Symptomatisch ist dann in der Tat für mich - das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen -, dass die Landesregierung sehr bewusst in ihrer Vorbemerkung voranstellt, dass man sich schon vor Jahren mit dem Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen über die Frage verständigt habe, wie das Thema DDR in der Schule aufgearbeitet wird. Auch der Großteil der Fragen und der Antworten bezieht sich auf diesen Komplex.
Meine Damen und Herren! Bei aller Kritik, die man zu dem Sicherheitsapparat vorbringen kann und muss - nicht dass ich hier wieder gezielt missverstanden werde -: Wenn Sie das zum Ausgangspunkt der Behandlung des Themas DDR in der Schule machen, dann kommen Sie nicht zu einem differenzierten Bild von der DDR.
(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Sie haben mir of- fenbar nicht zugehört! - Minister Herr Dr. Daehre: Ja! - Frau Feußner, CDU: Ja! - Herr Gallert, DIE LINKE: Stimmt doch!)
Ich habe die Antwort auf die Große Anfrage, Herr Minister, gelesen und dabei festgestellt, dass dies der Schwerpunkt und Ausgangspunkt Ihrer Betrachtung ist.
Daran sehen Sie, dann sind wir mitten in der politischen Auseinandersetzung über die jüngere deutsche Geschichte und dann wird es eben - deswegen habe ich darauf hingewiesen - in der Tat problematisch. Es stellt sich die Frage, ob wir es uns zur Aufgabe machen wollen, dies hier im Plenum im Detail zu diskutieren.
Über die Grundwerte und den Auftrag des Schulgesetzes - das möchte ich zum Schluss meiner Ausführungen sehr deutlich sagen - sind wir uns in diesem Hohen Hause einig.
Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, nicht nur als Politik, Demokratie für junge Menschen genauso wie für andere Generationen heute erlebbar zu machen. Ich erlebe immer wieder: Wenn wir solche Fragen zur Demokratisierung, zur Hochschule oder zur Schule in die politische Debatte bringen, wo es doch genau darum geht, Demokratie erlebbar zu machen, dann bekomme ich regelmäßig Hinweise von der konservativen Seite, die darauf abzielen, mir zu unterstellen, das sei ein linker Spleen. Ich glaube, es ist ein wichtiges Element, wenn es darum geht, junge Menschen heute für demokratische Werte zu gewinnen und zu begeistern. - Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der „Volksstimme“ vom gestrigen Tage wurden Meinungen aus einer Umfrage zum Thema „Ist die Wende für Sie ein Thema?“ abgedruckt. Eine 17-jährige junge Frau wird mit den Sätzen wiedergegeben - ich zitiere -:
„Für mich ist der Mauerfall kein Thema. Ich habe einige Berichte dazu gesehen, aber, ehrlich gesagt, interessiert mich das nicht so stark, weil ich damals einfach noch nicht geboren war.“
„Wir haben in der Schule darüber gesprochen, das war interessant. Aber darüber hinaus beschäftige ich mich kaum damit. Und wenn ich Bilder vom 9. November 1989 sehe, finde ich sie beeindruckend. Aber die Gefühle der Menschen kann ich nicht nachvollziehen.“
Genau das ist der Punkt. Das sind zwei Beispiele dafür, wie junge Menschen denken. Was kann man daraus ableiten? - Ich glaube, meine beiden Vorrednerinnen und der Minister haben schon aufgezeigt, wo die Probleme liegen.
Meine Damen und Herren! Die heutigen Schülerinnen und Schüler kennen die DDR nicht mehr aus eigenem Erleben, aus ihren eigenen Erfahrungen.
Sie kommen aus den Geburtsjahrgängen 1990/91 bis 2003. Was sie wissen oder zu kennen meinen, haben sie von Familienangehörigen, Lehrerinnen und Lehrern oder aus den Medien erfahren.
Und: Diese jungen Menschen können und wollen mit den von unserer Generation allzu häufig genutzten Vokabeln „Ost“ und „West“ gar nicht mehr umgehen. Sie können damit auch nichts anfangen. Dazu gibt es Untersuchungen.
In einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsunternehmens GfK für die „Welt am Sonntag“ von Oktober 2009 gaben 80 % der 14- bis 19-Jährigen an, sich als Deutsche zu fühlen. Lediglich 11 % empfinden sich als Ost- bzw. Westdeutsche. Das ist ein Ergebnis, das ganz anders ausfällt, je älter die Befragten sind. Unter den 20- bis 29-Jährigen halten sich noch 64 % für gesamtdeutsch, unter den 40- bis 49-Jährigen sind es nur noch 59 %.
