Protocol of the Session on March 18, 2010

Meine Damen und Herren! Bevor ich dem Minister des Innern Herrn Hövelmann das Wort erteile, möchte ich Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Wetzendorf auf der Tribüne begrüßen. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es einen Königsweg gibt, um die Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen, dann ist es der, Demokratie tagtäglich mit Leben und Teilhabe zu erfüllen.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Wohl wahr!)

Demokratisches Engagement jedes Einzelnen ist der beste Schutz für unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung, für die - die Aktuelle Debatte hat es eindrucksvoll in Erinnerung gerufen - gerade die Menschen in Ostdeutschland vor 20 Jahren mit großer Ernsthaftigkeit, mit großem Mut und mit großem Erfolg gestritten haben. Alle hier im Haus haben ein gleiches Interesse daran, dass dieser historische Erfolg nicht von Extremisten - ich betone das -, sei es von Rechtsextremisten, von Linksextremisten oder von islamistischen Extremisten, gefährdet wird.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, bin ich für die Aussprache zur Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE zur Entwicklung des Rechtsextremismus in unserem Land ausdrücklich dankbar. Denn die Bedrohung durch den Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt erfordert höchste Aufmerksamkeit von Staat und Gesellschaft. Die Große Anfrage und diese Aussprache tragen dazu bei, den Fokus noch einmal hierauf zu lenken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie die Ihnen vorliegende Antwort auf die Große Anfrage zeigt, geht vom Rechtsextremismus weiterhin eine beängstigende, beunruhigende Gefährdung aus. Ihr muss dauerhaft die Stirn geboten werden, denn sie betrifft uns alle.

Glatze und Springerstiefel entsprechen zwar einem Klischee, das immer noch auf zahlreiche Rechtsextreme passt, aber auf mindestens ebenso viele nicht mehr. Deren Auftreten erfolgt mittlerweile bürgerlich in Anzug und Krawatte, modisch schick oder leger mit Basecap. Sie geben sich familienorientiert, sind kommunalpolitisch aktiv und kümmern sich um die ältere Generation ebenso wie um die jüngere. Dabei zielen sie darauf ab, als nette Nachbarn hilfsbereit und jederzeit ansprechbar zu sein,

um somit möglichst viele Zielgruppen zu erreichen. Rechtsextreme Erscheinungsbilder werden damit immer uneindeutiger.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Potenzial rechtsextremistischer Personen in Sachsen-Anhalt ist im Jahr 2009 gegenüber den Vorjahren nahezu unverändert geblieben. Dabei ist die Mitgliederzahl im Bereich der rechtsextremistischen Parteien erfreulicherweise rückläufig, allerdings zugunsten organisationsschwacher Strukturen. Nahezu unverändert ist die Anzahl der in Sachsen-Anhalt bekannten Neonazis, leicht angewachsen ist die Zahl der als gewaltbereit geltenden Rechtsextremisten.

Die NPD in unserem Land hat sich inzwischen zur wichtigsten rechtsextremistischen Kraft innerhalb SachsenAnhalts entwickelt. Sie wird dieses Spektrum weiter bestimmen und auch in Zukunft die Richtung des Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt vorgeben. Mit einer Mitgliederzahl von ca. 230 ist die Entwicklung des Personenpotenzials im NPD-Landesverband Sachsen-Anhalt im Jahr 2009 im Wesentlichen unverändert geblieben. Im Jahr davor waren es 250 Mitglieder. Der Landesverband strukturiert sich in elf Kreisverbände und hat mehrere so genannte Ortsbereichsgruppen.

Die Nachwuchstrupppe der NPD, die Jungen Nationaldemokraten, unterhalten in Sachsen-Anhalt einen Landesverband sowie mehrere Stützpunkte. Eine Weiterentwicklung der neonazistisch geprägten JN hinsichtlich ihrer Strukturen und ihres Mitgliederbestands ist nicht festzustellen. Mit etwa 50 Mitgliedern stagniert der Bestand bereits seit über drei Jahren.

