Protocol of the Session on January 21, 2010

Es geht darum, welche politischen Ziele, welche konkreten aktuellen Projekte und Einzelentscheidungen sich mit dem jeweils vorliegenden Haushalt, aber auch mit Blick auf die mittel- und langfristige Entwicklung Sachsen-Anhalts ergeben. Es geht letztendlich um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

Meine Damen und Herren! Die Sicherung der Zukunftsfähigkeit ist die entscheidende Aufgabe der vor uns liegenden Jahre. Damit setzen wir Signale - Signale, die weit über die Grenzen hinaus wahrgenommen werden, Signale, mit denen wir unser Land attraktiver machen wollen, nämlich attraktiver für die Menschen, die wir für unser Land begeistern wollen, aber auch für die, die hier leben.

Ich meine auch, dass Attraktivität durch Weltoffenheit, verbunden mit einer klaren Kampfansage gegen Rechtsextremismus, unterstützt und dargestellt werden muss. Diese Weltoffenheit tut Sachsen-Anhalt, so glaube ich, gut.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der LINKEN)

Ich möchte jetzt erklären, warum ich das gesagt habe. Das alles muss unsere Antwort auf die sich abzeichnende Bevölkerungsentwicklung sein. Denn nicht die Diskussion um irgendeine Umgehungsstraße oder um irgendeine globale Minderausgabe ist unser drängendstes Problem, sondern die Bevölkerungsentwicklung.

Viele, gerade auch junge Menschen verlassen das Land und weniger kommen zu uns. Aus ehemals drei Millionen Einwohnern des Landes Sachsen-Anhalt werden bis zum Jahr 2025 wahrscheinlich rund zwei Millionen Einwohner - das ist eine Million weniger, als wir bisher verbucht haben. Als Abwanderungsmotive werden immer wieder das unzureichende Arbeitsplatzangebot und die geringeren Verdienstmöglichkeiten genannt. Es fehlt die Perspektive für die Lebensplanung, es fehlt auch die Perspektive für die Familiengründung. Chancen und Entwicklungsperspektiven sind nötig.

Trotzdem möchte ich die positive Wirtschaftsentwicklung gerade der letzten Jahre nicht kleinreden. Ich sage es ganz offen: Ich habe mich darüber gefreut, dass das Land Sachsen-Anhalt in einer Studie als das dynamischste Land in Deutschland im Zeitraum von 2006 bis 2008 bezeichnet worden ist.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

- Selektives Klatschen der Dynamiker.

(Herr Stahlknecht, CDU: Kollektives!)

- Der Dynamiker wahrscheinlich, ja. - Auch der Zuwachs der Kaufkraft zeigt deutlich, dass es in der Wirtschaft vorwärts geht. Dennoch - auch das muss man ehrlich sagen - bleibt der Abstand zu anderen Bundesländern noch relativ groß. Wir werden deshalb weiterhin vorrangig für Sachsen-Anhalt als starken Wirtschaftsstandort arbeiten müssen. Das ist eine der Hauptaufgaben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine starke Wirtschaft lebt aber auch von sozialem Ausgleich. Das ist keine Floskel; das muss vielmehr ein Anspruch sein, auch im eigenen Interesse des Landes Sachsen-Anhalt.

Wir wissen, dass viele Menschen zwar einen Arbeitsplatz gefunden haben, von dieser Arbeit allein aber nicht leben können und zusätzliche staatliche Leistungen in Anspruch nehmen müssen - zusätzlich zu denen, die

durch Arbeitslosigkeit ohnehin dazu gezwungen sind. Es kann nicht sein, dass sich Branchen dauerhaft in Niedriglöhnen einrichten und davon ausgehen, dass der Staat die Einkommen aufstockt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Die Einkommenssituation der Menschen muss sich verbessern. Auch das ist ein wesentlicher Teil unserer Zukunftsfähigkeit.

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Herrn Kley, FDP)

Mit einer billigeren Strategie wird es in den nächsten Jahren keine stabile wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land geben. Das ist hier von vielen Vertretern aus vielen Fraktionen schon angesprochen worden.

(Zuruf von der LINKEN)

Deshalb haben und müssen wir uns mit der Frage der Mindestlöhne befassen, zumal dieser Weg von der großen Koalition in Berlin auch schon erfolgreich beschritten wurde. Dort, wo es möglich ist, sollten wir die Findung und die Einführung von Mindestlöhnen den Tarifpartnern überlassen; dort, wo diese Voraussetzungen fehlen, muss nach meiner persönlichen festen Überzeugung auch über gesetzliche Mindestlöhne gesprochen werden.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich weiß, dass das Aufgabe des Bundesgesetzgebers und für alle Parteien, wie ich denke, auch eine Herausforderung ist.

