Protocol of the Session on November 12, 2015

Deshalb haben wir in unserem Antrag vier Forderungen artikuliert, die der Landtag der Landesregierung als Verhaltenskodex für die Wahlkampfzeit auferlegen möge. Das gilt nicht nur für die sogenannte heiße Phase von sechs Wochen vor dem Wahltermin, sondern auch für den Vorwahlkampf, der mit fünf Monaten charakterisiert ist. Wir sind also schon mittendrin.

Erstens geht es darum, die Öffentlichkeitsarbeit auf informierende und neutrale Maßnahmen zu beschränken, sofern diese aufgrund von akuten Änderungen der Rechtslage erforderlich sein sollten. Darunter ist zu verstehen, dass vor allem die Darstellung der eigenen Erfolge des Regierungshandelns in den letzten Jahren sowie die Charakterisierung von Vorhaben für die nächsten Jahre zu unterlassen sind. Das betrifft übrigens auch die Darstellung der Aktivitäten der Landesregierung im Internet und in den sozialen Netzwerken.

Wir sind uns der Brisanz einer solchen Forderung durchaus bewusst, aber wir spüren die Neigung der Landesregierung, sich durch Workshops, Imagekampagnen oder ähnliche Veranstaltungen in der Öffentlichkeit zu präsentieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Erinnert sei nur an die unter der Leitung des Ministerpräsidenten vorgestern vorgestellte Kampagne „Karriere im eigenen Land“, bei der es um die Suche nach Unternehmensnachfolgern geht. Gemeinsam mit den Industrie- und Handelskammern sowie mit den Handwerkskammern wird einer bereits seit fast zehn Jahren laufenden richtigen und guten Aktivität ein regierungsamtlicher Anstrich verpasst. Ein Teilnehmer bemerkte auf die Frage, woher denn die plötzlich entdeckte direkte Kooperation der Kammern mit dem Ministerpräsidenten käme, lakonisch, dieser bringe schließlich das dafür notwendige Geld mit. Ein Schelm, wer Uneigennütziges vier Monate vor der Landtagswahl unterstellt.

Zweitens fordern wir die Landesregierung auf, die öffentlichkeitswirksame Übergabe von Bescheiden über die Bereitstellung von staatlichen Fördermitteln jeglicher Art durch Minister und Staats

sekretäre sowie leitende Beamte im Beisein von Landtagsabgeordneten oder Bewerbern zur Landtagswahl einzustellen. Wir wissen um den Reiz, in den nächsten Wochen und Monaten Kommunen, Verbände, Unternehmen endlich mit fest zugesagten Mitteln versorgen zu können. Das stellt das Macherimage heraus. Man kann zeigen: Hier wirken die richtigen Leute. - Allerdings wird damit, meine Damen und Herren, Herr Minister Möllring, die Grenze im Hinblick auf das strikte Verfassungsgebot der Neutralität und Nichtintervention mehr als deutlich überschritten.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Denn auf Wahlbeeinflussung gerichtetes parteiisches Einwirken von Staatsorganen zugunsten oder zulasten am Wahlkampf beteiligter politischer Parteien oder Bewerber verletzt nach den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts das Schutzgut der Freiheit der Willensbildung und damit das Demokratieprinzip. Das muss in diesem Haus auch einmal deutlich gesagt werden können.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine dritte Forderung betrifft die Unterlassung von Anzeigenschaltungen oder Bezahlungen von redaktionellen Beiträgen in regionalen und überregionalen Medien sowie die Gestaltung von Beilagen. Das gilt übrigens auch für Aktivitäten durch nachgeordnete und landeseigene Gesellschaften mit Mehrheitsbeteiligung, auch wenn beispielsweise Medienpartnerschaften wie für Radio SAW in der Vergangenheit oder neuerdings mit Radio Brocken bei der Kampagne „Karriere im eigenen Land“ - vorgestern gestartet - laufen und offenbar wieder von der Investitionsbank des Landes finanziert werden. Damit sind die Grenzen überschritten.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Allerdings, meine Damen und Herren, vor allem von der Regierung, soll das nicht bedeuten, dass nun bis zum Wahltag überhaupt keine Fördermittelbescheide mehr ausgegeben werden sollen.

