Protocol of the Session on January 21, 2010

(Frau Fischer, SPD: Das ist unfassbar!)

Ich habe bisher nicht gehört, dass jemand von der FDP das kritisiert hat. Ich habe gehört, dass Herr Brüderle gesagt hat: In der Krise kann man doch nicht sparen. - Ich verstehe so manche Diskussion nicht.

Schulden werden in bisher unvorstellbarer Höhe aufgenommen - dazu hat sich die SPD gestern, so glaube ich, sehr verantwortungsvoll geäußert. Gleichzeitig erklärt der Bundesfinanzminister, den ich übrigens in der kurzen Zeit sehr schätzen gelernt habe - ich kenne ihn noch nicht so lange -, dass er Sparen in der Krise ausschließe und stattdessen das Hotelgewerbe privilegieren müsse. Ich jedenfalls finde das weder richtig noch gerecht noch vernünftig.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Nur zum Vergleich: Die neuen Schulden des Bundes belaufen sich auf rund 30 % des Bundeshaushaltes. Unsere Neuverschuldungsquote bewegt sich bei 6 bis 8 %. Das macht es nicht besser, aber lassen wir doch bitte die Kirche im Dorf.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Im Bund waren Sie es seit 1998! - Weitere Zurufe von der FDP)

- Na, sehen Sie; es hat doch geklappt, liebe Kollegen von der FDP. Es ist doch gut. Ich weiß es doch: Diejenigen, die einzig an der ganzen Misere schuld sind, sitzen nämlich von hier bis hier.

(Minister Herr Bullerjahn zeigt auf die Reihen der SPD und der CDU)

Sie sind an nichts schuld. Sie sind ständig die Guten, die Vernünftigen. Der arme Herr Schäuble tut mir jetzt schon leid, weil er das nun aushalten muss.

(Herr Wolpert, FDP: Wir reden über den Haushalt von Sachsen-Anhalt!)

Irgendwie ist doch aber die Tatsache, dass man in Berlin eine Neuverschuldung in Höhe von 100 Milliarden € überhaupt nicht kritisch sieht, sich hier aber in der Diskussion so ereifert, schizophren, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Herrn Franke, FDP)

Meine Damen und Herren! Noch halten Sie - -

(Zuruf von Herrn Wolpert, FDP)

- Jedenfalls sind Sie dort drüben jetzt munter. Das habe ich erreicht.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

- Ja, es ist ja gut. Sie haben mir das doch alles erzählt, dass ich unfähig sei. Ich habe schon gehört, dass ich meinem Job eigentlich nicht gewachsen sei, dass alles falsch sei.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Das ist eine gute Idee! - Herr Wolpert, FDP: Selbsterkenntnis!)

Das ist doch Ihr gutes Recht. Ich erinnere mich noch daran, wie ich einmal hier vorn gestanden habe und wie ich mit Ihrem Minister umgegangen bin. Das alles liegt irgendwie noch in meinem Gesichtsfeld.

Noch halten sich in Berlin alle bedeckt. In Kenntnis der angespannten Lage fordern aber einige weitere Steuersenkungen. Ich frage Sie: Ist das unser größtes Problem in Deutschland?

Deutschland liegt mit einer Steuerquote von 23 % und einer Abgabenquote von 36 % im internationalen Vergleich im unteren bzw. im mittleren Bereich. Dabei ist es uns in den letzten Jahren - das muss man sich einmal

auf der Zunge zergehen lassen - gerade unter diesen Rahmenbedingungen und auch - so sage ich einmal - aufgrund der Lohnzurückhaltung der Tarifpartner gelungen, Exportweltmeister zu werden. Fazit: Dann können doch die Rahmenbedingungen so schlimm nicht gewesen sein.

Warum dann die aus meiner Sicht fachlich nicht zu begründende Zuspitzung auf das Thema Steuersenkung? Warum dann die aus meiner Sicht unsinnige Kritik an der progressiven Einkommensteuer? - Es war die Grundidee von Adenauer und Erhard, dass diejenigen, die höhere Einkommen beziehen, auch mehr Steuern zahlen. Damals war an eine SPD-Bundesregierung noch gar nicht zu denken. Sie wissen das, glaube ich, besser als ich.

Es war ein Fehler der SPD - das sage ich ganz offen -, den Spitzensteuersatz, der zu Zeiten von Helmut Kohl bei über 50 % lag, so weit abzusenken. Damit verschärfte sich nämlich ein Problem: Dem Staat wurden wichtige Finanzmittel für notwendige Zukunftsinvestitionen entzogen. Das ist die Wahrheit.

(Herr Wolpert, FDP: Ach, tun Sie doch nicht so! Die Steuern sind seitdem gestiegen!)

