Protocol of the Session on March 18, 2010

Menschenwürde und Menschenrechte sind nicht einfach gegeben, sondern sie sind stets gefährdet und bedürfen, sollen sie mehr als leere Versprechungen sein, der dauerhaften Anstrengungen aller Bürgerinnen und Bürger, aber auch der Politik.

Massive Gefahren für Menschenwürde und Menschenrechte gehen heute von rechtsextremen Kräften im Land aus. Sie lehnen diese Grundnormen nicht nur ideologisch ab, sondern handeln auch danach. Die Angriffe der Rechtsextremen höhlen nicht nur das staatliche Schutz- und Sicherheitsversprechen aus und beschädigen damit die Institutionen des Rechtsstaates, sondern sie gelten in erster Linie sozialen Gruppen, die ohnehin eine gesellschaftliche Ausgrenzung erfahren und des besonderen staatlichen Schutzes wie der aktiven Solidarität der Bürgerschaft bedürfen.

Fast täglich werden Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres religiösen Bekenntnisses, ihrer Weltanschauung, ihrer politischen Überzeugung oder ihres schlichten Andersseins oder Anderslebens zu Opfern von Angriffen. So versuchen Rechtsextreme immer unverblümter, Einfluss auf das soziale, kulturelle, sportliche und politische Leben in den Städten und Gemeinden zu erlangen. Das belegt auch die Einleitung einer Broschüre des NPDBundesvorstandes. Hier heißt es - ich zitiere -:

„Tatsache ist, dass wir uns auch in einem uns überwiegend feindlich gegenüberstehenden Umfeld um eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Rahmen unserer Möglichkeiten bemühen müssen.“

In einer entsprechenden Handreichung empfiehlt man den Landes- und Kreisverbänden, sich in ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf die kontinuierliche Kontaktpflege zu Lokaljournalisten zu konzentrieren. Diese seien aufgrund ihres Aufgabenzuschnittes als Vor-Ort-Berichterstatter

geeignet, Ansprechpartner zu sein, um die Politikangebote der NPD lokal zu verankern.

Dass dies nicht unmöglich ist, zeigt die Tatsache, dass es dem NPD-Kreisverband Nordsachsen im August 2008 gelang, eine seiner Presseerklärungen ungekürzt im redaktionellen Teil des Lokalblattes „Torgauer Zeitung“ unterzubringen.

Meine Damen und Herren! Nun haben wir uns im letzten Jahr entschieden, neben den regelmäßig gestellten Kleinen Anfragen eine umfangreiche Große Anfrage zu stellen, um dadurch das gesamte Ausmaß rechtsextremer Bestrebungen in Sachsen-Anhalt aufzuzeigen. Da freut es uns umso mehr, wenn die Landesregierung in ihren Vorbemerkungen davon spricht, dass für sie - ich zitiere - „das Thema der Bekämpfung des Rechtsextremismus einen besonderen Arbeitsschwerpunkt im Bereich der inneren Sicherheit darstellt“. Sie schreibt weiter:

„Der Landesregierung ist bewusst, dass dieser Gefahr für die Demokratie stets und ständig durch alle Akteure in Politik, Medien und Bildungsbereich Einhalt geboten werden muss. Dabei wird der Aufklärung und Information durch die Landesregierung eine herausragende Bedeutung beigemessen.“

Nun ist der Rechtsextremismus kein alleiniges Problem für Sachsen-Anhalt. Das BKA schätzte diesbezüglich ein, dass die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten deutschlandweit auf Rekordniveau bleiben wird. Im Jahr 2008 wurde mit mehr als 20 000 Delikten der höchste Wert seit der Einführung der neuen Zählweise erreicht. Für das Jahr 2009 wird man ähnliche Zahlen registrieren.

Alle 26 Minuten passierte im Jahr 2009 in Deutschland eine rechtsextremistisch motivierte Straftat; 768 davon waren Gewalttaten, bei denen insgesamt mindestens 658 Menschen verletzt wurden. Pro Monat ereigneten sich etwa drei antisemitisch motivierte Gewalttaten.

Nach Einschätzung des BKA zeichnet sich rechte Gewalt durch eine besondere Brutalität aus. So sind seit dem Jahr 1990 47 Mordopfer rechter Gewalt zu beklagen - eine wahrlich erschreckende Zahl.

