Protocol of the Session on January 28, 2016

Botschaft zwei: Die Leidenschaft, Politiker zu sein, kann entfacht werden, und man wird sie nicht so leicht wieder los.

Botschaft drei: Es ist dennoch Zeit, sich neuen Herausforderungen und neuen Aufgaben zu stellen. Ich habe in diesen 14 Jahren in diesem Hause viele nette Kolleginnen und Kollegen auch aus anderen Parteien kennengelernt. Eine aus der eigenen fand ich besonders nett und habe sie auch geheiratet.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN - Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Ich habe in diesen Jahren eine ganze Menge dazugelernt, obwohl ich mich vor 25 Jahren aus der Politik zurückgezogen hatte. Damals begann ein vollständiger Umbruch in meinem Leben, anfangs Zusammenbruch eigener Ideale, dann Absturz in die Perspektivlosigkeit, aber auch neugewonnenes Vertrauen in die eigene Kraft und unternehmerische Selbstbestimmtheit. Unvollkommenheit in der Gesellschaft führte mich wieder in die Politik zurück, bestimmte mein Handeln für einen Weg in eine gerechte Welt. Denn Sachsen-Anhalt ist mir nicht egal; es ist auch mein Land.

Welchen Charme hat bei mir diese wiederentdeckte Rolle als Politiker besonders entwickelt? - Einmal, neugierig zu sein auf Alternativen zu bisher Gehandhabtem. Zweitens neugierig zu bleiben auf das, was man angestoßen hat und auf seine Wirkungen. Drittens Neugier zu wecken auch auf Unbekanntes.

Meine Damen und Herren! Vielfach bin ich auch gefragt worden: „Wieso kommst Du mit diesen oder jenen in diesem Hohen Haus so gut zurecht?“ Das ist manchmal völlig unverständlich. Bei bestimmten Personen

(Heiterkeit im ganzen Haus)

hat man so seine Aversionen. Aber ich glaube, das ist das Geheimnis dahinter. Ich bin der Auffassung, gerade bei gegensätzlichen Auffassungen ist es wichtig, in der Politik auch Vertrauen aufzubauen.

Wie kann man das tun? - Es ist das Zuhören, das sich Hineinversetzen in andere, das Aufnehmen und Verarbeiten ihrer Argumente, um auch vor allem die eigene Überzeugungskraft mit zu schärfen.

Was ganz wichtig ist, vor allem die eigenen Ideen auf die Richtigkeit zu prüfen. Das ist das eigentlich Entscheidende. Es gibt immer Alternativen in dieser komplexen Welt. Da reichen einfache Antworten oftmals nicht aus. Aber man ist ja gerade wieder dabei, zu sagen, die einfachen Antworten, die reichen aus.

Ein solches Herangehen führt auch dazu, dass man sich weniger damit beschäftigt, seinen Job zu

behalten, sondern vor allem damit, ihn auszufüllen. Zumal es die alte Lebensweisheit gibt - das gebe ich gerne im parlamentarischen Raum weiter -: Ein Kompromiss ist eigentlich erst dann perfekt, wenn keine der Parteien zufrieden ist, aber die Mehrheit mit dem Ergebnis leben kann.

Der Philosoph Seneca sagte einst:

„Glücklich ist nicht, wer andern so vorkommt, sondern wer sich selbst dafür hält.“

In diesem Sinne ist auch heute für mich ein glücklicher Tag. Denn es war mir immer eine Ehre, Landespolitiker zu sein. Deshalb wünsche ich all denen, die erneut kandidieren, viel Erfolg auf diesem Weg. Natürlich denken Sie richtig, dass ich den Kolleginnen und Kollegen links von mir ein besonders großes Plus wünsche. Aber lassen Sie es mich wie folgt formulieren: Ich wünsche Ihnen allen ein solches Ergebnis, das widerspiegelt, wie Ihre Arbeit vor Ort von den Wählerinnen und Wählern geschätzt wird.

