Protocol of the Session on January 19, 2012

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es handelt sich hierbei um ein zentrales Querschnittsthema. Es geht darum, den Geist der Konvention zu erwecken, mit Leben zu erfüllen und in die Bevölkerung zu tragen. Ohne Bewusstseinsbildung sind die Konvention und damit die Inklusion in diesem Land zum Scheitern verurteilt. Wir können hier im Landtag noch so schöne Gesetze machen, uns darüber verständigen, wie wir mit der einen oder anderen Problematik umgehen, können Strukturen andenken, aber wenn die Menschen fehlen, die dies im Alltag leben und die dies wirklich umsetzen wollen, werden wir nichts erreichen.

(Zustimmung von Frau Bull, DIE LINKE)

Im Entwurf des Landesaktionsplanes ist zum Beispiel zu lesen, dass Ausbildungsverträge von Menschen mit Behinderung kaum abgeschlossen werden, weil die meisten Arbeitgeber unsicher sind, Bedenken haben und sich nicht herantrauen. Es herrscht immer noch ein weit verbreitetes Unverständnis, Behinderung sei ein allgemeines körperliches, psychisches oder mentales Defizit und die Arbeitgeber scheuten die Verantwortung dafür.

Deswegen muss ein solcher Landesaktionsplan, der unter anderem auch solche konkreten Problematiken, die für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes wichtig sind, zum Inhalt haben muss, zentral und an höherer Stelle verankert sein. Um dies zu erreichen, ist für uns die Anbindung der verantwortlichen Instanz, also dieses Focal Points, an die Staatskanzlei eine passende Maßnahme.

Ich denke, wir sollten ein klares und gemeinsames Signal senden, dass dieser Landtag Inklusion nicht nur als Wort vor sich herträgt, sondern Inklusion auch wirklich leben will.

Zudem - das ist etwas, was mir am Herzen liegt - würden wir damit auch geltendes Recht umsetzen. In diesem Landtag ist, glaube ich, noch nicht wirklich angekommen, dass die UN-Behindertenrechtskonvention nicht etwas ist, was bestimmte Behindertenverbände gern hätten, sondern sie ist seit dem Jahr 2009 mit der Anerkennung durch die Bundesregierung auch in diesem Bundesland geltendes Recht.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

In diesem Sinne bitten wir um eine direkte Abstimmung über unseren Antrag und hoffen auf Zustimmung. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Lüddemann. - Für die Landesregierung spricht jetzt der Minister Herr Bischoff. Bitte schön, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Frau Lüddemann, ich möchte jetzt in meinem Vortrag - darüber werden die Redner der einzelnen Fraktionen sprechen - nicht auf die Grundlagen der Behindertenrechtskonvention und deren Wirkung eingehen. Ich glaube, das ist im Landtag bereits mehrfach geschehen. Vielmehr möchte ich gleich auf den Punkt kommen, den Sie direkt angesprochen haben.

Klar ist, dass Inklusion - das sagten Sie zu Beginn Ihrer Rede - bei uns in aller Munde ist, aber bevor es in allen Köpfen ist, wird es noch lange dauern. Um dies zu erreichen, helfen nicht allein die Programme oder Aktionspläne. Vielmehr ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, weil hinter der Inklusion nicht allein - das hört man immer noch heraus - die Integration steht. Vielmehr gehört Verschiedenheit zum Leben, auch unter uns, die wir zu den Menschen ohne Behinderung gehören. Behinderung wird hierbei nicht in den Vordergrund geschoben, sondern Behinderung ist ein Teil der Verschiedenheit unserer Gesellschaft. Von daher ist es ein langer Prozess.

Wenn man sich eingehender damit beschäftigt - das haben Sie eben deutlich gemacht -, dann ist das ein Prozess, der alle Menschen angeht. Es ist also kein Entgegenkommen an die Menschen mit Behinderung, sondern es ist ein selbstverständliches Recht der Teilhabe und ein Anspruch an uns, dass wir uns als Teil dieser Unterschiedlichkeit und Vielfalt begreifen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat die Konvention im Jahr 2009 ratifiziert und hat im Jahr 2011 den nationalen Aktionsplan vorgelegt und verabschiedet. Dazu gab es nicht immer nur Zustimmung. Ein kritischer Punkt war, dass die Betroffenenverbände zu wenig einbezogen worden sind. Dies soll ein Prozess sein - so steht es im Aktionsplan -, der das Leben der Menschen und auch das Leben der Menschen mit Behinderung in den kommenden zehn Jahren maßgeblich beeinflussen wird. An dieser Stelle ist die Idee der Inklusion ein zentraler Leitgedanke.

Im Koalitionsvertrag der regierungstragenden Fraktionen steht deutlich: Erstellung eines Landesaktionsplanes zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention. Wir haben angekündigt und deutlich gesagt, dass der vorliegende Entwurf dazu dient, etwas zur Diskussion zu stellen. Es gab Stimmen, die gesagt haben, ihr habt viel zu viel vorgelegt. Hätten wir weniger vorlegt, hätten wir uns wahrscheinlich auch einer Kritik aussetzen müssen.

