Ist das Menschenhandel? Ist ein Staat, der so etwas organisiert und durchführt, ein Rechtsstaat oder ein Unrechtsstaat? - Das muss sich jeder fragen lassen, der es ablehnt, die DDR einen Unrechtsstaat zu nennen.
Zwischen 1964 und 1989 wurden 32 000 politische Gefangene von der DDR verkauft, für 3,4 Milliarden DM. Schon deswegen sind bei allen noch zu lösenden Problemen, die tatsächlich vorhanden sind, der Fall der Mauer und die friedliche Revolution ein Glücksfall für alle Deutschen.
Die DDR war wirtschaftlich und moralisch am Ende. Wer an die wirtschaftliche Situation nicht glaubt und denkt, dazu müssten andere die DDR schlecht reden, der muss nur noch einmal die Geheimakten des Politbüros nachlesen, die ja jetzt allen zugänglich sind. Über die Zahlungsunfähigkeit der DDR ist dort nachzulesen - Alexander Schalck-Golodkowski: Die Plankommission hat festgestellt, dass - aus dem Jahr 1987 ist der Bericht -, wenn es nicht zu gravierenden Verbesserungen in der Effizienz des wirtschaftlichen Systems der DDR kommt - das war nicht absehbar -, der Lebensstandard in der DDR, der nach OECD-Durchschnitt zum Teil an der Armutsgrenze gelegen hat, um 25 bis 30 % in den Jahren 1989/90 wird abgesenkt werden müssen. Es wurde bereits im Jahr 1987 vor politischen Unruhen aus diesem Grund gewarnt.
Für die Sozialromantiker noch zwei, drei Sätze. Die DDR war nicht der sozialere Staat. Allen Behauptungen entgegengestellt muss man sich nur die klaren, nüchternen Fakten anschauen. Das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern, das Verhältnis der Betreuungskräfte in einer Kindertagesstätte zu den Kindern sei nur mal am Rande erwähnt, ebenso wie die Zahl der Mindesturlaubstage in der DDR.
Ich rede nicht von den Arbeitsbedingungen bei Buna, in Leuna oder in Bitterfeld und vom Zwangseinsatz von Gefangenen, die zum Schluss die Produktion von Betrieben aufrechterhalten mussten, der menschenverachtend war. Die Anzahl von Toten bei den Produktionsprozessen bei Buna, in Leuna und Bitterfeld war ein Staatsgeheimnis. Auch die Umweltkatastrophen, die damit verbunden waren, waren ein Staatsgeheimnis. Es war nicht der sozialere Staat, auf keinen Fall.
Gestatten Sie mir zum Abschluss noch einige wenige Sätze auch an unsere Mitbürger im Westen unserer Republik. Die Verniedlichung und Verharmlosung der DDR als Unrechtsstaat ist das eine, was man immer wieder über die Ostdeutschen nachlesen kann. Aber dass es Sprüche gibt wie „Wir wollen unsere Mauer wieder haben“, die auch im Westen der Republik in Leserbriefen nachzulesen sind, gehört auch zur Wahrheit.
Es muss an dieser Stelle auch gesagt werden, dass der Mauerfall, die Wiedervereinigung des deutschen Vaterlandes keinesfalls so dargestellt werden darf, dass nunmehr die Aufbaulasten vom Westteil unserer Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland aufgebracht werden sollen, das heißt, dass die einen zahlen und die anderen den Nutzen haben.
Der Aufbau Ost ist nicht nur ein Aufbau Ost, er ist auch ein Glücksfall für Millionen Deutsche im Westen unserer Republik.
Damit meine ich nicht nur immaterielle Werte, den Zugang zu den eigenen Familien ohne Grenzkontrollen, den Zugang zu den Kulturgütern, die so reichhaltig in Mitteldeutschland anzutreffen sind, nein, ich meine das mal ganz nüchtern materiell. Wer einfach nur die Sachverständigenberichte zur wirtschaftlichen Lage zu Anfang der 90er-Jahre nachliest, wird feststellen: Es gab eine unglaubliche Sonderkonjunktur, die dazu führte, dass eine Millionenbeschäftigung im Westen der Republik gesichert wurde.