Nun geht die kürzlich vorgestellte Statistik hinsichtlich rechtsextremistisch motivierter Straftaten davon aus, dass ein leichter Rückgang zu verzeichnen ist. Grund für Entwarnung kann dies jedoch überhaupt nicht sein, zumal eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Zahlen des Innenministeriums und denen der mobilen Beratung für die Opfer rechter Gewalt besteht. Das ist zwar in jedem Jahr so, doch in diesem Jahr ist sie besonders drastisch.

So hat das Innenministerium 83 politisch rechts motivierte Gewalttaten für das Jahr 2009 bekanntgegeben. Die Mobile Opferberatung hat für den gleichen Zeitraum 111 politisch rechts motivierte Angriffe mit mindestens 209 direkt Betroffenen dokumentiert. Darunter waren 96 Körperverletzungen und zwei Brandstiftungen.

Dabei wurde zum Beispiel der Angriff lokaler Rechter auf nichtrechte Jugendliche in einem Jugendclub in Alleringersleben am 21. Mai 2009 nicht mitgezählt. Hier hatten sich die Betroffenen gegen das Abspielen rechter Musik ausgesprochen.

Ebenso ist der Angriff auf zwei alternative Jugendliche am 31. Juli 2009 in Halberstadt nicht vermerkt, bei dem

der Täter sich den Betroffenen als einer der Führenden des „Nationalen Widerstandes“ bezeichnet hatte.

Nun gehen wir einmal davon aus, dass dies nichts mit der neuen Zählweise zu tun hat; denn das wäre sicherlich Augenwischerei. Allerdings muss resignierend festgestellt werden, dass sich rechte und rassistische Angriffe zu einer alarmierenden Normalität entwickelt haben, die für alternative Jugendliche und Migranten schon fast zum Alltag gehört, und dass deshalb nur schwere Straftaten zur Anzeige gebracht werden.

Meine Damen und Herren! Eine besondere Gewichtung in der Großen Anfrage nimmt die Rolle rechtsextremistischer Parteien, insbesondere der NPD, in den kommunalen Vertretungen ein. Dabei ist mit Besorgnis festzustellen, dass die NPD zu den Kommunalwahlen 2007 mit 115 Bewerbern in sieben der zehn Kreise bzw. kreisfreien Städte antrat. Mit einem Altersdurchschnitt von 37,1 Jahren stellte sie die jüngsten Kandidaten auf. Insgesamt sind 30 Vertreter der NPD in den Kommunalparlamenten in Sachsen-Anhalt aktiv.

Dabei lässt sich feststellen, dass die NPD grundsätzlich dort hohe Zustimmung erzielte, wo ihr Kandidat Präsenz zeigte und im Gemeinwesen verankert war, im Sportverein, in der freiwilligen Feuerwehr oder in ähnlichen Einrichtungen.

Parlamente sind für die NPD Propagandatribünen zur Propagierung ihres völkischen und autoritären Gesellschafts- und Staatsverständnisses. Wie sie jedoch wirklich zum Parlamentarismus steht, belegt ein Zitat von Udo Pastörs. Er ist seit dem Jahr 2006 Abgeordneter der NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Das Zitat wurde im „Stern“, Ausgabe 37 im Jahr 2006, abgedruckt. Ich zitiere:

„Ich bin kein großer Anhänger dieser Form des Parlamentarismus. Aber das macht man so, dass man da reingeht und provoziert mit Präzision. Dann werden sie sehen, wie diese ganzen Viren, diese Parasiten wach werden. Dann sehen sie, dass die Axt kommt und dass man bis aufs Gesunde herausseziert. Das ist die Aufgabe eines nationalen Menschen.“

Ich habe dieses Zitat aus der Studie „Staatsfeind NPD - Dokument eines Kampfes gegen die Demokratie.“ Diese Studie wurde von den Innenministern mehrerer Länder, darunter auch von Sachsen-Anhalt, in Auftrag gegeben. Ich kann Ihnen nur empfehlen, diese Studie genau zu lesen. Sie bringt ganz deutlich die menschenverachtende Ideologie der NPD zum Ausdruck, ihre von Hass und Rassenwahn geprägten Inhalte.

