Ich sage es an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich: Auch das Land Sachsen-Anhalt wird mit allen ordnungspolitischen Möglichkeiten einschließlich des Begriffs „Allgemeinverbindlichkeit“, wenn es sich anbietet und auch rechtlich belegen lässt - Sie wissen, was für Prozeduren dazu bis zum Tarifausschuss notwendig sind -, zum Schutz der Arbeitnehmer operieren. Aber wir sind der Meinung: Das soll erst einmal am Markt unter Einbeziehung der Tarifhoheit und der Tarifpartner passieren, die aus diesem Konstrukt gestärkt hervorgehen könnten.
Die Handeltreibenden werden - das ist mir auf dem Tag der Kaufleute in Sachsen-Anhalt vor wenigen Tagen gesagt worden - mit hohem Verantwortungsbewusstsein die neuen gesetzlichen Möglichkeiten, wenn sie denn zustande kommen, ausnutzen und werden auch die Tarifpartnerschaft bzw. die Sozialpartnerschaft an dieser
Stelle nicht außen vor lassen, sondern werden versuchen, mit ihren Beschäftigten Lösungen zu finden.
Dass die Kunden neue Öffnungszeiten wünschen, merkten wir an den Stellen, wo schon bisher eingeräumte flexible Varianten nutzbar waren bzw. über das geltende Gesetz hinaus experimentiert wurde. Der Kunde selber ist diesen Flexibilisierungsmöglichkeiten gegenüber sehr aufgeschlossen. Da hat jeder sicherlich auch seine eigene Erfahrung gemacht.
Den Vergleich mit den benachbarten Ländern in Mitteldeutschland habe ich schon gezogen. Berlin und wahrscheinlich auch Brandenburg werden wesentlich weiter gehen, vor allen Dingen was den Sonntagsschutz anbelangt. Der Sonntagsschutz steht für uns außer Frage. Wir werden auch an der Zahl der zur Verfügung gestellten Sonntage nichts weiter ändern. Aber wie Sie dem Gesetzentwurf entnehmen konnten, haben wir schlicht und einfach das Administrieren dieser Einzelaktivitäten einfacher gemacht und auf klare und eindeutige Grundlagen gestellt.
Der Gesetzentwurf selbst - die Einzelheiten möchte ich jetzt nicht aufzählen - weist eine innere Systematik und Homogenität auf. Er hat sich die Prämisse gestellt, nicht hinter die bisherigen Regelungen zurückzutreten, der Entbürokratisierung zu dienen und an bestimmten Stellen den gesunden Menschenverstand walten zu lassen.
Sie kennen das Beispiel der unterschiedlichen Verkaufsmöglichkeit von Blumen, Zeitungen und Brötchen an einem Sonntag. Das sind Dinge, über die der Normalbürger, für den die Gesetze auch gemacht werden, nur den Kopf schütteln kann. Das haben wir vereinheitlicht. Wir haben die Wirklichkeit in unserer Gesellschaft mit abzubilden versucht und haben trotzdem versucht, sehr Wesentliches, was zum Humanum unserer Gesellschaft beiträgt, in dem neuen Gesetz zu erhalten.
Damit haben wir, denke ich, keinen Sonderweg beschritten, sondern haben uns innerhalb der Europäischen Union durchaus dem allgemeinen Standard genähert, ohne das, was in Deutschland als Kulturgut besonders wertvoll ist, hintanzustellen bzw. aufzugeben.
Damit möchte ich meine Einführungsworte beenden. Ich hoffe, dass Sie diesen Gesetzentwurf wohlwollend aufnehmen und behandeln werden. Die Landesregierung steht für weitere Diskussionen und Besprechungen zu all den von Ihnen gesetzten Terminen bereit. Ich freue mich auf diese gemeinsame Diskussion und bitte um Verständnis, Frau Budde, dass ich auch diesen Gesetzentwurf sehr emotionsfrei eingebracht habe.
Für Emotionen können wir uns dann vielleicht in den Anhörungen in den Ausschüssen etwas Zeit lassen. Das ist möglicherweise die Domestizierung innerhalb der Landesregierung. Bisher ist es mir noch nicht gelungen, über ein Gefühl irgendeine Haushaltsposition beim Kollegen Bullerjahn einzustellen.
Demzufolge bitte ich diese Rationalität einfach zu akzeptieren. Man ist so, wie man ist. Ich freue mich trotzdem auf die unterschiedlichen Artikulationen, die wir in den Ausschüssen dann gemeinsam hören werden.