Das alles, meine Damen und Herren, weist sehr deutlich darauf hin, dass der fehlende Erfahrungsbezug und das daraus erwachsende fehlende Interesse Gründe für Wissenslücken bei Schülerinnen und Schülern in Fragen der DDR-Geschichte sind, wie es in der erwähnten Studie der Freien Universität Berlin dargestellt wird.
Und eines ist nicht zu unterschätzen: Ein weiterer Grund ist die teilweise besorgniserregende Verklärung des Lebens in der DDR durch Familienmitglieder, durch Menschen im Umfeld der Schüler, durch die Medien und nicht zu vergessen auch durch die Politik, zumindest von einigen.
Meine Damen und Herren! Es ist im Allgemeinen durchaus so, dass sich Menschen im Rückblick auf Erlebnisse zuerst an die guten und schönen Dinge erinnern; Nega
Vor dem Hintergrund der riesigen Umwälzungen nach 1990 erinnern sich viele nur zu gern an Dinge aus dem Leben in der DDR, die nun nicht mehr selbstverständlich sind bzw. die ganz viele Menschen betreffen und sie deshalb auch unzufrieden machen. Ich nenne nur die folgenden Punkte: sicherer Arbeitsplatz, niedrige Mieten, keine zusätzlichen Heiz- bzw. Wasser- und Abwasserkosten, niedrige Preise für Grundnahrungsmittel, preiswerte öffentliche Verkehrsmittel in allen Regionen, Kinderbetreuung, preiswerte Kultureinrichtungen, auch Teile des Schulsystems.
In diesem Kontext, meine Damen und Herren, - das ärgert mich dann schon - wird geflissentlich übersehen, dass es jedoch wirklich an grundlegenden demokratischen Grundrechten wie freien Wahlen fehlte. Über die Rolle der Parteien, auch der Blockparteien muss man einmal reden. Wie war es in der DDR mit der freien Meinungsäußerung? Wie war es mit der Versammlungsfreiheit? Wie war es mit der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit? Wie war es mit der Pressefreiheit, mit der Reisefreiheit? - All diese Dinge möchte ich genannt haben.
Es gibt noch weitere Einschränkungen. Das haben fast alle vergessen. Ich sage nur: Freizeitaktivitäten. Darauf bin ich gestern hingewiesen worden, das habe ich gern aufgenommen. Wer noch eine Disko zu DDR-Zeiten kennt - die gab es damals auch -, der weiß, da musste die Musik in einem Verhältnis von 60 % Ost und 40 % West gespielt werden. Es hat trotzdem gute Ergebnisse gebracht, weil wir gute Gruppen hervorgebracht haben.
Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Man konnte in der DDR besser als in manch anderem Land des so genannten sozialistischen Weltsystems vernünftig leben, mit seinem persönlichen Glück oder Unglück sowie mit all seinen kleinen und großen Sorgen. Nischen fanden sich genug, um die individuellen Freiheiten auszuleben, trotz der allgegenwärtigen Stasi. Wir waren erfinderisch und konnten improvisieren ohne Ende. Darüber muss man reden.
Das zu negieren, meine Damen und Herren, hieße nämlich, Millionen Menschen zu brüskieren, die nichts mit den staatstragenden Organen zu tun hatten und sich mit den Rahmenbedingungen arrangiert hatten. Das war die Mehrzahl. Diejenigen jedoch, die - häufig noch nicht einmal in böser Absicht - bestimmte Dinge kritisch hinterfragten, bekamen Probleme und waren Repressalien ausgesetzt.
Vor diesem Hintergrund stellt sich, denke ich, die Frage: Was ist zu tun, um in den Köpfen der nachwachsenden Generation ein Bild über die DDR entstehen zu lassen, das auch der Wirklichkeit der DDR mit all ihren vermeintlichen Stärken und mit all ihren vermeintlichen Schwächen entspricht, ein Bild, das erklärt, warum diese angebliche Stärke überhaupt möglich war. Das hat schon etwas damit zu tun, wie das System in sich aufgestellt war.
Ohne Frage kommt der Schule hinsichtlich der vermittelten Inhalte und insbesondere den Lehrkräften eine besondere Bedeutung zu. Das macht die Landesregierung völlig zu Recht in ihrer Antwort auch klar. Aber sie ver
weist auf ein nicht zu unterschätzendes Dilemma der Lehrkräfte. Denn einerseits bringen sie ihre subjektiven Erfahrungen, die stark differieren können, ein, und andererseits werden sie wie wir alle mit den aktuellen Sichtweisen auf die DDR, die ebenfalls stark differieren, die bis hin zur Deutungshoheit gehen, konfrontiert.
