Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Freiheit hat auch negative Seiten. Deshalb stehe ich jetzt hier vorn.
Oft habe ich im Bundestagswahlkampf Worte wie „Ehrlichkeit“ und Aussagen wie „Was wir heute fordern und versprechen, gilt nach der Wahl“ gehört. Ja, es ist so, Versprechen bewahrheiten sich nach der Wahl. Ein Versprechen meiner Partei DIE LINKE war: Wir sind auch sozial nach der Wahl. - Deswegen haben wir uns für die heutige Aktuelle Debatte entschieden.
Wenn in Berlin eine neue Regierungspolitik festgelegt wird, sollten auch wir in Sachsen-Anhalt unsere Meinung dazu sagen. Die Sorge um eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen treibt uns um. Offensichtlich steht meine Fraktion DIE LINKE nicht allein mit dieser Sorge.
Der DGB lässt seit der Wahl keine Gelegenheit aus, ebenfalls diese Befürchtung gegenüber der neuen schwarz-gelben Regierung sichtbar zu machen. Es ist auch kein Wunder; denn 60 Jahre DGB sind auch 60 Jahre Erfahrungen im Sozialauf- und -abbau, wobei in den letzten 20 Jahren mehr gute Arbeitsbedingungen abgebaut als aufgebaut worden sind.
Heute haben wir in Deutschland vier Millionen Erwerbslose. Sieben Millionen Menschen sind im Niedriglohnsektor beschäftigt. Mehrere hunderttausend Menschen sind abhängig von zusätzlichen Sozialleistungen. Viele fragen sich jetzt, nach der Wahl: Wie geht es weiter?
Dass solche Fragen nicht unbegründet sind, zeigt eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelstages in Vorbereitung auf den Koalitionsvertrag, der gegenwärtig verhandelt wird. Einige Ergebnisse, die auch Forderungen sind, will ich benennen.
58 % der Unternehmen sehen eine weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes als dringendste Aufgabe der neuen Bundesregierung an. Der Fachkräftenachwuchs erhält die Note 3,4 und wird mit Blick auf die demografische Entwicklung als Problem angesehen. Die Arbeitskosten, die Lohnnebenkosten und die Löhne werden als zu hoch eingeschätzt und die Rente mit 67 muss erhalten bleiben.
Es gibt die Forderung nach der Bereitschaft des Einzelnen zum lebenslangen Lernen. Dagegen steht aber auch, dass die Unternehmen einen Rechtsanspruch der Arbeitnehmer auf Weiterbildung ablehnen. Wie soll das denn gehen? Eigenverantwortung der Arbeitnehmer ohne Freistellung und sonstige Unterstützung? - Dazu passt auch nicht, dass wir in Sachsen-Anhalt das Bildungsfreistellungsgesetz vor einigen Jahren abgeschafft haben. Der Kündigungsschutz der Beschäftigten soll weiter verringert werden.
Ich finde, es wird Zeit, dass die deutschen Unternehmer und ihre Verbandsvertreter die Beschäftigten in ihren Unternehmen als Partner auf gleicher Augenhöhe respektieren.
Denn dann hätten sie Leistungsbereitschaft im Unternehmen und müssten nicht ständig darüber nachgrübeln, wie sie durch menschenunwürdigen Druck die Beschäftigten zu mehr Leistung bewegen können.
Meine Damen und Herren! Ich frage mich, warum immer noch manche Arbeitgeber - das sind nicht wenige - das wichtigste Gut, das sie im Unternehmen haben, nämlich die Menschen mit ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten, Ideen und Phantasien, so schlecht behandeln. Sie sind doch das wichtigste Kapital für die Produktivität und die Effektivität, für die Entwicklung der Unternehmen.
Auch deshalb hat meine Fraktion wenig Verständnis für die Art und Weise, in der IKEA sein Tochterunternehmen in Gardelegen behandelt hat - und das nach 30 Jahren erfolgreicher Produktion.
Wir haben in Sachsen-Anhalt eine Million Erwerbstätige, davon sind 743 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Das heißt, mehr als 25 % der Erwerbstätigen sind gar nicht oder nur in sehr geringem Maße sozialversichert.
