Protocol of the Session on July 7, 2006

Meine weitere Frage ist: Betrifft es auch jüngere Leute, zum Beispiel einen 40-Jährigen, der körperlich gesund ist, der aber zahlreiche vergebliche Vermittlungsbemühungen hinter sich hat? Kann er tatsächlich in einem solchen Programm klassifiziert werden als ein nicht oder nur extrem schwer Vermittelbarer? - Dann ist er für den Rest seines Lebens stigmatisiert. Das hat mit Sozial- und Arbeitsmarktpolitik nichts mehr zu tun.

Herr Professor Paqué, ich mache dieses Geschäft jetzt seit 16 Jahren und ich weiß, worauf Sie hinaus wollen. Das sind durchaus ernst zu nehmende Fragen.

(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: Das sind ernst zu nehmende Fragen!)

Aber gehen Sie davon aus, dass ich das alles durchaus in meinem Hinterkopf gespeichert habe und die verschiedensten Erfahrungen damit gemacht habe. Aber es gibt weder „den Arbeitslosen“ und „die Arbeitslose“ noch gibt es drei, vier Gruppen von Arbeitslosen. Momentan werden Arbeitslose eingeteilt in die so genannten Marktkunden, in die Beratungskunden und in die Betreuungskunden.

Das sind schon Begriffe, die für sich sprechen. Ich verwende sie ansonsten im Allgemeinen nicht. Aber diese Ausdifferenzierung des Bestandes an Arbeitslosen und vor allen Dingen an Langzeitarbeitslosen erfolgt jetzt schon, siehe Ombudsratsbericht. Dieser enthält bestimmte Empfehlungen, welche Instrumentenkataloge für welche Zielgruppe zur Verfügung gestellt werden können.

(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: Befristet?)

Aber klare Antwort: Als wir mit der Diskussion über die Bürgerarbeit angefangen haben, waren die älteren, nicht vermittlungsfähigen Arbeitslosen eindeutig die eigentliche Zielgruppe. Letztendlich kann man, wenn wir über die Pilotphase hinauskommen, eigentlich nur in Richtung Unbefristetheit bis zur vorzeitigen Altersrente oder zur Altersrente denken. Der ganze vermittlungsfähige Zwischenbereich ist in den SGB-III- und SGB-II-Systemen mit so vielen anderen aktivierenden, fit machenden und qualifizierenden Instrumenten ausgestattet, dass wir ihn nicht hineinzunehmen brauchen.

Aber es gibt auch eine andere Personengruppe, zum Beispiel die bis zu 25 Jahren. Die kommen nicht in die Maßnahmen hinein. Man sollte überlegen, ob man einen gewissen Ansatz auch für diese Personen vorhalten sollte, um sie bewusst in Vierteljahres- oder Halbjahresmaßnahmen zu halten,

(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: Befristet?)

- befristet, klar - um zu schauen, ob sie überhaupt mitwirken.

Sie wissen, dass sich bei Arbeitsangeboten dieser Art ein nicht unerheblicher Anteil sofort aus der Arbeitslosigkeitsmeldung verabschiedet. Das ist für mich der Punkt, an dem ich sage: Die jungen Leute brauchen an dieser Stelle auch einen gewissen positiven Druck, damit ihnen klar gemacht wird: Entweder du machst mit oder du kriegst keine Leistungen. Eigentlich müsstest du in den ersten Arbeitsmarkt. Bitte stell dich zur Verfügung, damit wir mit dir etwas in anderen Maßnahmen, die wir vorhalten, machen können.

Professor Paqué hat noch eine Nachfrage. Vielleicht können Sie diese auch noch beantworten?

(Unruhe bei der CDU, bei der SPD und bei der Linkspartei.PDS)

Es geht - -

(Unruhe)

Ich bitte doch darum zuzuhören.

Meine Frage ist ganz präzise und kurz: Es geht dann bei jüngeren Arbeitskräften ausschließlich um befristete Stellen?