In vielen kommunalen Vertretungen herrschte zunächst eine große Unsicherheit darüber, wie mit den Vertretern der rechtsextremen Parteien umgegangen werden soll. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Orientierungshilfen, die einen souveränen Umgang mit diesem Problem erleichtern sollen.

So sollten sich die demokratischen Parteien über ein gemeinsames Vorgehen verständigen. Sie sollten sich über die Inhalte und Aktivitäten der NPD sachkundig machen und sie sollten der NPD keine Bühne für die Verbreitung ihrer Ideologie bieten - um nur einiges zu nennen. Sie sollten sich auch immer vergegenwärtigen, dass jeder noch so harmlos verpackte Antrag der rechtsextremen Parteien nur ihre menschenverachtende Ideologie zum Inhalt hat.

So beantwortete die Landesregierung die Frage nach der Entwicklung der NPD in Sachsen-Anhalt damit, dass die Mehrheit der Mitglieder des Landesvorstandes die Ideologie des Nationalsozialismus als historisches Referenzmodell befürwortet. Der offene Kampf der NPD gegen die universelle Geltung der Menschenrechte und die Propagierung einer Ideologie der rassistisch begründeten Volksgemeinschaft belegen diese Entwicklung. Ein Zitat aus der von mir vorhin erwähnten Studie belegt dies sehr eindringlich. Dort wird verwiesen auf einen Artikel in der „Deutschen Stimme“ aus dem Jahr 2005. Ich zitiere:

„Menschenrechtslüge. Objektive Menschenrechte gibt es nicht. Vielmehr sind die so genannten Menschenrechte ein ideologisches Konstrukt, das im Gefolge der französischen Revolution und verstärkt im Zuge der Weltanschauungskonflikte des 20. Jahrhunderts formuliert wurde und das am Beginn des 21. Jahrhunderts als universelles Rechtfertigungsvehikel einer globalen Interventions- und Einmischungspolitik zur Aushebelung nationaler Souveränitätsrechte dient.“

Immer wieder einmal wird in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, dass Rechtsextremismus ein ostdeutsches Phänomen sei. Dazu gibt es in der Antwort der Landesregierung eine eindeutige Aussage - ich zitiere -:

„Die vorliegenden Studien machen deutlich, dass Rechtsextremismus kein ostdeutsches, sondern ein gesamtdeutsches Phänomen ist. Gleichzeitig sind Unterschiede sowohl im Hinblick auf die rechtsextremen Akteure und Strategien als auch im Hinblick auf unterschiedliche Ausprägungen verschiedener Indikatoren rechtsextremer Deutungsmuster erkennbar.

Rechtsextreme Deutungsmuster sind zudem keine Erscheinungen an den Rändern der Gesellschaft, sondern finden sich im Wesentlichen in allen Gruppen, wobei soziodemografische Schwerpunkte erkennbar sind. Diese sind bei der Entwicklung von Gegenstrategien insbesondere im Bereich der Präventions- und Bildungsarbeit zu berücksichtigen.“

Gerade im Bereich der Präventions- und Bildungsarbeit hat - das muss an dieser Stelle anerkennend festgestellt werden - die Landesregierung durch die Landeszentrale für politische Bildung ein breites Angebot für Jugendliche und junge Erwachsene geschaffen. Besonders hervorheben möchte ich, dass zum Beispiel am 1. Oktober 2009 die 40. Schule mit dem Titel „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“ ausgezeichnet wurde.

(Beifall bei der LINKEN)

Schüler werden auf diesem Wege angeregt, sich kritisch mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit auseinanderzusetzen.

Besonders hervorheben möchte ich das Angebot, welches sich an Eltern richtet, die sich mit der Situation konfrontiert sehen, dass ihr Kind rechtsextrem wurde; eine für viele Eltern sicherlich sehr schwierige Situation.

Nun hatte ich zu Beginn meiner Rede den Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgesprochen, die an der Beantwortung der Großen Anfrage beteiligt waren. Ich möchte diesen Dank auch nicht zurücknehmen, auch wenn nicht alle Fragen in gleicher Qualität beantwortet

wurden. So hilft der Verweis auf entsprechende Seiten des Internets zwar dem Antwortgeber, dem Fragenden aber weniger.

