Protocol of the Session on November 13, 2009

„Der eigentliche Skandal war aber gar nicht dieses oder jenes empörende Urteil, sondern das Prinzip. Die Justiz sollte ganz offiziell nicht unparteilich sein, sondern ein Machtmittel. Macht ging vor Recht, und zwar nicht nur tatsächlich, es sollte so sein. Wenn die SED in einem Prozess die Machtfrage berührt sah, hat sie den Richtern vor Prozessbeginn das Strafmaß bis hin zur Todesstrafe vorgegeben. In anderen Fällen hat die Stasi ein richtiggehendes Drehbuch für den Verlauf des Prozesses vorgegeben. Mit voller Absicht wurde das Gefühl der Rechtsunsicherheit verbreitet. Und das Ganze wurde verbrämt mit einer entsprechenden Theorie vom sozialistischen Rechtsstaat.“

An anderer Stelle fährt Richard Schröder fort:

„Wer also die SED-Herrschaft eine Diktatur nennt, verleumdet sie schon deshalb nicht, weil sie sich selbst so nannte (nämlich eine Diktatur des Pro- letariats).“

Oder lassen wir Professor Heinrich August Winkler zu Wort kommen:

„Ich glaube, der Begriff ‚Unrechtsstaat’ lässt sich klar definieren. Ein Unrechtsstaat ist nach meiner Überzeugung gegeben, wenn in einem Land die Menschen- und Bürgerrechte nicht gewährleistet sind, wenn keine Gewaltenteilung, also auch keine unabhängige Justiz existiert - wenn man also sein Recht nicht einklagen kann und auch keine Möglichkeit hat, in freien Wahlen gegen die Regierung zu stimmen. Alle diese Voraussetzungen waren in der DDR nicht gegeben - also würde ich die DDR als Unrechtsstaat bezeichnen. Der Unrechtsstaat beginnt nicht mit der systematischen Menschenvernichtung, er beginnt mit der Vorenthaltung der Menschen- und Bürgerrechte...“

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDP und von Herrn Miesterfeldt, SPD)

„Dem Anspruch nach war die DDR vom Anfang bis zum Ende eine menschenverachtende Diktatur.“

Winkler sagte das in einem Interview mit „Spiegel online“ am 20. Mai 2009. Ich darf nur nebenbei erwähnen: Die beiden zitierten Professoren sind Mitglieder der SPD. Ihnen gilt mein besonderer Respekt.

An dieser Stelle möchte ich noch einfügen: Professor Richard Schröder hielt am 26. Oktober 2009 in Halle einen Vortrag, den die „Mitteldeutsche Zeitung“ dokumentiert hat. Es hieß dazu, er habe „begeisterte Reaktionen“ hervorgerufen.

Das sollten wir nutzen. Neben Bürgerrechtlern gilt es, Leute wie ihn in unsere Schulen zu holen, ersatzweise

ihre Redemanuskripte zur Grundlage des Unterrichts zu machen.

Wer meint, die DDR-Geschichte im Ergebnis differenzieren zu müssen, der verkennt, dass zu viel Differenzierung der Nivellierung und auch der Relativierung Tür und Tor öffnet. Geschichte eignet sich jedoch nicht für differenzierende Experimente, die angeblich je nach Schuljahr unterschiedlich ausfallen können. Wer Geschichte und ihre Zeitzeugen als Experimentierfeld versteht, der sollte die Finger davon lassen. Experimente totalitärer Art gab es im letzten Jahrhundert genug. Mit Experimenten sollte man sich ihnen nicht nähern wollen.

Liebe Kollegen! Die Schlussfolgerung, die ich und meine Fraktion aus der Antwort der Landesregierung ziehen, fällt zweigeteilt aus. Zum einen bin ich darüber erfreut, mit wie vielen verschiedenen Unterrichtsverfahren die Annäherung an die historische Wahrheit versucht wird.

Aber wenn zwei Vertreterinnen des Thüringer Instituts für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien in der Ausgabe der „FAZ“ vom 2. August 2008 mit der Aussage zitiert werden, am Lehrplan liege es nicht, dass die Schüler zu wenig über die DDR wüssten, dann ist dem wohl auch zuzustimmen. Sie verweisen auf das Elternhaus, das für einen Anteil von 27 % der Schüler der Vermittler des DDR-Bildes sei. Dort aber werde, so ihre Aussage, ein tendenziell positives DDR-Bild vermittelt. In Sachsen-Anhalt, meine lieben Kollegen, dürfte das nicht anders sein.

