Herr Güssau, ich habe eine kurze Nachfrage. Sie haben die verbindliche Schullaufbahnempfehlung in einen Zusammenhang mit der Abiturquote gebracht. Ist das richtig?
Dann ist meine zweite Frage: Wie erklären Sie sich dann die hohe Quote derjenigen, die das Abitur nicht schaffen, die wir derzeit haben, trotz der verbindlichen Schullaufbahnempfehlung, die wir eigentlich durch Sie, also durch die CDU, eingeführt haben? Denn diejenigen, die ab dem Jahr 2012 eine unverbindliche Schullaufbahnempfehlung erhalten habe, sind noch gar nicht beim Abitur. Das heißt, die von Ihnen eingeführte verbindliche Schullaufbahnempfehlung ist die Ursache für die hohe Quote derer, die das Abitur nicht erreichen.
Danke, liebe Monika, für die Möglichkeit, an dieser Stelle noch einmal nachzuhaken. Wie sieht es in der Praxis aus? - Wir müssen das gesamte System betrachten und wir müssen es von Anfang an betrachten. Als das Schulsystem in Sachsen-Anhalt nach der Wende neu gestrickt wurde, haben wir in diesem Land - das finde ich gut - Sekundar
schulen und Gymnasien eingeführt. Die Zweiteilung in diesem Bereich, ohne eine Hauptschule einzuführen, war damals gut gewählt; denn viele Länder brauchten länger als 20 Jahre, um endlich auch auf diesen Weg zu kommen. Das hat Sachsen-Anhalt vorbildlich schon getan.
Liebe Monika, ich kenne die Antwort nicht. Ich kann sie dir nicht geben. Ich kann aber aus meiner 16-jährigen Erfahrung sprechen. Ich war schon zu DDR-Zeiten Lehrer; ich habe die Wende und den Aufbau eines Gymnasiums sowie einer Sekundarschule miterlebt.
Am Anfang wurden nicht nur Schüler sortiert, sondern auch Lehrer. Erinnern wir uns einmal daran, welche Lehrer an das Gymnasium gekommen sind und welche Bedingungen sie unterschreiben mussten und welche Lehrer an die Sekundarschule gegangen sind und welche Bedingungen sie unterschreiben mussten. Sie alle hatten eine einheitliche Ausbildung.
Durch die Zweiteilung, die entstanden ist, ist in unserer Gesellschaft auch Folgendes entstanden: Der Ruf der Sekundarschule hat in der Gesellschaft stark Schaden genommen. Es sind böse Worte über diese Schulform gefallen. Ich kann nur von Elternversammlungen berichten, dass viele Eltern gesagt haben: Ich schicke mein Kind aus sozialen Gründen lieber an ein Gymnasium; ich möchte nicht, dass es an eine Sekundarschule geht. Dazu kann ich nur sagen: Was hat man diesen Kindern Schlimmes damit angetan,
sie auf ein Gymnasium zu schicken! Ich musste erleben, dass ein Drittel aller Schüler die falsche Schulform hatte. Was hat man diesen Kindern angetan!
Dazu sage ich: Das haben die Eltern zu verantworten. Hierbei hat man eben nicht auf die Lehrer gehört.
Dann sage ich Ihnen: Diese Kinder sind über Jahre hinweg traumatisiert worden. Immer Misserfolge zu haben, immer eine Fünf oder eine Sechs zu kriegen, mit viel Kampf eine Vier zu erreichen, sehr viel leisten zu müssen, um am Gymnasium eine Vier zu erreichen, das hat die Kinder wirklich kaputtgemacht.
Ich kenne Schülerinnen und Schüler, die haben mit viermal der Note 5 die Klasse 10 nicht geschafft, sind danach zur Sekundarschule gegangen und
Da stimmt doch etwas nicht im System. Da ist es doch manchmal das Papier nicht Wert gewesen, auf das Noten geschrieben wurde.
Wenn wir über Schullaufbahnempfehlungen debattieren, dann wollen wir gerade, dass das den Kindern erspart wird. Wir wollen die Fachleute an die Front schicken; das sind die Lehrerinnen und Lehrer an den Grundschulen. Wir haben gute Lehrer an den Grundschulen. Sie können sehr gut einschätzen, ob Schüler zum Gymnasium oder zur Sekundarschule wechseln sollten.
