Protocol of the Session on March 20, 2009

Bewertung der EU-Strukturfondsförderung von 2000 bis 2006

Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE - Drs. 5/1339

Antwort der Landesregierung - Drs. 5/1430

Wir haben für die Aussprache die Redezeitstruktur C mit einer Redezeit von 45 Minuten gewählt. Entsprechend unserer Geschäftsordnung erteile ich zunächst dem Abgeordneten Herrn Czeke von der Fraktion DIE LINKE das Wort. Bitte schön, Herr Czeke.

(Herr Tullner, CDU: Dem Herrn Kandidaten! - Herr Gürth, CDU: Der Kandidat!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es hier im wahrsten Sinne des Wortes mit einem sehr schwergewichtigen Thema zu tun, wie man sehr schön an diesem Stapel Papier erkennen kann.

(Der Abgeordnete hebt einen Stapel Papier in die Höhe)

Ich gebe zu, wir haben eine sehr ausführliche Anfrage an die Landesregierung gestellt, aber die Antwort bzw. zumindest die Länge der Antwort, leider nicht der Inhalt, übertraf doch bei Weitem unsere Erwartungen.

(Minister Herr Bullerjahn: Na, na, Herr Czeke!)

Die Antwort auf unsere Große Anfrage zur Bilanz der EU-Strukturfonds 2000 bis 2006 umfasst ganze 713 Seiten. Sie ist damit fast doppelt so stark wie der Nachtragshaushalt, der gestern behandelt wurde. Allerdings sind davon nur 59 Seiten Text; der Rest sind Listen, Tabellen usw. Allein 514 Seiten enthalten eine Auflistung von Indikatoren - immerhin.

Doch worum ging es uns in unserer Großen Anfrage? - Es ging um die EU-Strukturfonds und den Beitrag der EU-Regionalpolitik für das Land Sachsen-Anhalt in der Förderperiode 2000 bis 2006.

Laut Definition besteht das Ziel der europäischen Regionalpolitik darin, die Solidarität in der Europäischen Union durch die wirtschaftliche und soziale Kohäsion konkret umzusetzen, indem sie die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen verringert. - Das ist nicht von mir, sondern das ist eine EU-Definition.

Das heißt, dass mit den Strukturfonds die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede in bzw. zwischen den Regionen bekämpft werden sollen. Es werden vor allem die Regionen gefördert, die in ihrer Wirtschaftskraft ne

gativ vom Durchschnitt der EU abweichen. Dazu gehört leider auch das Land Sachsen-Anhalt.

Aus diesem Grund wurden in der Förderperiode 2000 bis 2006 für das gesamte Land Sachsen-Anhalt mit Stichtag 31. Mai 2008 laut der mir vorliegenden Anlage 2 Strukturfondsmittel in Höhe von rund 3,275 Milliarden € an das Land gezahlt. Und die im Zusammenhang mit den Strukturfonds insgesamt verausgabten Mittel belaufen sich sogar auf rund 11,3 Milliarden €.

Die Gesamtausgaben verteilen sich wie folgt auf die einzelnen Fonds - wie gesagt, immer mit Auszahlungsstand 31. Mai 2008 -: EFRE 1,825 Milliarden €, ESF 685,44 Millionen € und EAGFL 758,34 Millionen €.

Diese Mittel wurden in Sachsen-Anhalt auf die Schwerpunkte und auf die technische Hilfe verteilt; fünf Schwerpunkte wurden benannt - wie gesagt, mit Auszahlungsstand 31. Mai 2008 -:

Schwerpunkt 1 - Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere der KMU -: 891,8 Millionen € - die KMU betone ich deshalb, weil ich darauf nachher noch mit einem Schmankerl zurückkommen werde -, Schwerpunkt 4 - Förderung des Arbeitskräftepotenzials und der Chancengleichheit -: 664,5 Millionen €, Schwerpunkt 5 - Ländliche Entwicklung -: 754 Millionen € und technische Hilfe: immerhin noch 39,663 Millionen €.

Ich denke, dass wir alle darin einig sind, dass diese Mittel - das ist sehr positiv - einen wichtigen Beitrag zum Voranbringen unseres Landes leisten. Worin wir uns aber wahrscheinlich unterscheiden, ist die Auffassung über die Ausrichtung und Verteilung dieser Mittel.