Die Erwerbstätigenquote ist für mich ein Argument gegen die These „Mindestlohn verhindert Arbeitsplätze“. In Bayern liegt sie bei 74,4 %, in Baden-Württemberg bei 74,6 % und in Sachsen-Anhalt bei 66,6 %. Aber hierzulande ist der Anteil geringbezahlter Arbeitnehmer höher als in Bayern oder in Baden-Württemberg. Hinzu kommt, dass in diesen beiden Ländern vordringlich dafür gesorgt wird, dass die regionale Wirtschaft entwickelt wird.
An dieser Stelle möchte ich noch die Armutsgefährdung erwähnen. In Bayern und in Baden-Württemberg ist die Armutsgefährdung am geringsten. In Sachsen-Anhalt waren im Jahr 1998 6,7 % und im Jahr 2008 11,6 % der Beschäftigten von Armut bedroht. Mit diesen Quoten befinden wir uns vor Mecklenburg-Vorpommern auf der
vorletzten Position. Ich glaube, das ist Veranlassung genug, über die Armutsgefährdung in unserem Land nachzudenken.
Das ist auch eine Begründung für die Forderung, die Kranken- und Rentenversicherung sowie die Arbeitslosenversicherung weiterhin paritätisch zu finanzieren. Ein wirklicher Schutz bei Krankheit und im Alter entsteht nur, wenn die Arbeitnehmer existenzsichernde Gehälter bekommen. Deshalb ist uns auch nach der Wahl die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns wichtig.
Mit dem Bürgergeld soll die Arbeitsbereitschaft der Menschen, die Bereitschaft, aus der Erwerbslosigkeit herauszukommen, gefördert werden. - So will es die FDP. Meine Damen und Herren, die meisten Menschen wollen arbeiten, sie wollen selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Also geben Sie ihnen doch eine Arbeit, von der sie sich und ihre Familien ernähren und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können!
Das kostet die Allgemeinheit weniger Geld und bringt mehr Steuern in die öffentlichen Kassen. Aber auch hier gilt: Ordentliche Bezahlung ist eine Voraussetzung dafür, dass keine zusätzlichen Leistungen in Anspruch genommen werden müssen. Deshalb ist es notwendig, dass auch in Sachsen-Anhalt wirklich leistungsabhängige und existenzsichernde Löhne und Gehälter gezahlt werden.
Meine Damen und Herren! Ich möchte jetzt zum Thema „Kündigungsschutz“ kommen. Der Kündigungsschutz ist gegenwärtig die wichtigste Kategorie, wenn es um mehr Flexibilität in den Unternehmen geht.
Ich habe kein Verständnis dafür, dass nicht jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin Anspruch auf Kündigungsschutz hat. Arbeitnehmer sollen fleißig sein. Sie sollen hohe wirtschaftliche Ergebnisse für das Unternehmen erzielen. Aber Verantwortung für den Schutz der Arbeitnehmer wollen viele Arbeitgeber nicht übernehmen.
Bereits im Jahr 2004 wurden die Kündigungsfristen für Arbeitnehmer, die in Unternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten arbeiten, gekippt. Der Kündigungsschutz bestand nun noch in Unternehmen mit mindestens zehn Beschäftigten. Das war eine Sünde der Sozialdemokratie. Das muss ich an dieser Stelle sagen.
Jetzt reicht das aber auch nicht mehr aus. Irgendwie erinnert mich die Diskussion um den Kündigungsschutz auch an die Diskussion um den Ladenschluss; ich will das nicht weiter vertiefen. Seit längerer Zeit soll die Grenze, ab der Unternehmen Kündigungsschutz gewähren müssen, auf 20 Beschäftigte erhöht werden. Mich ärgert das und das wundert hier sicherlich niemanden.
Worum geht es eigentlich? - Arbeitnehmer in der Probezeit - sie beträgt in der Regel ein halbes Jahr - haben eine Kündigungsfrist von zwei Wochen und können ohne Angabe von Gründen gekündigt werden. Nach der Probezeit beträgt die Kündigungsfrist vier Wochen jeweils zum 15. des Monats oder zum Monatsende. Erst nach zwei Jahren besteht eine Kündigungsfrist von vier Wochen zum Monatsende.
