Protocol of the Session on July 7, 2006

Aber - das ist nun einmal die Realität; Herr Paqué, da widerspreche ich Ihnen - von dieser positiven Entwicklung können nur wenige profitieren. Auf der Strecke bleiben die Langzeitarbeitslosen, die Geringqualifizierten und auch viele ältere Menschen.

Auch wenn der positive Trend weiter anhält, wissen wir doch alle, dass die Wirtschaft allein die Nachfrage nach Arbeitsplätzen nicht erfüllen kann und bestimmte Personengruppen von der Wirtschaft auch nicht mehr nachgefragt werden. Aus diesem Grund bedarf es zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit in Sachsen-Anhalt neuer Wege.

Das Projekt Bürgerarbeit könnte diese Alternative sein. Denn durch die hier vorgesehene Schaffung eines auf Dauer angelegten öffentlichen Beschäftigungsmarktes kann eine wirkungsvolle Reduzierung der Massenarbeitslosigkeit eintreten.

Warum dieser dritte öffentliche Beschäftigungssektor erforderlich ist, wird deutlich, wenn man sich folgende Situation vor Augen hält: Jeder zweite ALG-Bezieher in Deutschland stand während der letzten zwei Jahre in keinem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis, ein Drittel der ALG-II-Empfänger sogar während der letzten sechs Jahre nicht. Bundesweit gibt es also mehrere Hunderttausend Menschen, die so arbeitsmarktfern sind, dass eine Heranführung an den ersten Arbeitsmarkt nicht mehr möglich ist.

Weil für die oben dargestellte Gruppe auch die neuen Instrumente der Hartz-Reform nicht zu einer dauerhaften Integrierung führen können, weil über den zweiten Arbeitsmarkt keine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt vorhanden ist, hat die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 einen klaren politischen Auftrag formuliert. Dort heißt es:

„In vielen Regionen Deutschlands ist es unerlässlich, gemeinsame Maßnahmen mit den Ländern zur Förderung gesellschaftlich sinnvoller gemeinnütziger Arbeiten für arbeitsmarktlich nicht mehr integrierbare Langzeitarbeitslose in der letzten Phase ihres Erwerbslebens zu schaffen.“

Gleiches findet sich in der EU-Leitlinie für Beschäftigung vom 12. Juli 2005 wieder. Auch der Ombudsrat steht in seinem Bericht vom 23. Juni 2006 der Einführung eines dritten, öffentlich geförderten Arbeitsmarktes aufgeschlossen gegenüber und begrüßt die Durchführung in Form von Pilotprojekten.

Das Projekt Bürgerarbeit bietet den nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt integrierbaren Menschen eine neue Chance auf soziale Teilhabe bei der Ausübung einer sinnstiftenden und gemeinwohlorientierten Tätigkeit.

Erstmalig werden in diesem Projekt passive Leistungen – Arbeitslosengeld I und II - in aktive umgewandelt; statt Arbeitslosengeld wird hier regulärer Arbeitslohn gezahlt.

Das Modellprojekt Bürgerarbeit entspricht in weiten Teilen dem von der SPD bereits im vergangenen Jahr entwickelten Konzept der GOBA; sie werden es aus unserem Wahlprogramm und unseren Papieren kennen. Es war immer unser sozialdemokratisches Verständnis, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse

auf einem dritten öffentlichen Beschäftigungssektor zu schaffen, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren.

Deshalb freuen wir uns, dass dieses Konzept vorerst nunmehr in der Praxis getestet und dann Schritt für Schritt in Sachsen-Anhalt umgesetzt wird.

Wir lehnen den Antrag der Linkspartei.PDS ab. Der Alternativantrag der Fraktionen der CDU und der SPD grenzt den Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS ein. Zunächst sollte das Ende der Modellphase in SachsenAnhalt abgewartet werden und dann im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit die Berichterstattung durch die Landesregierung erfolgen, bevor über weitere Schritte nachgedacht werden kann.

Ich bitte um Unterstützung für den Alternativantrag. Wir werden dem Antrag der FDP-Fraktion, der inhaltlich die gleiche Intention wie der Alternativantrag hat, ebenfalls zustimmen.

Schönen Dank, für Ihre Vorbemerkungen. Wir nehmen das zu Protokoll. Das gestatte ich Ihnen. - Dann hat für die Linkspartei.PDS die Abgeordnete Frau Dirlich das Wort, wenn Sie es möchte.

Nur noch ein paar wenige Bemerkungen. - Ich möchte dem Minister ganz herzlich für die Bezeichnung als „innovativste Idee“ danken, weil ich doch mit Fug und Recht sagen kann, dass diese Idee in der Tat von der Linkspartei stammt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Frau Weiß, CDU, lacht - Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: Das ist wahr! Das stimmt!)

- Das kann man nachlesen. Das ist nachweisbar.

(Zuruf von Frau Take, CDU)

Was die Sorgen der „FAZ“ betrifft, so kann ich mich wirklich köstlich darüber amüsieren. Ich frage mich ernsthaft, wie 20 oder 100 Betroffene in einem Projekt den ganzen Arbeitsmarkt in Deutschland durcheinander bringen sollen. Auf die Antwort auf diese Frage bin ich wirklich gespannt.

(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: Soll es bei 20 blei- ben?)