Ja, davon können Sie ausgehen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Herzlichen Dank, Herr Minister, für die umfangreichen Ausführungen. - Für die anschließende Debatte ist jetzt genug Stoff da. Die erste Debattenrednerin ist die Abgeordnete Frau Take von der CDU. Sie haben das Wort, bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist immer schwierig, nach zwei so ausgemachten Fachleuten zu reden. Ich will es trotzdem versuchen.

Steigende Arbeitslosenzahlen in den letzten Jahren, verbunden mit einer ständig abnehmenden Zahl an versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen alarmieren zu Recht Politik und Öffentlichkeit. Während in Sachsen-Anhalt im Juni dieses Jahres 226 388 Menschen - das sind 17,9 % - ohne Arbeit waren, sind es bundesweit ca. 4,4 Millionen Menschen. Einschließlich ihrer Familien ist ein Viertel unserer Bevölkerung direkt von Arbeitslosigkeit betroffen. Überdurchschnittlich viele Betroffene sind Jugendliche sowie ältere Menschen.

Seit Anfang der 90er-Jahre sinkt die Beschäftigung ständig. Waren es im Jahr 1992 noch 29,3 Millionen versicherungspflichtige Jobs, so waren es im Jahr 2005 nur noch 26,3 Millionen. Damit gingen nicht nur sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren, sondern es

fehlen auch drei Millionen Beitragszahler in der gesetzlichen Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung.

Neue Technologien und die Globalisierung schlechthin beschleunigen diesen Prozess. Hinzu kommt, dass der Produktivitätsfortschritt in den letzten Jahren über dem Wirtschaftswachstum lag, wodurch die Beschäftigungsschwelle ständig unterschritten wurde.

Die gesellschaftlichen Folgen und die für jeden einzelnen Bürger sind gravierend. Trotz einer Belebung der Konjunktur wird das Problem der Massenarbeitslosigkeit keine vorübergehende Erscheinung sein. In den letzten Jahrzehnten hat es sich in Deutschland gezeigt, dass jeder Aufschwung eine neue Sockelarbeitslosigkeit zurückließ.

Einfache Arbeitsplätze gehen immer häufiger verloren. Herr Dr. Haseloff sagte bereits, dass der Arbeitsmarkt mit Arbeitskräften, die hoch qualifiziert sind, teilweise gar nicht mehr befriedigt werden kann. Es wird deshalb vor allen Dingen problematisch, Langzeitarbeitslose ohne Berufsabschluss, ältere Arbeitslose über 50 Jahre oder Jugendliche ohne oder ohne ausreichenden Schulabschluss zu vermitteln.

Deshalb stimme ich ausdrücklich unserem Bundespräsidenten zu, der in einem Interview in der „Bild“-Zeitung sagte - ich zitiere -:

„Unser Arbeitsmarkt muss vor allem auch denen Chancen geben, denen nur einfache Arbeit gelingt. Was sie leisten, verdient Respekt, und ohne ihre Leistung kommt Deutschland nicht in Fahrt.“

Es hat sich gezeigt, dass sich dieses Problem mit den bisher bekannten Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik nicht mehr wirksam bekämpfen lässt. Selbst bei Saldierung und sofortiger Vermittlung aller gemeldeten offenen Stellen und dem gleichzeitigen Einsatz aller für das Haushaltsjahr vorgesehenen arbeitsmarktpolitischen Instrumente würden Millionen an Arbeitslosen verbleiben, die der Arbeitsmarkt nicht mehr aufnehmen kann.

Es ist deshalb dringend notwendig, Alternativen zur Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen, die sinnvoll sind und die dem Erhalt der Erwerbsfähigkeit, der Integrationsfähigkeit und vor allen Dingen auch des Selbstbewusstseins jedes Einzelnen dienen. Deshalb muss entscheidende Bewegung in den Arbeitsmarkt kommen.

Hier setzt die Bürgerarbeit an. Sie reagiert flexibel auf die derzeitige Lage auf dem Arbeitsmarkt und bringt durch unkonventionelle Maßnahmen Menschen in Lohn und Brot. Aufgaben, die sich unsere Kommunen, Vereine oder soziale Einrichtungen im Moment aus Budgetgründen nicht leisten können, gibt es genug. Dabei ist es wichtig, dass diese Tätigkeiten im öffentlichen Interesse liegen.