Diese Kündigungsfristen sind wirklich ein Problem für die FDP; das kommt ja immer wieder hoch. Ein Problem kann es aber nur dann sein, wenn man die Arbeitnehmer noch schneller heuern und feuern will. Ich bitte Sie, einmal zu bedenken, dass Kündigungsschutz keine einsei
Meine Damen und Herren, in Zeiten der knapper werdenden Fachkräfte müsste das Interesse der Arbeitgeber besonders in kleinen Unternehmen eher darin bestehen, die Kündigungsfristen zu behalten. Arbeitnehmer, die gut ausgebildet sind und woanders gefragt sind, wo sie besser entlohnt werden, können dann von kurzen Kündigungsfristen Gebrauch machen und das Unternehmen von heute auf morgen verlassen. Dann fehlt vor allem dem kleinen Unternehmer das Know-how.
Ich kenne Fälle, in denen Arbeitnehmer ihren alten Betrieb vor Ablauf der Kündigungsfrist verlassen wollten, weil kurzfristig ein Arbeitsvertrag mit einem anderen Unternehmen abgeschlossen werden sollte und dort die Arbeitsbedingungen und das Gehalt besser oder der Arbeitsweg kürzer waren.
Ich musste unseren Mitgliedern in diesen Fällen erklären, dass dieses Gesetz immer in zwei Richtungen wirkt. Es schützt den Arbeitnehmer vor einer zu kurzfristigen Kündigung durch den Arbeitgeber, es schützt aber auch den Arbeitgeber vor einer zu kurzfristigen Kündigung durch den Arbeitnehmer. - Ich bitte Sie einfach, das mal zu bedenken.
Meine Damen und Herren! Die Demokratie im Unternehmen wird in hohem Maße über die Mitbestimmung der Betriebsräte umgesetzt. Neben unseren Forderungen nenne ich Ihnen einige Forderungen der SPD und der Grünen: Sie forderten in ihrem Wahlprogramm die Mitbestimmung bei Personalfragen, bei Strukturveränderungen der Unternehmen und bei wirtschaftlichen Fragen. Außerdem forderten sie die Beendigung des Ausspionierens von Beschäftigten.
Viele Forderungen können aus meiner Sicht relativ einfach realisiert werden, sofern das Betriebverfassungsgesetz dahin gehend umgesetzt wird, dass Wahlen von Betriebsräten zur Normalität werden und dass Betriebsratwahlen nicht durch Maßregelungen und durch persönlichen Druck auch auf Familienmitglieder verhindert werden. Über einige Beispiele haben wir in der Vergangenheit geredet.
Ich möchte nun zum Schluss meiner Rede kommen. - Meine These lautet: Das Einkommen der Bevölkerung ist ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor für die Region. Eine Lehre aus der Krise ist, dass die einseitige Orientierung auf den Export zur Vernachlässigung des Binnenmarktes beigetragen hat. Nicht wenige Unternehmer beklagen, dass Deutschland zum Billiganbieter geworden ist. An dieser Stelle muss ein Umdenken im gesellschaftspolitischen Bereich erfolgen.
Die SPD fordere ich auf, ihr Versprechen, das sie vor der Wahl gegeben hat, umzusetzen und sich aktiv im Bündnis für Mindestlohn in Sachsen-Anhalt zu beteiligen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das war der Beitrag der Antragstellerin. - An dieser Stelle hat die Landesregierung um das Wort gebeten. In Vertretung des Wirtschaftsministers wird der Kultusminister Herr Professor Dr. Olbertz sprechen. Bitte sehr.
(Zuruf von der LINKEN - Minister Herr Dr. Daeh- re: So ist die Vertretungsregelung! - Herr Kos- mehl, FDP: Nachfragen vorprogrammiert!)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der Bundestagswahl am 27. September 2009 haben sich die Mehrheitsverhältnisse auf der Ebene des Bundes verschoben. Gegenwärtig finden die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und FDP in Berlin statt. Ich kann Ihnen deshalb keine Ergebnisse dieser Verhandlungen, an denen auch Minister Herr Dr. Haseloff beteiligt ist und sich deshalb heute entschuldigen lässt, präsentieren.
Auch ist es wenig sinnvoll, mögliche Ergebnisse dieser Verhandlungen vorwegzunehmen. Aber ich kann Ihnen versichern, dass diese Gespräche durch die Landesregierung aufmerksam begleitet werden. Auch werden die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen, sobald sie feststehen, von uns analysiert und auf mögliche Auswirkungen für das Land Sachsen-Anhalt hin beurteilt.