Zur Ausgangslage: Hierbei beziehe ich mich insbesondere auf die Punkte 8 und 9 der Urteilsbegründung.
Ich zitiere aus der mir vorliegenden Pressemitteilung von Herrn Hövelmann. Danach wird er uns heute noch Folgendes ausführen:
„Diese Sonderregelung berücksichtigt die faktischen Gegebenheiten der DDR-Zeit, wonach öffentliche Einrichtungen in aller Regel vom Staat kostenfrei errichtet worden sind.“
Das stimmt nicht ganz: Sie wurden über Kredite errichtet, aber - das ist richtig - als Staatsbetriebe geführt.
Die Städte und Gemeinden der ehemaligen DDR waren im Rahmen des Staatsaufbaus staatliche Behörden. Sie besaßen eben nicht das kommunale Selbstverwaltungsrecht, wie es Artikel 28 des Grundgesetzes bestimmt. Auch die Betriebe, die für die Wasserver- und Abwasserentsorgung zuständig waren, waren staatliche, volkseigene Betriebe. Sowohl die Gemeinden als auch die staatlichen Betriebe arbeiteten auf der Grundlage der kaufmännischen Buchführung. Demzufolge waren auch die Abschreibungen des Anlagevermögens, die in Rücklagen einflossen, Bestandteil der Gebührenbemessung.
Mit dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik Deutschland ging das Vermögen der volkseigenen Betriebe an die Bundesrepublik Deutschland über. Das heißt, die bereits in die Gebührenkalkulation eingegangenen und durch Inanspruchnahme der Grundstückseigentümer erhobenen Anteile für den Erhalt bzw. die Sanierung der bestehenden Anlagen sind folglich in das Staatsvermögen der BRD überführt worden.
Folgt man nunmehr den Regelungen des Einigungsvertrages, wären Ansprüche, die Zweckverbände für Modernisierungsvorhaben im Bereich der Abwasserbeseitigung jetzt erheben, nicht vordergründig bei den Grundstückseigentümern, sondern beim Erblastentilgungsfonds geltend zu machen, da die Grundstückseigentümer über die zu DDR-Zeiten - ich habe es eingangs gesagt - von ihnen entrichteten Gebühren die Anlagen schon teilweise refinanziert haben.
Dieser Interpretation folgt das Oberverwaltungsgericht Magdeburg - aus welchen Gründen auch immer - nicht. Es unterstellt für die Eigentümer von bereits vor dem 15. Juni 1991 angeschlossenen Grundstücken einen besonderen Vorteil, welcher sich aus der Erneuerung ergeben solle. Wie dieser besondere Vorteil im Besonderen aussehen soll - dazu schweigt sich auch das Innenministerium aus -, wird nicht begründet und bleibt dahingestellt. Es bestehe ein Vorteil.
Ich möchte nachher noch ein paar Beispiele dafür nennen, was als Vorteil interpretiert wird. Woran sich dieser Vorteil festmacht, welche Qualitäten oder Quantitäten damit verbunden sind, wird sowohl in der Kommentierung als auch in der Urteilsbegründung des Gerichtes nicht erklärt.
An dieser Stelle reiht sich eine ganze Palette ähnlich gelagerter Fälle an, die einen so genannten Vorteil unterstellen, zum Beispiel Erschließungsbeiträge für die B 1 in der Ortslage Irxleben. Für eine Straße, die bereits seit mehr als 150 Jahren in der Ortslage liegt, werden nachträglich Erschließungsbeiträge erhoben. Weitere Beispiele sind die Unterstellung der kommunalabgabenrechtlichen Nutzbarkeit von Grundstücken entgegen der baurechtlichen Nutzbarkeit, die unterschiedliche Bewertung von Grundstücken in unbeplanten Innen- und Außenbereichen usw. usf. Ich könnte die Aufzählung weiterführen, will mir das dieser Stelle aber ersparen.
