Grünert, gehört, dass viele Kommunen nach der durchgeführten Reform wirtschaftliche Schwierigkeiten haben; denn es sind auch Gemeinden zusammengeführt worden, die erhebliche Defizite aufgewiesen haben. Diese bilden sich jetzt natürlich im Gesamthaushalt und im Verwaltungshaushalt ab.
Wir haben nicht vor, die geschlossenen Gebietsänderungsverträge, die zehn Jahre lang Sätze und Steuersätze festschreiben konnten, infrage zu stellen. Sie haben nach wie vor Bestand. An dieser Stelle gilt auch der alte juristische Grundsatz „Pacta sunt servanda“ - Verträge sind einzuhalten.
Vor diesem Hintergrund ist Ihr Wunsch, sich für eine grundsätzliche Fortgeltung aller bestehenden Gebietsänderungsverträge auszusprechen, eigent
lich obsolet, weil er nicht mehr konstitutiv wäre, sondern allenfalls deklaratorisch, weil er lediglich das untermauern würde, was sowieso gilt.
Ebenso ins Leere laufen nach meiner Auffassung die Nummern 3 und 4 Ihres Antrages; denn die Voraussetzungen, unter denen die Kommunen ausnahmsweise die Möglichkeit haben, Gebietsänderungsverträge zu modifizieren, ergeben sich bereits aus meinem Erlass vom 14. Oktober 2011.
Es ist doch klar, dass eine Gemeinde, die sich in der Konsolidierung befindet und keine weiteren - ich bezeichne es etwas untechnisch - Einsparmöglichkeiten mehr hat, unter Einhaltung unserer Gesetze auch darüber nachdenken können muss, Steuersätze, selbst wenn sie anders festgeschrieben waren, zu erhöhen. Dies geht aber eben nur dann, wenn alle anderen Möglichkeiten der Konsolidierung ausgeschöpft worden sind.
Gleiches gilt im Privatleben. Nehmen wir einmal an, Sie besitzen einen wunderbaren Oldtimer und Sie haben mit Ihrer Familie vereinbart, dass er niemals verkauft werden darf. Wenn Sie irgendwann in die Lage kommen, dass Sie Rechtsverpflichtungen finanziell nicht mehr erfüllen können, dann werden Sie Schwierigkeiten haben, auf Ihrem Wunsch zu beharren, dieses Auto behalten zu wollen, weil Sie dann in der Lage sein müssen, jede Möglichkeit der Liquiditätsgewinnung auszuschöpfen.
Das gilt selbstverständlich auch für Gemeinden. Das ist dann - nichts anderes steht in dem Erlass - die Ultima Ratio.
Wenn sich einige aufgrund von Hörensagen - das waren nicht Sie - mit der „Volksstimme“ in Verbindung setzen - ich habe das alles gelesen - und anführen, es hebe jemand unzulässig die Gebietsänderungsverträge auf, dann sage ich: Derjenige hätte uns vorher besser angerufen, als diese Dinge mit der „Volksstimme“ zu bereden.
Die „Volksstimme“ hat dies dann auch verstanden und es vernünftig geschrieben. Das würde ich mir manchmal wünschen, aber so ist das Leben.
Ich glaube, dass diese Debatte gut ist, um das noch einmal darstellen zu können. Dafür bin ich Ihnen dankbar.
Die Gebietsänderungsverträge haben Bestand. In den Fällen, die ich Ihnen geschildert habe, halte ich mich an Gesetze. Wir sind auf einem guten Wege, auch die Kommunalaufsichtsbehörden davon zu überzeugen, dass sie nur das tun, was wir ihnen vorgeben, und nicht mehr machen, als zulässig ist.
Herr Grünert, dafür, dies darstellen zu können, bin ich Ihnen dankbar. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke schön, Herr Minister. - Die Debatte beginnt mit dem Beitrag der Rednerin der Fraktion der SPD Frau Kollegin Schindler.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, Herr Grünert, dieser Antrag - wir kennen viele Anträge von Ihnen und haben hier im Haus schon viel darüber diskutiert - ist insgesamt ein Versuch, die Gemeindegebietsreform wieder infrage zu stellen. Aber er ist leider untauglich.
