Protocol of the Session on March 18, 2010

Zur Verharmlosung all dessen, was damals an Untaten und Verbrechen in deutschem Namen geschah, und der sich daraus ergebenden Folgen darf auch aus der geschichtlichen Distanz kein Anlass gegeben werden.

Trotzdem kommt eine solche Verharmlosung aus naheliegenden Gründen aus der rechtsextremistischen Szene, ungeachtet des historisch Geschehenen. Doch wir Deutsche haben eine besondere Verantwortung, Verantwortung dafür, dass keine kahlgeschorenen Gewalttäter ihren hilflosen Opfern nachjagen, dass rechtsextremistische Parteien keinen Nährboden für ihre inhumanen Ideologien finden. Wir haben auch Verantwortung dafür, dass Krisenbewältigung nicht mit antidemokratischen Mitteln und Methoden betrieben wird.

Aus diesem Grunde bin ich Ihnen von der Fraktion der LINKEN sehr dankbar für die Debatte zu der vorliegenden Anfrage.

Die Entwicklung des Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt sowie Handlungsstrategien und Gegenmaßnahmen der Landesregierung sind wichtige Themen, die wir immer im Auge behalten müssen. Durch die Große Anfrage und deren Beantwortung durch die Landesregierung ist ein breiter Überblick über das Spektrum rechtsextremistischer Strukturen, die Verbreitung des Rechtsextremismus in der Bevölkerung und die Aufteilung nach Geschlecht, Alter und vielem anderen mehr - Sie haben es gelesen - vorgenommen worden. Handlungsstrategien und Gegenmaßnahmen der Regierung sind anschaulich dargelegt worden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aufklärung über und Erinnerung an das Geschehene schon im frühen Schulunterricht sind die Handlungsstrategien, um zu verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt. Jeder muss verinnerlichen, dass die Nationalsozialisten damals Träume von 65 Millionen Deutschen betrieben, während sie in Wahrheit den Alptraum vorbereiteten.

Die deutsche Geschichte muss im Bewusstsein der Menschen einen Intensitätsgrad erreichen, der sich im eigentlichsten, privatesten Leben der einzelnen Bürger unseres Landes festsetzt. Der Umgang mit unserer Geschichte muss, wie di Fabio es formuliert, die Erkenntnis bringen, dass wer Freiheit will, auch die sie tragende Kultur wollen muss und nicht unter Berufung auf Freiheit eine kulturelle Ordnung zerstören darf, die uns Freiheit erst möglich macht.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jetzt kommt eine etwas andere Sichtweise des Herangehens, als Sie es vielleicht haben, obwohl wir im Ergebnis einer Meinung sind. Die von mir dargestellten Erkenntnisse erreicht man jedoch nicht, wenn man zur Bekämpfung von Rechtsextremismus zum Mittel der Überzeichnung greift und glauben machen will, Sachsen-Anhalt sei bereits rechtsradikal unterwandert.

(Lebhafter Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Sachsen-Anhalt hat mittlerweile bundesweit den schlechten Ruf, dem Rechtsextremismus breiten Raum zu überlassen und ihm einen fruchtbaren Boden zu bieten. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, stimmt so nicht.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Ich möchte mich hierbei auf einige wenige Fakten, die wir unterschiedlich bewerten, stützen.

Bei den Staatsanwaltschaften des Landes sind im Jahr 2009 insgesamt 248 215 Verfahren eingegangen. Davon sind aus dem Bereich rechtsextremistischer fremdenfeindlicher Straftaten im Jahr 2009 2 315 zu verzeichnen. Sicher, 2 315 Straftaten sind 2 315 Straftaten zu viel. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, sie machen am Ende im Verhältnis zur Gesamtzahl der Straftaten in Sachsen-Anhalt einen Anteil von weniger als 1 % aus.

Im Jahr 2009 ist bei den eingeleiteten Js- und UJs-Ermittlungsverfahren mit rechtsextremistischem Hintergrund ein signifikanter Rückgang zu verzeichnen. Im Jahr 2008 waren noch 2 708 Verfahren zu verzeichnen, im Jahr 2009 2 315. Dies entspricht immerhin einer Abnahme um 14,5 %. Ich will es nicht beschönigen - es muss am Ende eine völlige Beseitigung dieser Straftaten möglich sein -, aber es ist ein Rückgang in unserem Bundesland Sachsen-Anhalt.

