Protocol of the Session on February 18, 2010

Herr Minister, wie soll das Dilemma aufgelöst werden zwischen den im Gesetzentwurf veranschlagten Finanzen und den vom Städte- und Gemeindebund ausge

rechneten Finanzen? Haben Sie schon einen Lösungsansatz?

Verehrte Frau Dr. Klein, ich habe keinen Lösungsansatz. Bei dem, was wir errechnet haben, haben wir uns auf das konzentriert, was bundeseinheitlich Grundlage für die Ermittlung der Kosten war. Die Korrektheit unseres Ermittlungsansatzes und unseres Ermittlungsergebnisses ist uns durch den Landesrechnungshof bestätigt worden. Allerdings habe ich, ehrlich gesagt, keine Idee, wie man den Forderungen des Städte- und Gemeindebundes nachkommen kann, zumal wir sie für nicht gerechtfertigt halten.

Vielen Dank, Herr Minister. - Jetzt beginnt die Debatte der Fraktionen. Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kosmehl das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte versuchen, Sie für das Thema Zensusausführungsgesetz zu begeistern. Es ist sicherlich ein sehr technischer Gesetzentwurf. Es ist sicherlich auch ein Gesetzentwurf, der das Land SachsenAnhalt nicht unbedingt verändern wird. Er ist jedoch wichtig für das Land Sachsen-Anhalt.

Mit den Ergebnissen des Zensus 2011 wird die Frage der Finanzierung für das Land Sachsen-Anhalt und auch für die Kommunen im Land Sachsen-Anhalt auf eine ganz andere Basis gestellt. Dies betrifft unter Umständen auch den Länderfinanzausgleich. Wir könnten unter Umständen auch über eine Neujustierung des Bundesrates reden; denn die Stimmengewichtung im Bundesrat bestimmt sich nach der Zahl der Einwohner der Länder. Wenn ich es richtig im Kopf habe, liegt die Schwelle bei 2 Millionen Einwohnern. Zumindest im Jahr 2011 dürften wir als Land Sachsen-Anhalt noch oberhalb dieser Schwelle liegen, sodass wir unsere vier Stimmen behalten werden.

Deshalb ist Zensus von Zeit zu Zeit wichtig. Anders als die damals avisierte Volkszählung vor mehr als 25 Jahren in der alten Bundesrepublik, die zu einem Verfassungsgerichtsurteil mit herausragender Bedeutung bis in die heutige Zeit geführt hat, ist die Vorbereitung des Zensus 2011 zumindest aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht so spannend - vielleicht noch nicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Hövelmann hat darauf hingewiesen, dass die letzten Volkszählungen in den Jahren 1981 und 1987 stattgefunden haben. Danach hat es keine entsprechenden Neuzählungen mehr gegeben. Vielmehr hat man Statistiken einfach fortgeschrieben. Diese sind vermutlich mittlerweile so unrichtig, sodass es zum Beispiel für die Berechnung der Stimmengewichte im Bundesrat, aber auch für viele andere Dinge sinnvoll erscheint, eine neue Volkszählung durchzuführen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Europäische Union - das wird den Kollegen Czeke sicherlich freuen - hat im Jahr 2000 empfohlen, eine Volkszählung durchzuführen. Dieser Empfehlung ist die Bundesrepublik Deutschland zumindest in den Jahren 2000 und 2001 nicht nachgekommen.

Was macht Europa in einer solchen Situation? - Europa bringt eine Verordnung auf den Weg. So müssen wir den Zensus 2011 auch aufgrund einer EU-Verordnung durchführen, weil die Europäische Union natürlich auch für ihre Statistiken einheitliche Datensätze aus allen Mitgliedstaaten haben möchte. Dem muss sich auch die Bundesrepublik Deutschland fügen.

(Zustimmung bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kritik der Liberalen geht nicht ins Grundsätzliche.

(Herr Felke, SPD: Vor 2 000 Jahren war es ein- facher!)

Wir sind der Auffassung, wir brauchen eine neue Volkszählung, wir brauchen vor allem eine richtige Datenbasis. Aber wie immer steckt der Teufel im Detail. So kann man sich schon fragen, ob alle Teile des Datensatzes, der übermittelt werden soll, also alle Merkmale wirklich notwendig sind.

Warum wird beispielsweise von den Meldebehörden die Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft abgefragt? - Oder noch viel besser: Bei der so genannten Erhebung, bei der Haushaltsbefragung auf Stichprobenbasis wird dann sogar gefragt, ob es darüber hinaus noch ein Bekenntnis zu einer Religion, Glaubensrichtung oder Weltanschauung mit entsprechender Unterteilung in sunnitischen Islam, schiitischen Islam und was weiß ich nicht alles gibt. Ich weiß nicht, ob dies für die Daten, die wir eigentlich brauchen, wirklich notwendig ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Punkte sind mir auch noch aufgefallen. Denn ein solches Ausführungsgesetz verleitet gerade einen Juristen dazu, sich die rechtliche Grundlage etwas näher anzuschauen. So habe ich festgestellt, dass es im Zensusgesetz des Bundes eine Besonderheit gibt hinsichtlich der der Erhebungsstellen.