Zum Schluss möchte ich einen dreifachen Dank aussprechen. Erstens den sichtbaren und unsichtbaren Geistern des Hauses, den Mitarbeitern des Landtages von der Hausspitze mit dem Direktor beim Landtag sowie den Leitern der Abteilung Parlamentarische Dienste und der Abteilung Verwaltung bis hin zu den Saaldienern, die uns immer gut betreut haben, den Protokollanten, den Ausschusssekretärinnen, dem GBD, an der Pforte oder wo auch immer. Sie haben die Voraussetzung für unsere Arbeit geschaffen.

(Beifall im ganzen Haus)

Zweitens. Als Wirtschaftspolitiker habe ich vier Minister kennengelernt: Horst Rehberger, Reiner Haseloff, Birgitta Wolff, Hartmut Möllring - ganz unterschiedliche Charaktere. Die Rolle der Opposition ist nun einmal die Kontrolle der Regierung und sozusagen mehr Kritik als Lob. Das war nicht immer einfach, aber ich denke, uns hat die Aufgabe geeint, dass wir gemeinsam das Beste für das Land wollten.

Für was ich dankbar bin, das ist die Tatsache, immer wenn ich es wollte, auch Einblicke in die Arbeitsweise des Ministeriums bekommen zu haben, Fragen offen anzusprechen und auch Antworten zu bekommen. Dabei ging es nicht nur um einzelne Fördermittelbescheide - ich hätte unter Umständen wahrscheinlich mehr nachfragen sollen -, sondern es ging immer um strategische Aufgaben in der Wirtschaftspolitik.

Der dritte Dank geht an euch als Parlamentarier aus allen Fraktionen. Warum? - Ihr habt mich immer wieder herausgefordert, das Beste zu geben und eine Menge dazuzulernen. Wir hatten als Wirtschaftspolitiker interessante Debatten mit Detlef Gürth und Ulli Thomas, Katrin Budde, Tilman Tö

gel und Ronald Mormann, Christoph Erdmenger, Olaf Meister und Lutz Franke oder auch mit den als Strippenzieher bezeichneten PGF aus drei Legislaturperioden. Das hat wirklich Spaß gemacht und hat mich unwahrscheinlich bereichert. Meine Verbeugung gilt euch allen.

(Lebhafter Beifall im ganzen Haus)

Kollege Dr. Thiel, auch Ihnen und Ihrer Familie alles Gute für den weiteren Lebensweg. Als Sie mich vorhin darauf aufmerksam gemacht haben, dass Sie noch etwas sagen wollen und sagten: „Aber ich halte die zehn Minuten ein!“, da wusste ich nicht, dass Sie den zweiten Teil Ihrer Rede meinten.

(Heiterkeit)

Wir sind heute sehr kulant, das ist schon richtig so.

Der Landtag nimmt den Untersuchungsbericht zur Kenntnis. Die Arbeit des 14. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist somit abgeschlossen und der Tagesordnungspunkt 10 ist erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung

Sexualisierte Gewalt und Belästigung ächten - Prinzipien des Rechtsstaates und demokratische Grundwerte und Normen sind nicht verhandelbar

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/4730

Alternativantrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/4760

Einbringer ist der Kollege Gallert. Bitte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten 14 Tagen in der politischen und gesellschaftlichen Debatte in der Bundesrepublik Deutschland etwas erlebt, was doch recht selten - auch in meiner schon recht langen Politikerkarriere - zu betrachten war: nämlich dass ein einziges Thema, und zwar die sexuellen Übergriffe, Belästigungen und sexualisierte Gewalt einer Silvesternacht von Köln, die gesamte politische Debatte in allen Facetten, in allen Diskussionsrunden und in allen Medien nahezu zu 100 % beherrschte.

Ich glaube, deswegen ist es wichtig, dass wir uns auch auf unserer letzten Landtagssitzung darauffolgend zu diesem Thema verständigen und politische Forderungen ableiten.