„Im Rechtssinne hergestellt ist die Einrichtung des Antragsgegners indes erst, wenn die Gesamtanlage in der gesamten Ausdehnung entsprechend der Abwasserbeseitigungskonzeption des Antragsgegners betriebsbereit geschaffen worden ist.“
Das muss man sich erst einmal setzen lassen. Wenn man sich das hat setzen lassen, dann heißt das: Nach § 151 des Wassergesetzes sind die Abwasserbeseitigungskonzepte nur für zehn Jahre festgeschrieben. Sie unterliegen dann einer Veränderung. Das heißt, ich habe alle zehn Jahre mit der Erhebung eines Herstellungsbeitrags II zu rechnen. Das kann es ja wohl nicht sein, weil die Herstellung der Gesamtanlage ja irgendwann einmal abgeschlossen sein muss. Wann soll sie denn abgeschlossen sein? In welchem Zeithorizont bewegen wir uns? - Das ist die Frage, die zu klären wäre.
Werte Damen und Herren! Die von mir skizzierten Fakten sollen keine Schelte am Oberverwaltungsgericht Magdeburg darstellen, sie sollen Ihnen den erheblichen Regelungsbedarf und die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten aufzeigen, denen sich der Landtag aus meiner Sicht stellen sollte und auch stellen muss.
Hierbei ist sicherlich der Blick über den Tellerrand bzw. unsere Landesgrenzen hilfreich, damit eine länderübergreifend möglichst einheitliche Regelauslegung bei der Anwendung der Rechtsvorschriften und das Verständnis der Bürgerinnen und Bürger dafür gewährleistet werden.
Die von mir genannten Artikel in den einzelnen Medien zur Umsetzung der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts sind in einer Zeit der drastischen Verschlechterung der Haushaltslage des Landes und der Kommunen erschienen. Es entsteht im Rahmen des Presseechos der Eindruck, dass mit der Umsetzung dieser Entscheidung fehlende Landeszuschüsse an die Kommunen über die altangeschlossenen Bürger ausgeglichen werden können.
Dem entspricht auch die Verfügung des Landesverwaltungsamts, alle Hauseigentümer, deren Grundstücke vor dem 15. Juni 1991 einen Anschluss an eine zentrale Kläranlage hatten, nachträglich an den Kosten der Erneuerung des Kanalnetzes sowie der Kläranlagen zu beteiligen. Glaubt man den Äußerungen der Eigentümerverbände, sind von diesen Regelungen einige Zehntausend Einwohner mit zu zahlenden Beiträgen zwischen 600 und 8 000 € betroffen.
Da in der Gesetzesauslegung, auch durch das Landesverwaltungsamt, grundsätzlich die Pflicht der Kommunalvertretung, auf die wirtschaftlichen Kräfte der Abgabepflichtigen Rücksicht zu nehmen, ausgeblendet wird, ist
davon auszugehen, dass es zu konkreten Einflussnahmen seitens der Kommunalaufsichtsbehörden kommen wird.
Hierin, meine Damen und Herren der Koalition, unterscheiden sich unsere Anträge. In unserem Antrag steht: Die Landesregierung soll berichten, wie wir jetzt damit umgehen, ob es eventuell auch Rechtsanpassungen geben muss, um bestimmter Willkür entgegenzuwirken. Sie sagen: Die Abwasserzweckverbände sollen Bericht erstatten, wie sie mit dem Gerichtsurteil umgehen. Das ist eigentlich die falsche Ebene.
- Das lasse ich einmal dahingestellt sein. - Auch wenn den Verbänden seitens des Innenministeriums keine Daumenschrauben zur Eintreibung dieser Herstellungsbeiträge II angelegt werden sollen, stellt sich für unsere Fraktion die prinzipielle Frage, ob nicht unter dem Deckmantel der Haushaltskonsolidierung genau das Gegenteil praktiziert werden kann. Ein Verweis auf die Zuständigkeit und Durchsetzung durch die Landkreise nimmt vor dem Hintergrund auch ihrer Haushaltskonsolidierungsverpflichtung eher bizarre Züge an.
Werte Damen und Herren! Viele Bürgerinnen und Bürger sehen sich ständig neu erhobenen Gebühren und Beiträgen für bereits gezahlte Leistungen ausgesetzt und empfinden dies zu Recht als Schikane. Einen nennenswerten Einfluss auf Entscheidungen der Zweckverbandsversammlung und deren Transparenz haben sie allerdings nicht.
Im Rahmen der Einnahmebeschaffung zeigen sich die öffentlichen Verwaltungen allerorts sehr kreativ. Folgt man deren Argumentation und Möglichkeiten, geltende Regelungen frei zu interpretieren, dann sind wir alle mehr oder weniger einem permanenten Aderlass unterzogen.
