Protocol of the Session on March 18, 2010

Vielen Dank für Ihren Diskussionsbeitrag, Herr Gürth. - Wir kommen zum Beitrag der FDP-Fraktion. Der Abgeordnete Herr Gerry Kley hat das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatten und auch die einleitenden Worte des Herrn Präsidenten verwiesen auf einen Tag des Gedenkens. Ich glaube jedoch, das ist völlig falsch. Wir sollten den heutigen Tag als Anlass zum Feiern nehmen; denn es war der Tag, der das Volk im Osten Deutschlands befreite, und zwar von einer Minderheit, die es dominierte, die es von freien Wahlen und davon ausschloss, selbst über seine Geschicke und seine Zukunft zu bestimmen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Bis zu jenem Zeitpunkt, meine sehr geehrten Damen und Herren, war das so genannte Parlament in der DDR noch mit Damen und Herren besetzt, die die Vorgänge auf dem Tian’anmen-Platz in einer Art und Weise gesehen hatten, die jeglicher Freiheit und jeglichen Bürgerrechten spottete. Deshalb war es dringend notwendig, hier Wahlen durchzuführen, die die Möglichkeit gegeben haben, endlich echte Vertreter des Volkes zu wählen und die weiteren Vorgänge in der damaligen DDR auf eine Grundlage zu stellen, die in normalen Demokratien üblich ist.

Bis zu jenem Zeitpunkt hatten wir immer nur Vorgänge, die die so genannte Modrow-Regierung erließ. Das heißt, das Parlament war stark zurückgedrängt, es war kaum gefragt. Wir alle erinnern uns noch an vorher, als der Parteitagsbeschluss den Parlamentsbeschluss ersetzt hat.

Zu jenem Zeitpunkt, am 18. März 1990, war es erstmalig so, dass frei gewählte Abgeordnete selbst die Geschicke in die Hand nahmen, Gesetze erließen und dafür sorgten, dass wieder Rechtssicherheit einkehrte.

Denn wer sich einmal anschaut, was vorher passierte, als man davon ausging, ein eigenes Rechtssystem schaffen zu können, unabhängig von internationalem Völkerrecht und unabhängig vom Bestehen des Bürgerlichen Gesetzbuches, der weiß, was in den Folgejahren notwendig war, um jene Entscheidungen wieder dahin zu bringen, wo sie hingehören: dass das Eigentum geachtet wird, dass die Möglichkeit besteht, selbst zu bestimmen. Der eine oder andere mühselige Rechtsänderungsprozess führte dazu, dass wir das System, das wir heute haben, auch erleben konnten.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In jüngster Zeit ist immer wieder darüber debattiert worden, was das Hauptargument der Wahlentscheidung war. Es war der Wunsch nach Freiheit. Es war der Wunsch der Bürgerinnen und Bürger, ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen, selbst bestimmen zu können, aber auch vor einem übermächtigen Staat beschützt zu werden.

Wir hatten damals - daran möge man sich erinnern - noch ein Grundgesetz, das mir deutlich besser gefallen hat als das heutige. Darin waren die Grundrechte noch unverrückbar und die Ausnahmen waren nur gering. Das war es, was die Menschen in diesem Teil Deutschlands wollten. Sie wollten endlich nicht mehr abgehört werden. Sie wollten nicht mehr, dass jemand um die Ecke steht. Und sie wünschten sich die Unverletzlichkeit der Wohnung ; das waren sie vorher nicht gewohnt.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Daran müssen wir immer wieder denken, wenn heute Gesetze erlassen werden, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wenn man der Meinung ist, dass es zum Wohle der Menschen durchaus möglich ist, das eine oder andere Grundrecht einzuschränken, wenn man der Meinung ist, dass es für den Menschen besser ist, wenn der Staat über ihn bestimmt, dann erinnern wir uns an jene historischen Vorgänge, die damals 93 % der Bürgerinnen und Bürger zur Wahlurne geführt haben, die gesagt haben: Macht endlich Schluss damit!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist ein historischer Auftrag, dem wir uns auch heute noch stellen müssen.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Mehr oder weniger war diese Volkskammer auch schon ein Vorläufer der Landesparlamente. Es gab einzelne Abgeordnete, die entsandt wurden, um die örtlichen Verwaltungsorgane ein wenig zu beraten - so möchte ich es einmal vorsichtig sagen. Viele Dinge von damals sind auch in die Länder übernommen worden.