(Zuruf von der FDP)

Das Ansinnen, niedrige Löhne in Ostdeutschland als Konkurrenzvorteil zu nutzen, über das wir oft gestritten haben und dem ich - auch das sage ich - in den ersten Jahren beigetreten bin, verkehrt sich allmählich in das Gegenteil. Niedriglöhne werden zum Standortnachteil; denn am Ende entscheiden sich die Menschen auf der Grundlage ihrer Einkommenssituation und ihrer Entwicklungsperspektive.

Es besteht die Gefahr - ich glaube, darin sind wir uns einig -, dass wir all unsere schönen Strukturen, wie Kindergärten, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Innenstädte und Straßen, modernisieren und ausbauen und uns freuen - wir streiten trefflich über jede Million -, während die Menschen das Land trotzdem verlassen,

(Zustimmung bei der LINKEN)

weil sie in anderen Ländern - und das nach 20 Jahren Aufbau Ost - mehr Geld verdienen und dort eine bessere Perspektive haben.

Meine Damen und Herren! Sachsen-Anhalt braucht als starker Wirtschaftsstandort mit sozialem Ausgleich auch gute Rahmenbedingungen. An den finanzpolitischen Rahmenbedingungen haben wir in den vergangenen Jahren, wie ich denke, nicht ganz erfolglos gearbeitet. Ich möchte kurz an Folgendes erinnern: eine langfristige Planung bis 2025, die Einführung einer Steuerschwankungsreserve, eines Personalkonzeptes, eines Pensionsfonds und der Zukunftsstiftung - übrigens alles in dieser Wahlperiode und alles relativ schnell.

Dabei stellen die Vorsorgeelemente einen notwendigen Baustein der nachhaltigen Haushaltsstrategie dar. Sie haben sich bereits in der jetzigen Krise bewährt, konnten

ihre Wirkung aber nicht voll entfalten; auch aus dieser Sicht - das gebe ich gern zu - kam die Krise viel zu schnell und viel zu heftig. Die Grundidee jedenfalls ist dennoch richtig und muss fortgeführt werden.

Professor Böhmer und ich haben uns uneingeschränkt zu der so genannten Schuldenbremse bekannt. Das wird im Parlament, zumindest von Teilen des Parlaments, kritisch gesehen.

Es ist mein Anliegen, die Neuverschuldung aus heutiger Sicht möglichst schnell, bis 2013, zurückzuführen sowie mit der Tilgung der krisenbedingten Kredite im Jahr 2014 zu beginnen und diese Tilgung bis 2019 - zumindest aus unserer jetzigen Projektion heraus - mit jährlich 300 Millionen € abzuschließen.

Wir sprechen derzeit über eine zusätzliche Verschuldung in Höhe von rund 1,6 Milliarden €, also die Verschuldung der beiden Jahre plus 300 Millionen € im Jahr 2012. Die Zinsen für diese zusätzliche Verschuldung, der wirkliche Preis der Krise für den Landeshaushalt, das, was wir nicht mehr zurückbekommen, würden nach unseren derzeitigen Berechnungen rund 290 Millionen € betragen. Diesen Betrag müssten wir am Ende aufgrund der Verschuldung zahlen.

Ab 2019 müssen wir in der Lage sein, den Gesamtschuldenstand von rund 20 Milliarden € abzutragen. Ganz nebenbei: Wir haben uns gefreut, dass wir im Jahr 2009 aufgrund der gegenwärtig sehr günstigen Zinsentwicklung rund 168 Millionen € gespart haben. Sie können sich selbst ausrechnen, was passiert, wenn die Zinsen wieder steigen - und das wird geschehen. Das muss auch geschehen; denn die Zeit des billigen Geldes muss vorbei sein.

Die Zinsen, meine Damen und Herren, sind neben den Steuereinnahmen unser größtes Haushaltsrisiko für die Zukunft. Lassen Sie sich den Betrag von 170 Millionen € einmal auf der Zunge zergehen - wir haben über viel kleinere Beträge viel länger diskutiert und glaubten, das sei viel wichtigere Politik. Deshalb: Wir dürfen nach der Krise keine neuen Schulden aufnehmen, die zukünftige Gestaltungsspielräume von Parlament und Regierung weiter einschränken. Das müsste eigentlich unser gemeinsames Interesse sein.