Vielleicht gibt es demnächst eine Kultursteuer, da der Erhalt und Ausbau insbesondere vorhandener institutionalisierter Kultur ein Vorteil für die Allgemeinheit ist und die Kosten dafür folglich außer über Eintrittsgebühren über Kommunalabgaben abzugelten sind. Oder sollen etwa Nacherhebungsbeiträge für Trauungen eingeführt werden, wenn Brautpaare das öffentliche Standesamt nicht benutzen, aber die Möglichkeit der Inanspruchnahme hatten? - Ähnlich verhielte es sich eventuell für Schulen, Kindertagesstätten, Krankenhäuser, Bürgerbüros usw.; hier gäbe es genügend Beispiele.
Eines will ich noch erwähnen: Wir haben ein Stadtumbauprogramm. Im Rahmen des Stadtumbauprogramms sind viele altangeschlossene Grundstücke betroffen. Unterliegen die auch dem Herstellungsbeitrag II? Und wie gehen wir in dem konkreten Fall mit Industrieanlagen um, die auf diesen Grundstücken angesiedelt sind? Die müssten ja folglich auch herangezogen werden.
Werte Damen und Herren! Ich bin der Überzeugung, dass sich kein Grundstückseigentümer weigert, Kosten der öffentlichen Leistung anzuerkennen und zu begleichen. Hingegen äußert sich der Unmut über fehlende Transparenz und die Unendlichkeit von Gebühren- und Beitragsbescheiden, ohne dass die Betroffenen durch eigenes Tun konkret Einfluss auf deren Höhe hätten.
Um auch den Landtag für diese Problematik zu sensibilisieren und gegebenenfalls Änderungen vornehmen zu können, haben wir den genannten Antrag zur Bericht
Wir wollen zweierlei erreichen, nämlich erstens das staatliche Handeln der Aufsichten in Umsetzung des Urteils erfahren sowie über mögliche und beabsichtigte klarstellende Verwaltungsrichtlinien unterrichtet werden und zweitens gegebenenfalls die Notwendigkeit einer rechtlichen Korrektur gesetzlicher Regelungen im dafür zuständigen Ausschuss beraten und prüfen können.
Wir kommen jetzt zum Beitrag der Landesregierung. Herr Innenminister Hövelmann hat das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Grünert, ich bin oft ziemlich geschockt darüber, mit welcher Auffassung bzw. mit welcher Herangehensweise Sie die Arbeit von staatlichen Institutionen oder auch der Kommunen betrachten. Die Kommunalaufsicht - egal ob im Landkreis, im Landesverwaltungsamt oder im Innenministerium - ist nicht kommunalfeindlich, ist nicht willkürlich, und sie handelt nicht rechtswidrig.
Man kann das, was Sie ausgeführt haben, dahin gehend interpretieren, dass das Handeln der Verantwortlichen in den kommunalen und staatlichen Stellen immer zum Nachteil der Bürger sei. Das ist es nicht, vielmehr gibt es dort eine klare Verantwortlichkeit für die Einhaltung von Recht und Gesetz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will dennoch damit beginnen, dass ich der Fraktion DIE LINKE vorwerfe, dass sie erneut eine Presseberichterstattung zum Anlass nimmt, um sich hier mit dem Thema auseinanderzusetzen.
- Das ist völlig legitim, keine Frage. - Ich will aber auch darauf hinweisen, dass das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt nicht vor wenigen Wochen, sondern bereits im Dezember des Jahres 2003 entschieden hat. In den folgenden Jahren sind mehrere bestätigende Entscheidungen zum Herstellungsbeitrag II ergangen. Mit Fug und Recht kann man diese Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts mittlerweile als ständige Rechtsprechung bezeichnen. Insofern ist das überhaupt nichts Neues. In der Praxis hat sich für diesen besonderen Beitrag inzwischen die Bezeichnung Herstellungsbeitrag II eingebürgert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte einige grundsätzliche Ausführungen zur Sach- und Rechtslage machen und anschließend die Auswirkungen der genannten Rechtsprechung darstellen.