Wir sind uns vielleicht noch darin einig, dass eine ausgewogene Verteilung der Mittel auf die Wirtschaft und das Arbeitskräftepotenzial das Beste wäre.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist im Land Sachsen-Anhalt aber leider nicht der Fall; es liegt eine klare Verschiebung zugunsten der Unternehmen vor. Das ist auch nach der eben geführten Debatte nicht verwunderlich. Die Schwerpunkte 1 und 2 umfassen zusammen ein Volumen von 1,7 Milliarden €, während der Schwerpunkt 4 - Förderung des Arbeitskräftepotenzials und der Chancengleichheit - gerade einmal ein Volumen von 660 Millionen € aufweist - aber trotz alledem: immerhin.

Es hat sich gezeigt, dass wir in Zukunft mit einem nicht unerheblichen Fachkräftemangel im Land konfrontiert sein werden - das sind wir eigentlich schon jetzt. Schon heute können nicht alle Ausbildungsstellen in den Unternehmen besetzt werden, weil die Bewerber die Anforderungen der Unternehmen nicht erfüllen, weil sie teilweise über einen zu schlechten Bildungsabschluss verfügen oder trotz ihres Bildungsabschlusses nicht die nötigen Fertigkeiten und Kenntnisse mitbringen - Stichwort Demografie.

Es ist also dringend notwendig, vor allem in die Bildung und in das Arbeitskräftepotenzial unseres Landes zu investieren - alles EU-Ziele. Aber auch in der jetzigen Förderperiode konzentriert sich die Landesregierung vor allem auf die Wirtschaft und auf die wirtschaftsnahe Infrastruktur. Während der EFRE in dem Förderzeitraum von 2007 bis 2013 ein Volumen von 1,93 Milliarden € umfasst - zuvor waren es 1,7 Milliarden € -, liegt dieses beim ESF bei nur 644 Millionen €. Vorher waren es immerhin noch 660 Millionen €.

Hierbei macht sich wieder die unserer Meinung nach auf den freien Wettbewerb ausgerichtete Politik der EU bemerkbar, in der die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen Vorrang vor sozialen Aspekten genießt.

Der jetzige Kommissionspräsident Barroso will den europäischen Sozialraum aber als Vorbild für andere Nationen auf dem G20-Gipfel am 1. und 2. April 2009 in London präsentieren, zum Beispiel für Länder wie China, Indien und Indonesien. Und auch die Landesregierung bekennt sich dazu, den Sozialraum Europa im demografischen Wandel mitzugestalten.

Barrosos Geschenk - heute verkündet -: Zum 7. Juni 2009 wird doch ein 5-Milliarden-€-Programm für neue Energieleitungen und für die ländliche Entwicklung aufgelegt. Auch hierin ist die Breitbandversorgung vorgesehen.

Ich hatte Folgendes bereits in einer der letzten Sitzungen zitiert:

„Eine wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Förderung sozialer Gerechtigkeit unter den Bedingungen des demografischen Wandels sind auch und gerade für Sachsen-Anhalt im Herzen Mitteleuropas von großer Bedeutung.

Ein hohes Niveau von Beschäftigung und Gesundheitsschutz, die Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes sind auch Faktoren für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und erfordern im europäischen Binnenmarkt gemeinschaftsweite Mindeststandards. SachsenAnhalt wird sich deshalb weiterhin aktiv bei der Ausgestaltung des europäischen Sozialraums und der Gestaltung des demografischen Wandels einbringen.“

Diesbezüglich frage ich die Landesregierung: Wie sieht Plan B aus? - Denn Plan A, wie ihn Staatsekretärin Dienel erdacht hat, ist das Heimkehrerpäckchen mit T-Shirt auf dem steht: „Wir stehen früher auf!“

(Beifall bei der LINKEN)

Nun möchte ich zu den Antworten der Landesregierung auf unsere Anfrage zurückkommen. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass wir doch sehr von der Qualität der Antwort auf unsere Anfrage enttäuscht waren. Es ist nicht nur so, dass die Antworten anscheinend teilweise nur aus anderen Dokumenten herauskopiert worden sind - hierbei hat man sich meist nicht einmal die Mühe gemacht, die Zeitformen der Verben anzupassen -, sie waren zudem inhalts- und aussageleer.