Meine Damen und Herren! Gleichzeitig geht es darum, die Steuerschwankungsreserve parallel zur Tilgung möglichst schnell wieder aufzufüllen. Dies soll uns in die Lage versetzen, zukünftige Krisen besser zu meistern und bei Konjunktureinbrüchen, die irgendwann - hoffentlich nicht in diesem Umfang - wieder vorkommen werden, ohne die Aufnahme neuer Schulden auszukommen. Um eine verlässliche und verbindliche Tilgung der neuen und der alten Schulden sicherzustellen, strebe ich eine Änderung der Landeshaushaltsordnung an.

(Zustimmung von Frau Fischer, SPD)

Deshalb werde ich dem Kabinett im Frühjahr einen Vorschlag zu einer gesetzlich normierten Tilgungsregelung für die aufzunehmenden sowie für die bisher aufgenommenen Schulden unterbreiten. Dazu gab es im Finanzausschuss schon Vorgespräche.

Ich bin mir dabei im Klaren, dass eine solche Regelung im parlamentarischen Raum intensiv beraten werden muss; denn die langfristige Zusage zur Tilgung setzt voraus, dass man in der mittelfristigen Finanzplanung über diese Beträge spricht und sie einplant. Ich halte es auch

für richtig zu versuchen, dafür eine breite Mehrheit im Parlament zu erhalten.

Schwerpunkte setzen, investieren, die weitere Haushaltskonsolidierung erreichen, und das alles ohne neue Schulden - dieser Spagat muss, kann und - davon bin ich fest überzeugt - wird auch gelingen.

(Zustimmung von Frau Fischer, SPD, und von Frau Budde, SPD)

Meine Damen und Herren! Obwohl uns die größte Finanz- und Wirtschaftskrise seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland überrascht hat und uns - ich sage es einmal so - unvorbereitet getroffen hat - ich habe vorhin gehört, wir hätten es schon einige Monate vorher gewusst; ich hoffe, wir wissen, worüber wir reden -, ist es in Deutschland bisher doch gelungen, die Auswirkungen der Krise beherrschbar zu halten. Andere Länder in Europa und in der Welt haben viel schwerer und viel intensiver darunter zu leiden. Dies gelang vor allem auch dank der Kurzarbeiterregelung, der enormen Bankenstützungen sowie der Konjunkturprogramme.

Auch der Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt hat sich bisher als sehr stabil erwiesen. Die Arbeitslosenquote lag im Durchschnitt des Krisenjahres 2009 bei 13,6 % und damit sogar leicht unter dem Boomjahr 2008. Sie erreichte damit den niedrigsten Stand seit 1991. Ich denke, das ist ein ganz vernünftiger Weg.

(Zustimmung bei der SPD und von Herrn Tullner, CDU)

In welchem wirtschaftlichen Umfeld bewegen wir uns derzeit? - Laut IWH kommt die Wirtschaft erst Ende 2010 nach einem geschätzten Wachstum von 1,5 % wieder in Fahrt. Die Bundesbank sagt für das Jahr 2011 sogar einen Rückgang auf 1,2 % voraus, aber ich denke, wir sollten uns von diesen Prognosen jetzt nicht verrückt machen lassen.

In den Jahren 2012 bis 2014 rechnet das IWH mit einem durchschnittlich zweiprozentigen Wachstum. Jeder, der damit zutun hat, weiß, was 2 % bedeuten. Das ist zwar ein Wachstum, aber nicht das, das man vielleicht brauchte, um bestimmte Strukturen zu verändern. Damit ist schon jetzt absehbar, dass in diesem Jahr das Defizit in Deutschland voraussichtlich 6 % des BIP betragen wird. Das ist das Doppelte des Prozentsatzes, den die EU eigentlich zulässt.

Laut IWH ist frühestens im Jahr 2014 zu erwarten, dass die Verschuldungsgrenze von 3 % des BIP wieder eingehalten werden kann, aber auch nur dann - das sagt das IWH -, wenn die Bundesregierung auf weitere Steuersenkungen verzichtet und nicht das Betreuungsgeld ab dem Jahr 2013 einführt.

(Frau Fischer, SPD: Hört, hört!)

Wie sehen die Haushalte aus? - Der Bund hat im Jahr 2009 Schulden in Höhe von 34,1 Milliarden € aufgenommen und plant in diesem Jahr, bei einem Haushaltsvolumen von 325 Milliarden € neue Schulden im Umfang von bis zu 100 Milliarden € aufzunehmen.

(Frau Fischer, SPD: Das ist unfassbar!)