Protocol of the Session on October 7, 2011

Wir wissen, dass es drei große Gruppen gibt, die um den Einsatz der Mittel ringen: die Träger, die Erzieherinnen und Erzieher sowie die Kinder. Natürlich wissen wir noch nicht, ob die Mittel ausreichen werden oder nicht. Es scheint momentan so zu sein, dass von diesen drei Gruppen die Kinder die kleinste Lobby in der öffentlichen Diskussion haben. Die Träger und die Erzieherinnen und Erzieher sagen sehr genau, was sie wollen. Wir als Parlament sollten genau darauf achten, dass das Thema Kinder nicht zu kurz kommt. Bei der Gestaltung des Gesetzes sollten wir als Lobbyisten der Kinder auftreten.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich weiß ich, dass wir uns noch sehr intensiv darüber streiten werden, wie das neue Kinderförderungsgesetz ausgestaltet werden soll. Das, liebe Frau Dalbert, ist aber die Aufgabe des Gesetzgebungsverfahrens. Das kann eine Debatte über das Haushaltsgesetz auch gar nicht leisten. Ich unterstelle allen nur gute Absichten und das Streben, im positiven Streit miteinander eine positive Lösung zu finden.

Ich möchte ein zweites Beispiel des Schwerpunktes Bildung ansprechen. Die Hochschulen haben in der Tat eine besondere Funktion. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Ausbildung, aber auch zur Forschung in Sachsen-Anhalt. Sie sind Anziehungspunkt für Studierende aus anderen Bundesländern - auch das ist wichtig, um frisches, junges Blut nach Sachsen-Anhalt zu holen. Deshalb ist es ein gutes Signal, dass der Mittelansatz für die Hochschulen fortgeschrieben wird. Das begrüßen

wir ausdrücklich. Zudem ist es ein gutes Omen für die neuen Zielvereinbarungen.

Ein drittes Beispiel: Stark III. Natürlich ist dies vordergründig ein kommunales Investitionsprogramm. Es geht schließlich um bauliche Verbesserungen und um die energetische Modernisierung von Gebäuden. Aber diese Gebäude sind Schulen und Kitas; sie sind kommunale Gebäude. Es ist eine kommunale Aufgabe, dass dort eine ordentliche Situation herbeigeführt wird. Aber mit den Investitionen in Schulen und Kitas werden eben auch Bildungsvoraussetzungen geschaffen.

Wir schlagen mit dem Programm Stark III gleich drei Fliegen mit einer Klappe: Wir ermöglichen unseren Kindern eine gute Umgebung, wir geben der Wirtschaft im Land valide Aufträge und wir entlasten die Kommunen. Bei einer Förderquote von 70 % ist das, so glaube ich, ein sehr gutes Angebot, auch wenn wir wissen, dass wir natürlich zusätzlich die Voraussetzungen dafür schaffen müssen, dass die Kommunen dieses Angebot annehmen können.

(Zustimmung von Frau Reinecke, SPD)

Meine Damen und Herren! Ich habe gesagt, alle Fraktionen hätten die gleichen, übergreifenden Themen auf der Agenda. Ich komme nun auf ein Thema zu sprechen, auf das meine Vorredner bereits eingegangen sind. Natürlich werden wir in den nächsten Wochen insbesondere über diejenige Seite unseres Landeshaushaltes diskutieren, die wir direkt beeinflussen können, nämlich die Ausgabenseite.

Wir reden allerdings, so glaube ich, viel zu wenig über die Seite des Haushaltes, bei der wir dem Wohl und Wehe der wirtschaftlichen Entwicklung und den steuerpolitischen Vorstellungen der jeweiligen Bundesregierung ausgesetzt sind. Ich meine die Einnahmenseite. Hierzu lautet die ungeschminkte Wahrheit: Wir in Deutschland nehmen zu wenig ein und das geht schon seit Jahren zulasten der Substanz.

Wir können in der Tat nur das ausgeben, was wir einnehmen, aber das, was wir einnehmen, ist einfach zu wenig, um alle Aufgaben erfüllen zu können. Das geht zulasten dringend benötigter Investitionen in die Infrastruktur und in die Bildung. Das öffnet die Schere zwischen Arm und Reich und das stürzt öffentliche Haushalte zum Teil in immer höhere Schuldenstände. Ich möchte an dieser Stelle nicht nur über die Kommunen reden; denn das lastet auch auf dem Land und auf der Aufstellung eines Landeshaushaltes.

Dazu kann man sagen, dass - Fakt 1 - über die letzten Jahrzehnte hinweg die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer geworden sind. Das gilt leider in erster Linie für die Einkommen aus Arbeit, deren Verteilung sich erheblich auseinanderentwickelt hat.

Noch extremer ist die soziale Unwucht bei den Vermögen. Herr Gallert hat es angesprochen. 10 % der Bevölkerung in Deutschland verfügen gemäß einer Berechnung des DIW über zwei Drittel des Vermögens. Wenn man das einmal umdreht, dann verfügen zwei Drittel der Bevölkerung lediglich über einen Anteil von weniger als 10 % am Gesamtvermögen. Das ist schlecht.

