Protocol of the Session on February 19, 2010

Das ist das Sozialstaatsmodell, das momentan von Guido Westerwelle proklamiert wird. Dazu sage ich Ichnen ganz klar: Nicht mit uns! In einer solchen Gesellschaft mag ich nicht leben, dann schon lieber Sozialismus.

(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der CDU - Zurufe von Herrn Tullner, CDU, und von Herrn Gürth, CDU)

Meine Damen und Herren! Wie hat es Jürgen Borchert, Sozialrichter am Landessozialgericht in Hessen, formuliert? - Das Gesamtkonstrukt ist zusammengebrochen.

(Herr Tullner, CDU: Keine Freiheit!)

Zwei zentrale Bestandteile sind verfassungswidrig, zum einen die Betreuung der Betroffenen aus einer Hand und zum anderen die Konstruktion der Regelsätze.

Ich finde, diejenigen, die es verzapft haben, täten gut daran, ein neues Gesamtkonstrukt vorzulegen, und zwar eines, das ein Stück weit mehr mit Menschenwürde zu tun hat, das tatsächlich die Teilhabe an den Gütern der Gesellschaft möglich macht.

(Herr Gürth, CDU: Wollen wir mal gucken, wo So- zialismus ist! Nordkoreanischer Sozialismus, ko- lumbianischer Sozialismus oder chinesischer So- zialismus? Welchen wollen Sie denn?)

Die Tatsache, dass bei den Regelsätzen für Kinder und Jugendliche Bestandteile für die Bildung fehlen, haben wir im Jahr 2005 schon einmal kritisiert. Das ist auch vom Bundesverfassungsgericht kritisiert worden.

Ich finde, es braucht ein neues Konstrukt, das den kontraproduktiv wirkenden ständigen Sanktionen, Gängeleien oder überzogenen Debatten wirklich etwas entgegensetzt und wirklich motivierend wirkt.

Letztlich können nur auf diese Art und Weise - davon bin ich fest überzeugt - Leistung, Kreativität und Engagement gefördert werden.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Tullner, CDU: Die- se Rede war nicht überzeugend, Frau Bull!)

Vielen Dank. Möchten Sie eine Frage von Frau Dr. Hüskens beantworten?

Bitte, Frau Dr. Hüskens, fragen Sie.

Frau Bull, wir haben über das Thema schon öfter im Ausschuss diskutiert. Ihre Vorstellung ist, dass quasi jeder Bürger dieses Landes bedingungslos einen Anspruch auf eine entsprechende Geldsumme hat. Nun haben Sie auf der anderen Seite gerade viel über Motivation und Lust auf Leistung geredet.

Ich habe eine Frage zu dem Antrag. Sie haben zu Ihrem Antrag eher weniger gesagt. Haben Sie als Fraktion einmal durchgerechnet, was ein normaler Mensch jeden Tag in der Stunde verdienen müsste, um netto das zu haben, was die LINKEN vorhaben, jedem Menschen als - ich nenne es jetzt einmal so - bedingungsloses Grundeinkommen zu gewähren?

Ich muss erst einmal mit einem Irrtum aufräumen. Die LINKE ist zumindest mehrheitlich nicht für dieses bedingungslose Grundeinkommen. Diese Mehrheit zeichnet sich nicht ab. Das kommt auch aus Ihren Kreisen.

(Zuruf)

Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen, wofür ich eine gewisse Sympathie habe. Aber Ihre Frage zielt ja genau auf das ab, was ich schon gesagt habe, auf die Frage des Lohnabstandsniveaus: Wann lohnt es sich zu arbeiten? - Das Problem ist - -

(Zurufe von der CDU)

- Dann nehme ich Ihren Gedanken doch gleich auf: Wie wollen Sie mit einem Stundenlohn von 2 € auskommen?

(Beifall bei der LINKEN)

Ja, 2 € Stundenlohn. Das müssen Sie sich ansehen. Das ist das Frisörhandwerk in Sachsen. Unter der Maßgabe, dass dort 3 € der Durchschnitt ist,

(Herr Gürth, CDU: Das stimmt doch gar nicht! Das ist doch falsch!)

ist ein Stundenlohn von 2,01 € noch nicht sittenwidrig.

(Zuruf von Frau Take, CDU)

War das jetzt die Antwort?

(Heiterkeit bei der FDP)

Nein, das war nicht die Antwort.

