Protocol of the Session on March 19, 2010

„Wenn Rot-Grün Krieg führt, wenn der sozialdemokratische Innenminister sagt, das Boot sei voll, dann kritisieren wir das ebenso wie die

Kampagne eines Roland Koch gegen Ausländerinnen oder die Verstrickung der konservativen Parteien in den Militarismus der BRD.“

Dieses Zitat ist für van Hüllen ein Beleg dafür, dass es sich um eine verfassungsfeindliche linksextremistische Organisation handelt. Wer in diesem Land also Auslandseinsätze kritisiert, wer in diesem Land rigide Asylpolitik kritisiert, ist nach der Meinung von van Hüllen ein Verfassungsfeind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer schützt uns vor diesen Verfassungsschützern?

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Frau Budde, SPD, und von Frau Grimm-Benne, SPD - Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Ja, manchmal bekommt man schon den Eindruck, dass das Grundgesetz in dieser Bundesrepublik Deutschland in Gefahr gerät. Aber meist nicht durch diejenigen, die hier als politische Ränder definiert werden, sondern manchmal möglicherweise auch durch diejenigen, die diese Definition vornehmen.

Wir haben es bei diesen drei Wissenschaftlern, die dazu eingeladen worden sind, mit den expliziten Vertretern eines hart umstrittenen und im Grundsatz auch in der politischen Debatte angegriffenen politischen Ansatzes zu tun. Man muss wissen, dass der Doktorvater des Dr. Lang Professor Jesse ist und dass der Kollege Lang wiederum der Doktorvater des Dr. Baron ist.

(Heiterkeit)

Wir haben hierbei also im Wesentlichen dreimal Jesse.

(Herr Gürth, CDU: Das ist eigentlich ein Histori- ker! - Zurufe von Herrn Tullner, CDU, und von Herrn Borgwardt, CDU)

Politischer Extremismus wird, wie das Zitat des Herrn van Hüllen deutlich vor Augen führt, mitnichten durch eine politische Differenz gegenüber dem Grundgesetz definiert; vielmehr wird politischer Extremismus als eine Position definiert, die jenseits eines selbst definierten politischen Korridors liegt, die diejenigen ausschließt, die links oder rechts daneben stehen. Nur, diese Definition des politischen Korridors hat mit dem Grundgesetz herzlich wenig zu tun. Das ist das Problem des Extremismusansatzes, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kosmehl, Sie selbst haben das Beispiel genannt. Dieser Extremismusansatz ist mit der Marketierung Extremist völlig beliebig. Der Kollege Gabriel hat es vorgeführt. Er hat in diesem Kontext wirklich einen schönen Satz gesagt. Er hat im nordrhein-westfälischen Wahlkampf gesagt:

„Es gibt zwei extremistische Parteien, die ihre Programme hier darstellen: DIE LINKE und die FDP.“

Wissen Sie, er hat genauso wenig Recht wie der Kollege Jesse, der hier dargestellt wurde. Das ist das Problem des Extremismusansatzes.

(Herr Stahlknecht, CDU: Meine Güte! - Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Deswegen ist er nämlich so extrem kritisiert worden und deswegen ist er nämlich so extrem umstritten. Das ist das Problem, das diese Tagung inhaltlich hat. Des

wegen ist diese Tagung das Problem und nicht das Verhalten des Kollegen Erben.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Frau Fischer, SPD)

Sehen wir uns einmal den Kollege Jesse an, der sozusagen den politischen Korridor definiert, bei dem jeder außerhalb dieses Korridors zum Extremisten wird.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Heribert Prantl, der Leiter der Politikabteilung der „Süddeutschen Zeitung“,

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

- nein; jetzt lassen Sie mich einmal ausreden, Herr Gürth; das haben wir bei Ihnen auch gemacht -

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

hat gesagt: Bei der Beurteilung des Rechtsextremismus ist Professor Jesse jemand, den man als Bock zum Gärtner gemacht hat. Ich sage Ihnen einmal kurz, wie der Kollege Prantl das begründet. Er sagt: Es gibt eine Reihe von Aussagen aus der politischen Schule des Professors Jesse, die von ihm unter anderem im Jahr 1990 in dem Sammelband „Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalismus“ veröffentlich worden sind. Diesen Sammelband hat er gemeinsam mit Backes und Zitelmann herausgegeben.