Wir hatten in den 90er-Jahren eine Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts um 7 bis 8 %. Das bedeutet, dass Hunderttausende pro Jahr zusätzlich eine Beschäftigung fanden. Und wenn Sie wissen, dass der Export - ich nenne nur zwei, drei Zahlen noch - nach der Wende in den Jahren 1990 bis 1993, als noch andere Statistiken geführt wurden, um 13 % wuchs - 13 % Zuwachs bedeuteten im Jahr 1991 645 Milliarden DM -, dann muss man noch wissen: Dazu gehörten entsprechend der statistischen Systematik 207 Milliarden DM an Lieferungen in den Osten der Republik.
Wenn man das einmal weiterführt, weiß man, dass nur die Hälfte des Konsums, also des frei verfügbaren Einkommens, das auch ausgegeben wurde - das lag in den 90er-Jahren so zwischen 480 und 500 Milliarden DM -, im Osten der Republik produziert wurde. Der Rest kam aus dem Westen der Republik.
Das heißt doch ganz klar, dass ein Großteil des Geldes, das angeblich in den Osten geflossen und dort verbraten worden ist, wieder in den Westen der Republik zurückgeflossen ist. Das ist bis heute so. Das wird viel zu wenig erwähnt. Weil es vielleicht den Aufbau Ost verständlicher machen würde, sollte man es öfter erwähnen.
Diese Sonderkonjunktur und diese Chancen für viele Unternehmen in ganz Deutschland müssen mit erwähnt werden. Das gehört mit zur Aufrechnung der Lasten aus der Teilung Deutschlands.
Ganz zum Schluss will ich nur an eines noch erinnern, was wirklich nicht vergessen werden darf - ich habe es eingangs in einem Satz erwähnt -: Das ist die Friedensdividende, die wir haben. Die meisten wissen es gar nicht mehr. Aber wir hatten in der Bundeswehr 495 000 Mann unter Waffen. Wir hatten 170 000 Mann in der NVA plus zusätzliche Leute, die beschäftigt wurden. Wir
Dass wir all das mit einer so großen Hochrüstung und Spannung der Blöcke nicht mehr haben, ist ein Glücksfall der Geschichte, und ich danke im Namen der CDUFraktion den Männern und Frauen aus dem Herbst 1989 dafür, dass sie den Mut hatten, bei persönlichen Risiken für Leib und Leben die Wende einzuleiten und für uns dem Glücksfall der deutschen Wiedervereinigung den Weg zu bereiten.
Das war der Beitrag der CDU-Fraktion. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Abgeordnete Herr Höhn.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Herbst des Jahres 1989 war ich selbst 14 Jahre alt. Ich gehöre also zu einer Generation, die mittlerweile den größten Teil ihrer Biografie nicht in der DDR, sondern im wiedervereinigten Deutschland gelebt hat. Das bringt es mit sich, dass man durchaus einen anderen persönlichen Blick auf diese geschichtlichen Ereignisse und die Zeit davor hat als jemand, der zum Beispiel mit 14 Jahren die Gründung der beiden deutschen Staaten erlebt hat.
Auch die Frage der persönlichen Verantwortung - im Guten wie im Schlechten - ist natürlich von anderer Relevanz. Was sich trotz dieses Generationenunterschiedes nicht ändert, ist die Tatsache, dass die friedliche Revolution des Jahres 1989 für uns alle und auch für die nachfolgenden Generationen von einschneidender Bedeutung war und ist.
Im 40. Jahr des Bestehens der DDR war der real existierende Sozialismus endgültig gescheitert. Er scheiterte - wie im gesamten damaligen Ostblock - nicht zuerst an äußeren Umständen, sondern an seinen eigenen inneren Widersprüchen, an seinen Fehlern und auch Verbrechen sowie seiner wirtschaftlichen Ineffizienz. Schon Jahre zuvor gelang es der SED nicht mehr, eine Mehrheit der Menschen in der DDR von der Richtigkeit ihrer Politik ernsthaft zu überzeugen. Im Herbst 1989 hatte sie auch das letzte Vertrauen verspielt.
Aber wo nahm dieser Prozess seinen Anfang? War die DDR ein Fehler an sich und damit auch der Versuch der Beschreitung eines anderen gesellschaftlichen Weges nach den verheerenden zwölf Jahren nationalsozialistischer Gewaltherrschaft und Krieg? - Ich meine: nein.