Ich habe zu der Frage des Lohnabstandsniveaus schon etwas gesagt und auch dazu, wenn Sie das freie Spiel der Kräfte - ich benutze einmal dieses Vokabular - zuließen und sagen: Wir haben oberhalb Löhne und wir haben unterhalb das, was Sie immer als den „De-factoMindestlohn“ bezeichnen.

Aber dieses Zusammenspiel ist außer Kraft gesetzt, weil jeder Hartz-IV-Empfänger zu jedem Preis und zu allen Bedingungen gezwungen ist, jede Arbeit anzunehmen. Die Frage der Sittenwidrigkeit ist zu regeln. Das heißt, ein Lohnabstandsniveau ist nicht da, kann aber auch nicht da sein - das habe ich gerade in meiner Rede gesagt -, weil eben dieses Zusammenspiel fehlt.

Sie haben die „Marktmacht“ - wenn man das einmal in Anführungsstriche setzen will - von Hartz-IV-Empfängern 100-prozentig außer Kraft gesetzt. Das heißt, die Marktmacht, die Niedriglöhne immer weiter nach unten zu senken, ist grenzenlos geworden. Deswegen ist die Frage der Debatte um das Lohnabstandsniveau eine absolut akademische und vor allen Dingen eine Scheindebatte.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Gürth, CDU: Wie- so?)

Frau Bull, möchten Sie noch eine Frage von Frau Rogée beantworten?

(Zuruf)

Das will ich eben nicht in der Fraktion machen.

Da es um niedrige Löhne geht, die hier in Abrede gestellt werden, stelle ich an Frau Bull die Frage, ob sie weiß, dass die Arbeitsgemeinschaft in Schwerin gegen einen Pizzabäcker geklagt hat, der seinen Arbeitnehmern einen Stundenlohn von 1,32 € gezahlt hat und die Arbeitnehmer anschließend zur Arge geschickt hat, damit sie sich das dem Existenzminimum entsprechende Geld holen?

(Herr Tullner, CDU: Wer ist denn Oberbürger- meister in Schwerin? - Weitere Zurufe - Unruhe)

Das hat sie bisher nicht gewusst, aber das nimmt sie interessiert zur Kenntnis.

(Zurufe von Frau Dirlich, DIE LINKE, und von Herrn Tullner, CDU)

Vielen Dank, Frau Bull. - Als Nächstem erteile ich Herrn Minister Haseloff das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Um es gleich vorwegzunehmen: Der Pizzabäcker agiert krimi

nell. Das ist nach deutschem Recht nicht zulässig. Das weiß jeder. Wenn wir die Handlungen jedes Kriminellen im Landtag zum Thema machen würden, hätten wir sicherlich ein Problem, zu den eigentlichen Problemen dieser Gesellschaft vorzustoßen, die durchaus diskutiert werden müssen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD und von der Regierungsbank)

Da wir dieses Thema schon relativ häufig im Landtag besprochen haben und eigentlich nichts Neues beizutragen ist, möchte ich zumindest versuchen, noch einmal drei, vier Grundsätze darzustellen, warum wir in Deutschland ein Grundsicherungssystem haben, das auf dieser Welt einzigartig ist.

In der Statistik heute in der „Mitteldeutschen Zeitung“ sind wirklich nur die Grundsicherungsbeträge im Sinne des ALG II innerhalb der OECD- bzw. der Nationalstaaten miteinander verglichen worden.

Wir haben ein wesentlich komfortableres System, das inzwischen auch die komplette Warmmiete enthält. Das gab es früher nach dem alten Wohngeldrecht nicht. Es gibt innerhalb der Grundsicherung eine völlige Abkoppelung von Gas- und Ölpreisen, die kein Arbeitnehmer, der jeden Tag arbeitet, für sich und die eigene Haushaltskasse verbuchen kann.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Das stellt weltweit die schwierigste Stelle in der Grundsicherung dar, die wir in Deutschland optimal und sozial gelöst haben.

Frau Bull, bei allem Respekt davor, dass man in dieser Gesellschaft vieles diskutieren kann, würde ich Sie einmal bitten, sich die Verbrauchsstatistik und auch den Warenkorb, der der Hartz-IV-Regelung zugrunde liegt, anzusehen und dann einmal zu schauen, wie Sie 1989/ 1990 mit Ihrem damaligen Gehalt und Ihrer damaligen Bedarfsgemeinschaft in die Bundesrepublik Deutschland gestartet sind.