Deutschland ist - Fakt 2 - ein Niedrigsteuerland. Das stellt im Übrigen selbst das Bundesfinanzministerium in seinem Monatsbericht vom Mai 2011 fest. Das mag uns persönlich vielleicht manchmal anders vorkommen, aber im europäischen und im internationalen Vergleich ist das so.

Die deutsche Steuerquote ist im internationalen Vergleich niedrig. Im Vergleich der OECD-Länder haben nur die USA, Japan, die Slowakei, Griechenland, Spanien und Tschechien eine niedrigere Steuerquote. Bei der Abgabenquote ist es, auch wenn es gefühlt anders ist, faktisch ähnlich.

Das war eine Entwicklung, die sich über mehrere Jahre, über Jahrzehnte so vollzogen hat. Das Ergebnis ist die stetige Schwächung der öffentlichen Einnahmenbasis. Wenn man sich die nackten Tatsachen anschaut, stellt man fest, dass wir einen Teil dessen, was wir als Wettbewerbsfähigkeit in der deutschen Wirtschaft zu Recht feiern und von dem wir auch profitieren, mit einem Substanzverlust in der Gemeinschaft bezahlen.

Das war eine Entwicklung, die jahrelang so gewollt war - nicht in ihren Auswirkungen, aber mit ihren Instrumenten. Das war politischer Mainstream, auch bei den Sozialdemokraten.

Deshalb kann sich auch die Sozialdemokratie der Verantwortung in diesem Bereich nicht entziehen. Wir müssen allesamt aus den Fehlern lernen und die richtigen Lehren ziehen. Wir brauchen ein vernünftiges, ein gerechtes und ein zumindest substanzerhaltendes Steuersystem.

Das ist übrigens ein ganz anderer Satz als der von Herrn Westerwelle, der ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem wollte. Auch die Ergebnisse werden anders sein.

(Zustimmung bei der SPD)

Das heißt dann auch - darin muss man ehrlich sein -: nicht weniger Steuern für alle - das ist ein nicht erfüllbares Versprechen -, sondern mehr Steuern auf hohe Vermögen und Einkommen. Das heißt auch, meine Damen und Herren: Abbau von Subventionen. Abbau von Subventionen wiederum heißt zuallererst und in der Breite: Mindestlöhne. Denn Niedriglöhne sind einer der größten Subventionstatbestände in der Bundesrepublik.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der LINKEN und von Herrn Striegel, GRÜNE)

Wenn man etwas verändern möchte, dann bedeutet das konkret: Anhebung des Spitzensteuersat

zes, Erhebung einer Finanztransaktionssteuer zum Einbremsen der Finanzmärkte, Erhebung einer Vermögensteuer, ohne dass sie an die Substanz der Unternehmen geht, Reformierung der Erbschaftsteuer, Entrümpelung der Mehrwertsteuer und, meine Damen und Herren, Umgestaltung des Ehegattensplittings.

(Zustimmung bei der SPD)

Übrigens freue ich mich schon auf die Diskussion innerhalb unserer jetzigen Koalition. Denn der Arbeitskreis Finanzen der CDU insgesamt - nicht der Arbeitskreis der Fraktion - hat dazu diskutable Vorschläge gemacht, die in eine ähnliche Richtung gehen. Auch wenn Herr Tullner nicht mehr Abgeordneter ist, so ist er auch als Staatssekretär bei dieser Diskussion sicherlich sehr willkommen.

Was man zum Ehegattensplitting auf jeden Fall deutlich aussprechen sollte - darauf möchte ich einige Minuten mehr verwenden - ist Folgendes: Das Ehegattensplitting ist ungerecht, weil es alte Rollenbilder zementiert,

(Oh! bei der CDU)

weil es - spätestens bei diesem Punkt dürften Sie nicht mehr „Oh“ sagen - eine Sondersubvention für die alten Bundesländer ist.

Warum ist das so? - Das Ehegattensplitting belohnt große Einkommensunterschiede in der Ehe. Da im übergroßen Teil der Ehen insbesondere in Westdeutschland immer noch die Männer mehr verdienen, heißt das im Klartext: Wenn die Frau zu Hause bleibt, gibt es die höchste Steuergutschrift. Das ist nicht 21., das ist nicht 20., das ist 19. Jahrhundert.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Oh! bei der CDU)

Ein Anteil von - das sollten wir uns alle einmal auf der Zunge zergehen lassen - ungefähr 93 % des Splittingvolumens fließt in die alten Bundesländer. Die Gründe dafür liegen deutlich auf der Hand. Es gibt, auch wenn sie vorkommen, in Ostdeutschland geringere Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern im Erwerbsleben. Es gibt insgesamt große Einkommensunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Wir sind insgesamt im niedrigeren Einkommensbereich. Das heißt, die Menschen im Osten verdienen weniger und die Menschen im Westen werden steuerlich belohnt.