Herr Minister Hövelmann, ich bitte Sie, uns vielleicht im Innenausschuss einmal zu berichten, warum das Land Sachsen-Anhalt keinen Einfluss darauf genommen hat; denn es gibt eine Besonderheit. Die Verbandsgemeinden in Rheinland-Pfalz werden nämlich als eine Gemeinde gezählt. Diese Ausnahme gibt es für SachsenAnhalt nicht. Das Gesetz ist erst in der Mitte des letzten Jahres verabschiedet worden, sodass man die Verbandsgemeinden des Landes Sachsen-Anhalt durchaus noch in die Vorlage des Bundesrates hätte hineinschreiben können. Das hat man nicht gemacht. Dafür wird es sicherlich Gründe geben.

Das führt mich zu einer letzten Bemerkung, nämlich zu der Frage, wie diese Haushaltsbefragung funktioniert. 37 kommunale Erhebungsstellen werden eingerichtet. Dafür werden 2 700 Erhebungsbeauftragte gebraucht. Meine Kollegin Hüskens hat früher als Volkszählerin - so hießen sie damals - gearbeitet. Warum sie jetzt Erhebungsbeauftragte heißen, weiß ich nicht.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, natürlich kostet das Geld und bezahlen müssen es die Kommunen. Deshalb wollen wir sehr genau und detailliert - die Stellungnahme des Städte- und Gemeindebundes ist zwar schon sehr detailliert - in einer Anhörung oder zumindest in einer Befragung der kommunalen Spitzenverbände noch einmal nachfragen, wie sie auf eben diesen Betrag kommen und ob die Arbeitszeit oder die Fall

zahlen tatsächlich ausschlaggebend dafür sind, dass es aus der Sicht der kommunalen Spitzenverbände fast das Doppelte von dem kosten soll, was das Land durchreicht und was vom Bund teilfinanziert wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Zensus 2011 wird kommen. Wir müssen uns beeilen; denn ab Ende 2010 sollen die ersten Daten übermittelt werden. Dann müssen Sachsen-Anhalts Kommunen bereit sein. Wir sollten uns aber auch die Zeit nehmen, genau hinzuschauen, damit wir die Kommunen nicht erneut mit einer Aufgabe betrauen, ohne sie finanziell adäquat auszustatten.

(Frau Dr. Klein DIE LINKE: Genau!)

Das würde übrigens der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt widersprechen, die nämlich von der Konnexität ausgeht. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kosmehl. - Jetzt erteile ich Herrn Hartung das Wort, um für die CDU-Fraktion zu sprechen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Vorredner haben schon sehr viel vorab gesagt, darum werde ich jetzt die Kurzfassung meiner Rede nutzen. Die Durchführung einer Volkszählung ist sicherlich nicht ganz unumstritten. Viele Daten werden erhoben, und nicht jeder ist bereit, so viele Auskünfte über sich zu erteilen.

Die Idee einer Volkszählung ist nicht neu. Bereits in der Antike hat es in verschiedenen Ländern Volkszählungen gegeben. Sogar im römischen Reich gab es seit dem 6. Jahrhundert vor Christus in regelmäßigen Abständen Volkszählungen und Erhebungen über Einkünfte der römischen Bürger. Nicht zuletzt in der Bibel - vielen von uns ist es im Zusammenhang mit der Weihnachtsgeschichte bekannt - wird eine Volkszählung erwähnt.

Aber, meine Damen und Herren, auch in der jüngsten Vergangenheit hat es Erhebungen über die Bevölkerungs- und Wohnungszahlen gegeben. Herr Kollege Kosmehl hat sie hier schon genannt, nämlich im früheren Bundesgebiet um 1987 und in der ehemaligen DDR um 1981.

Ich möchte zur Gegenwart und zum vorliegenden Gesetzentwurf zurückkehren, meine Damen und Herren. Dieser Gesetzentwurf basiert auf einer am 2. September 2008 in Kraft getretenen EU-Verordnung über Volks- und Wohnungszahlen. Alle Mitgliedstaaten der EU sind verpflichtet, anhand eines festgelegten Kataloges von Merkmalen im Jahr 2011 Daten zu ermitteln und an die EU zu liefern. Das Ziel soll eine EU-weite Vergleichbarkeit der Ergebnisse sein.

Die Teilnahme am EU-weiten Zensus ist bereits im Koalitionsvertrag für die 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages festgelegt worden. Mit einem Kabinettsbeschluss aus dem Jahr 2006 hat die Bundesregierung den Grundsatzbeschluss gefasst, dass der Zensus in Deutschland mit einem registergestützten Verfahren durchgeführt werden soll.