Mit Blick auf Ihre Ausführungen dazu, wie wir in der letzten Legislaturperiode um die Gemeindegebietsreform gerungen haben - Sie haben Recht, wir haben in der Sache gerungen -, ist festzustellen, dass sie am Ende eine gute Entscheidung gewesen ist.
Der Minister ist in seinem Redebeitrag sehr intensiv auf die rechtliche Bewertung, die Sie einfordern, eingegangen. Ich möchte den Antrag aus meiner Sicht und aus meiner Kenntnis vor Ort bewerten.
Ich verkenne nicht, dass es die eine oder andere wirklich schwierige Situation vor Ort gibt. Ich bin Ortschaftsrätin und Stadträtin - das habe ich hier im Haus bereits häufig erwähnt - in Wanzleben. Wir haben vor Ort eine solche schwierige Situation.
Ich wiederhole an dieser Stelle das, was ich im Zusammenhang mit der Gebietsreform und den gesetzlichen Grundlagen der Gebietsreform immer wieder gesagt habe: Der Erfolg dieser Gebietsreform hängt auch von dem Miteinander vor Ort ab, also davon, wie die Menschen und die Verantwortlichen vor Ort miteinander umgehen.
Es ist so, dass wir in den Gesetzen zur Gebietsreform mit Blick auf die Gebietsänderungsverträge eine große Vertragsfreiheit gewährleistet haben. Wir haben vieles zugelassen. Dies geschah natürlich auch, um die Reform zu ermöglichen. Dies war vor Ort auch gewollt. Es wurde immer gefordert, auch von den Verantwortlichen vor Ort: Gebt uns die Freiheit, frei zu verhandeln; denn wir vor Ort wissen am besten, was für uns gut ist.
Wir hätten auch, wie Sie es gefordert haben, strengere Regelungen in unsere Gesetze einbauen können, allerdings war dies nicht gewollt. Vielmehr sollte die Vertragsfreiheit so breit wie möglich gestaltet werden.
Genau diese verantwortungsvoll vor Ort agierenden Mitglieder der Gemeinderäte muss man heute fragen, mit welcher Intention sie diese Verträge geschlossen haben. War es hauptsächlich in Verantwortung für die neu entstehende Gemeinde? Haben sie dabei völlig aus dem Blick gelassen, was die neue Gemeinde zukünftig leisten muss
Vor Ort ist heute sehr oft zu hören: Wir sind nicht daran schuld. Wir haben das alles nicht gewollt. Trotzdem müssen die neuen Gemeinde- und Stadträte - oftmals sind es die gleichen Personen, die auch in den Ortschaftsräten tätig waren; die Gemeinderäte sind in die Ortschaftsräte umgewandelt worden - heute die Handlungsfähigkeit ermöglichen.
Ich verweise diesbezüglich auf ein Beispiel aus meiner Stadt Wanzleben-Börde. Dort ist auch die Entscheidung getroffen worden, dass die Rücklagen, die in den einzelnen Gemeinden teilweise noch vorhanden waren, nur für Investitionen in den Gemeinden ausgegeben werden dürfen.
Damit wurden der neuen Gemeinde Investitionsmöglichkeiten genommen. Dies geschah auch in dem Wissen, dass in der Vergangenheit selbst schon Rücklagen für den Ausgleich des Haushaltes gebraucht werden. Sehenden Auges sind diese Verträge geschlossen worden.
Sie hinterfragen die Rolle der Kommunalaufsicht. Natürlich hat die Kommunalaufsicht die Genehmigungen erteilt, aber eben auch im Rahmen dieser Vertragsfreiheit. Die Vertragsfreiheit ist zugelassen worden. Auch die Hinweise zu haushaltsrechtlichen Beschränkungen sind meist Bestandteil der Genehmigungsverfügungen der Gebietsänderungsverträge gewesen.
