Protocol of the Session on December 10, 2015

Beratung

Natürliche Geburt stärken - den Weg frei machen für einen hebammengeleiteten Kreißsaal in Sachsen-Anhalt

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/4566

Alternativantrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/4644

Einbringerin ist die Kollegin Lüddemann. Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ohne lange Vorrede: Meine Fraktion möchte den hebammengeleiteten Kreißsaal in Sachsen-Anhalt installieren.

Im Jahr 2011 gab es in 13 der mehr als 800 Kliniken mit Entbindungsstationen hebammengeleitete Kreißsäle. Das sind also bundesweit noch Ausnahmen und hierbei könnte Sachsen-Anhalt durchaus eine Vorreiterrolle einnehmen.

Es gibt gute Beispiele, an denen man sich orientieren kann. So wurde der erste Kreißsaal dieser Art in Deutschland im Jahr 2003 im Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide installiert. Das Ganze geht auf Konzepte zurück, die in den 90er-Jahren in Skandinavien, Großbritannien und Österreich entwickelt wurden.

Lassen Sie mich kurz erklären, was genau sich hinter diesem Konzept verbirgt. Zwei Vorbemerkungen dazu: Mit einem hebammengeleiteten Kreißsaal wollen wir ein Geburtshaus am Krankenhaus schaffen. Es geht uns um eine grundsätzliche Unterscheidung zu herkömmlichen von Ärzten geleiteten Kreißsälen. Der Name hebammengeleiteter Kreißsaal ist Programm.

Es ist klar, dass Hebammen schon jetzt die Erstversorgung in Kreißsälen übernehmen. Aber wir wollen die Hebamme zur Chefin machen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Der Hebammenberuf ist eigentlich als Profession für die Geburt zuständig. Das ist auch unstrittig. Wir wollen aber, dass die Hebamme tatsächlich eigenverantwortlich tätig werden kann. Ärztliches Personal wird entsprechend von der Hebamme nur in Notfällen hinzugezogen. Ansonsten treten Ärztinnen und Ärzte im hebammengeleiteten Kreißsaal nicht auf.

Warum wollen wir ein solches Geburtshaus im Krankenhaus im Unterschied zu den ärztlich geleiteten Kreißsälen? - Drei Ziele verbindet meine Fraktion mit diesem Anliegen.

Ziel 1: Wir wollen den Hebammenberuf aufwerten,

(Zustimmung von Frau Frederking, GRÜNE)

Karrierewege für Frauen eröffnen und diese Profession, die ständig um ihre Existenz ringt und ihre Anerkennung ständig beweisen muss, stärken. Wir als Fraktion hatten im Hinblick auf die Haftpflichtproblematik hierzu bereits einen Antrag in dieses Hohe Haus eingebracht.

Damit liegt dieser Antrag auf einer Linie mit der Forderung nach Aufwertung der Pflege. Im Fall der Pflege dreht sich die entsprechende Debatte etwa um die Delegation und Substitution ärztlicher Leistungen auf Pflegekräfte.

Hier und heute wollen wir die Aufwertung des Hebammenberufes unterstützen. Wir unterlegen diese Forderung mit dem hebammengeleiteten Kreißsaal in Richtung einer Arbeit im Gesundheitssystem auf Augenhöhe aller Berufe.

Ziel 2: Als Bündnisgrüne wollen wir die natürliche und interventionsarme Geburt stärken. Das Verständnis der Geburt als natürlichen Vorgang menschlichen Lebens gehört wieder in den Mittelpunkt gerückt. Die zunehmende Medikalisierung betrachten wir als problematische Entwicklung.

Diese Entwicklung zeigt sich etwa auch in der seit Jahren stetig zunehmenden Zahl von Kaiserschnittgeburten. Seit 1994 hat sich die Kaiserschnittrate in Sachsen-Anhalt mehr als verdoppelt. Damals wurden 14,2 % der Kinder in SachsenAnhalt per Kaiserschnitt geboren. Im Jahr 2015 waren es bisher 29,6 %.

Die WHO geht davon aus, dass bei maximal 10 bis 15 % aller Geburten ein Kaiserschnitt medizinisch notwendig ist. Die Quote müsste also in SachsenAnhalt deutlich niedriger sein. Wir glauben, sie ist so hoch, dass Politik hier tätig werden muss.