Dafür spricht, was der Journalist Frank Pergande feststellte, dass nämlich ein offenes Gespräch über die DDR-Vergangenheit in den Ost-Familie bis heute nicht möglich sei. Das wäre aber aus meiner Sicht ein sehr bedrückender Sachverhalt.

Natürlich haben die meisten DDR-Bürger ihr Leben mit Anstand gemeistert. Gutes Miteinander, Nachbarschaftshilfe, das Streben nach privatem Glück - all das gab es auch. Vielleicht war dies in der DDR auch besonders ausgeprägt, weil die Engpässe nur durch praktische Solidarität überbrückt werden konnten. Deshalb suchte man den Rückzug auch in private Nischen.

Aber all das darf doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Staat ein Unrechtsstaat war. Rechtsstaatliche Prinzipien wurden nur vorgespielt. Es gab bis zum Jahr 1987 209 Todesurteile in so genannten politischen Verfahren, von denen sogar 142 Urteile vollstreckt wurden. Erschießungen an der Grenze. Verweigerung der Reisefreiheit. Der größte Arbeitgeber in der DDR war die Stasi. Jedes Jahr wurden 5 000 bis 15 000 Personen wegen asozialen Verhaltens verurteilt. Es gab 33 756 politische Häftlinge. - Man muss schon ein besonders nachgiebiges bzw. großzügiges Verständnis für die DDR haben oder auf dem linken Auge blind sein angesichts dieser Faktenlage.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD und von der Regierungsbank)

Verehrte Damen und Herren! Wenn also Elternhäuser teilweise ein verklärtes Bild von der DDR haben, ist es umso wichtiger, dass die Schulen ihrem Auftrag uneingeschränkt und ohne Vorbehalt nachkommen, und zwar unterstützt vom Kultusministerium, von den ausbildenden Hochschulen, von dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulqualität, von den Ausbildungsseminaren, von den Schulaufsichtsbehörden und von der Politik natürlich selbstredend.

Die CDU-Fraktion ist davon überzeugt, dass dadurch die Ergebnisse besser sein werden als die, die die Studie des Forschungsverbundes SED-Staat für die Gegenwart ermittelt hat. Niemand sollte sich vor dieser Aufgabe drücken. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Feußner. - Zunächst haben wir die Freude, Schülerinnen und Schüler der Krankenpflegeschule Blankenburg auf der Südtribüne begrüßen zu können.

(Beifall im ganzen Hause)

Nun spricht Herr Minister Olbertz für die Landesregierung. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ohne den Blick zurück werden wir die Gegenwart nicht meistern und schon gar nicht angemessene Vorstellungen von der Zukunft entwickeln. Das Betreiben von Geschichte, das heißt die historische Vergewisserung hilft zur Urteilsbildung, zur Entscheidungsfindung und dient auch der Relativierung des Augenblicks, dem Erkennen und dem Vergleich von Bezügen und Parallelen; sie dient letztlich dem Lernen aus der Geschichte. Das funktioniert allerdings nur dann, wenn Geschichte anschaulich betrieben wird und wenn es gelingt, die persönliche Relevanz von Geschichte kenntlich zu machen.

Ich war am Abend des 9. November 2009 in Berlin an den Bahnhöfen Gesundbrunnen bzw. Bernauer Straße. Am U-Bahnhof Bernauer Straße sind die Tunnel gegraben worden, aus denen Fluchthelfer vor allem in den frühen 60er-Jahren Menschen aus Ostberlin nach Westberlin holten, und zwar teilweise mit Kinderwagen, von denen nur das Untergestell gezogen wurde; die Kinder lagen auf Obstkisten.

Diese Kinder von damals haben sich an diesem Abend mit denen getroffen, die ihnen damals geholfen haben und sind ihnen in die Arme gefallen. Es fiel mir auf - deshalb erzähle ich es an dieser Stelle -, dass sich entlang der damaligen Mauer - dort ist noch ein 100 m langes Stück der Mauer erhalten - junge Menschen zu einer Menschenkette getroffen hatten. Ich dachte, sie wären überhaupt noch gar nicht geboren gewesen, als die Mauer fiel.