Die Eingriffsbefugnis muss nicht extra definiert bzw. neu definiert werden. Sie ist in der Gemeindeordnung festgelegt, in den Grenzen der Vertragsfreiheit, in deren Beurteilung, aber auch in der Beurteilung der konkreten örtlichen Verhältnisse. In diesem Sinne handeln heute die Kommunalaufsichtsbehörden.
Ich bitte darum, den Antrag, der von Ihnen heute vorgelegt worden ist, abzulehnen, weil wir keine neuen Regelungen benötigen.
Danke schön, Frau Kollegin Schindler. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Weihrich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke nicht, dass der Antrag die Gemeindegebietsreform insgesamt infrage stellen will. Vielmehr bezieht er sich lediglich auf die abgeschlossenen Gebietsänderungsverträge, die jetzt durch das Land gesichert werden sollen.
Auslöser des Zweifels, den die Fraktion DIE LINKE hierbei hegt, ist der Erlass des MI - Herr Minister
hat darauf hingewiesen - unter dem Titel „Recht zur Abweichung von Regelungen in Gebietsänderungsverträgen aufgrund der Pflicht zur Haushaltskonsolidierung“ vom 14. Oktober 2011.
Darin weist das MI darauf hin, dass die Realsteuersätze in Ortsteilen angehoben werden müssen, wenn Kommunen ihren Haushalt nicht ausgleichen können, auch wenn in den Gebietsänderungsverträgen andere Sätze festgelegt waren. Dies gelte vor allem dann, wenn der Finanzbedarf nicht durch geringere Ausgaben bzw. höhere Einnahmen ausgeglichen werden kann. In diesen Fällen seien die Gemeindeordnung und die darin normierte Pflicht zur Haushaltskonsolidierung höher zu werten als die Regelung in den Verträgen.
Die Umsetzung des Erlasses hat in einigen Ortsteilen - ich möchte betonen, durchaus zu Recht - Empörung ausgelöst; denn - Herr Grünert hat dies umfassend ausgeführt - die Gebietsänderungsverträge wurden durch die Kommunalaufsicht genehmigt und nicht beanstandet.
Auch die vorbereiteten Unterlagen für die Gebietsänderungsverträge enthielten keinerlei Hinweise darauf, dass die Geltung dieser Gebietsänderungsverträge dann infrage zu stellen ist, wenn die Ortsteile bzw. die betroffenen Kommunen insgesamt ihren Haushalt nicht ausgleichen können. Ich zitiere eine Regelung aus der Handreichung des MI aus dem Jahr 2008. Darin heißt es:
„Es kann bestimmt werden, dass in den Gemeindeteilen, die infolge der Neubildung oder Eingemeindung untergegangen sind, das bis zur Gebietsänderung in Kraft befindliche Ortsrecht für eine genau bezeichnete Übergangszeit fortgelten soll.“
In dem Dokument wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die bisherigen Hebesätze für die Grund- und die Gewerbesteuer im Gebiet der von der Änderung betroffenen Gemeinden bis zu zehn Jahre lang unverändert bleiben könnten. Einen relativierenden Hinweis, dass das nicht gilt, wenn die Kommunen ihren Haushalt nicht ausgleichen können, sucht man in diesem Dokument vergeblich.
Ich kann deshalb sehr gut nachvollziehen, dass sich die betroffenen Bürgerinnen und Bürger in den ehemals selbständigen Gemeinden und jetzigen Gemeindeteilen unter diesen Umständen sogar ein Stück weit betrogen fühlen.
Ich sage hier aber auch deutlich, dass es notwendig ist, die Möglichkeiten zu nutzen, die Einnahmen in den Gemeinden zu erhöhen, die sich in der Haushaltskonsolidierung befinden. Deswegen kann meine Fraktion nicht so weit gehen, jegliche Änderung und Anpassung der Gebietsänderungsverträge von vornherein auszuschließen, was rechtlich, denke ich, auch nicht möglich ist.
Bei aller berechtigten politischen Kritik an der Vorgehensweise der Landesregierung ist es aus rechtlichen Gründen fragwürdig, ob der Landtag befugt ist, an dieser Stelle durch einen einfachen Antrag in das Verwaltungshandeln einzugreifen.