Darin wenden sich diese drei beispielsweise ausdrücklich gegen die - wörtlich - besondere Gettoisierung und Stigmatisierung von Rechtsextremisten in der Bundesrepublik. Das ist für sie ein politisches Problem. Weiter heißt es, man dürfe sich nicht den Blick für die in mancher Hinsicht durchaus progressive NS-Sozialpolitik verstellen lassen, und jüdische Organisationen brauchten in der Bundesrepublik Deutschland den Antisemitismus in einer gewissen Größenordnung, um für ihr Anliegen Gehör zu finden.

An anderer Stelle schreibt er über Heinz Galinski, den ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der - -

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

- Na ja, manchmal weiß man es nicht so genau.

Er schreibt jedenfalls, dass man sich über wachsende Judenfeindlichkeit angesichts des Verhaltens einiger Vertreter jüdischer Organisationen nicht wundern müsse.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der Kollege Jesse ist ein veritabler Vertreter des smarten Rechtspopulismus in dieser Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Gürth, CDU: Frech- heit!)

Er ist nicht in der Lage, Rechtsextremismus als Gefahr zu erkennen. Das ist völlig richtig; zumindest für ihn persönlich dürfte er wirklich keine Gefahr sein.

(Herr Schwenke, CDU: Unglaublich! - Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Es stellt sich die Frage, ob solche Positionen bei einer Tagung der Landeszentrale für politische Bildung und der Gedenkstättenstiftung vertreten sein können.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Dazu sage ich ausdrücklich: Ja, das können sie; denn im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sind Mei

nungsfreiheit und Freiheit der Wissenschaft verankert. Natürlich dürfen sie das; natürlich müssen sie auch dort ihre Position darlegen können.

Aber eines - das ist das zentrale Problem dieser Tagung - ist substanziell verletzt worden. Es gibt Grundregeln der demokratischen politischen Bildung. Diese sind im so genannten Beutelsbacher Minimalkonsens Anfang der 70er-Jahre in der Bundesrepublik Deutschland aufgeschrieben worden. Was unterscheidet demokratische politische Bildung von Indoktrination, so wie sie in der DDR gehandhabt worden ist?

Eine der zentralen Regeln ist das Kontroversitätsgebot. Alle die, die sich mit politischer Bildung, die sich mit dem entsprechenden Feld auskennen, wissen: Das, was Jesse hierbei macht, ist in der politischen Bildung, ist in der Politikwissenschaft hart umstritten. Aber es gibt nichts, nicht die geringste Andeutung, dass diese Kontroverse für diese Tagung eine Rolle gespielt hat; denn nicht ein einziger Kritiker dieses Ansatzes soll zu Wort kommen.

(Beifall bei der LINKE)

Damit ist eine der wichtigsten Grundlagen demokratischer politischer Bildung, die sich von Indoktrination unterscheidet, massiv verletzt worden. Ich will dazu den bekannten Politikdidaktiker Siegfried Schiele aus dem Jahr 1996 wie folgt zitieren - er hat das nicht für diese Tagung geschrieben; das ist schon etwas länger her -:

„Jede Unterrichtsstunde und jede Tagung, sofern sie von politischer Bildung im öffentlichen Auftrag veranstaltet werden, müssen den Geist kontroverser Positionen zum Ausdruck bringen. Es geht ja nicht um den Transport von Gesinnungen, sondern um politische Bildung, und von politischer Bildung kann man nur reden, wenn die Grundsätze von Beutelsbach Berücksichtigung finden.“

Hierbei sind sie gröblichst missachtet worden. Deswegen handelt es sich hierbei nicht um politische Bildung, sondern um den Transport von Gesinnung, so wie es der Kollege Schiele hierin schreibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage ganz deutlich: Als Friedrich-Naumann-Stiftung kann man das machen.

(Herr Gürth, CDU: Jetzt lassen Sie aber die Ho- sen runter!)

Es geht aber nicht, dass parteipolitisch neutrale Instanzen, die sich im Wesentlichen aus öffentlichen Mitteln finanzieren, wie die Landeszentrale für politische Bildung und die Gedenkstättenstiftung, genau das transportieren. Das geht nicht. Das verstößt gegen ihre Grundsätze.

Deswegen war das Verhalten des Kollegen Erben absolut richtig im Interesse einer demokratischen politischen Bildung.

(Beifall bei der LINKEN - Unruhe bei der FDP - Herr Tullner, CDU: Heute lassen Sie aber die Hosen fallen, Herr Gallert!)