Ich glaube, es ist auch wichtig, daran zu denken, was damals die Grundlage vieler Entscheidungen war. Ganz wichtig war nicht nur das Ländereinführungsgesetz, mit dem vor Ort wieder demokratische Strukturen geschaffen wurden und das dem Föderalismus sehr wohl das Prä gab, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Es war ganz klar die Aussage, dass auch nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit die Gemeinschaft der Länder dafür sorgt, dass es keinen übermächtigen Zentralstaat gibt. Das war eine der wesentlichen Bedingungen auch in den Zwei-plus-vier-Verhandlungen, die es dem hallischen Liberalen Hans-Dietrich Genscher leicht gemacht haben, dafür zu sorgen, dass die Völker Europas die deutsche Einheit akzeptieren.

Daran müssen wir immer wieder denken, wenn über zentralistische Tendenzen in der Bundesrepublik gesprochen wird, wenn man die Länder sozusagen nur als Appendix betrachtet. Nein, hier werden die Kernpunkte der Politik gelegt, hier ist man den Bürgerinnen und Bürgern noch am nächsten.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein ganz großer Schritt zu jener Zeit, der offensichtlich leider auch in Vergessenheit geraten ist, war die Schaffung der kommunalen Selbstverwaltung. Wir hatten zu jenem Zeitpunkt Kommunen, die durch ein angebliches Gesetz zur Demokratisierung der Volksvertretungen geschaffen wurden, obwohl die Entscheidungen dort nicht die eigentlichen Belange der Menschen betrafen, sondern sich im Wesentlichen mit der Kohleversorgung, der Wohnungsversorgung und ähnlichen Themen befassten, wo aber keine Möglichkeit bestand, die Geschicke vor Ort selbst in die Hand zu nehmen.

Ja, kleinste Gemeinden wurden wieder geschaffen. Die Menschen gingen mit Begeisterung zur Wahl und sahen, dass sie vor Ort selbst etwas bestimmen können. Sie waren bereit, Verantwortung zu übernehmen, in einer Art und Weise, die bis dahin nicht bekannt war.

Deshalb ist es umso betrüblicher, dass wir jetzt, 20 Jahre danach, dabei sind, viele kleine Vertretungen im Kommunalbereich abzuschaffen, dort größere Strukturen zu schaffen, wieder etwas mehr Zentralismus einzurichten und damit die Beteiligung des Volkes an den es selbst betreffenden Entscheidungen zurückzudrängen.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Neben der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zu jener Zeit gab es auch eine ganz intensive Diskussion um die Umweltunion. Heute wird auch vergessen, dass wir damals einen Stand in der Umweltpolitik hatten, der zwar im Gesetz gut aussah, aber in der Realität eine furchtbare Belastung für die Gesundheit der Menschen darstellte und eine Verhöhnung des Natur- und Umweltschutzes war.

(Zustimmung von Herrn Gürth, CDU)

Dieses Thema wurde bereits lange vor der deutschen Einheit angefasst. Das Parlament, die Volkskammer sah sehr wohl das Problem, hier eine Überleitung darzustellen und den ganz schwierigen Spagat zwischen den Versprechungen hinsichtlich der blühenden Landschaften durch intensiven Industrieaufbau und der Notwendigkeit der sofortigen Beachtung verschärfter Umweltauflagen der Europäischen Union und des deutschen Rechtes zu meistern. Und man hat sich damals dieser Verantwortung gestellt. Niemand hat gesagt, wir brauchten ewig dauernde Ausnahmen. Nein, man war bereit, den Aufbau der Wirtschaft auch so durchzuführen, dass sehr wohl der Schutz des Menschen ganz im Vordergrund stand.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich kann man über die Wahlbeteiligung der damaligen Zeit nachdenken und kann bedauern, dass sie nicht wieder erreicht wurde. Aber die Politisierung ist nun einmal ein typisches Zeichen von Umbruchphasen, das ist ganz klar. Wir erleben es auch heute immer wieder: Wenn eine Position zugespitzt wird, dann kommt man auch zur Wahl.

Deswegen ist es auch, glaube ich, immer wieder wichtig, politische Positionen zuzuspitzen und den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit der Entscheidung zu geben. Es ist nicht notwendig, einheitliche Positionen zu beziehen, seine Meinung zurückzuziehen und zu denken: Wenn wir alle einfach miteinander freundlich sind, dann bekommt man auch Zustimmung. Nein, es ist wichtig, auf die Wählerinnen und Wähler zu vertrauen, ihnen die Entscheidung zu überlassen und hier auch klar zu machen, was man will.

In diesem Sinne ist es, glaube ich, auch in diesem Hohen Hause immer wieder wichtig, klar Position zu beziehen. Dem müssen wir uns stellen bei aller Kritik, die geäußert wird. Denn es ist wichtig, klar zu machen, wohin das Land in der Zukunft geht.