Es liegen mittlerweile mehrfache Studien vor, die die negativen medizinischen Auswirkungen von Kaiserschnittgeburten beschreiben.

Mit „Kaiserschnitt und chronische Immunerkrankung“ ist beispielsweise eine dänische Studie überschrieben, die deutlich zu dem Ergebnis kommt, dass ein Kaiserschnitt im Zusammenhang mit erheblichen Gesundheitsrisiken für die Kinder steht. Die Stichprobe dieser Studie umfasst Daten von 1,9 Millionen dänischen Kindern, die Jahrgänge zwischen 1977 bis 2012 betreffen.

Die Forscher verfolgten den Werdegang dieser Kinder von der Geburt bis zum Alter von 15 Jahren. Das ist die größte bekannte Studie zu diesem Thema. Sie hat nachgewiesen, dass ein um 23 % höheres Risiko für Asthma besteht, ein um 46 % höheres Risiko für Immundefekte, ein um 20 % höheres Risiko für Juvenile Arthritis und ein um 11 % höheres Risiko für Leukämie.

Wer sich etwas mit Statistik auskennt - dem will ich gleich im vorauseilendem Gehorsam begegnen -, der könnte jetzt einwenden, dass die Studie lediglich auf Korrelationen, also auf das gleichzeitige Auftreten von Phänomenen, verweist und keine kausalen Schlüsse zulässt.

(Herr Borgwardt, CDU: Das stimmt ja auch!)

- Natürlich, es stimmt. Das ist überhaupt keine Frage. Deswegen sage ich das an dieser Stelle. Aber ich denke, wenn man sich die Ergebnisse dieser Studie anschaut und auch die Fallzahlen in Betracht zieht und das mit anderen Studien abgleicht, lässt sich auf jeden Fall, Kollege Borgwardt, die These halten, dass eine vaginale Geburt

für die Kinder im Grundsatz gesünder ist. Ich denke, darauf kann man sich einigen.

Mir geht es aber - das will in an dieser Stelle auch erwähnen - nicht nur um die medizinischen Aspekte. Ich beobachte grundsätzlich, nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern in der gesamten Bundesrepublik Deutschland, dass die Geburt eher als notwendiges Übel betrachtet wird. Man muss da halt durch und es ist dummerweise irgendwie so, dass man das machen muss, wenn man ein Kind haben will.

Das ist ähnlich wie mit dem anderen Fixpunkt im Leben, mit dem Sterben. Auch das wird zunehmend ausgelagert und technisiert. Es wird zunehmend darauf geschaut, dass es so wenig wie möglich mit unserem tatsächlichen Leben zu tun hat.

Ich glaube, das ist ein Fehler. Bei der Geburt - bei dem Thema will ich an dieser Stelle bleiben; das Thema Bestattung betrifft einen anderen Tagesordnungspunkt - kann man sehr viel mehr leisten. Geburt ist ein bereicherndes Erlebnis. Geburt ist eine Erfahrung, die Frauen und heute - Gott sei Dank! - auch Eheleute oder Familien in der Gemeinsamkeit stärken kann. Sie ist eine Grenzerfahrung, die uns mit den Grenzen menschlichen Verstehens und menschlichen Zugriffs konfrontiert. Sie kann eine existenzielle Erfahrung sein, die unser Lebensverständnis stärkt. Wie das Sterben, so ist auch die Geburt Wesenskern des Menschen, von dem er her zu denken ist.

Einigen von Ihnen wird die Philosophin Hannah Ahrendt bekannt sein. Sie gründet auf diese Geburtlichkeit ihr ganzes philosophisches System. In einem rein medizinisch-technischen Diskurs geht diese Dimension der Geburt verloren. Das halte ich für einen Fehler.

Der Umgang mit Geburt, die Geburtskultur in einer Gesellschaft transportiert immer auch das Menschenbild der Gesellschaft.

Natürlich soll jetzt der Kreißsaal nicht zu einem Philosophiehörsaal werden. Hannah Ahrendt soll dabei auch eher im Hintergrund agieren. Aber ich glaube, so wie in Geburtshäusern ein ganzheitliches Verständnis von Geburt, vom Eintritt in das Leben im Vordergrund steht, so kann auch ein hebammengeleiteter Kreißsaal das Erleben der Geburt als bereichernde Lebenserfahrung für Familien befördern.