Deshalb unsere vierte Forderung in diesem Kontext, dass natürlich die Antragsverfahren zur Bereitstellung von Fördermitteln sowie die Übersendung von Zuwendungsbescheiden im normalen Verwaltungsverfahren zu realisieren sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Schließlich geht es darum, den erforderlichen Abfluss der finanziellen Mittel entsprechend dem beschlossenen Landeshaushalt auch zu gewährleisten. Den meisten Fördermittelempfängern - machen wir uns nichts vor - ist der wohlmeinende Händedruck, der Spatenstich oder der Bandschnitt

sicherlich egal, Hauptsache das geplante Vorhaben kann umgesetzt werden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es ist schließlich unser aller Steuergeld, auch das der Fördermittelempfänger.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wissen, dass das unbequeme Forderungen sind. Sie können richtig wehtun, wenn man sich in den nächsten Wochen schon auf die Spenderrolle eingestellt hat. Aber wenn Chancengleichheit in der Überzeugungskraft politischer Programme gegenüber den Wählerinnen und Wählern gewährleistet werden soll, ist diese Form der Neutralität im Regierungshandeln einzufordern.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es ist sicherlich nicht einfach, diese Forderung auch zu kontrollieren. Es könnte immer wieder verführerisch sein, den Appell zu einem solchen Kodex zu vergessen. Wir können nur den Landesrechnungshof und die Öffentlichkeit bitten, genauer hinzuschauen, damit der Landtagswahlkampf im Jahr 2016 in Sachsen-Anhalt in diesem Zusammenhang wirklich fair ist. In dem Sinne bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Wir treten nun in die Aussprache ein. Zunächst spricht für die Landesregierung in Vertretung des Herrn Staatsministers Robra Herr Minister Möllring.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Bemerkungen zu den Ausführungen von Herrn Thiel. Sie haben gesagt, fünf Jahre vor der Wahl sei Vorwahlkampf.

(Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Fünf Monate!)

- Das haben Sie dann später in Monate korrigiert. Sie können das im Protokoll nachlesen. Sonst gilt das ja in der gesamten Legislaturperiode. Das wäre wie im Fußball: Nach der Wahl ist vor der Wahl - was natürlich auch stimmt.

Zweitens. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es sicherlich keinen rechtlichen Anspruch darauf gibt, einen Fördermittelbescheid zu bekommen. Aber wenn man einen Antrag stellt, hat man immer noch den Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Das heißt, wenn alle Voraussetzungen für einen Fördermittelbescheid vorliegen, wird kaum eine Verwaltung, kaum ein Minister sagen können: Es liegt zwar alles vor, aber aus irgendwelchen willkürlichen Gründen verwei

gere ich den Bescheid. - Das ist im Rechtsstaat dann schon gegeben.

Selbstverständlich, Herr Thiel, kennen wir das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1977. Und wir kennen das Urteil nicht nur, wir handeln natürlich auch danach. So hat das Bundesverfassungsgericht damals festgestellt, dass Öffentlichkeitsarbeit zulässig ist, wenn sie sich im Rahmen des Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs bewegt. Sie muss sich jedoch - jetzt zitiere ich wörtlich - „stets der offenen oder versteckten Werbung für einzelne der miteinander konkurrierenden politischen Parteien … enthalten.“

Hinsichtlich der Veröffentlichung und Anzeigen gilt Folgendes - auch dies zitiere ich -:

„Tritt der informative Gehalt einer Druckschrift oder Anzeige eindeutig hinter die reklamehafte Aufmachung zurück, so kann das ein Anzeichen dafür sein, dass die Grenze zur unzulässigen Wahlwerbung

überschritten ist.“

Kurz gesagt: Öffentlichkeitsarbeit ist natürlich möglich; sie darf eben nur keine Wahlwerbung sein.

Der Antrag der LINKEN scheint mir jedoch deutlich über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die bislang geübte Praxis hinauszugehen. So fordern Sie unter Punkt II Nr.1, „die Öffentlichkeitsarbeit auf informierende und neutrale Maßnahmen zu beschränken,“ - jetzt kommt es -, „sofern diese aus akuten Änderungen von Rechtslagen erforderlich sein sollten.“ Das heißt, Öffentlichkeitsarbeit soll nur noch bei Gesetzesänderungen möglich sein. Das käme praktisch einer Einstellung jeglicher Öffentlichkeitsarbeit in der Vorwahlzeit gleich.