Mir ist natürlich klar, dass es auch hierbei zu Substitutionseffekten kommen kann. Den ersten Arbeitsmarkt wird es sicherlich am Rande auch tangieren. Das muss man ganz genau im Auge behalten. Aber wir sollten es zumindest probieren.

„Unkonventionelle Maßnahmen“ heißt aber nicht, dass diese schlampig und deshalb mit heißer Nadel genäht werden sollen. Deshalb ist eine Erprobungsphase unerlässlich.

Herr Minister Haseloff ist ausführlich auf die Einzelheiten und die Auswirkungen der vorgesehenen Maßnahmen

eingegangen, sodass ich auf eine Aufzählung der Möglichkeiten verzichten kann.

Uns ist durchaus klar, dass die Politik keinen einzigen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt schaffen kann. Das ist die Aufgabe der Unternehmen. Das ist ganz klar. Aber unsere Aufgabe ist es, diese Unternehmen nach Kräften durch die Beseitigung investitionshemmender Gesetze und Verordnungen und ein zu viel an Bürokratie zu unterstützen.

Aber, meine Damen und Herren, wir werden auf absehbare Zeit nicht auf den zweiten Arbeitsmarkt verzichten können. Es ist also dringend an der Zeit, durch geeignete Projekte den Nutzen des Konzepts Bürgerarbeit unter Beweis zu stellen. Nicht die Finanzierung der Arbeitslosigkeit, sondern die Finanzierung der Arbeit ist das Ziel des Konzeptes. Die Menschen in unserem Land wollen arbeiten. Nichts wird als beschämender empfunden, als arbeitslos zu sein.

(Beifall bei der CDU)

Man sieht das ganz deutlich an den Menschen, die nach längerer Arbeitslosigkeit wieder eine Beschäftigung gefunden haben und stolz über ihre neue Tätigkeit berichten.

Es ist wichtig, Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, sofort wieder in eine Tätigkeit zu bringen, damit sie ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nicht verlieren. Das Angebot, zusätzliche Qualifikationen erwerben zu können, wird sie auch für den ersten Arbeitsmarkt wieder interessant machen.

Das Modell Bürgerarbeit ermöglicht die Durchlässigkeit in den ersten Arbeitsmarkt und verursacht keine oder nur marginale zusätzliche Kosten. Bürgerarbeit ist allemal besser als Arbeitslosengeld II. Deshalb bitte ich um Zustimmung zum Änderungsantrag von CDU und SPD.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Herzlichen Dank, Frau Take, für Ihren Beitrag. - Ich rufe nun den Beitrag der SPD auf. Die Abgeordnete Frau Hampel hat das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! In Anbetracht dessen, dass Herr Paqué schon ausführlich Fragen formuliert, Herr Haseloff schon ausführlich Fragen beantwortet und auch Frau Take inhaltlich schon sehr viel von meinem Redebeitrag gebracht hat, bitte ich um Erlaubnis, meine Rede zu Protokoll geben zu dürfen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

(Zu Protokoll:)

Die SPD-Fraktion begrüßt ausdrücklich die zwischen dem Ministerium für Wirtschaft und Arbeit gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit getroffene Verabredung, den Weg für ein neues Konzept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Sachsen-Anhalt frei zu machen.

Die derzeitige leichte Entspannung auf dem Arbeitsmarkt ist durchweg als positiv zu bewerten, auch dass

die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse erstmals seit Anfang der 90er-Jahre nicht weiter zurückgegangen, ja sogar um 0,1 Prozentpunkte leicht gestiegen ist.

Aber - das ist nun einmal die Realität; Herr Paqué, da widerspreche ich Ihnen - von dieser positiven Entwicklung können nur wenige profitieren. Auf der Strecke bleiben die Langzeitarbeitslosen, die Geringqualifizierten und auch viele ältere Menschen.