Positiv hervorheben möchte ich die Beantwortung der Fragen, die sich mit der Erfüllung des Bildungsauftrages beschäftigen. Dies betrifft die Seiten 140 bis 172 der Antwort auf die Große Anfrage. Ich möchte aber auch denjenigen Mitarbeitern danken, die sich mit der Erarbeitung der Statistiken auseinandergesetzt haben - sicherlich eine große Fleißarbeit.

Meine Damen und Herren! Bedauerlich ist, dass in Sachsen-Anhalt das Aussteigerprogramm aus der rechtsextremen Szene so gut wie nicht mehr existiert. Auch wenn aus der Beantwortung hervorgeht, dass bisher nur wenige in Sachsen-Anhalt davon Gebrauch gemacht haben, sollte es diese Möglichkeit für diejenigen geben, die sich aus dem braunen Sumpf herausziehen wollen, es allein aber nicht schaffen.

Ein Blick über die Landesgrenze zeigt, dass es in Niedersachsen weitaus besser funktioniert. Das liegt sicherlich auch daran, dass dort das Aussteigerprogramm an die sozialen Dienste gebunden ist. Denn ein solches Programm kann nicht nur von der Polizei oder vom Verfassungsschutz betreut werden; dazu bedarf es der Betreuung durch Sozialarbeiter, wie es in Niedersachsen geschieht.

(Zustimmung von Herrn Kosmehl, FDP)

Wenn man aus der Antwort, dass das Konzept überdenkenswert sei, entnehmen kann bzw. entnehmen soll, dass genau in diese Richtung eine Überarbeitung erfolgen soll, fände dies unsere volle Unterstützung.

Die Bekämpfung des Rechtsextremismus kann jedoch nicht erfolgreich funktionieren, wenn nicht eine breite gesellschaftliche Akzeptanz dafür vorliegt. Denn Politik und Staat allein können es nicht richten. Eine große Anzahl von landesweiten und regionalen Netzwerken und Bündnissen zeugt von dem Willen der Bürgerinnen und Bürger in Sachsen-Anhalt, sich aktiv in die Bekämpfung des Rechtsextremismus einzubringen. Ihnen gebühren unser uneingeschränkter Dank und unsere Anerkennung.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Diese Bündnisse können sich auf eine fachlich fundierte und engagierte Arbeit der Vereine und Institutionen verlassen, wie des multikulturellen Zentrums in Dessau, des Vereins „Miteinander“ e. V. oder der mobilen Opferberatungsstellen, um nur einige zu nennen. Wir erwarten an dieser Stelle ausdrücklich, dass deren Arbeit nicht durch weitere Kürzungen in Gefahr gebracht wird. Seit Jahren stehen sie vor dem Problem, immer mehr Aufgaben mit weniger Geld und weniger Personal leisten zu müssen. Eine verlässliche Finanzierung ist unabdingbar.

Ungeheuerlich empfinden wir aber die Pläne der neuen Bundesfamilienministerin, ab dem Jahr 2011 standardmäßig alle Initiativen, die bei ihrem Engagement gegen den Rechtsextremismus gefördert werden, vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen. Das ist eine Diskreditierung all derer, die sich dieser mutigen Aufgabe stellen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir hoffen, dass sich die Landesregierung in SachsenAnhalt einem solchen Ansinnen vehement verweigern wird.

Meine Damen und Herren! Für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit muss der gemeinsame Nenner lauten, der es den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land ermöglichen soll, selbst offensiv gegen rechtsextreme Tendenzen vorzugehen. Das erfordert aber auch eine Landespolitik, die dafür die notwendigen Rahmenbedingungen bereitstellt und welche die Bürgerschaft in ihrem Kampf gegen Rechts ermutigt, anerkennt und unterstützt - und dazu sind wir alle aufgerufen. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank für die Einbringung, sehr geehrte Frau Tiedge.

Meine Damen und Herren! Bevor ich dem Minister des Innern Herrn Hövelmann das Wort erteile, möchte ich Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Wetzendorf auf der Tribüne begrüßen. Herzlich willkommen!