Herr Minister, Sie haben zugesagt, Nachfragen zu beantworten. Zuerst Frau von Angern und dann Herr Gallert.
Herr Haseloff, ich habe eine Nachfrage zum Anhörungsverfahren. Können Sie mir den Grund dafür sagen, dass es solch eine begrenzte Zahl von Verbänden war, die vor der Einbringung des Gesetzes angehört worden sind, und dass insbesondere der Landesfrauenrat nicht angehört worden ist?
Wir haben uns mit den Verbänden auseinander gesetzt, die üblicherweise mit diesem Gesetz unmittelbar und mittelbar zu tun haben und die sich in den letzten vier Jahren bei all den Dingen, die wir mit dem alten Gesetz erlebt haben, bei uns gemeldet haben. Der Landesfrauenrat hat es bisher - auch bei allen Abweichungen vom Bundesgesetz - nicht für notwendig erachtet, sich mit uns darüber auseinander zu setzen, wie wir das alte Gesetz gesetzeskonform administrieren. Demzufolge habe ich erkennen müssen, dass es an dieser Stelle kein größeres Bedürfnis gibt.
Herr Haseloff, Sie haben die Möglichkeit der Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge in diesem Zusammenhang schon erwähnt. Sie haben aber gesagt, da seien juristische Voraussetzungen zu erfüllen. Wie stehen Sie zu der Position, dass man die weitgehende Freigabe der Ladenöffnungszeiten - und von Montag bis Sonnabend stehen diese in dem Gesetz - davon abhängig macht, dass alle Beteiligten genau diese juristischen Hürden überwinden und dass, wenn sie das nicht tun, eine entsprechende Freigabe der Ladenöffnungszeiten, wie sie hiermit vorgesehen wird, nicht realisiert wird?
Die Ladenöffnungszeiten und das Tarifrecht bzw. das Stichwort „Allgemeinverbindlichkeit“ haben erst einmal im originären Sinne nichts miteinander zu tun.
Es sind völlig unterschiedliche Dinge, die ihre eigenen rechtlichen Grundlagen haben und die eigene Spielregeln haben. Die Hürden, die ich nannte, sind keine Hürden, die wir aufgebaut haben. Sie wissen genau, an welch einer Stelle eine Landesregierung zum Beispiel in der Lage ist und auch vom Recht her autorisiert ist, eine Allgemeinverbindlichkeit zu erklären.
Ich wollte an dieser Stelle nur sagen - das ist eine Abweichung gegenüber der bisherigen Praxis meines Vorgängers -, dass ich dieses legitime Instrument, das der Gesetzgeber eingeräumt hat, durchaus anzuwenden bereit bin, wenn alle weiteren rechtlichen Notwendigkeiten erfüllt sind. Das soll auch zum Ausdruck zu bringen, dass die Interessenlage der Arbeitnehmerinnen und Ar
Da habe ich jetzt eine Nachfrage. Im Normalfall läuft das Spiel folgendermaßen: Die Arbeitgeber werden die AVE nicht beantragen und dann ist die juristische Voraussetzung dafür nicht erfüllt. Das ist die Situation, die wir jetzt in fast allen Bereichen haben. Wenn wir diese Situation haben und die Ladenöffnungszeiten dann trotzdem so realisieren, wie Sie sie im Gesetz aufgeschrieben haben, haben wir die Erweiterung der Ladenöffnungszeiten ohne entsprechenden Arbeitnehmerschutz. Das würden Sie dann aber auch in Kauf nehmen?
Ich habe ja gesagt, dass das erst einmal zwei voneinander unabhängige Dinge sind, die zusammengeführt werden können. Die Öffnung der Landesregierung, sich dieser Gesamtprozedur zu stellen, zeigt ganz klar, dass wir dieses Thema nicht außen vor lassen, sondern dass wir es in unser gesamtes Handlungskalkül einbeziehen.
Andererseits habe ich durchaus von Arbeitgebern in Sachsen-Anhalt schon andere Signale bekommen. Es ist nicht so, dass die Arbeitgeberseite zum Buhmann erklärt werden kann und schlicht und einfach immer den Arbeitnehmerinteressen konträr gegenübersteht. Vielmehr ist hierbei ein einvernehmliches Agieren notwendig. Ich weiß auch gerade aus dieser konkreten Branche, dass Einvernehmlichkeit die Basis für hohe Motivation ist und dass man dort nicht im Alleingang administrieren bzw. weisen kann, sondern dass man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitnehmen muss. Deswegen halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass wir diesen Weg gehen.