Über diese Zukunft waren sich die gewählten Abgeordneten der Volkskammer durchaus im Klaren. Detlef Gürth hat es gesagt: Der Zeitrahmen war vielleicht etwas

größer gestrickt, aber man wusste, dass es notwendig ist, in ganz kurzer Zeit einen Übergang in das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland - was im Übrigen damals alle wollten - zu schaffen.

Vielleicht wollten es doch nicht alle. Ich muss das zurücknehmen. Es gab zwei Parteien, die der deutschen Einheit skeptisch gegenüberstanden, aber im Wesentlichen war es doch die Tendenz, dorthin zu gehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich meine Rede vielleicht mit einer kurzen Anekdote beenden. Als ich das Verhalten eines Koalitionspartners im Umweltausschuss kritisierte, rannte der parlamentarische Geschäftsführer - ein späterer hoher Beamter des Landes Sachsen-Anhalt - auf mich zu, packte mich am Anzug, schüttelte mich und fragte: Sind wir nun in einer Koalition oder nicht?

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das zeigt die Emotionalität, das Adrenalin in der Politik, aber auch die Ehrlichkeit in der Zusammenarbeit. Es wäre schön, wenn wir so etwas auch hier ab und zu einmal erleben könnten. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP - Unruhe)

Herzlichen Dank dem Abgeordneten Herrn Kley. - Meine Damen und Herren! Wünscht noch jemand das Wort? - Das ist nicht der Fall.

Meine Damen und Herren! Zur Sache werden entsprechend unserer Geschäftsordnung keine Beschlüsse gefasst. Wir schließen damit das erste Thema der Aktuellen Debatte ab. Das zweite Thema werden wir morgen behandeln.

Meine Damen und Herren! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aussprache zur Großen Anfrage

Entwicklung des Rechtsextremismus in SachsenAnhalt sowie Handlungsstrategien und Gegenmaßnahmen der Landesregierung

Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE - Drs. 5/2166

Antwort der Landesregierung - Drs. 5/2292

Der Ältestenrat hat sich auf die Debattenstruktur C, also eine 45-Minuten-Debatte verständigt. Die Debattenbeiträge erfolgen in der folgenden Reihenfolge: CDU, FDP, SPD, DIE LINKE.

Gemäß der Geschäftsordnung erteile ich zunächst dem Fragesteller, der Fraktion DIE LINKE, das Wort. Es spricht die Abgeordnete Frau Tiedge. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst meinen Dank an die Landesregierung, an den Innenminister sowie an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Innenministeriums und der anderen Ministerien, die an der Beantwortung der vorliegenden Großen Anfrage beteiligt waren, voranschicken.

Meine Damen und Herren! Wie definiert man Rechtsextremismus? - Wir teilen die Auffassung von vielen

Wissenschafterinnen und Wissenschaftlern, die Rechtsextremismus als die Gesamtheit von Einstellungen, Verhaltensweisen und Aktionen, organisiert oder nicht, bezeichnen, die von der rassisch oder ethnisch bedingten Ungleichheit der Menschen ausgehen, die nach ethnischer Homogenität von Völkern verlangen, die das Gleichheitsgebot der Menschenrechtsdeklarationen ablehnen und die die Demokratisierung rückgängig machen wollen.

Dabei muss man davon ausgehen, dass Rechtsextremismus mitnichten ein Randphänomen darstellt, sondern einzelne Einstellungsmuster bis weit in die Gesellschaft hinein zu finden sind. Dies gilt insbesondere für die Fremdenfeindlichkeit, die als Einstiegsdroge in den Rechtsextremismus bezeichnet wird. So hat laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2006 ein Anteil von 39,7 % der Bevölkerung von SachsenAnhalt fremdenfeindliche Einstellungen.

Der Rechtsextremismus ist eine zunehmende Bedrohung für die verfassungsrechtliche Grundordnung sowie das demokratische Gemeinwesen der Bundesrepublik. Eine zunehmende Zahl von Straf- und Gewalttaten, Wahlerfolge rechtsextremistischer Parteien bei Landtags- und Kommunalwahlen, die Bindungskraft einer rechtsgerichteten Jugendkultur sowie die schleichende Toleranz und zunehmende Akzeptanz rechtsextremen Gedankenguts einschließlich undemokratischer und intoleranter Einstellungsmuster in weiten Teilen der Bevölkerung machen deutlich, dass Gesellschaft und Politik vor einer ernst zu nehmenden Herausforderung stehen.

Menschenwürde und Menschenrechte sind nicht einfach gegeben, sondern sie sind stets gefährdet und bedürfen, sollen sie mehr als leere Versprechungen sein, der dauerhaften Anstrengungen aller Bürgerinnen und Bürger, aber auch der Politik.