Das ist für mich der authentische Eindruck, diese Anschaulichkeit, die meiner Ansicht nach mit Bildungsprozessen um die historische Bildung herum einhergehen muss. Es bedarf also gar keiner besonderen Rechtfertigung, wenn wir aus den Reihen eines Parlaments gerade in den neuen Ländern die Frage aufgeworfen bekommen, wie es in den Schulen darum steht, die Geschichte der DDR und des geteilten Deutschlands zu vermitteln.

Ich wundere mich immer, dass wir über den Fall der Mauer reden, als ob sie gefallen wäre und man rechtzeitig hätte beiseite springen müssen. Sie ist niedergerissen worden, und zwar durch couragierte Leute,

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der LIN- KEN, bei der SPD und bei der FDP)

deren Freiheitsdrang so unwiderstehlich geworden war und deren Empörung, was die Einschränkungen betraf, so groß geworden war, dass sie es nicht mehr aushielten und dass sie eine Macht gebildet haben. Insofern kann man tatsächlich von einer Revolution sprechen, der die Staatsgewalt der DDR nicht mehr gewachsen war.

Dieser Fall der Mauer - verwenden wir diese komische Formulierung ruhig einmal weiterhin -, eigentlich das Einreißen dieser Mauer von innen her, ist gewiss ein guter Anlass, 20 Jahre später darüber nachzudenken, wie es um die historische Bildung vor allem der jungen Generation bestellt ist.

Der eigentliche Grund dürfte aber auch in der Einsicht liegen, dass nicht nur der 9. November 1989, sondern die Geschichte der DDR selbst nur so etwas wie die oberste Erdschicht darstellt, auf der wir unser Leben gestalten. Das bedeutet unter anderem, dass die Zeit bis 1989 zum einen nicht ohne einen Kontext und zum anderen auch in ihrer zeitgeschichtlichen und individuellbiografischen Relevanz in der Schule gesehen werden muss.

Denn wir wissen alle, dass die DDR nicht vom Himmel gefallen ist. Die Geschichte der DDR zu lehren, ist gar nicht möglich, ohne sie als Geschichte des geteilten Deutschlands und als Geschichte des geteilten Europas im Zuge der großen Kriege des 20. Jahrhunderts zu verstehen. Das sind die Kontexte. Wenn man diese nicht betrachtet, müsste man sich die DDR unter Umständen als Land, das man sich wünscht, vorstellen.

Mir fällt immer wieder auf, dass sich Leute die DDR wieder zurückwünschen. Ich sage ihnen, dass sie sich die DDR dann so zurückwünschen sollten, wie sie wirklich war,

(Beifall bei der CDU und von der Regierungsbank - Zustimmung von Herrn Miesterfeldt, SPD)

und nicht ergänzt und korrigiert um alle möglichen Vorzüge. Wenn ich mir die DDR mit Reisefreiheit, mit Legislative und Judikative und mit einem parlamentarischdemokratischen System vorstelle, dann erübrigt sie sich neben der Bundesrepublik. Sie war ein Teil des sowjetischen Machtapparates und ein Teil der Teilung Europas links und rechts des Eisernen Vorhangs. Diese Kontexte müssen mitgeliefert werden, weil man die DDR in ihrem Kontext ansonsten nicht versteht.

Auch wenn man klipp und klar sagt, die DDR sei kein Rechtsstaat gewesen - das war sie beileibe nicht; denn man darf nicht vergessen, wie dieser Staat mit Andersdenkenden, mit alten Menschen und auch mit Behinderten umging -,

(Frau Feußner, CDU: Genau!)

dann muss man gleichwohl nicht seine eigene Biografie infrage stellen, sondern man kann durchaus mit Selbstbewusstsein zu ihr stehen, ohne das Staatsgebilde namens DDR loben oder rechtfertigen zu müssen.

Die DDR hatte natürlich einen Alltag mit all dem Wohl und Weh, das wir auch heute haben. Im Übrigen ist die Alltagsgeschichte der DDR in meinen Augen auch ein Desiderat der historischen Forschung. Das liegt auch an der Reihenfolge der Wahrnehmung.

Zunächst müssen wir uns mit der DDR im politischen und im historischen Sinne auseinandersetzen, bevor wir damit anfangen, uns über die DDR im kulturellen Kon

text zu unterhalten oder aber Designbücher über die DDR zu lesen oder irgendeinen Alltag zu rekonstruieren, über den wir allzu schnell womöglich die Wahrnehmung schöpfen, es sei doch alles gar nicht so schlimm gewesen, es sei doch auch schön gewesen usw.