Ich glaube, das sollten wir im dritten Jahrzehnt nach der Einheit abschaffen. Es würde jedenfalls dem Land insgesamt volkswirtschaftlich gut tun.

(Zuruf von der CDU - Zustimmung von Herrn Erdmenger, GRÜNE)

Lassen Sie mich zum Schluss - vielleicht werden Sie dann wach - einmal etwas Politisches zu die

sem Thema sagen. Womit natürlich nicht Schluss sein darf, das ist der Kampf für die Gleichstellung der Frauen in der Arbeitswelt. Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch eine Frage der wirtschaftspolitischen Vernunft.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Natürlich kommt eine Haushaltsdebatte in diesen Tagen nicht ohne einen Blick nach Berlin oder einen Blick nach Europa, nach Griechenland aus. Es ist nicht so, dass wir die Geschehnisse dort von hier aus merklich beeinflussen könnten; es sei denn, die Länder bekämen mehr Mitspracherecht, was im Sinne der europäischen Regionen angebracht wäre. Aber alles, was wir hier in unserem kleinen Land Sachsen-Anhalt tun oder tun können, ist in der Tat immer abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung in der Welt und insbesondere von der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa.

Wir hatten in den letzten Jahren eine sehr gute wirtschaftliche Entwicklung. Wir sind wieder auf dem Niveau der Vorkrisenzeit angelangt. Aber es ist eine sehr trügerische Sicherheit, die vor uns liegt. Denn die Probleme in Griechenland sind nicht nur strukturelle Probleme in der Europäischen Union oder hausgemachte Probleme der Griechen, sie sind auch Nachwirkungen der Krise.

Deshalb ist es, glaube ich, richtig, dass es einen Rettungsschirm für Griechenland gibt. Den wirtschaftlich größten Verlust hätte Deutschland, wenn es diesen Rettungsschirm nicht geben würde. Wir sind der größte Profiteur des Euro und der Europäischen Union. Zwei Drittel der Exporte aus Deutschland gehen in die Europäische Union.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Dies sei festgestellt, unabhängig von allen anderen politischen Themen, die mit der Europäischen Union zu tun haben, wie Frieden und Sicherheit, nur auf dieses Thema fokussiert.

Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika sind gut geratet, obwohl sie eine extrem hohe Verschuldung haben. Das liegt daran, dass die wirtschaftliche Stärke beider Staaten von den Ratingagenturen sehr hoch eingeschätzt wird. Aber beide stehen auf sehr unterschiedlichen Füßen.

Die USA hat 70 % Binnenmarkt; es ist ja auch ein riesiges Land. Deutschland hat 70 % Export; uns fehlt der Binnenmarkt. Wenn der Export abbricht, weil die Europäische Union kein Abnehmer mehr ist, und der Binnenmarkt, der in den letzten Jahren nicht gestiegen, sondern von der Kaufkraft her dramatisch gesunken ist, fehlt, dann haben wir ganz schnell ein Problem und werden von den Ratingagenturen nicht mehr so eingeschätzt, dass wir uns für eineinhalb oder ein Prozent finanzieren können.

Dazu kommt - auch das müssen wir uns immer wieder einmal klar machen -, dass die Reallöhne in der Bundesrepublik seit 1996 gesunken sind. Das ist Statistik. Das sage ich hier nicht nur so als Sozialdemokratin, sondern das ist pure Statistik.

Diese Entwicklung - auch das müssen wir hier offen aussprechen - muss ein Ende haben. Denn wenn die größte Volkswirtschaft des Kontinents auch der größte Billigproduzent des Kontinents ist, dann gehen natürlich irgendwann alle anderen krachen. Das ist für uns auch schlecht.

Deshalb brauchen wir den Rettungsschirm, und mehr noch: Wir brauchen eine europäische Wirtschaftsregierung. Das wird sehr schwer sein. Wir brauchen eine neue nationale und regionale Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik. Und wir brauchen - ich sage es noch einmal - gerade in Deutschland einen Mindestlohn als Lohnuntergrenze.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir brauchen auch eine höhere Tarifbindung sowohl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als auch von Unternehmen. Damit bin ich sofort wieder in Sachsen-Anhalt. In Sachsen-Anhalt ist nur ein Drittel der Unternehmerinnen und Unternehmer tarifgebunden. Das ist nicht gut.

(Herr Schröder, CDU: Das stimmt!)

Herr Haseloff, Sie haben vor einem Jahr als damaliger Wirtschaftsminister mit den Gewerkschaften eine gemeinsame Erklärung zur Stärkung der Tarifpartnerschaft im Land Sachsen-Anhalt unterzeichnet. Darin steht, dass die Anwendung der Flächentarifverträge ein Gütezeichen für eine zukunftsorientierte Personalpolitik in den Unternehmen ist. Sie haben damals gesagt: Wir werben für eine stärkere Tarifbindung als ein wirksames Instrument der Fachkräftesicherung und bekennen uns zum Grundsatz der Tarifautonomie.