Ich möchte Ihnen das einmal illustrieren: Die Landesregierung plant noch in diesem Monat, also im November 2015, eine Broschüre mit dem Titel „Ihr Wegweiser nach Sachsen-Anhalt“. Darin geht es um die Gewinnung ausländischer Fachkräfte. Eine Änderung der Rechtslage liegt hier natürlich nicht vor. Die Broschüre erscheint übrigens in Deutsch und in anderen Sprachen, zum Beispiel in Englisch, Spanisch und Arabisch. Im Dezember gibt es in der Staatskanzlei eine Gesprächsrunde unter dem Motto „Wie geht Integration?“, in der der Herr Ministerpräsident mit Vertretern der Wirtschaft und mit Vertretern von Migrantenorganisationen diskutieren wird. Sie werden sehen, dass eine Broschüre in Arabisch, in Spanisch und in Englisch keine Wahlwerbung ist.

Meine Damen und Herren, wollen Sie beides, die Broschüre und die Gesprächsrunde zur Integration, verhindern? Ein solches Ansinnen hätte ich nun eher in anderen politischen Spektren vermutet. Für die Landesregierung sind jedenfalls Berufschancen für ausländische Fachkräfte und eine

erfolgreiche Integration ein wichtiges Anliegen. Wir sollten das gemeinsam nicht zu Wahlkampfthemen machen, wir sollten dieses Thema aber wegen des Wahlkampfes jetzt auch nicht brachliegen lassen. Es kann nicht sein, dass notwendige Maßnahmen ein halbes Jahr lang überhaupt nicht mehr stattfinden können.

Natürlich gibt es weitere Themen der Öffentlichkeitsarbeit. Dazu gehört zum Beispiel, am Ende einer Legislaturperiode - das ist gute Sitte - eine Bilanz der Arbeit der Landesregierung vorzulegen; das macht nicht nur diese Landesregierung, das ist in den Parlamenten allgemein üblich. Die letzte Landesregierung hat dies im Dezember 2010 getan. Wir sind vier Wochen früher dran und werden es in wenigen Tagen tun. Werfen Sie einen Blick hinein, und sie werden feststellen, dass es eine nüchterne Arbeitsbilanz ist, die mit einer bescheidenen Auflage von 1 000 Exemplaren ganz bestimmt nicht Gefahr läuft, ein Massenwerbemittel für irgendjemanden zu sein oder gar von irgendjemandem dazu missbraucht zu werden.

Eine Bilanz wird nun einmal am Ende der Legislaturperiode vorgelegt. Das haben alle Landesregierungen bisher so gehandhabt. Das Demokratieprinzip gebietet Responsivität. Das heißt zu Deutsch: eine Rechenschaftslegung.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein letztes Vorhaben nennen: Im November 2015 wird in Anzeigenblättern des Landes eine Beilage erscheinen, die Projekte im Land vorstellt, die mit EU-Mitteln gefördert worden sind. Hierbei geht es schlicht und einfach um zwei Dinge:

Erstens wollen wir den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, was vor ihrer Haustür mit Mitteln der EU Positives bewegt wurde.

Zweitens wollen wir unseren Informationspflichten hinsichtlich der Verwendung der EU-Mittel nachkommen. Das ist eine Forderung der EU, die in entsprechenden EU-Verordnungen steht. Das

müssen wir in der Öffentlichkeit nachweisen und das werden wir auch tun. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön. - Wir fahren in der Aussprache fort. Für die Fraktion der SPD spricht nun Herr Abgeordneter Tögel.

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Lieber Frank Thiel, ich habe natürlich Verständnis für den Antrag. Ich war selbst jahrelang in der Opposition und weiß, wie es einem da manchmal geht. Selbst in einer Regierungsfraktion geht es einem nicht immer an

ders. Wenn man in einer Regierungsfraktion sitzt und zum Beispiel sieht, wo überall im Land der Ministerpräsident auf und ab unterwegs ist, dann ist das manchmal schwer hinzunehmen. Aber die Organisationskraft einer Staatskanzlei ist nun einmal größer als die einer SPD-Fraktion. So etwas nennt man im Allgemeinen auch Amtsbonus.

Mit einem Augenzwinkern möchte ich auch sagen: Irgendwann wird der Ministerpräsident wie bei Hase und Igel bei einem Termin auftauchen, sich selbst treffen und fragen: Was machst du denn schon hier?

Aber um zum Ernst zurückzukommen: Wo wollen Sie denn die Grenzen tatsächlich ziehen? Bei der, wie Sie es vorschlagen, Übergabe von Fördermitteln? - Auf dieses Thema möchte ich mich hier beschränken. Zu den juristischen Fragen hat sich Minister Herr Möllring bereits geäußert. Allerdings habe ich es im Beitrag des Ministers schon ein bisschen vermisst, dass überhaupt kein Wort zum Thema Übergabe von Fördermittelbeischeiden und Beteiligung von Landtagsabgeordneten daran gesagt wurde.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)