Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Minister hat das heute, aber auch in der Pressekonferenz zu den Zahlen der politisch motivierten Kriminalität in SachsenAnhalt deutlich dargestellt. Das beschäftigt uns ungemein, gerade eben auch wegen der Frage der Gewalttaten und der Zusammenstöße zwischen den Gruppen von links und von rechts.
Deshalb lässt sich aus der Sicht der FDP-Fraktion durchaus die Zwischenbilanz ziehen, dass die Polizei konsequent gegen politisch motivierte Kriminalität vorgeht
Entwarnung gibt es mit Blick auf die Ergebnisse bei den Kommunalwahlen nicht. So sitzt die NPD bzw. die DVU mit mittlerweile insgesamt 31 Vertretern in Kommunalparlamenten.
An dieser Stelle mache ich einen kleinen Schlenker: Auch die linksextremistische MLPD sitzt in einem Kommunalparlament. Extremisten wollen also auch in unsere basisdemokratischen Gremien vordringen. Auch diesbezüglich müssen wir wachsam sein, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich noch zwei Aspekte kurz ansprechen, zum einen das Aussteigerprogramm. Das ist wirklich etwas, das mich umtreibt. Ich habe dazu im letzten Jahr eine Kleine Anfrage gestellt, deren Beantwortung wenig befriedigend ist; denn ich glaube, dass wir, wenn wir aktiver auf die Mitglieder dieser Szene einwirken könnten, mehr junge Menschen zum Ausstieg aus den rechts- oder linksextremen Strukturen bewegen könnten. Wir müssen unser Augenmerk nur stärker darauf richten. Deshalb ist es vielleicht doch ratsam, in den nächsten zwei Jahren den Fokus stärker darauf zu richten, unser Landesprogramm zum Rechtsextremismus auszuweiten.
Eine letzte Bemerkung, Herr Minister, kann ich mir an dieser Stelle nicht verkneifen. Sie haben auf der Seite 40 der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage etwas zum NPD-Verbotsverfahren ausgeführt. Sie haben dargestellt: „Bei Einhaltung der vom Bundesverfassungsgericht definierten Rahmenbedingungen liegen aus der Sicht der Landesregierung die Voraussetzungen für ein Verbot der NPD vor.“
Herr Minister, ich sage Ihnen an dieser Stelle: Nein, diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Sie selbst wissen das ganz genau. Sie haben gemeinsam mit den Innenministern und Innensenatoren der SPD ein Papier herausgegeben, das zu dem Schluss gekommen ist: Erst müssen alle Quellen abgeschaltet werden, dann muss man zwei Jahren warten, neu sammeln und bewerten und erst dann kann man einen Antrag stellen. Das heißt, jetzt liegen die Rahmenbedingungen für ein NPD-Verbotsverfahren nicht vor, in Sachsen-Anhalt nicht und in Deutschland nicht.
Wir sollten den Menschen auch nicht vorgaukeln, dass so etwas möglich ist, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Vielen Dank, Herr Kosmehl, für Ihren Beitrag. - Wir kommen dann zu dem Beitrag der SPD. Der Abgeordnete Herr Rothe hat das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die umfangreiche Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE zeigt, wie vielfältig die Aktivitäten zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt sind. Das Engagement reicht von den Mitgliedern der Landesregierung über die Behörden und Dienststellen bis hin zum ehrenamtlichen Engagement in der Bürgerschaft. Ich denke, all diese Bemühungen verdienen Dank und Anerkennung.
Sie sind auch fruchtbar. Das hat der Kollege Kosmehl vorhin auch ganz offen gesagt. Die Schwerpunkte sind erkannt; die Schwerpunkte werden bearbeitet.
Herr Stahlknecht, ich denke, insgesamt spiegelt sich gerade auch in der Entwicklung der Kriminalitätsstatistik, die durchaus hoffnungsfrohe Ansätze aufweist, der Erfolg dieser nun schon über mehrere Jahre reichenden Schwerpunktsetzung seitens der Landesregierung wider.