Wichtig ist jetzt, dass die Verbände, die Wohlfahrtsverbände, die Betroffenenverbände und alle anderen Institutionen, die sowohl auf kommunaler als auch auf Landesebene tätig sind, mitarbeiten, damit wir am Ende des ersten Quartals - so wurde es angekündigt - einen Landesaktionsplan vor

legen können. Darin werden tragend sein die Ziele der Verwirklichung der universalen Menschenrechte - diese haben Sie bereits benannt -, der Gleichbehandlung, der Selbstbestimmung, der Chancengleichheit, der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und des Abbaus von Einstellungs- und umweltbedingten Barrieren.

Die zentrale Leitlinie des Landesaktionsplanes wird auch die Inklusion sein, weil der Begriff, auch wenn er noch längst nicht in allen Köpfen ist, und das, was damit gemeint ist, landauf und landab diskutiert werden.

Derzeit werden im Rahmen einer konstruktiven Zusammenarbeit mit den Interessenverbänden, mit dem Landesbehindertenbeirat, mit dem Landesbehindertenbeauftragten und den Ressorts - diese sind auch angeschrieben worden - Maßnahmenpläne zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention erarbeitet.

Jetzt zu Ihrer konkreten Darstellung. Der Focal Point wird übrigens nur in der englischen Übersetzung so bezeichnet. Die amtliche deutsche Übersetzung lautet Anlauf- und Koordinierungsstelle.

(Zustimmung von Herrn Czeke, DIE LINKE)

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat in Deutschland die Funktion der staatlichen Anlaufstelle für Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Durchführung des Übereinkommens nach Artikel 33 Absatz 1 der Behindertenrechtskonvention so übernommen, dass der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderung diese Aufgaben des staatlichen Koordinierungsmechanismus übernimmt. So ist es im Bund geregelt.

Seine Aufgabe ist es, die Einbeziehung von Menschen mit Behinderung und ihrer Verbände und Organisationen in diesen Umsetzungsprozess zu gewährleisten. Auf Bundesebene ist langfristig strategisch ein Begleitungsorgan, nämlich der Inklusionsbeirat, gegründet worden, der im Kern diese Koordinierungsstelle bildet.

In Sachsen-Anhalt - das ist meine Überzeugung - existieren mit dem Landesbehindertenbeauftragten und dem Landesbehindertenbeirat gefestigte und bewährte Strukturen zur Wahrnehmung und zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderung. Auch das Landesbehindertengleichstellungsgesetz, das wir Ende 2010 verabschiedet haben, gewährleistet die Einbindung der Menschen mit Behinderung in die Zivilgesellschaft.

Wenn Sie nachlesen, welche Bedeutung und Rechte der Behindertenbeauftragte hat, wie er gewählt wird, welche Funktionen er hat, dann, so glaube ich, wird ganz deutlich, dass er über den Ressorts steht und dass er unabhängig ist, auch vor meinem Zugriff. Er hat sinnvollerweise die Möglichkeit, sich aus den Fachreferaten, über die das Sozialministerium verfügt, Sachverstand zu

holen. Dies kann er natürlich auch an anderer Stelle tun. Er ist völlig frei, dies zu tun.

Er ist übergreifend tätig und berät auch die Landesregierung. Dies tut er - das haben Sie vielleicht schon mitbekommen - sehr selbständig und manchmal - nicht nur manchmal, sondern häufig - auch in kritischer oder anregender Diskussion mit mir, also mit dem Sozialministerium; denn es gibt durchaus Dinge, die zu verbessern sind. Dadurch wollen wir die uneingeschränkte Beteiligung der Menschen mit Behinderung an allen sie betreffenden Prozessen sicherstellen.

Die Schaffung von Parallel- und Doppelstrukturen wäre meines Erachtens der Sache nicht dienlich und würde zwangsläufig zu Verlusten an Effizienz und Effektivität bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention führen.

Die ressortübergreifende Aufgabenstellung und die Betroffenheit aller Lebensbereiche geraten nicht aus dem Blick. Darauf achten sowohl der Beauftragte als auch der Landesbehindertenbeirat. Sie beraten nicht nur die Landesregierung, sondern - das ist wichtig - sie sind auch Anlaufstellen für Menschen mit Behinderungen, um für deren Interessen und Rechte und auch die ihrer Angehörigen einzutreten. Diese Aufgabe nehmen der Behindertenbeauftragte und auch der Behindertenbeirat wahr.

Deshalb ist dies, so glaube ich, die geeignete Form, um die Zusammenarbeit innerhalb der Landesregierung und mit den Betroffenenverbänden zu organisieren und die Behindertenrechtskonvention zeitnah und effektiv umzusetzen. Deshalb, so glaube ich, sollten wir einen erfolgreichen Weg nicht ohne Not aufgeben. Bisher kann ich keinen Mangel erkennen, der es notwendig macht, diese Aufgabe bei der Staatskanzlei anzusiedeln.

Es ist außerdem anzumerken, dass sich der Regierungschef, also der Ministerpräsident, jederzeit unterrichten lassen kann und dass er selbst einen persönlichen Kontakt zum Behindertenbeirat knüpft. Er ist jedes Jahr dort und hat versprochen, jedes Jahr dort zu sein und regelmäßigen Kontakt zu pflegen.