Meine Damen und Herren! Die schwierige Aufgabe dieser Lehrkräfte ist es, diese Sichtweisen abzugleichen, auch für sich selbst einzuordnen und ein differenziertes Bild über die DDR im Unterricht zu vermitteln. Dabei kommt es meiner Meinung nach gar nicht darauf an, ob die Vermittlung eines Stoffkomplexes acht oder zehn Stunden umfasst.
Wichtiger ist es in der Tat, darüber zu reden: Wie und warum ist die DDR entstanden, infolge welcher Ereignisse? Wie war das Leben in ihr? - Darauf bin ich vorhin eingegangen. Und: Was sind die Ursachen für den Untergang? - Das muss man glaubhaft darstellen, ausreichend anschaulich vermitteln, und zwar fächerübergreifend, nicht nur in Geschichte; das möchte ich sagen. Jedes Fach ist dazu geeignet.
Dann wird das Interesse der Schüler geweckt, sich auch über den Unterricht hinaus mit den Fragestellungen in Bezug auf die DDR zu beschäftigen.
Und, meine Damen und Herren, was noch viel wichtiger ist: Erst durch die In-Bezug-Setzung des Wissens aus der Vergangenheit zum Wissen über die politischen und gesellschaftlichen Grundlagen der Gegenwart wird es gelingen, die notwendigen Einordnungen und Wertungen zu erarbeiten. Ich verweise auf § 1 des Schulgesetzes. Das ist die Grundlage, an der wir uns zu orientieren haben. Erst dann kann es gelingen, Nachhaltigkeit zu erreichen.
In der Antwort der Landesregierung wird dargestellt, auf welche Art und Weise die Geschichte der DDR zu vermitteln ist, in welchen Fächern, mit welchen Unterrichtsmaterialien. Das kann man alles machen, das ist wichtig - das reicht aber nicht aus. Es reicht auch nicht aus, wenn die Schüler gelegentlich eine Gedenkstätte besuchen; das ist wichtig und diese Erfahrung müssen sie haben. Aber es muss gelingen, durch diese anderen Maßnahmen ein objektives DDR-Bild in den Köpfen der Leute herauszubilden.
Das, meine Damen und Herren, - diese Aussage werden Sie sicherlich unterstützen - kann und darf nicht nur den Lehrerinnen und Lehrern obliegen, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass auch diese selbst, auch heute noch, am Suchen und Werten sind, genauso wie viele von uns.
Die jungen Menschen leben heute in einer anderen Zeit, in einer anderen Gesellschaft, in einem anderen Staat als meine Generation. Viele Lehrkräfte an den Schulen gehören zu meiner Generation. Wir wie die Lehrerinnen und Lehrer müssen ausreichend Wissen über die DDR vermitteln, aber - ich wiederhole es - vergleichend und erläuternd; denn sonst sind kaum Wertungen und Schlussfolgerungen möglich.
Erst die Bezugnahme zum heutigen Leben in einem freien Staat mit all seinen Risiken, mit all seinen Chancen - darauf ist gestern in der Regierungserklärung deutlich und richtig verwiesen worden -, in einem Staat auf der
Grundlage einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung wird sich ein korrektes Geschichtsbild entwickeln können, ein Geschichtsbild, meine Damen und Herren, das nicht nur verklärt oder nur verdammt, wie wir das gegenwärtig häufig erleben.
Ich glaube, wir alle, die Familien, jeder Mensch in dieser Gesellschaft, sind gefordert. Wir machen es uns zu einfach, das auf die Schule zu schieben. Auch die Rolle der Medien möchte ich nennen.
Eine schwierige Aufgabe liegt vor uns. Es wird immer schwieriger, je weiter wir uns historisch von den Ereignissen, dem Ende der DDR durch die friedliche Revolution, entfernen und je weniger Zeitzeugen es geben wird. Dieses Los, meine Damen und Herren, hat allerdings auch andere historische Ereignisse ereilt, ohne dass sie in Vergessenheit geraten sind.
Wir müssen kontinuierlich daran arbeiten, dass dieser Teil der deutschen Geschichte nicht auf ein zum Teil fragliches Minimum reduziert wird, auf eine 40-jährige Episode, die vielleicht irgendwann einmal vergessen wird. Aus meiner Sicht ist diese Erinnerung und Aufarbeitung gesamtgesellschaftlich nötig, um die Gegenwart in unserem Land zu verbessern, vor allen Dingen aber, um eine Zukunft in Freiheit zu sichern. - Vielen Dank.