Die vom NPD-Parteivorstand eingeleitete Öffnung der Partei für andere rechtsextremistische Kreise, insbesondere für Neonazis, wurde zeitversetzt auch im Landesverband Sachsen-Anhalt realisiert. Mit der Wahl von Neonazis in den NPD-Landesvorstand setzte eine bis heute andauernde Nazifizierung der Partei ein. Für diese Entwicklung sind maßgeblich Neonazifunktionäre aus den Reihen der JN verantwortlich.

Die Mehrheit der Mitglieder des Landesvorstandes befürwortet die Ideologie des Nationalsozialismus als „historisches Referenzmodell“. Der offene Kampf der NPD gegen die universelle Geltung der Menschenrechte und die Propagierung einer Ideologie der rassisch begründeten Volksgemeinschaft belegen diese Entwicklung. Auch thematisch ist die Nähe zu den Neonazis feststellbar.

Die JN sind als Jugendorganisation der NPD integraler Bestandteil der NPD und verstehen sich als Bindeglied zwischen den beiden Strömungen mit den Neonazis in den freien Kräften auf der einen Seite und den parteigebundenen auf der anderen Seite.

Meine sehr verehrten Dame und Herren! Neben dem Bemühen um einen Ausbau ihrer Strukturen versuchen die Jungen Nationaldemokraten weiterhin ihr Profil zu schärfen. Neben Aktionismus liegt ihr Augenmerk auf der Intellektualisierung der rechtsextremistischen Szene. Seit 2005 kommt es zu verstärkten Bemühungen, die politische Arbeit theoretisch zu unterlegen und die Bildung der Parteikader und auch der Parteibasis zu verbessern. Hierzu wurde gar eine eigene Schulungs- und Bildungseinheit, der so genannte Nationale Bildungskreis, ins Leben gerufen.

Die NPD steht auch aufgrund ihrer zahlreichen öffentlichen Aktivitäten im Fokus der Ordnungs- und Sicher

heitsbehörden. Vertreter der NPD nahmen beispielsweise an Veranstaltungen und Demonstrationen zum Gedenken an die Opfer der alliierten Bombenangriffe auf Magdeburg am 16. Januar 1945 und an der Demonstration, die am 30. Dezember 2009 in Gardelegen stattfand, teil.

Ebenso beobachtenswert sind die Ziele, die die NPD mit der Beteiligung an Wahlen verfolgt. Neben der für die NPD enttäuschenden Teilnahme an der Bundestagswahl und der Teilnahme an den Kommunalwahlen, bei denen sie allerdings zahlreiche Mandate - Frau Tiedge hat darauf hingewiesen - gewonnen hat, beabsichtigt die NPD auch die Teilnahme an der Landtagswahl im Jahr 2011.

Hier ist es Aufgabe der Politik und der Zivilgesellschaft, eine dauerhafte Etablierung der NPD in den Parlamenten und damit ein weiteres Vordringen des Rechtsextremismus in die Mitte der Gesellschaft zu verhindern. Auch deshalb tritt die Landesregierung für ein Verbot der rechtsextremistischen NPD ein.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahr 2009 stieg die Zahl der in Sachsen-Anhalt durchgeführten rechtsextremistischen Musikveranstaltungen. Während im Jahr 2008 noch 13 rechtsextremistische Konzerte gezählt wurden, waren es im Jahr 2009 schon 16. Die Anzahl der davon polizeilich aufgelösten Veranstaltungen blieb mit drei unverändert.