Diese Antworten haben unseres Erachtens nicht zur Verbesserung der Transparenz und der Öffentlichkeitsarbeit der Europäischen Union beigetragen. Wenn sich ein Bürger tatsächlich die Mühe machen würde, diese 713 Seiten zu lesen bzw. durchzuarbeiten, dann würde sich das Bild vom „Bürokratiemonster EU“ eher noch verstärken. Aber der Kollege Stoiber arbeitet ja daran.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Auch wird leider keine Verantwortung für Erfolg oder Misserfolg übernommen; vielmehr wird in bewährter Weise auf andere Entscheidungsträger als Zuständige verwiesen. Diese Herausredetaktik zieht sich wie ein roter Faden durch die Antworten der Landesregierung.

Uns liegt auch eine Antwort auf eine ähnliche Anfrage unserer Kolleginnen und Kollegen in Thüringen vor, bei

der man einen deutlichen, positiven Unterschied in der Qualität zu den Antworten unserer Landesregierung feststellen kann. Die Antwort der thüringischen Landesregierung umfasste übrigens lediglich 70 Seiten mitsamt Listen und Tabellen, das entspricht gerade einmal einem Zehntel des Umfangs der Antwort unserer Landesregierung. Aber die Quantität allein macht es nicht. Solche Unterschiede hatten wir in Mitteldeutschland nicht erwartet, ist doch Thüringen auch CDU-regiert.

In den Antworten unserer Landesregierung sind des Weiteren kaum Bewertungen und Beurteilungen vorgenommen worden; wenn doch, dann wurden meist nur sehr allgemeine Antworten gegeben, die nicht den Anschein erweckt haben, dass sie auf einer gründlichen Erfolgsanalyse fußten.

Damit wären wir beim Thema Erfolgsanalyse. Diese ist ein weiteres, unseres Erachtens sehr diffiziles Detail; denn eine solche Analyse fand meist gar nicht statt. Allerdings muss ich der Landesregierung zugestehen, dass diese meist auch gar nicht möglich war, weil - wie die Landesregierung immer wieder betont - die von der Kommission vorgegebenen Indikatoren - ich zitiere - „nicht alle... sinnvoll auswertbar sind“.

An dieser Stelle sei die Frage gestattet: Warum werden sie dann angewendet?

Dieser Umstand wäre vielleicht bei einer kleinen Anzahl von Fällen verständlich, jedoch mutiert diese Phrase schon fast zur Standardantwort in der Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage.

Ich möchte nur eines von vielen Beispielen für eine unseres Erachtens nicht ausreichende Erfolgsanalyse benennen, nämlich die Antwort auf Frage 12. Ich lese die Frage vor:

„Wie viele Dauerarbeitsplätze, die mithilfe von Fördermitteln der EU im Zeitraum 2000 - 2006 geschaffen und gesichert worden sind, wurden mindestens ein Jahr nach dem Auslaufen der Förderung erhalten?“

Die Antwort der Landesregierung lautet:

„Eine Gegenüberstellung des Istwerts zum Zeitpunkt der Verwendungsnachweisprüfung sowie nach Ende des ersten Jahres der Zweckbindung erfolgt nicht.“

Man darf schon einmal die Frage nach der Nachhaltigkeit von bestimmten Maßnahmen und Projekten stellen, wenn wir nicht einmal ein Jahr nach dem Auslaufen des Projekts wissen, ob die Arbeitsplätze dort überhaupt noch existieren. Entschuldigen Sie bitte, meine Damen und Herren, doch einen solchen Umstand finde ich sehr fatal.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist uns durchaus bewusst, dass die Förderperiode 2000 bis 2006 auch mit der n+2-Regel im Jahr 2008 zu Ende ist und dass inzwischen theoretisch seit dem Jahr 2007, praktisch seit dem Jahr 2008 eine neue Förderperiode läuft und dass dafür auch die Indikatoren überarbeitet wurden. Doch nichtsdestotrotz werden wir natürlich unter diesen Gesichtspunkten bei den Berichten zur laufenden Förderperiode ganz genau hinschauen und die bis dato von der Landesregierung vorgezeigten Erfolge hinterfragen.

Nun möchte ich einige Zahlen im Detail nennen, soweit dies bei 713 Seiten und meiner Redezeit überhaupt mög

lich ist. Schaut man sich die Gegenüberstellung von Plan-, Soll- und Istwerten bei der Bewilligung und der Zahlung an, kann man eigentlich recht zufrieden sein. Geht man aber doch ein wenig weiter ins Detail, indem man sich die Jahresscheiben und hierbei das Verhältnis von Zahlungen gegenüber dem Plan in den einzelnen Schwerpunkten ansieht, dann fällt einem doch so manches auf, das einer Klärung bedarf.