Insofern muss die Landesregierung nicht von der Umsetzung der Konvention überzeugt werden, da sie bereits die notwendigen Entscheidungen getroffen hat und diese nun von den zuständigen Fachleuten gemeinsam mit den dafür zuständigen Gremien und den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern umgesetzt werden müssen.

Ich glaube, Sie haben mitbekommen, dass es nicht nur ein formales Anliegen der Landesregierung ist, sondern dass es dem Ministerpräsidenten ein Herzensanliegen ist, genau diese Menschen in den Blick zu nehmen.

Deshalb bitte ich um Verständnis, dass wir die Anlaufstelle für die Umsetzung der Konvention im

Ministerium für Arbeit und Soziales belassen wollen. Dem entspricht auch die Verfahrensweise in anderen Bundesländern und im Bund selbst.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Minister. Es gibt eine Frage des Abgeordneten Herrn Dr. Köck. Herr Minister, wollen Sie sie beantworten?

Der Minister beantwortet die Frage.

Herr Minister, wie oft war der Ministerpräsident in diesem Jahr schon dort? Sie sagten, er erkundigt sich immer persönlich.

Der Behindertenbeirat hat sich im letzten Jahr getroffen. Der Ministerpräsident hat an diesem Treffen teilgenommen. Der Beirat trifft sich, so glaube ich, in der übernächsten Woche. Ich will versuchen, dabei zu sein, weil ich es als selbstverständlich empfinde. Der Ministerpräsident hat zugesagt, dass er regelmäßig Kontakt pflegt und mindestens einmal im Jahr an einer Sitzung teilnimmt.

Vielen Dank für die Beantwortung der Frage. - Die Fünfminutendebatte findet in der folgenden Reihenfolge statt: CDU, DIE LINKE, CDU, GRÜNE. Der Minister hat die eine oder andere Minute hinzugegeben. Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Frau Gorr. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! „Die Vision einer inklusiven Gesellschaft - Einrichtung einer zentralen Koordinierungsinstanz (Focal Point) zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention“, so der Wortlaut des Antrages von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Der Minister für Arbeit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt Norbert Bischoff hat sich in seinem Redebeitrag auf sachlicher, fachlicher, inhaltlicher Ebene mit dem oben genannten Antrag auseinandergesetzt. Meine Ebene der Auseinandersetzung ist eher die der behindertenpolitischen Sprecherin einer der regierungstragenden Fraktionen mit Blick auf die bisherige Praxis und unsere künftigen Ziele.

Zunächst möchte ich darauf hinweisen - der Minister hat es schon gesagt -, dass die Einrichtung einer von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingeforderten, ganz fortschrittlich als Focal Point zu bezeichnenden zentralen Koordinierungsinstanz bereits durch die Einrichtung einer Koordinierungsstelle beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales abgedeckt ist. Damit ist der Forderung nach einer nationalen staatlichen Anlaufstelle gemäß Artikel 33 Absatz 1 der UN-Behindertenrechtskonvention in unserem föderalen System bereits nachgekommen worden.

Auf Landesebene ist die Einrichtung einer solchen Stelle nach der UN-Behindertenrechtskonvention nicht vorgeschrieben. Die Diskussion darüber ist aus unserer Sicht zum jetzigen Zeitpunkt ohnehin nicht sinnvoll.

Im Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist erwähnt und Frau Lüddemann hat es auch vorgetragen, dass es Aufgabe des Landes ist, einen Landesaktionsplan zu erstellen, der die Umsetzung vor Ort, also im Land, zum Ziel hat. Wir haben gehört, dass das Ministerium für Arbeit und Soziales einen ersten Entwurf eines Landesaktionsplans erarbeitet hat, der sich nun in der Diskussion mit den Betroffenen und mit ihren Organisationen und Verbänden befindet.

Nach meiner Kenntnis wurde der Entwurf am 10. Dezember 2011 zur Konstituierung der Vollversammlung des Runden Tisches für Menschen mit Behinderungen vorgestellt. Das auf der Landesebene erforderliche Prozedere ist damit von der Arbeitsebene des Ministeriums auf die Arbeitsebene der entsprechenden Gremien übergeleitet worden.

Der Kenntnisnahme dieses ersten Entwurfs folgt nun die Stellungnahme der Betroffenen und ihrer Verbände und damit die geforderte aktive Einbeziehung in den Diskussionsprozess. Der Diskussionsprozess wird bei uns im Land nicht nur vom Runden Tisch für Menschen mit Behinderungen begleitet, sondern maßgeblich auch vom Landesbehindertenbeauftragten und vom Behindertenbeirat des Landes Sachsen-Anhalt.

Im Zuge der weiteren Erarbeitung des Landesaktionsplans, der im ersten Halbjahr 2012 vom Kabinett verabschiedet werden soll - ich hoffe, es bleibt dabei -, werden auch die ressortübergreifenden Aspekte und Maßnahmen sowie die im Land bereits bestehenden und funktionierenden Strukturen Berücksichtigung finden.