Zu der anderen Frage. Was hat es gebracht? - Ich denke, auf der einen Seite gab es Lehrerinnen und Lehrer, die keinen Stress mit den Eltern haben wollten und den Schülern eine bessere Note gegeben haben, damit der Schüler zum Gymnasium geht. Diese Gruppe gibt es auch. Es gibt auf der anderen Seite auch die Gruppe an Lehrern, die sagt, viele Eltern hätten erkannt, dass die Schüler auch einmal Leistungen bringen müssten; das hätten auch die Schüler erkannt. Auch auf diesem Wege wurde von Schülern aktiv gearbeitet und gelernt. Ich denke, man muss beide Seiten beachten. Man kann nicht immer nur in schwarz oder weiß denken; manchmal ist das Leben auch grau.
Herzlichen Dank. Weitere Nachfragen sehe ich nicht. - Bevor ich Frau Hohmann von der Fraktion DIE LINKE das Wort erteile, möchte ich Schülerinnen und Schüler der Carl-von-Clausewitz-Sekundarschule in Burg begrüßen. Sie kommen genau zum richtigen Zeitpunkt, zu der richtigen Debatte. Herzlich willkommen!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Güssau, auf meine Frage haben Sie leider nicht geantwortet. Ich muss gestehen, dass auch ich Lehrerin bin. Ich bin etwas länger im Schulsystem gewesen, nämlich 30 Jahre lang. Ich weiß auch, warum viele Eltern ihre Kinder unbedingt zum Gymnasium schicken wollten. Denn damit war die Chance auf eine Berufsausbildung gerade in den 90er-Jahren viel höher als mit einem Sekundarschulabschluss. Das war der eigentliche Grund.
Wir haben momentan genau die Schüler, die mit der verbindlichen Schullaufbahnempfehlung an die Gymnasien kamen, die sich jetzt in den oberen Klassenstufen befinden und das Abitur nicht schaffen. Es betrifft nicht die Schüler, bei denen Lehrer es nicht verbindlich empfohlen haben. Die Milchmädchenrechnung, die Sie hier aufstellen wollen, stimmt nicht und passt nicht.
Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fragen, die die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ihren Vorbemerkungen zur Großen Anfrage aufgreifen, sind meiner Meinung nach legitim, wenn es um die Bewertung einer Schulform geht.
Auch die Fraktion DIE LINKE hat zu dem Thema verschiedene parlamentarische Initiativen ergriffen. Wir haben Kleine Anfragen gestellt und zahlreiche konstruktive Gespräche geführt, sowohl mit Schulpraktikerinnen und -praktikern, mit Schülerinnen und Schülern sowie natürlich mit Vertreterinnen und Vertretern von Schulbehörden.
Die grundsätzlichen Befunde aus der Antwort der Landesregierung decken sich mit jenen, die wir auch aus den Antworten auf Kleine Anfragen und den Gesprächen abgeleitet haben. Frau Professor Dr. Dalbert sagte bereits, es gibt einige Differenzen bei den Angaben. Dort standen mal diese Zahlen und anderswo jene Zahlen. Aber das lasse ich erst einmal außen vor. Zumindest ist zu sagen, dass die Antworten auf die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Bild abrunden und es schärfen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Auch die nur eingeschränkt verfügbaren Daten zeichnen ein Bild, das politische Einschätzungen durchaus erlaubt. Die Antworten auf die Fragen der GRÜNEN und auf Kleine Anfragen von uns verdeutlichen insgesamt Folgendes:
Erstens. Es gibt viele Schülerinnen und Schüler, die das Gymnasium verlassen, ohne das Abitur erreicht zu haben.
Zweitens. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die das Gymnasium vor Erreichen der Abiturprüfung verlassen, übersteigt die Zahl derer, die nach dem fünften Schuljahrgang aus anderen Schulformen auf das Gymnasium wechseln.
Das alles sind zunächst Wertungen an der statistischen Oberfläche der Schülerzahlen. Leider bleiben Bildungsqualität, inhaltliche Schwerpunkte,
Leistungsniveau, soziale Differenzierung bei dieser Perspektive außen vor, gehören aber für uns zur Gesamtbewertung der Schulform unbedingt dazu.
Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE sah sich in der jüngsten schulpolitischen Debatte mit dem Vorwurf konfrontiert, die Gymnasien abschaffen zu wollen.
Unzweifelhaft hat sich das Gymnasium in Deutschland gewandelt und die Entwicklungsprozesse dauern weiterhin an. Zwei Dinge möchte ich hierzu nennen:
Erstens. Die Gymnasien sind mittlerweile von Eliteschulen zu Schulen mit einer in vielfacher Hinsicht heterogenen Schülerschaft geworden.
Zweitens. Die Gymnasien verlieren weiter ihre exklusive Stellung bei der Vermittlung einer Hochschulzugangsberechtigung. Diese kann man mittlerweile auch an anderen Schulformen erlangen. Es ist bereits jetzt möglich, auch ohne Hochschulzugangsberechtigung zu studieren.