Der Großteil der Menschen in Ost wie West war nach dem Jahr 1945 nicht nur von dem Impuls geleitet, einen gesellschaftlichen Neuanfang zu wagen, sie fühlten sich vielmehr dazu verpflichtet angesichts der unfassbaren Zahl der Opfer der Jahre zuvor. Aber natürlich schlug das nunmehr im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges geteilte Deutschland in den unterschiedlichen Besatzungszonen sehr schnell unterschiedliche Wege ein. Wir sollten uns daher davor hüten, vorschnell den Versuch auf ostdeutscher Seite per se als illegitim anzusehen.
Ob diese DDR jedoch jemals eine reale Chance hatte, unter den Vorzeichen der Blockeinbindung und des sowjetischen Vorbildes einen selbständigen demokratischen
Weg zu gehen, steht auf einem anderen Blatt. Aber ich stelle eben nicht in Abrede, dass es viele gab, die damals nach dem Krieg daran glaubten und dafür stritten.
In den folgenden 40 Jahren gab es immer wieder Ereignisse, die Hoffnung keimen ließen. Ich will an den Prager Frühling erinnern. Aber stets wurden diese Hoffnungen bitter enttäuscht. Meist folgte auf sie eine weitere Verschärfung des undemokratischen Durchgriffs und der Repression.
In den 80er-Jahren gründete sich - meist unter dem Schutz kirchlicher Institutionen - eine Vielzahl von Initiativen und Friedenskreisen. Im Januar 1989 wurde am Rande der alljährlichen Liebknecht-Luxemburg-Ehrung der SED der Spiegel vorgehalten mit dem berühmten Zitat von Rosa Luxemburg: „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.“
Als dann im Sommer Tausende über die bundesdeutsche Botschaft in Prag oder über die mittlerweile geöffnete ungarische Grenze Richtung Österreich flüchteten, wurde wohl den meisten klar, dass die Dinge alsbald nicht mehr so sein würden, wie sie waren.
Zwei Tage nach dem bizarren Schauspiel der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR, bei denen sich eine Staatsführung präsentierte, die nichts begriffen zu haben schien, kam es am 9. Oktober in Leipzig nicht erstmalig zu einem Friedensgebet und einer öffentlichen Demonstration des gesellschaftlichen Widerspruchs in der DDR, aber zum ersten Mal in diesem Herbst waren Zehntausende unterwegs.
Die Menschen in der DDR gingen auf die Straßen, weil sie das Gefühl hatten, ihnen fehle die Luft zum Atmen. Sie hatten sich für Demokratie und Selbstbestimmung entschieden und gegen einen Staat, der zwar für ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit sorgte, aber ihnen eben in wichtigen Bereichen das Recht absprach, für ihr Land und ihre persönliche Entwicklung selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen. Dies alles geschah in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft und dies alles geschah friedlich. Und wir alle sind dankbar dafür.
„Auf der einen Seite wünschen wir uns eine Erweiterung des Warenangebots und bessere Versorgung, andererseits sehen wir deren soziale und ökologische Kosten und plädieren für die Abkehr von ungehemmtem Wachstum. Wir wollen Spielraum für wirtschaftliche Initiative, aber keine Entartung in eine Ellenbogengesellschaft. Wir wollen das Bewährte erhalten und doch Platz für Erneuerung schaffen, um sparsamer und weniger naturfeindlich zu leben.
Wir wollen geordnete Verhältnisse, aber keine Bevormundung. Wir wollen freie, selbstbewusste Menschen, die doch gemeinschaftsbewusst handeln. Wir wollen vor Gewalt geschützt sein und dabei nicht einen Staat von Bütteln und Spitzeln ertragen müssen... Um all diese Widersprüche zu erkennen, Meinungen und Argumente dazu anzuhören und zu bewerten, allgemeine von Sonderinteressen zu unterscheiden, bedarf es eines demokratischen Dialogs über die Aufgabe des Rechtsstaates, der Wirtschaft und der Kultur.“
Meine Damen und Herren! Dieser Moment im Herbst 1989 war darum nicht nur ein historischer Einschnitt, er
Meine Damen und Herren! Wenn ich heute als Vorsitzender der Partei DIE LINKE in Sachsen-Anhalt zu diesem Jahrestag das Wort ergreife, komme ich nicht umhin, über meine eigene Partei zu sprechen.