In der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE wird deutlich, dass die DVU, die vielen Kolleginnen und Kollegen aus der dritten Legislaturperiode noch in unguter Erinnerung ist, in Sachsen-Anhalt an Bedeutung verloren hat. Hauptbedrohung nach Mitgliederzahl und Programmatik ist die NPD.
Zur Mitgliederzahl möchte ich etwas anmerken, Herr Stahlknecht. Sicher ist das eine Größenordnung, die nicht dramatisch erscheint. Ich gebe aber zu bedenken, dass die NSDAP in den 20er-Jahren auch eine recht
kleine Mitgliederzahl hatte und erst in der Weltwirtschaftskrise zur Massenbewegung wurde. Das darin steckende Potenzial sollte man also nicht allein an der Mitgliederzahl festmachen.
Die NPD hat in den vergangenen Jahren auch räumlich Stützpunkte geschaffen, beispielsweise mit der Einrichtung einer Bundesgeschäftsstelle der Jungen Nationaldemokraten in Bernburg. Während die DVU im Grenzbereich zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus agiert, sind an der Verankerung der NPD im verfassungsfeindlichen Rechtsextremismus keine Zweifel möglich. Die Funktionäre der NPD vertreten aktiv die nationalsozialistische Ideologie der Volksgemeinschaft.
Nach Auffassung der SPD-Fraktion ist ein erneuter Anlauf zum Verbot der NPD durch das Bundesverfassungsgericht erforderlich. Es freut mich, dass die Landesregierung - an der Spitze Ministerpräsident Professor Dr. Böhmer - bei dieser Frage mit einer Stimme spricht. Herr Kosmehl, wenn in der Innenministerkonferenz der Meinungsprozess weiter gediehen sein wird, dann wird man sich sicherlich auch auf ein Verfahren verständigen, das einen Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht sicherstellt.
In der Landtagsdebatte am 18. Juni 2009 habe ich den Fraktionsvorsitzenden der NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern Udo Pastörs zitiert. Er hat beim politischen Aschermittwoch der NPD im Saarland im Februar 2009 von einer „Judenrepublik“ gesprochen und von Türken, die mit ihrer „Samenkanone“ nach Deutschland eingezogen seien. Seine Hetzrede gegen Juden und Türken hielt er vor laufender Fernsehkamera. Warum Pastörs bei solch klarer Beweislage erst im Mai 2010 in Saarbrücken vor Gericht stehen wird, finde ich schwer nachvollziehbar.
Pastörs hat sich durch das laufende Strafverfahren nicht von seiner Judenhetze abhalten lassen. Als der Schweriner Landtag im Januar 2010, einen Tag nach dem Holocaust-Gedenktag, über die NPD-Forderung nach einem Denkmal für die Opfer des Untergangs des Flüchtlingsschiffs „Wilhelm Gustloff“ debattierte, bezeichnete Pastörs Hitlers Kriegsziel von der Vernichtung des jüdischen Bolschewismus in einem Zwischenruf als eine gute Idee.
Meine Damen und Herren! Als Adolf Hitler das Buch „Mein Kampf“ veröffentlichte, haben ihn manche als Spinner abgetan.
Er hatte damals seine weitreichenden Ziele schon recht deutlich zum Ausdruck gebracht. Heute wie damals gibt es die Neigung, Extremisten aller Art als Einzelgänger zu verharmlosen. Letztlich können sich aber auch solche Ideen, wie sie in dem Buch „Mein Kampf“ zu finden sind, durchsetzen.
Wie sehr Hitler es verstand, auch bei den Eliten Gefolgschaft zu finden, ist mir beim Jurastudium deutlich geworden. Männer wie Ernst Forsthoff, Ernst Rudolf Huber, Karl Larenz und Carl Schmitt waren zugleich fachlich herausragende Juristen und Anhänger Hitlers. Dies tat übrigens ihrem Nachruhm an westdeutschen Juristenfakultäten wenig Abbruch.
Der Zugang zu dem uns Studenten empfohlenen Werk von Karl Larenz zum Schuldrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch war mir erschwert, als ich seine Schrift „Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens“ gelesen hatte.