Das spüren die Kommunen jetzt noch viel stärker. Selbst der Sachverständigenrat kritisiert, dass es keinen konsistenten Entwurf für eine umfassende Exit-Strategie aus der Krise gibt. Es mangelt nicht nur an konkreten Schritten zur Rückführung der staatlichen Neuverschuldung, es werden sogar Steuererleichterungen und zusätzliche Ausgaben in Aussicht gestellt. - So weit der Sachverständigenrat.

Das Abwägungsproblem zwischen Konsolidierung, Steuererleichterungen und Zukunftsinvestitionen wird nicht thematisiert. In Berlin funktioniert alles nach dem Prinzip Hoffnung. Für mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind weitere Steuersenkungen im Umfang von insgesamt 24 Milliarden € gesellschafts- und finanzpolitisch unvorstellbar, weil sie langfristig den Staat weiter schwächen.

(Zustimmung bei der SPD)

Allein für Sachsen-Anhalt - Herr Wolpert, stellen Sie sich einmal vor, Sie würden jetzt an meiner Stelle stehen - würde das zu Mindereinnahmen von 300 Millionen € führen. Ich würde gern einmal Ihre Vorschläge hören, wie Sie damit umgehen wollen.

Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, dass sich die Sache für manche doch etwas zu einfach darstellt. Mit der Formel „Steuersenkung gleich Wachstum“ löst man die Probleme nicht. Das ist eigentlich bekannt; das ist doch gar kein Streitpunkt mehr.

(Herr Kley, FDP: Wenn Sie den Leuten das Geld wegnehmen, gibt es auch kein Wachstum!)

- Ja doch. Wegnehmen? Was haben Sie denn für eine Vorstellung vom Staat? Wer soll denn die Sanierung der Kindergärten und der Straßen bezahlen?

(Beifall bei der SPD)

Sie tun so, als wäre der Staat ein Räuber, der das Geld irgendwo in einem Loch verschwinden lässt.

(Herr Franke FDP: Das ist er auch!)

- Es mag sein, dass Sie eine andere Vorstellung haben, dass Sie vieles privat machen wollen. Das ist auch Ihr gutes Recht. Ich sage nur: Wir sollten den Staat nicht

schlechter reden, als er es am Ende für die Menschen ist. Er hilft vieles auszugleichen. Das werden auch Sie irgendwann verstehen müssen.

(Herr Kosmehl, FDP: Das ist Obrigkeitsdenken! - Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

- Sie können doch ein eigenes Weltbild haben. Gestatten Sie mir aber auch, dass ich ein anderes habe. Mehr will ich damit doch gar nicht sagen.

Wir alle wissen doch, dass diese Steuersenkungen meist nur zu 25 % auf dem Wirtschafts- und Wachstumspfad ankommen. Auch das ist nichts Neues. Das ist keine Erfindung von mir.

Ich denke, es lohnt sich auch nicht, die Steuersenkungen zu verschieben, wie es in Teilen der CDU diskutiert wird - darüber kann man diskutieren -, weil sich die Wirkmechanismen trotzdem nicht verändern.

Also, wer gute Bildungseinrichtungen und eine Infrastruktur, die nicht generell privat finanziert werden soll, wer die beste Kinderbetreuung und lebenswerte Innenstädte haben will, wer sich bei der IBA freuen will, wer Straßen bauen will, der muss schon ein Interesse daran haben, dass der Staat Geld einnimmt

(Herr Stahlknecht, CDU: Ja, das ist so!)

und dass er finanziell gut ausgestattet ist. So einfach ist Mathematik. Ich denke, es lohnt sich allemal, darüber zu reden.

(Herr Wolpert, FDP: Das ist eine Milchmädchen- rechnung!)

- Dann können Sie nachher erklären, wer die Straßen baut, wenn der Staat es nicht machen soll und kein Geld dafür braucht.

(Zurufe von der FDP)

Wissen Sie, ich bin auch Steuerzahler. Und ich bin der Letzte, der sich weigern würde, weniger Steuern zu zahlen. Aber ich weiß, was mit dem Geld passiert. Und ich finde es richtig, dass dafür Geld abgezweigt wird - noch dazu, weil wir alle gutes Geld verdienen -, damit die Kindergärten, die auch Sie mit einweihen, irgendwie saniert werden. Das Geld fällt nicht vom Himmel

(Herr Wolpert, FDP: Das ist ein Totschlagsargu- ment!)

und mir hat bisher noch niemand Geld geschenkt, jedenfalls nicht im Finanzministerium.

Wenn ich die Signale aus Berlin richtig verstehe, die in den letzten Tagen über die Medien verbreitet wurden - ich sage einmal: im Kreis der Finanzminister sitzen nur Vertreter von CDU, SPD und LINKEN; dort wird sehr offen geredet -, dann ist das, was bisher diskutiert wurde, wahrscheinlich nicht das, was am Ende das Licht der Welt erblicken wird.