Rechtsextremistische Musik hat durch ihre identitätsstiftende Funktion eine zentrale Bedeutung für die Szene. Rechtsextremisten nutzen die Musik, um Jugendliche oder junge Erwachsene an ihre Ideologie heranzuführen. Die Protagonisten vermitteln offen oder unterschwellig durch die Liedinhalte und ihre Selbstdarstellung rechtsextremistische Feindbilder und nationalistische, fremdenfeindliche, antisemitische und antidemokratische Ideologien. Neonazistische Kameradschaften und rechtsextremistische Parteien nutzen die Werbewirkung von Musik gezielt, um Sympathisanten sowie szenefremde Jugendliche zu erreichen. Zudem bilden Auftritte rechtsextremistischer Musikgruppen und Liedermacher einen festen Bestandteil zahlreicher von der NPD organisierter Veranstaltungen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Straftatenbereich bilden rechtsmotivierte Straftaten eindeutig den Schwerpunkt bei der Delikterfassung. Im Jahr 2009 gab es 2 184 politisch motivierte Straftaten in Sachsen-Anhalt. Ein Jahr davor waren es noch 2 223. Das ist zwar ein leichter Rückgang, jedoch auf sehr hohem Niveau. 1 584 Straftaten waren rechtsextremistisch motiviert, 336 Straftaten linksextremistisch motiviert, lediglich fünf Fälle waren dem Bereich der politisch motivierten Ausländerkriminalität zuzurechnen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Zahlen verdeutlichen nachdrücklich, dass die politisch motivierte Kriminalität in Sachsen-Anhalt nach wie vor - und dies wesentlich drastischer als im Bundesgebiet - von rechtsextremistisch motivierten Straftaten mit einem Anteil von fast 75 % dominiert wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von den 150 politisch motivierten Gewaltstraftaten im Jahr 2009 waren 83 Gewaltdelikte rechtsextremistisch motiviert, 59 linksextremistisch motiviert, vier Gewaltdelikte der politisch motivierten Ausländerkriminalität zuzurechnen und vier Taten waren nicht zuordenbar. Auch hier liegt der

Anteil rechtsextremistisch motivierter Gewaltdelikte deutlich über dem Anteil anderer Phänomenbereiche. Rechtsextremistisch motivierte Gewalt ist zudem besonders verwerflich, da sie gegen Menschen gerichtet wird, weil sie Ausländer sind, einen Migrationshintergrund, eine andere Religion haben, oder einfach nur deshalb gegen Menschen gerichtet wird, weil sie anders sind.

Dies und die im bundesweiten Vergleich weiterhin auf außergewöhnlich hohem Niveau befindlichen rechtsextremistisch motivierten Gewaltstraftaten unterstreichen nachdrücklich, welche Prioritäten gesetzt werden müssen, welche präventiven bzw. repressiven Bekämpfungsmaßnahmen zu Recht Vorrang haben. Ich möchte in dieser Debatte ausdrücklich betonen, dass die Konzentration auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus in keiner Weise zur Legitimierung linksextremistischer Gegenbewegungen führen darf und bislang auch nicht dazu geführt hat. Gewalt, egal ob von links oder rechts, ist immer zu verurteilen.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung hat in den zurückliegenden Jahren eine Vielzahl von Bekämpfungsmaßnahmen in Sachsen-Anhalt umgesetzt. Die überwiegende Anzahl ist grundsätzlich auf alle Phänomenbereiche der politisch motivierten Kriminalität anwendbar; ich will einige nennen: Maßnahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr, polizeiliche Prävention und Bekämpfungsstrategien, Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, der Ausbau der kommunalen Kriminalprävention, die Kooperation von Polizei, Verfassungsschutz und Justiz bei der Bekämpfung extremistischer Aktivitäten, vertrauensbildende Maßnahmen oder auch Maßnahmen der länderübergreifenden Zusammenarbeit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Netzwerk für Demokratie und Toleranz haben wir in Sachsen-Anhalt eine bessere Bündelung und Verzahnung der zivilgesellschaftlichen Kräfte schaffen können. Es geht darum, gemeinsam den Phänomenen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt entgegenzutreten. Viele Institutionen wie Kirchen, Gewerkschaften, Bürgerbündnisse, freie Träger und öffentliche Einrichtungen sind auf diesem Gebiet aktiv. Im Mittelpunkt der Arbeit des Landesnetzwerks steht die Kampagne „Hingucken und einmischen! - Für ein demokratisches und tolerantes Sachsen-Anhalt“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zahlreiche Vereine, Verbände, Institutionen unserer Zivilgesellschaft engagieren sich auf Landesebene, lokal und regional gegen rechtsextreme Tendenzen. Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für rechtsextremistische Umtriebe konnte erhöht werden, und das gesellschaftliche Engagement ist gestärkt worden.