Unabhängig davon haben auch die Beschäftigten die Möglichkeit, einmal über ihren Organisationsgrad nachzudenken. Wenn dieser bisher so niedrig ist, dann liegt das daran, dass man sich momentan noch nicht darüber im Klaren war, ob es gegebenenfalls über die Möglichkeiten der Tarifautonomie, die ein hohes Gut in unserer Gesellschaft darstellt, etwas bringt. Diesen Nachweis, dass dieses hohe Gut auch im Jahr 2006 und folgende einen Effekt für unsere Beschäftigten bringen kann, sollten wir vielleicht einmal gemeinsam versuchen anzugehen.
Ich wollte nicht, dass das von meiner Redezeit verloren geht; denn fünf Minuten sind ziemlich knapp.
Herr Haseloff, wissen Sie eigentlich, dass das nicht davon abhängt, wie viele Beschäftigte wir als Gewerkschaft organisiert haben, sondern dass das davon abhängt, wie viele Arbeitnehmer durch den Arbeitgeberverband erfasst werden? Das ist entscheidend. Das müssen gegenwärtig mehr als 50 % sein. Ich wollte das nur richtig stellen.
Aber Sie wissen, die Zahlen korrespondieren immer miteinander. Das heißt, der Organisationsgrad der Gewerkschaften korrespondiert immer mit der Arbeitgebergeschichte.
Wenn beide Seiten in diesem System keinen Sinn mehr sehen, dann organisieren sie sich nicht. Wir sollten beide dafür kämpfen, dass die Attraktivität der Mitwirkung in einem Arbeitgeberverband und die Attraktivität der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft steigt. Das heißt, wir sollten vielleicht einmal die richtigen Themen belegen.
Danke sehr, Herr Minister. - Wir treten nun in eine Fünfminutendebatte ein. Zuvor begrüßen wir Damen und Herren vom Verein „Reso-Witt“, Wittenberg, sowie Damen und Herren der Arbeitwohlfahrt Großörner. Seien Sie recht herzlich willkommen!
Sie erleben jetzt eine interessante Debatte über die Ladenöffnungszeiten. Als erster Debattenredner spricht Herr Professor Dr. Paqué für die FDP-Fraktion. Bitte sehr.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion begrüßt die Vorlage des Entwurfes eines Gesetzes zur Regelung der Ladenöffnung im Land Sachsen-Anhalt. Insbesondere begrüßt die FDPFraktion den § 1 Satz 3. Darin ist zu lesen:
Das heißt, grundsätzlich dürfen die Läden von 0 Uhr bis 24 Uhr geöffnet sein. Es gibt keine zeitlichen Begrenzungen mehr.
Meine Damen und Herren! Das ist aus der Sicht der FDP ein richtiger Schritt in Richtung Entbürokratisierung. Endlich haben wir eine Diskussion beendet, die jahrzehntelang gedauert hat und in der immer wieder, gerade von den Liberalen, gefordert wurde, dass den Veränderungen in der Welt Rechnung getragen wird. Wir haben im Vergleich zu früheren Zeiten heute eine deutlich erhöhte Erwerbsbeteiligung der Frauen. Wir haben flexiblere Arbeitszeiten.
Wir sind in vielerlei Hinsicht am Ende dessen, was man den „Werkstorkapitalismus“ nennen könnte, in dem viele unter gleichen Bedingungen gearbeitet haben und in dem unter diesen Voraussetzungen möglicherweise noch eine Beschränkung der Öffnungszeiten zu begründen war.
Die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten setzt auch ein klares Signal nach außen, meine Damen und Herren. Es war auffallend bei ausländischen Korrespondenten, die längere Zeit in Deutschland verbracht haben: Sie haben sich immer darüber gewundert, dass man hier nicht zu flexibleren Zeiten einkaufen kann. Sie haben sich über die Schlangen abends an den Tankstellen ge
wundert. Sie haben sich aus gutem Grund gewundert. Es ist auch nach außen ein gutes Signal, dass Deutschland in die Richtung liberaler Bedingungen geht.
(Herr Tögel, SPD: Das war früher! Das mit den Schlangen war mit den Bananen! - Weitere Zuru- fe von der SPD und von der Linkspartei.PDS)
- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich meine Argumente in aller Gelassenheit ausführen, wie wir das auch umgekehrt gern tun werden.