Natürlich ist der erste Arbeitsmarkt tangiert, aber er ist deshalb tangiert - Herr Paqué, das wissen Sie natürlich auch -, weil die Finanzierungsspielräume in sozialen Bereichen, in ökologischen Bereichen, im Sport, in der Jugendarbeit, bei der Betreuung von älteren Bürgerinnen und Bürgern immer enger werden und weil deshalb immer weniger an Betreuung in diesen Bereichen geleistet werden kann. Weil das so ist, sucht man nach Alternativen und findet sie nur im zweiten Arbeitsmarkt. Das ist schlimm genug.

Natürlich müssen wir auf solche Substitutionsgeschichten achten, ganz sicher, aber wir müssen uns auch mit den Ursachen befassen. Wir haben auch dazu Vorschläge gemacht. Die will ich jetzt nicht diskutieren.

Etwas verwirrt bin ich über den Umgang mit den Anträgen. Es ist jetzt nicht wirklich etwas dazu gesagt worden. Dass über das Modellprojekt Bürgerarbeit im Ausschuss diskutiert werden soll, ist mir vollkommen klar. Ich hatte

vorgeschlagen, dass wir auch das Konzept der Diakonie noch einmal in die Diskussion einbeziehen; darauf ist jetzt niemand eingegangen. Auch über den Vorschlag, den wir gemacht haben, kann man ja zunächst einmal im Ausschuss diskutieren. Dazu ist auch nichts gesagt worden.

Deshalb fordere ich Sie, meine Damen und Herren, nochmals auf, einfach alle drei Anträge in den Ausschuss zu überweisen, uns dort über alle interessierenden Fragen diskutieren zu lassen und nicht von vornherein einen Teil der Vorschläge auszublenden und einfach einen oder zwei der Anträge abzulehnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Frau Dirlich. - Die FDP-Fraktion kann jetzt noch einmal das Wort nehmen.

(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: Verzichte!)

- Herr Professor Paqué verzichtet.

Damit sind wir am Ende unserer Debatte. Wir kommen zum Abstimmungsverfahren. Frau Dirlich hat beantragt, alle drei Anträge zusammenzufassen und in den Ausschuss zu überweisen. Ich lasse erst einmal darüber abstimmen, ob Sie das wollen.

Wer für eine Überweisung aller drei Anträge in den Ausschuss ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das ist die Linkspartei.PDS-Fraktion. Wer stimmt dagegen? - Die Koalition. Wer enthält sich der Stimme? - Die FDP Fraktion. Damit ist eine Überweisung in den Ausschuss abgelehnt worden.

Ich stelle jetzt den Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS in der Drs. 5/100 zur Abstimmung. Wer stimmt zu? - Die Linkspartei.PDS-Fraktion. Wer stimmt dagegen? - Die Koalition und die FDP-Fraktion. Stimmenthaltungen? - Sehe ich nicht. Damit ist der Antrag abgelehnt worden.

Ich lasse über den Alternativantrag der Fraktionen der CDU und der SPD in der Drs. 5/138 abstimmen. Wer diesem Alternativantrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Zustimmung bei der Koalition. Gegenstimmen? - Gegenstimmen bei der Linkspartei.PDS-Fraktion und bei der FDP-Fraktion. Damit ist dieser Alternativantrag angenommen worden.

Ich lasse jetzt über den Antrag der Fraktion der FDP in der Drs. 5/121 abstimmen. Hierzu war keine Überweisung gewünscht worden. Wir stimmen daher über den Antrag direkt ab. Wer dem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Ich stelle Einmütigkeit fest. Gegenstimmen? - Keine. Stimmenthaltungen? - Auch keine. Damit ist der Antrag angenommen worden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei harte Tage liegen hinter uns. Wir sind am Ende der dritten Sitzungsperiode angelangt. Gestatten Sie mir aber noch ein kurzes Wort.

Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar dafür, meine Damen und Herren, dass Sie heute in den Debatten die Punkte „Weltoffenes Sachsen-Anhalt“ und „Programme gegen Rechtsextremismus“ thematisiert haben. Uns alle haben die Vorgänge in Pretzien erschüttert.

Mir ist es ein Anliegen, jedes fremdenfeindliche Verhalten und jeden verantwortungslosen Umgang mit unserer

Geschichte auf das Schärfste zu verurteilen. Alle diejenigen, die meinen, den Geist der Intoleranz in SachsenAnhalt pflegen zu können, müssen wissen: Sie sind in der Minderheit und haben bei uns keine Chance.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle müssen für das Miteinander jeden Tag neu kämpfen und dafür sorgen, dass Fremdenfeindlichkeit in Sachsen-Anhalt keine Chance hat.

Meine Damen und Herren! Wir sind am Ende unseres Sitzungstages angelangt. Ich wünsche Ihnen einen schö

nen heißen Sommer, so wie wir ihn hier zwei Tage lang erleben durften,

(Frau Weiß, CDU: Nicht ganz so heiß!)

und eine erholsame Zeit.

Ich berufe den Landtag zu seiner 4. Sitzungsperiode am 14. und 15. September 2006 ein. - Herzlichen Dank. Ein schönes Wochenende!

(Beifall im ganzen Hause)

Die Sitzung ist geschlossen

Schluss der Sitzung: 16.51 Uhr.