Mehr als 73 % der Ermittlungsverfahren betrafen das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen oder das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Etwa 11 %, nämlich 259 von 2 315 Verfahren, hatten Volksverhetzung und Gewaltdarstellungen zum Inhalt. Zirka 7 % beinhalteten Körperverletzungsdelikte aller Art. 84 Taten richteten sich gegen Ausländer - schlimm genug.

Die Anzahl der Beschuldigten hat sich verringert. Im Jahr 2008 waren es 2 167, im Jahr 2009 1 966 und damit auch hier eine Abnahme um immerhin 9,3 %.

Auch bei den rechtsextremistischen Parteien sind die Mitgliederzahlen - der Minister hat darauf hingewiesen - Gott sei Dank stagnierend bzw. rückläufig. Die NPD hat in ihrer Partei ungefähr 230 Mitglieder, die DVU 30. 260 Mitglieder in NPD und DVU, die nicht vereint sind, bei mehr als zwei Millionen Einwohnern, das zeigt, dass der größte Teil der Bevölkerung Sachsen-Anhalts gegen diese Parteien und dieses Gedankengut resistent ist.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD und bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz des signifikanten Rückgangs, des geringen Gesamtanteils an Strafverfahren und der geringen Mitgliederzahlen wird durch die Fragestellenden - gut gemeint - zumindest der Eindruck erweckt, Bevölkerungsgruppen zu unterstellen, rechte Tendenzen zu haben. Dieser Verdacht richtet sich mittlerweile gegen Jugendliche, Schüler, die Musikszene, den Sport, Gefängnisinsassen und auch gegen die Bundeswehr. Überall im Land und egal in welcher Konstellation, mit welchem Vorhaben auch immer wird inzwischen jeder unter den Verdacht gestellt, rechts sein zu können.

Durch das erweckte Gefühl, selbst unter dem Verdacht zu stehen, auf dem rechten Auge blind oder sogar rechtsextrem zu sein oder ohnmächtig einer schon erfolgten neuen Rechtsradikalisierung gegenüberzustehen, verlie

ren die Bürgerinnen und Bürger die Orientierungsmarke für die eigene Beurteilung. Sie wenden sich ab und lehnen die Auseinandersetzung und die Akzeptanz der Intensität der eigenen deutschen Geschichte aufgrund dieser Gefahr einer Überzeichnung ab. Das macht, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Auseinandersetzung mit dem Extremismus nicht unmöglich, erschwert sie aber.

Anstelle von Überzeichnung muss daher die dauernde Erinnerung das immerwährende Gebot sein. Es ist die verabredete Ewigkeitsgarantie einer humanen, demokratischen Gesellschaft. Es ist die Unerlässlichkeit von Bildung, von historischem Wissen, des gedeihlichen Umgangs miteinander und eines Lebens in einem freien Land ohne Diktatur.

Wenn allerdings in der heutigen Gesellschaft die Werte wie Moral, Nächstenliebe und Anstand als auch die Achtung vor Menschen und dem, was sie erreicht und geschaffen haben, sowie der Respekt vor den Werten des Grundgesetzes an Bedeutung verlieren oder keine Bedeutung mehr haben und weder von zu Hause noch von anderer Stelle vermittelt werden, ist der Weg für den Beginn von Extremismus in den Anfängen wieder geebnet.

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben deshalb die Verantwortung, den Menschen zu verstehen zu geben, dass es ein immer währender Irrglaube ist, wenn man glaubt, Krisenbewältigung mit antidemokratischen und antiparlamentarischen Mitteln und Methoden zu betreiben. Dieser Irrglaube, meine sehr verehrten Damen und Herren, beschränkt sich bekanntlich keineswegs auf die rechtsextreme Ecke des politischen Spektrums. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD und von der Regierungsbank)

Vielen Dank dem Abgeordneten Herrn Stahlknecht für seinen Beitrag. - Wir kommen dann zum Debattenbeitrag der FDP. Der Abgeordnete Herr Kosmehl hat das Wort. Bitte schön.

(Herr Kolze, CDU: Herr Kosmehl, Sie haben nur zehn Minuten!)

- Die FDP hat eine Redezeit von fünf Minuten.

Sehr geehrter Herr Präsident, ich kenne mein Zeitlimit. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eine kurze Vorbemerkung machen, weil doch etwas Unruhe entstanden war, als ich während der Rede von Frau Tiedge an einer Stelle zunächst als Einziger Beifall bekundet habe.