Bei Ernst Forsthoff, der als Verwaltungsrechtler die Wissenschaft unter anderem um den Begriff der Daseinsvorsorge der Kommunen bereichert hat, musste ich in seinem Buch „Der totale Staat“ aus dem Jahr 1933 lesen:
„Erst wenn der Jude jeden Versuch einer Beteiligung an dem geistigen und politischen Dasein des deutschen Volkes aufgeben und sich ganz auf sein Judentum zurückziehen würde (wobei die Frage ist, ob er das wirklich in Zukunft will und vermag), erst dann würde der Jude zum bloß Artfremden werden und aufhören, der Feind zu sein.“
Hitler hatte also viele gebildete Leute als Anhänger gewonnen. Das Unrecht wurde formal in Recht gegossen. Auch die Nürnberger Rassengesetze fanden ihren juristisch versierten Kommentator.
Die Zuständigkeit für Verfolgungsmaßnahmen lag nicht allein beim Reichssicherheitshauptamt in Berlin. Vielerorts in Deutschland herrschte vielmehr ideologische Verblendung, herrschte bürokratische Verantwortungslosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern.
In der badischen Kleinstadt Walldorf, in der ich mein Abitur abgelegt habe, fasste der Gemeinderat im Jahr 1937 den Beschluss, grundsätzlich keine Juden mehr nach Walldorf zuziehen zu lassen. Der Heidelberger Kreisleiter der NSDAP unterstützte diesen Beschluss mit einem Schreiben vom 23. September 1937, in dem es heißt:
„Die Maßnahmen des neuen Reiches und insbesondere der Parteistellen gehen darauf hinaus, die Juden in Deutschland wirtschaftlich genau wie in jeder anderen Beziehung auszurotten.“
Nach der Pogromnacht am 9. November 1938 wurde wohlhabenden Juden in Walldorf die Beseitigung von Schäden auch an den Wohnungen ihrer weniger begüterten Mitbürger ortspolizeilich auferlegt.
Als im Mai 1941 die Kommandantur des Konzentrationslagers Weimar-Buchenwald einige Gegenstände aus dem Nachlass des Eduard Salomon mit der Bitte um Aushändigung an seine Frau Blanka übersandte, blieb dem Walldorfer Bürgermeister nur, die Überweisung dieser Hinterlassenschaft an die NS-Volkswohlfahrt zu verfügen, da die Ehefrau des Salomon bereits im Jahr 1940 - ich zitiere – „außerhalb des Reiches evakuiert worden“ sei.
Meine Damen und Herren! Adolf Hitler war am 30. Januar 1933 auf demokratischem Wege an die Macht gelangt. Es handelte sich nicht um die Machtergreifung, wie es die Nationalsozialisten später ausdrückten. Vielmehr wurde ihm das Amt des Reichskanzlers vom Reichspräsidenten anvertraut, der seinerseits von interessierten Kreisen beraten wurde.
Erst danach hat Hitler seine Diktatur errichtet, womit allerdings seit seinem Putschversuch vom November 1923 zu rechnen war. Dass Hitler die ganze Macht erlangen und festigen konnte, sehe ich im Zusammenhang mit der im vergangenen Jahrhundert in Deutschland mehr als anderswo verbreiteten Neigung zum Autorita
rismus, einer latenten Bereitschaft, sich autoritärer Führung zu unterwerfen bzw. demjenigen, der den größten Willen zur Macht an den Tag legt.
Meine Sorge ist, dass wir die Gefahr einer Wiedergeburt von Nationalismus, Rassismus und Autoritätsgläubigkeit unter demokratischen Vorzeichen unterschätzen.
Mit der von außen erzwungenen Befreiung von der Diktatur der Nationalsozialisten sehe ich das Risiko nicht bewältigt, dass sich die Untugenden, die sich seit dem wilhelminischen Kaiserreich entwickelt haben, erneut durchsetzen könnten. So wichtig es ist, dass wir uns mit den subkulturellen Erscheinungsformen des Nationalsozialismus bzw. des Rechtsextremismus heute auseinandersetzen, so sehr halte ich es für wichtig, dass in der Mitte der Gesellschaft Demokratie und Pluralismus verankert bleiben, dass nicht dort die Bereitschaft wächst, autoritäre Herrschaftsformen hinzunehmen.