Im Übrigen gibt es ganz verschiedene Studien, wie Sie wissen. Auf der einen Seite haben wir Studien - Eva Feußner hat es gesagt -, die gravierende Wissensmängel in Bezug auf die DDR belegen - und im Übrigen in Bezug auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts insgesamt, ihre Exponenten, ihre Ereignisse und vieles mehr. Auf der anderen Seite haben wir aber auch Studien, die besagen, dass ein Anteil von mehr als 70 % der Schülerinnen und Schüler sich eine intensivere Befassung mit dem Thema DDR in der Schule wünscht. Offensichtlich sind das Interesse und die Neugier da. Sie wollen schon wissen, was es mit der DDR auf sich hatte, und sie sind kritisch genug, nicht alles zu glauben, was ihnen erzählt wird. Umso wichtiger ist allerdings wieder das Wissen.
Wenn ich mir die neueste Studie anschaue, die der Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Herr Ruden, in Auftrag gegeben hatte, dann erkenne ich darin, dass das Bild sehr stark zwischen den Altersgruppen differiert, die man wiederum parallel zu den Schwerpunkten in den Lehrplänen genau identifizieren kann. Sobald das Thema in der Schule wirklich greift und Schwerpunkt historischer Stoffeinheiten ist, wächst das Interesse, wenn es gut läuft, und demzufolge dann auch das Wissen über die DDR.
Was diese Wissensvermittlung betrifft, so ist sie von ganz besonderer Bedeutung für das, was die Landesregierung tun kann und unternimmt. Das dürfte aus der Antwort auf die Große Anfrage differenziert hervorgegangen sein. Außerdem können wir, glaube ich, hinreichend dokumentieren, wie sehr und wie oft die DDR und das geteilte Deutschland Thema im Unterricht unserer allgemeinbildenden Schulen sind. Die curricularen Vorgaben sind ebenso wie die notwendigen Freiräume jedenfalls da.
Besonders deutlich wird das in der gymnasialen Oberstufe, in der das Fach Geschichte einen Pflichtumfang annimmt wie nirgendwo sonst in Deutschland - als Kernfach auf Leistungskursniveau mit verbindlich vier Stunden im Klassenverband. Auch der neue Lehrplan für die Sekundarschulen sieht im 9. Schuljahrgang den Kompetenzschwerpunkt „Verflechtungen der deutsch-deutschen Geschichte in einem geteilten Land“ vor. Das habe ich ganz bewusst so gesagt; denn die Teilung ist das Thema, nicht allein die DDR.
Für mindestens ebenso wichtig wie die ausdrückliche Thematisierung von zeitgeschichtlichen Ereignissen halte ich zum Beispiel auch die Behandlung von literarischen Zeugnissen aus der DDR, beispielsweise im Deutschunterricht, oder von Zeugnissen der bildenden Kunst, der Malerei und der darstellenden Kunst in dem entsprechenden Unterricht.
Sie können gewiss sein, dass wir Rahmenrichtlinien noch nicht mit einer flächendeckenden schulischen Realität gleichsetzen. Auch das hat Frau Feußner gesagt. Das hat verschiedene Gründe. Schüler, die für alle Fächer lernen müssen, pflegen natürlich auch ihre jeweiligen Lernaufwendungen unterschiedlich zu disponieren, ihr Interesse so zu dosieren, dass es dann auch einer persönlichen Gesamtbilanz entspricht.
Also muss der Geschichtsunterricht Interesse wecken; denn er steht natürlich in einer Konkurrenz zu anderen Interessenssphären von Kindern und jungen Leuten. Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist es schwierig, mit ihnen Geschichtsunterricht zu betreiben, weil sie selbst erst über wenig Geschichte verfügen. Das liegt in der
Natur der Sache. Aber die Kultur des Erinnerns und die Kompetenz des Erinnerns hat jeder Mensch, sei er noch so jung oder noch so klein.
Vor allem haben wir auch in der Antwort darauf hingewiesen, dass sich manche Lehrerinnen und Lehrer hier vor eine doppelte Aufgabe gestellt sehen: einerseits ein historisch korrektes Bild der DDR zu zeichnen, andererseits wie viele Landsleute auch die eigene, auch berufliche Geschichte, die eigenen Lebensentwürfe und die eigene Biografie in diesem Geschichtsbild abzubilden. Das meinte ich vorhin mit Glaubwürdigkeit, mit Authentizität. Das stellt besonders für diejenigen eine Herausforderung dar, die früher andere Geschichtsbilder vermittelt haben.