Die auf der Basis des Zensusgesetzes 2011 durchgeführte Volkszählung stellt für die Bevölkerung im Vergleich mit vorherigen Zensen eine weitaus geringere Be

lastung dar und wird im Ergebnis kostengünstiger sein als bisherige Zählungen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kollegen! Es werden nicht mehr alle Haushalte befragt werden. Vielmehr werden die entscheidenden Informationen auf der Grundlage von bereits erhobenen Daten den Registern der Verwaltung entnommen.

Auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines Zensus möchte ich noch kurz eingehen. Deutschland benötigt aktuelle Bevölkerungs- und Wohnungszahlen. Die Gesellschaft befindet sich in einem stetigen Wandel und es hat in den vergangenen Jahren viele gesellschaftliche Umbrüche gegeben, nicht zuletzt einen ganz gravierenden durch den Fall der Mauer.

Die Lebensgewohnheiten der Menschen haben sich geändert, ebenso die Bevölkerungsstruktur. Zuverlässige und aktuelle Daten über die Bevölkerung, den Arbeitsmarkt und Wohnungen sind derzeit nicht vorhanden, sie sind aber notwendig, um auch weiterhin bundesweit und im europäischen Vergleich mithalten zu können.

Viele Wirtschaftsunternehmen nehmen diese Daten der EU-Staaten als Anhaltspunkt, wenn es darum geht, Niederlassungen zu gründen. Nur tatsächlich untermauerte und belastbare Angaben können hierzu guten Gewissens übermittelt werden.

Viele Entscheidungen im gesamten Bundesgebiet, im Land Sachsen-Anhalt oder in einzelnen Kommunen basieren auf aktuellen Bevölkerungsentwicklungszahlen. Diese zu aktualisieren kann für uns und für unser Land nur zum Vorteil sein.

Meine Damen und Herren! Aus diesem Grunde beantrage ich die Überweisung des vorliegenden Gesetzentwurfs in den Innenausschuss. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Hartung. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Tiedge. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute über das Ausführungsgesetz zum Zensusgesetz debattieren - das ist heute schon gesagt worden -, kommen wir nicht umhin, auch über das Bundesgesetz vom 8. Juli 2009 zu reden, ein Gesetz, welches die Durchführung der EU-weiten Volkszählung im Jahr 2011 regelt.

Nun hat die EU mittels Verordnung die Länder verpflichtet, Volkszählungen durchzuführen - wohl wissend, dass das Bundesverfassungsgericht mit seiner Grundsatzentscheidung vom 15. Dezember 1983 sehr hohe Hürden für den Staat festgelegt hat, Informationen über seine Bürgerinnen und Bürger zu sammeln.

(Zustimmung von Herrn Lange, DIE LINKE)

Mit dieser Grundsatzentscheidung wurde das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde etabliert. Dieses Urteil wird noch immer als Meilenstein des Datenschutzes betrachtet.

(Zustimmung von Herrn Lange, DIE LINKE)

Nun kann man ja zunächst erleichtert sein, dass nicht alle Vorstellungen von EU-Parlamentariern in die künftige Verordnung aufgenommen wurden. So wurden aufgrund massiver Proteste zahlreiche freiwillige Angaben gestrichen, zum Beispiel Informationen über das Sexualleben, über Computerkenntnisse, über Lese -und Schreibkompetenzen oder über Beziehungen zwischen Haushaltsmitgliedern.

Was aber immer noch offen bleibt, ist die Frage, ob der erwartete Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger - und damit meine ich ausdrücklich nicht den Vorteil für den Staat - größer sein wird als die befürchteten Risiken. Diese Frage konnte und kann bis heute niemand abschließend beantworten. Damit sind erhebliche Zweifel angebracht.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Denn mit dem Zensusgesetz 2011 wird in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung erheblich eingegriffen. Die Zweckdarstellung kann diesen massiven Grundrechtseingriff verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Für die Vorbereitung von politischen Entscheidungen auf der Grundlage von Bevölkerungsdaten stehen längst andere, weniger grundrechtseinschränkende Verfahren, zum Beispiel im Rahmen der Sozialforschung, zur Verfügung.

Die erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ergeben sich vor allem aus der Möglichkeit der Abbildung von Persönlichkeitsbildern oder sozialer Stigmatisierung durch Meldedaten der Agenturen für Arbeit, zum Beispiel die Wertung - ich zitiere - „für den Arbeitsmarkt nicht zu aktivieren“.

Nun geht das bundesdeutsche Zensusgesetz in einem Punkt sogar noch über die Vorgaben der EU hinaus. So wird nicht nur - darauf wies Herr Kosmehl bereits hin - nach rechtlicher Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft gefragt, sondern auch das Hinterfragen des bloßen Bekenntnisses zu einer Religion, einer Glaubensrichtung oder einer Weltanschauung, wie zum Beispiel sunnitischer Islam, allevitischer Islam, schiitischer Islam, Buddhismus, Hinduismus, sonstige Religionen oder Weltanschauungen, gehört zum Fragenkatalog.