Ich glaube, diese Kontexte sind sehr wichtig, um ein differenziertes DDR-Bild zu entwickeln. Deshalb wird ein reiner Unterricht durch Belehrung und durch das Gestalten von Tafelbildern den Zugang zur DDR wahrscheinlich nicht ebnen, wohl aber Dialoge, Gespräche, die Einbeziehung von Zeitzeugen und Besuche von außerschulischen Lernorten.

Da die DDR nicht nur ein Thema in der Schule ist, hat die Schule allein auch nicht die Deutungshoheit über dieses Thema. Das kann man bedauern - ich tue es nicht -, aber man sollte sich darüber im Klaren sein. Auf jeden Fall setzt historische Bildung, vor allem in ihren zeitlichen Bezügen, voraus, dass es um Wissen und um Haltung geht. Beides zu entwickeln, ist eine wesentliche Aufgabe der Schulen, und zwar zunächst im Geschichtsunterricht, aber auch in anderen Fächern als universelle Thematik; denn sie dient der Demokratieerziehung, der politischen Bildung und der Entwicklung von grundlegenden Orientierungen für unsere Welt.

Umso wichtiger ist es, dass schulischer Unterricht von Lehrern gestaltet wird, die es schaffen, Glaubwürdigkeit und Authentizität zu repräsentieren; gerade dann, wenn sie selbst als Historiker zugleich Zeitzeugen sind. Das macht historische Blickweisen oft schwierig. Das bedarf einer zusätzlichen Reflexion. Der Blick ist noch kein Blick so weit zurück.

Wenn es um die Rekonstruktion eigener Lebensentwürfe und Bewertungen geht, vielleicht auch um kritische Haltungen, die man zu sich selber einzunehmen hat, wird dieser Unterricht dann authentisch, wenn er mit Ehrlichkeit einhergeht. Ich glaube, das ist das, was junge Menschen am meisten beeindruckt. Dass das immer gelingt, daran habe ich allerdings durchaus Zweifel.

Manche Studien kommen nun zu der Auffassung, dass junge Menschen, die die DDR nicht selbst erlebt haben, mehr über sie aus dem Elternhaus, zunehmend auch von den Großeltern und aus ihrer persönlichen Umgebung erfahren, als das in der Schule möglich ist. Ich denke, man wird sich in der Mitte treffen müssen. Systematisches Wissen über die DDR ist unverzichtbar. Wenn ich wichtige historische Ereignisse, Personen und Vorgänge nicht zuordnen kann oder sie alle durcheinander würfle, dann sind sie auch als Koordinaten für eine Orientierung nicht anzuwenden. Das ist ganz klar.

Aber wir müssen eben auch sehen, dass vieles, was in der Schule gemacht wird, gebrochen wird durch Berichte außerhalb der Schule, die dann wiederum eine sehr starke biografische Relevanz haben, sodass ein kritischer, ein distanzierter Blick auf die DDR ein Teil der Qualifikation historischer Bildung in Bezug auf die DDRGeschichte ist.

Deshalb ist der Gesamtblick auf das Thema so wichtig, der eben private Sphären, kulturelle Einrichtungen, übrigens die elektronischen und die gedruckten Medien und vieles mehr einbeziehen muss. Die Kritik, die Schüler erführen über die DDR zu wenig in der Schule und das wiederum führe - vereinfacht gesagt - dazu, dass sie das, was die DDR von einem Rechtsstaat unterscheidet, verharmlosen oder verklären, reicht mir nicht aus.

Im Übrigen gibt es ganz verschiedene Studien, wie Sie wissen. Auf der einen Seite haben wir Studien - Eva Feußner hat es gesagt -, die gravierende Wissensmängel in Bezug auf die DDR belegen - und im Übrigen in Bezug auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts insgesamt, ihre Exponenten, ihre Ereignisse und vieles mehr. Auf der anderen Seite haben wir aber auch Studien, die besagen, dass ein Anteil von mehr als 70 % der Schülerinnen und Schüler sich eine intensivere Befassung mit dem Thema DDR in der Schule wünscht. Offensichtlich sind das Interesse und die Neugier da. Sie wollen schon wissen, was es mit der DDR auf sich hatte, und sie sind kritisch genug, nicht alles zu glauben, was ihnen erzählt wird. Umso wichtiger ist allerdings wieder das Wissen.