Aber nicht nur deswegen, sondern weil, wie erwähnt, die Schule nicht das Entscheidungsmonopol hat und in Dingen, die die gesamte Gesellschaft betreffen, auch nicht haben sollte, halte ich es für wichtig, dass sie möglichst viele Kontakte mit außerschulischen Einrichtungen suchen, die sich der DDR-Geschichte widmen. Ich habe sie schon genannt: Gedenkstätten, politische Stiftungen, Gespräche mit Zeitzeugen, Kontakte und Begegnungen mit den Opferverbänden und vieles mehr.
Unsere Aufgabe wird es sein, entsprechend der Vereinbarung mit der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes auch künftig in der Schule die politische Bildung auf der Basis des Erziehungsauftrags gemäß Schulgesetz und der gültigen Rahmenrichtlinien umzusetzen, das Thema stärker in die zweite Phase der Lehrerbildung zu integrieren - Herr Ministerpräsident Böhmer und ich haben vor gar nicht langer Zeit eigens eine Fortbildungsreihe für Lehrerinnen und Lehrer in diesem Kontext eröffnet -, die Eltern unbedingt einzubeziehen und wirklich didaktisch und inhaltlich gut gemachte Lernmaterialien zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen. Das alles ist Aufgabe des schulischen Sektors, für deren Wahrnehmung wir gut ausgebildete Lehrkräfte haben, deren Fortbildungsbereitschaft von mir vorausgesetzt wird.
Die Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte oder besser mit der deutsch-deutschen Geschichte, meine Damen und Herren, ist also auch eine wichtige Aufgabe der aktuellen politischen Bildung und einer auszuprägenden Haltung für die Demokratie. Für beides scheint mir zu gelten, dass mehr nicht immer besser ist. Wir haben ganz verschiedene Initiativen. Vom Umfang her haben wir, glaube ich, keinen Handlungsbedarf, wohl aber von der Qualität der Angebote her, bis hinein in den Unterricht.
Ein letzter Gedanke - die Lampe leuchtet schon -: Zu dieser Qualität und Glaubwürdigkeit gehört neben vielem anderen auch, dass wir uns davor hüten sollten, Erwartungen an die Demokratie zu wecken, die derart überhöht sind, dass sie zwangsläufig in Enttäuschung umschlagen müssen. Die Demokratie ist ein aufwendiges Geschäft. Man wird nicht einbezogen, sondern man muss sich selbst einbringen.
Partizipation ist kein Geschenk, sondern eine Aufforderung und ein Angebot. Deswegen ist das Leben lebendiger Demokratie in der Schule für mich auch schon ein Schlüssel für die Einübung demokratischer Bewertun
gen, Handlungsweisen und vor allem Bedürfnisse, was den Schutz und die Pflege unserer demokratischen Kultur betrifft. Das halte ich für sehr, sehr wichtig.
Die DDR ist dafür ein exemplarisch ausgesprochen gut geeignetes Thema, wenn es gelingt, das DDR-Bild zwischen Verteufelung und Verklärung auf eine rationale Betrachtung mit klarer Haltung zur Demokratie hin zu entwickeln. Das ist Aufgabe der Schulen, darüber berichte ich in der Antwort. Ich freue mich auf die weitere Diskussion. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde den Tagesordnungspunkt heute nicht nutzen, um mich grundsätzlich zur Frage der DDR-Geschichte zu äußern. Ich selbst habe das in der Oktobersitzung des Landtages getan und möchte mich deswegen auf die Große Anfrage konzentrieren.
Ich möchte meine Ausführungen damit beginnen, dass ich meine Kollegin Frau Feußner zitiere, und zwar aus der Debatte um die Große Anfrage, die meine Fraktion im Herbst letzten Jahres auf die Tagesordnung des Plenums hat setzen lassen. Ich zitiere:
„Andererseits muss ich auch einmal kritisch anmerken, dass die Art einer Aussprache zu einer Großen Anfrage, egal ob es um Bildung oder um andere Dinge geht, selten wirklich Begeisterung auslöst. Das sieht man auch bei den anderen Aussprachen. Man sollte sich im Ältestenrat einmal damit befassen, ob es nicht andere Möglichkeiten gibt, solche Großen Anfragen abzuhandeln. Man hat die Antworten alle in der Antwort auf die Große Anfrage stehen.“
„Na gut, es gibt doch aber auch andere Möglichkeiten. Man kann noch einmal nachfragen, man kann einen Antrag dazu stellen. Ob so eine Aussprache an dieser Stelle dienlich ist - - Ich rege es doch lediglich an.“
Ich wollte Sie nur daran erinnern. Ich teile diese Meinung nicht. Ich stelle fest: Sie haben Ihre Meinung zur Sinnhaftigkeit der Aussprache zu Großen Anfragen geändert.