Die erste politische Forderung, die ich postuliere, ist: Sexualisierte Gewalt ist in jedem Fall zu verurteilen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Es darf bei diesem Thema keine Relativierung geben. Egal, ob es sich um sexualisierte Gewalt in der Öffentlichkeit oder im häuslichen Umfeld handelt. Es gibt keine Entschuldigung für sexualisierte Gewalt im religiösen Bereich, nicht im ethnischen Bereich und auch nicht im kulturellen und sozialen Bereich.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Sexualisierte Gewalt ist überall und immer zu verurteilen. Deswegen sagen wir auch mit aller Deutlichkeit: Die Übergriffe in Köln, die massenhafte sexualisierte Gewalt gegenüber wehrlosen Opfern, ist zu verurteilen. Diese Vorgänge waren schrecklich, sie waren traumatisch aus der Perspektive der Opfer, und sie sind Dinge, die uns nicht kaltlassen dürfen.

Ich sage auf der anderen Seite allerdings auch, diese Vorgänge bieten die Chance, ein Thema, das in den letzten Jahrzehnten viel stärker hätte politisch und gesellschaftlich diskutiert werden müssen, jetzt mit einer neuen Sensibilität anzugehen.

Deswegen sind die Vorfälle von Köln - so schrecklich sie sind - für uns wiederum Verpflichtung und Anlass, darüber nachzudenken, was bei uns in der Gesellschaft falsch läuft, und welche Dinge wir dagegen tun können, dass sich die Dinge ausweiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Allerdings - das gehört zur Wahrheit dazu - haben wir in den letzten Wochen eine Debatte erlebt, die nicht nur die Opfer sexualisierter Gewalt beleidigt und instrumentalisiert, sondern die dazu angetan ist, neue Opfer zu schaffen. Es geht darum, sexualisierte Gewalt als Vorwurf ausschließlich und isoliert gegen eine einzige Personengruppe zu richten, nämlich gegen Flüchtlinge, und damit selbst rassistische Elemente zu bedienen. Das verurteilen wir auch in aller Deutlichkeit.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Insofern werden wir den Alternativantrag, den die Fraktionen CDU und SPD vorgelegt haben, durchaus unterschiedlich bewerten. Wir schließen uns aber auf jeden Fall dem Punkt 6 an, der besagt:

„Der Landtag begrüßt und unterstützt den Aufruf unter ‚#ausnahmslos‘, mit dem Frauen sich gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus positionieren …“

Beides gehört verurteilt, und das eine darf nicht zur Begründung des anderen dienen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Nein, sexualisierte Gewalt ist ein Thema unter Flüchtlingen wie unter Einheimischen, unter Ausländern. Es ist ein Thema der gesellschaftlichen Debatte und der gesellschaftlichen Ächtung. Wenn es in den letzten Tagen und Wochen die Debatte gab, dass es einen Kulturkreis - nämlich den muslimischen - gibt, der offensichtlich eine besondere Affinität zur sexualisierten Gewalt hat; bei Muslimen müsse man von vornherein davon ausgehen, dass hier die Hemmschwelle niedriger sei, dann erinnere ich an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich, dass es keine 20 Jahre her ist, dass es in dieser Bundesrepublik Deutschland eine ernsthafte Debatte gab darüber, dass die Vergewaltigung nicht strafbar sein darf, nämlich die Vergewaltigung in der Ehe.

Es ist leider so, dass nicht wenige, die sich heute an der Spitze der Debatte der Verurteilung von kriminellen Ausländern befinden, sich damals vehement gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe positioniert haben, unter anderem der jetzigen Ministerpräsident Seehofer. Keine 20 Jahre ist es her, dass sogenannte Urdeutsche eine Vergewaltigung nicht als Straftat ansehen wollten. Das sollte uns Anlass sein, darüber nachzudenken, ob wir in der Lage und bereit sind und ob es gut ist, arrogant gegenüber Menschen zu reden, die zu uns kommen.

(Beifall bei der LINKEN)