Die Landesregierung ist überzeugt, mit den aufgezählten Maßnahmen auch einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung von Demokratie, Toleranz und Aufklärung geleistet zu haben. Dies kann jedoch kein Grund sein, in unseren Aktivitäten nachzulassen.

(Zustimmung bei der SPD)

Gerade das verstärkte Werben der Rechtsextremisten unter Jugendlichen und der Versuch, Anschluss an breitere Bevölkerungsschichten zu finden, mahnen uns zur Wachsamkeit. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung kann dauerhaft nicht ohne nachhaltige geistig-poli

tische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen des Extremismus bewahrt werden.

(Beifall bei der FDP)

Wesentlich ist dabei eine fundierte Aufklärung, Beratung und Informationsvermittlung über Art und Umfang extremistischer Bestrebungen. Deshalb ist es so wichtig, die bereits bestehenden Programme öffentlicher Stellen und zivilgesellschaftlicher Einrichtungen fortzuführen und auf Nachhaltigkeit auszurichten. In diesem Sinne wird die Landesregierung die genannten Maßnahmen auch weiterhin unterstützen und fördern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die konsequente Bekämpfung des Rechtsextremismus genießt oberste Priorität bei der Aufgabenerledigung der Landesregierung. Zusammenfassend möchte ich betonen, wie wichtig es ist, dass alle gesellschaftlichen Akteure im Kampf gegen den Rechtsextremismus zusammenstehen und einen engen Zusammenhalt gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit demonstrieren.

Die Bekämpfung rechtsextremistischer Wurzeln bleibt die zentrale Herausforderung für Staat und Gesellschaft und eine unabdingbare Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben. Es ist ein wichtiges Anliegen aller demokratischen Parteien unseres Landes, diesen Kampf mit Engagement zu unterstützen und konstruktiv neue Impulse zu geben. - Ich danke Ihnen.

(Beifall im ganzen Hause)

Vielen Dank, Herr Minister Hövelmann. - Wir kommen zu den Debattenbeiträgen der Fraktionen. Als erstem Redner erteile ich Herrn Stahlknecht das Wort, der für die CDU-Fraktion spricht.

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir sind uns darin einig, dass wir keine Form des Extremismus und des Rechtsextremismus in Deutschland und in Sachsen-Anhalt wiederhaben wollen. Ich möchte mich aber nicht allein auf die vielen Zahlen und Fakten der Großen Anfrage stützen, sondern auch auf das Wachhalten der Erinnerung an die deutsche Geschichte und der durchaus heiklen Frage des besten Weges, diese Erinnerung zum eigenen Erleben der Menschen zu machen.

Wir feiern in diesem Jahr den 20. Jahrestag der freien Volkskammerwahlen. Dieses Ereignis vor 20 Jahren und die vorangegangene friedliche Revolution im Herbst des Jahres 1989, bei der die friedlich errungene Freiheit den Weg zu freien Wahlen ebnete und letztendlich auch die Wiedervereinigung ermöglichte, war der Anfang der endgültigen Überwindung der verhängnisvollen Folgen des Jahres 1933.

Es ist genau 77 Jahre her, seit im Januar 1933 die erste deutsche Republik ihrem unversöhnlichen Gegner ausgeliefert wurde - Adolf Hitler. Über die Einschätzung der Folgen der damaligen unheilvollen Ereignisse kann und darf es auch im Jahr 2010 keine Zweifel geben.

Die Folgen waren die Barbarisierung eines zivilisierten, nämlich unseres Landes, die Entfesselung des zerstörerischsten und verlustreichsten Krieges der modernen

Geschichte, der kalkulierteste und technisierteste Massenmord an Millionen und Abermillionen unschuldiger Menschen. Die Folge war auch die bis 1990 andauernde deutsche Teilung. Die Folge war auch die bis 1989 andauernde kommunistische Diktatur in Ostdeutschland.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Zur Verharmlosung all dessen, was damals an Untaten und Verbrechen in deutschem Namen geschah, und der sich daraus ergebenden Folgen darf auch aus der geschichtlichen Distanz kein Anlass gegeben werden.