Was ich allerdings schon hinterfragen muss, ist, ob das Thema, das Sie gestellt haben, für eine Große Anfrage und für eine politische Debatte hier im Plenum geeignet ist. Die Große Anfrage konzentriert sich darauf, sich nicht grundsätzlich mit der Frage der DDR auseinanderzusetzen. Sie konzentriert sich darauf, sehr detailgenau Aspekte der Lehrplan- und der Unterrichtsgestaltung abzufragen und hier zur Debatte zu stellen.
Ich möchte unabhängig von dem Thema, um das es gerade geht, sehr deutlich sagen, dass ich - nicht zuletzt als Konsequenz aus der Geschichte - davor warnen möchte, dass wir die Gestaltung von Lehrplänen und die
Unterrichtsmittel bis hin zur Frage, welches Buch im Unterricht verwendet wird, zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung machen.
(Beifall bei der LINKEN - Herr Miesterfeldt, SPD: Das ist makaber, Herr Kollege, was Sie hier ab- ziehen! - Zuruf von Frau Feußner, CDU)
Ich finde, dass wir im Land Sachsen-Anhalt, im Übrigen auch in der bildungspolitischen Debatte, gute Erfahrungen damit gemacht haben, die Frage der Lehrplangestaltung Fachgremien zu überlassen,
und dass wir als Politik uns darauf konzentrieren sollten, unseren grundsätzlichen Anspruch an die Schule zu definieren, was wir in § 1 des Schulgesetzes auch getan haben.
Zu diesem § 1 des Schulgesetzes besteht bei aller Diskussion im Detail nach meinem Verständnis ein relativer Konsens. Das ist der Punkt, über den wir reden müssen. Es geht nicht um die Frage, wie viele Stunden in welchem Schuljahrgang mit welchem Material angeboten werden und wie die Unterrichtsgestaltung konkret aussieht. Ich glaube, das ist nicht in erster Linie eine Frage der politischen Auseinandersetzung.
Es ist auch von der Kollegin Feußner darauf hingewiesen worden, dass es in der Tat Untersuchungen gibt, die belegen, dass Schülerinnen und Schüler, junge Menschen, zum Teil erhebliche Bildungslücken in Fragen der DDR-Geschichte aufweisen.
Ich vermute - das macht die Sache nicht besser -, dass sich aus einer ähnlichen Erhebung ergeben würde, dass dies ebenso auf andere Zeitabschnitte in der geschichtlichen Betrachtung zutrifft,
auch auf Zeitabschnitte, die für unsere Geschichte, auch für die Verfasstheit der heutigen Gesellschaft nicht von geringem Einfluss sind, so zum Beispiel die Aufklärung, die Weimarer Republik, auch der Zeitabschnitt zwischen 1933 und 1945.
In der Tat geht es eben nicht nur um die Frage, welche Fakten abrufbar sind, sondern auch darum, ob die Schule mit der Art und Weise, wie Bildung vermittelt wird und wie wir den Unterricht gestalten, in der Lage ist, Zusammenhänge deutlich zu machen und junge Menschen fit zu machen, sich kritisch mit Sachgegenständen auseinanderzusetzen, Zusammenhänge zu erkennen bzw. die Neugierde zu wecken, auch für sich selbst einmal etwas zu recherchieren und nachzuforschen. Das ist die zentrale Aufgabe, die wir bildungspolitisch haben.
Ich möchte als Letztes auf einen kritikwürdigen Umstand aufmerksam machen. Daran wird das Problem deutlich, auf das ich eingangs hingewiesen habe, wenn wir über Unterrichtsgestaltung politisch debattieren.
Die Landesregierung - der Minister hat es soeben angesprochen - weist in der Großen Anfrage darauf hin, dass es darum geht, ein differenziertes Bild von der DDR zu
vermitteln. Frau Feußner hat vorhin erklärt, ein differenziertes Bild könne sie sich im Ergebnis eigentlich nicht vorstellen.
Ich würde gern hören - ich habe es von beiden nicht gehört -, wie denn das differenzierte Bild von der DDR, also das abwägende Bild, aussieht.
Symptomatisch ist dann in der Tat für mich - das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen -, dass die Landesregierung sehr bewusst in ihrer Vorbemerkung voranstellt, dass man sich schon vor Jahren mit dem Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen über die Frage verständigt habe, wie das Thema DDR in der Schule aufgearbeitet wird. Auch der Großteil der Fragen und der Antworten bezieht sich auf diesen Komplex.