Nachdem sich die Führung der SED im Herbst 1989 als unfähig und unwillig erwiesen hatte, auf die gesellschaftlichen Herausforderungen zu reagieren, erzwangen die Mitglieder der Partei gegen den Willen des ZK einen außerordentlichen Parteitag. Dieser Parteitag im Dezember 1989 war in seiner Debatte und in seinen Ergebnissen rückblickend die Voraussetzung dafür, in den Jahren danach eine von vielen Menschen akzeptierte demokratisch-sozialistische Partei in der Bundesrepublik überhaupt etablieren und schließlich wählbar machen zu können.
Da ist zum einen die dort formulierte Entschuldigung bei den Bürgerinnen und Bürgern der DDR - ich will sie zitieren -:
„Die Delegierten des Sonderparteitages sehen es als ihre Pflicht an, sich im Namen der Partei gegenüber dem Volk aufrichtig dafür zu entschuldigen, dass die ehemalige Führung der SED unser Land in eine existenzgefährdende Krise geführt hat. Wir sind willens, diese Schuld abzutragen. Wir danken aufrichtig den mündigen Bürgern unseres Landes, die die radikale Wende durch ihren mutigen, gewaltlosen Kampf erzwungen haben.“
Zum anderen war es auf diesem Parteitag die Rede Michaels Schumanns, der mittlerweile leider verstorben ist, in der er den „unwiderruflichen Bruch mit dem Stalinismus als System“ formulierte. Diese Rede wurde zum Gründungskonsens der PDS und gehört heute zum Programm unserer neuen gesamtdeutschen Partei.
Wir wissen sehr genau: Unsere Verantwortung vor der Geschichte bleibt. Es ist diese Verantwortung, die uns auch heute in unseren politischen Positionierungen prägt. Wenn meine Fraktion, wie es gestern geschehen ist, so leidenschaftlich für das Versammlungsrecht streitet, dann tun wir dies eben nicht, wie es uns mitunter unterstellt wird, in Ignoranz gegenüber unserer Geschichte, sondern wir tun dies gerade wegen der Konsequenzen, die wir aus unserer eigenen Geschichte gezogen haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute fragen viele, was vom Aufbruch und von der Leidenschaft des Herbstes 1989 geblieben ist. Immer weniger machen von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Immer weniger sind bereit, sich in Parteien zu engagieren. Die Hoffnung ist oft der Sorge um die Zukunft gewichen. Fast zwei Millionen Menschen haben die neuen Bundesländer verlassen. Das Vertrauen in die demokratischen Institutionen dieses Landes ist auf einem Tiefpunkt; ja, von einigen wird die Demokratie sogar prinzipiell infrage gestellt.
Manche sagen, eine solche Einschätzung sei ungerecht; vieles sei doch in den letzten 20 Jahren geschehen. - Ja, das ist es und das darf nicht in Abrede gestellt werden. Aber dennoch bleibt die Frage, warum so viele trotz des Aufbaus Ost zu dieser Meinung gelangen.
Ich habe nicht umsonst mit dem Zitat des Neuen Forums an die Motive der damaligen Demokratiebewegung erinnert. Es ging um beides. Es ging um die Gleichzeitigkeit
Die Armuts- und Reichtumsberichte der Landes- und Bundesregierung sind dafür ein ernüchternder Beleg. Für immer mehr Menschen ist die Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben eben nur eingeschränkt oder gar nicht mehr möglich. Diese Lücke spüren die Menschen und das lässt sie bisweilen auch resignieren.
Die friedliche Revolution des Jahres 1989 ist unsere gemeinsame Verpflichtung über Parteigrenzen hinweg. Demokratie ist nichts, was uns geschenkt wurde. Sie muss jeden Tag neu mit Leben erfüllt werden. Gerade dafür ist es notwendig, diese umfassenden Rechte für jede Frau und jeden Mann auch real zugänglich zu machen. Dies ist nicht zuletzt auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Wir werden uns dafür immer engagieren. - Herzlichen Dank.