Die beitragsrechtliche Behandlung der so genannten Altanschließer basiert auf § 6 Abs. 6 Satz 3 des Kommunalabgabengesetzes. Nach dieser Ausnahmeregelung fallen Investitionen - der Termin ist von Herrn Grünert genannt worden -, die vor dem 15. Juni 1991, dem Tag
des Inkrafttretens des Kommunalabgabengesetzes, abgeschlossen worden sind, nicht unter die Beitragspflicht.
Diese Sonderregelung berücksichtigt faktische Gegebenheiten aus der DDR-Zeit - da haben Sie richtig aus der Pressemitteilung zitiert -, wonach öffentliche Einrichtungen in aller Regel vom Staat kostenfrei errichtet worden sind. Das „kostenfrei“ bezieht sich natürlich auf die Bürgerinnen und Bürger und bedeutet nicht, dass es nichts gekostet hat. Aber die Bürgerinnen und Bürger und die Hauseigentümer hat es nichts gekostet.
Eine Beitragspflicht entsteht jedoch, soweit bei einer leitungsgebundenen Anlage nach Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes neue Investitionen abgeschlossen worden sind. Mit anderen Worten ausgedrückt: Der Herstellungsbeitrag II wird entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis ausschließlich für NachwendeInvestitionen erhoben.
Dies betrifft insbesondere den Aufwand für die Erneuerung und die Veränderung von Teilen einer Abwasserbeseitigungsanlage. Eine Abwasserbeseitigungsanlage besteht nicht lediglich aus dem Kanal der Bürger vor ihrer Haustür, sondern umfasst nach dem Gesamtanlagenprinzip auch das Klärwerk, die Druckleitungen und sonstige Teileinrichtungen. Hat ein Aufgabenträger an diesen Teileinrichtungen Investitionen getätigt, so stellt der Herstellungsbeitrag II sicher, dass sich alle von diesen Investitionen bevorteilten Grundstückseigentümer an der Finanzierung beteiligen.
Nach der Rechtsprechung kommen auch den Eigentümern, die bei Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes bereits angeschlossen waren, mit der Schaffung einer öffentlichen Einrichtung und der damit verbundenen dauerhaften, rechtlich gesicherten Anschlussmöglichkeit Vorteile zugute, die eine Heranziehung zu Beiträgen rechtfertigen. Das ist die Rechtsprechung. Sozialen Härten kann im Einzelfall durch Billigkeitsmaßnahmen wie Stundung, Ratenzahlung oder Erlass Rechnung getragen werden.
Der Herstellungsbeitrag II ist - das möchte ich deutlich zum Ausdruck bringen - eine besondere gesetzliche Privilegierung der Altanschlussnehmer. Die Rechtsprechung verlangt nämlich, dass der Herstellungsbeitrag II zwingend geringer ist als der normale Herstellungsbeitrag.
Der gebotenen Privilegierung der Altanschlussnehmer wird durch eine gesonderte Kalkulation entsprochen. Dabei wird der Aufwand für die nach dem 15. Juni 1991 geschaffenen Anlagenteile, die ausschließlich den Neuanschlussnehmern und dazu dienen, neue Flächen durch die gesamte Anlage zu erschließen, bei der Beitragsbemessung nicht berücksichtigt.
Durch die Begünstigung der Altanschlussnehmer entsteht eine gewisse Deckungslücke. Dieser nicht über Beiträge refinanzierbare Investitionsanteil wird über laufende Benutzungsgebühren von allen Nutzern gleichmäßig abgedeckt. Die Mittel müssen ja trotzdem erwirtschaftet werden.
Im Übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren, führt die Erhebung des Herstellungsbeitrags II durch seine Berücksichtigung in der Gebührenkalkulation zu einer Verminderung der Abwassergebühren im Vergleich zu einer Situation, wenn selbige Anrechnung nicht geschehen würde. Die Beitragserhebung trägt damit auch zu einer längerfristigen Gebührenstabilität im Land Sachsen-Anhalt bei.
Die Landesregierung ist an das Gesetz und seine Auslegung durch die Rechtsprechung gebunden. Auf dieser Grundlage - ich betone: ausschließlich auf dieser Grundlage - hat das Landesverwaltungsamt in einer Rundverfügung vom 1. Dezember 2008 in Abstimmung mit meinem Haus den Aufgabenträgern Anwendungshinweise zur Erhebung des Herstellungsbeitrags II gegeben. In der Praxis wird dieser Beitrag bereits von einigen Aufgabenträgern erhoben.