Ja, Frau Tiedge, Niedersachsen ist ein Vorbild - bei der Frage der Aussteigerprogramme. Ich will das deshalb auch noch einmal aufgreifen, weil in der Diskussion häufiger der Eindruck erweckt wird, die CDU und die FDP würden sich um den Rechtsextremismus und die Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht kümmern. Deshalb will ich das an dieser Stelle klar zurückweisen und will natürlich auch sagen, dass es gerade die CDU und die FDP in Niedersachsen waren, die dieses Aussteigerprogramm mit Mitteln ausgestattet und es entsprechend gestaltet haben.

Daher, meine sehr geehrten Damen und Herren, finde ich es schade, dass Herr Staatssekretär Erben in einer parallel laufenden Diskussion der CDU in unserem Lande unterstellt hat, sie würde sich nicht gegen den Rechtsextremismus einsetzen.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Extremismusbekämpfung ist ein wichtiges Thema, und es ist wichtig und richtig, dass sich die Landesregierung und der Landtag - ich nenne ausdrücklich beide - mit diesem Thema beschäftigen und in Aktionen nach außen hin klar dokumentieren, dass es aus ihrer Sicht keinen Platz für Extremisten gibt.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Wir machen das gemeinsam im Netzwerk für Demokratie und Toleranz. Wir machen das gemeinsam im Rahmen der Kampagne „Hingucken!“.

Ich will an dieser Stelle deutlich sagen, weil ich zum Thema Rechtsextremismus noch Näheres ausführen will: Für uns Liberale ist es egal, aus welcher Ecke des Extremismus die Gefahr kommt. Extremismus ist für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung eine Gefahr, und dieser Gefahr stellen wir uns entgegen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es ist egal, ob es Rechtsextremismus, Linksextremismus, Ausländerextremismus ist und ob er politisch oder religiös motiviert ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Rechtsextremismus und die Bekämpfung des Rechtsextremismus nehmen in Sachsen-Anhalt die größte Aufmerksamkeit und den höchsten Stellenwert ein, weil er in Zahlen gerechnet die größte aktuelle Gefahr darstellt. Das bedeutet, dass wir diesem Bereich besondere Aufmerksamkeit widmen müssen, dass wir besonders agieren müssen.

Aber es heißt eben auch, dass wir uns in den anderen Bereichen nicht zurückdrängen lassen dürfen; denn wenn man einmal weggeguckt hat, kann man durchaus einige neuere Entwicklungen verschlafen.

Wir alle wissen aus der Diskussion über die Polizei und deren Finanzausstattung: Wir haben nicht genügend Personal, um alles gleich stark zu beobachten. Es müssen Schwerpunkte gesetzt werden. Aber es dürfen keine Bereiche vergessen werden.

Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Ich habe nicht den Eindruck, dass hierbei etwas vergessen wird; vielmehr setzen wir die Schwerpunkte richtig.

(Zustimmung von Herrn Rothe, SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich auf drei Punkte kurz etwas näher eingehen.

Zum einen möchte ich die Frage der Bundesprogramme erwähnen. Auch Frau Tiedge ist darauf eingegangen. - Sehr geehrte Frau Tiedge, lassen Sie uns auch aus diesem Hohen Hause heraus gemeinsam dafür kämpfen, dass wir genügend Mittel für Bundesprogramme haben, die sich gegen den Extremismus wenden.

Ich will an dieser Stelle für die Diskussion eines klar machen: Derzeit ist keine Kürzung der Mittel für Bundesprogramme gegen den Rechtsextremismus geplant. Aber

es ist eine Neuausrichtung angedacht, weil ab 2011 - bis 2010 laufen die derzeitigen Bundesprogramme noch - die Ausrichtung der Bundesprogramme auf alle Bereiche des Extremismus erweitert werden soll. Dabei ist zum Beispiel vorgesehen, den Ansatz im Haushalt des Bundesjustizministeriums von derzeit 300 000 € auf 1 Million € zu erhöhen, unter Beibehaltung des Mittelansatzes im Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung will etwa 2 Millionen € für Pilotprojekte gegen Linksextremismus und den Islamismus ausgeben, und zwar aus Mitteln, die im Jahr 2009 im Bereich Rechtsextremismus nicht ausgegeben worden sind und deshalb auf dieses Haushaltsjahr übertragen werden konnten.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Ich halte es für gut, dass man diese Mittel in diesen Bereichen der Extremismusbekämpfung einsetzt.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Herr Scheurell, CDU: Jawohl, das ist richtig!)