(Zustimmung von Frau Frederking, GRÜNE)

Andere Forschungsarbeiten, etwa des Verbunds für Hebammenforschung an der Fachhochschule Osnabrück, legen die Stärkung der natürlichen Geburt durch einen hebammengeleiteten Kreißsaal nahe.

Deren Studienergebnisse verweisen darauf, dass im hebammengeleiteten Kreißsaal deutlich mehr

Spontangeburten und deutlich weniger Eingriffe stattfinden. Es werden weniger Geburten eingeleitet und weniger Wehen verstärkende Medikamente verabreicht. Es werden weniger Schmerzmittel gegeben bzw. PDA gesetzt und weniger Dammschnitte durchgeführt.

Dafür werden deutlich häufiger Massagen und Entspannungsbäder gegen Schmerzen eingesetzt. Die Frauen nutzen eine größere Bandbreite an Gebärpositionen und die Gebärenden sind nach der Geburt deutlich mobiler.

Ich will es nur am Rande erwähnen, weil das für mich wirklich nicht im Vordergrund steht, aber das alles rechnet sich auch.

Was mir aber wichtig ist, ist die Stärkung der natürlichen Geburt. Die Eigendynamik und der Eigenrhythmus der Geburtsvorgänge werden umfassender respektiert und durch weniger Interventionen beeinflusst.

Ziel 3, das wir verfolgen, ist die Stärkung der Wahlfreiheit der Eltern. Wer eine Affinität zur natürlichen Geburt hat, der findet kaum noch Angebote in Sachsen-Anhalt.

Mit Stand vom Mai 2014 gab es sieben Geburtshäuser in Sachsen-Anhalt, wobei man sagen muss, das sind nicht alles tatsächlich Geburtshäuser, sondern das sind in der Regel Hebammenpraxen, die, wie ich finde, mit sehr viel Liebe ausgestaltet werden und in denen man gebären kann. Aber es hat nicht wirklich etwas mit einem Geburtshaus zu tun.

Auch das steht auf der Kippe. Meine Fraktion hat sich sehr lange mit dem Landeshebammenverband unterhalten. Selbst sie wissen nicht so genau, wie viele Hebammen im Land überhaupt noch Hausgeburten anmelden oder durchführen können, weil das Feld einer dynamischen Entwicklung unterliegt, auch in Bezug auf die Haftpflichtproblematik. Die Zahl ist rückläufig; das kann man bestätigen.

Aus der Antwort auf meine Kleine Anfrage aus dem Jahr 2012 ging hervor, dass in Sachsen-Anhalt 99 % der Geburten im Krankenhaus stattfinden. Ich weiß aber aus persönlichen Gesprächen und auch von Eltern, die sich an mich gewandt haben, dass sehr viel mehr Eltern eine natürliche Geburt für sich und ihr Kind wünschen.

Es gibt aber auch Eltern - auch das weiß ich aus diesen Gesprächen -, die, auch wenn es ein Geburtshaus gibt, den Gang in dieses scheuen, weil sie sagen, es könnte ja doch ein Notfall eintreten und dann hätte ich gern den Arzt oder die Ärztin an meiner Seite.

Ich kann das persönlich gut nachvollziehen. Als ich mein Kind geboren habe, stand diese Wahl noch nicht an. Aber ich hätte wahrscheinlich auch einen

Moment lang überlegt. Genau deshalb ist der hebammengeleitete Kreißsaal die Lösung; denn er vereint die Vorteile beider Systeme, die Arbeitsweise und die Atmosphäre eines Geburtshauses und den Arzt oder die Ärztin in Rufweite; eben das Geburtshaus am Krankenhaus.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich glaube, das wäre für viele Eltern eine willkommene Alternative.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will zum Ende kommen. Ich glaube und hoffe, dass deutlich geworden ist, was wir mit dem Antrag erreichen wollen, worum es uns geht. Ich will aber auch noch einmal deutlich sagen, dass uns natürlich nicht daran gelegen ist und dass wir auch nicht wünschen, dass die Landesregierung jetzt einen solchen hebammengeleiteten Kreißsaal ins Leben ruft und selbst betreibt. Nein, wir wollen das bei den Krankenhausträgern belassen.