Protocol of the Session on July 7, 2006

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Ich habe jetzt tatsächlich die Möglichkeit, die Justizministerin zu vertreten, obwohl ich weder einfache noch Volljuristin bin. Das freut mich.

Ich will nur eine kurze Bemerkung machen: Erst mit dem Beschluss des Bundesrates zur Föderalismusreform am heutigen Tage ist ja die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Länder übergegangen oder wird auf die Länder übergehen. Das Land Sachsen-Anhalt, die Landesregierung wird verantwortungsvoll mit dieser Möglichkeit, mit diesem Auftrag umgehen und das Gesetzgebungsverfahren geordnet in die Wege leiten.

Wenn Sie gestatten, Herr Präsident, würde ich den Rest der Rede zu Protokoll geben.

(Zustimmung bei der CDU, von Herrn Dr. Thiel, Linkspartei.PDS, und von Herrn Prof. Dr. Paqué, FDP)

Wenn wir den ersten Teil nur als Vorrede bezeichnen, dann geht das. Man darf entweder alles oder gar nichts zu Protokoll geben.

Ich bitte darum.

Unter diesen Bedingungen geht das.

Danke sehr.

(Zu Protokoll:)

Mit Urteil vom 31. Mai 2006 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der Jugendstrafvollzug auf eine gesetzliche Basis gestellt werden muss. Jahrelang hatten Rechtspolitiker eine gesetzliche Grundlage gefordert. In der Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und SPD ist diese Forderung auch enthalten.

Über die Frage, warum es in der Vergangenheit nicht zu der Verabschiedung eines Gesetzes kam, könnte man lange Ausführungen machen. Die Bundesregierung hatte bereits in der vergangenen Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorgelegt. Aber Schuldzuweisungen helfen nicht weiter. Der Blick sollte in die Zukunft gerichtet sein. Das Interesse muss es jetzt sein, eine gesetzliche Grundlage für den Jugendstrafvollzug zu schaffen.

Das Bundesverfassungsgericht hat der Gesetzgebung für die Ausgestaltung des Jugendstrafvollzugs klare Vorgaben gegeben. Berücksichtigt werden muss, dass es

sich um Jugendliche handelt, die sich noch in der Entwicklung befinden. Daher schreibt das Bundesverfassungsgericht zum Beispiel häufigere Besuchsmöglichkeiten zur Aufrechterhaltung der familiären Kontakte als im Erwachsenenstrafvollzug, die Bereitstellung ausreichender Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten und angemessene Hilfe für die Phase nach der Entlassung vor. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Übergangsfrist für eine gesetzliche Regelung bis zum Ablauf des Jahres 2007 vorgesehen.

Das Bundesjustizministerium legte bereits einige Tage nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einen Gesetzentwurf vor, der in der vergangenen Woche auch mit Vertretern der Bundesländer diskutiert wurde. Damit wird die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Länderebene übergehen.

Bevor die Föderalismusreform im Bundesrat verabschiedet werden konnte, fordert die FDP die Landesregierung zum Handeln auf. Abgesehen davon kann der Antrag nicht unterstützt werden, da er vorsieht, zeitnah einen Gesetzentwurf zum Jugendstrafvollzug vorzulegen;

gleichzeitig aber verlangt die FDP, dass auf bundesweit einheitliche Regelungen hingewirkt wird. Um dies zu erreichen, muss aber auf Länderebene zunächst eine Abstimmung erfolgen und anschließend kann erst ein Gesetzentwurf vorgelegt werden. Es scheint, die FDP weiß nicht so recht, was sie will.

Inhaltlich stimmen wir insofern überein, als wir einheitliche Regelungen anstreben. Die FDP hat scheinbar gründlich den Text der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD in Sachsen-Anhalt studiert und die dortige Formulierung zum Antragstext erhoben.

Bereits die Koalitionsvereinbarung besagt für den Fall, dass die Gesetzgebung für den Strafvollzug auf die Landesebene übertragen wird, dass ein Verfahren zur Wahrung möglichst einheitlicher Standards der jeweiligen Rechtsmaterie angestrebt wird. Vielleicht können Sie, meine Damen und Herren von der FDP, Einfluss auf Ihren Parteikollegen und Justizminister in Baden-Württemberg, Herrn Professor Goll, nehmen. Der ist nämlich wenige Tage nach der Urteilsverkündung mit einem Gesetzentwurf an die Öffentlichkeit getreten, ohne sich mit seinen Ressortkollegen abzustimmen. Das ist nicht der Weg, um einheitliche Regelungen zu erreichen.

Sachsen-Anhalt wird einen anderen Weg gehen. Es wird sich in die Diskussion in den nächsten Wochen und Monaten einbringen. Zum einen wird das Ministerium der Justiz in den Erfahrungsaustausch und in Diskussionen eintreten, zum Beispiel mit der Wissenschaft, mit Anstaltsleitern und Anwälten. Auf der anderen Seite wird das Hauptaugenmerk darauf gerichtet sein, mit den anderen Bundesländern einen Konsens über einheitliche Standards herzustellen, auch wenn man sich in diesem Punkt keinen Illusionen hingeben darf, da einzelne Bundesländer, wie gesagt, schon mit Gesetzentwürfen vorgeprescht sind.

In der Antragsbegründung heißt es weiterhin, dass aufgrund der unterschiedlichen Finanzstärke der Bundesländer mit einer finanziellen Überforderung der neuen Länder zu rechnen sei.

Diese Bedenken können in diesem Zusammenhang nicht geteilt werden. Es geht darum, einen verfassungskonformen Jugendstrafvollzug zu gewährleisten, der den jungen Menschen gute Resozialisierungschancen einräumt. Dass dies Geld kostet, ist uns allen hoffentlich

bewusst; es liegt aber auch im Interesse der Gesellschaft. Im Übrigen ist eine erfolgreiche Resozialisierung billiger als das Vorhalten von Haftplätzen.

Der Antrag kommt somit zur Unzeit. Das Ministerium der Justiz wird selbstverständlich den Landtag und insbesondere den Ausschuss für Recht und Verfassung frühzeitig über Gesetzesvorhaben im Bereich des Jugendstrafvollzugs unterrichten.

Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Nun hören wir Herrn Dr. Brachmann für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Rede, die eben zu Protokoll gegeben worden ist, lautet einer der letzten Sätze: „Der Antrag kommt zur Unzeit.“ Herr Wolpert hat das mit seiner Einbringungsrede etwas relativiert, weil er begründet hat - ich denke, das ist jetzt auch klar geworden -, die Gesetzgebungszuständigkeit haben wir ja noch nicht. Die Föderalismusreform tritt erst am 1. Januar 2007 in Kraft. Auch das Bundesverfassungsgericht hat uns bis zum Ende des Jahres 2007 Zeit gegeben, das zu lösen. Insoweit ist kein unmittelbarer Handlungsdruck vorhanden. Die Frage ist, ob man in der anstehenden Diskussion jetzt bestimmte Pflöcke einklopft. Darüber kann man noch einmal reden, wie ein solches Vorhaben gelingen kann.

Ich will aber zunächst noch einmal betonen, dass ich es aus Sachgründen besser gefunden hätte, die Zuständigkeit für den Vollzug wäre beim Bund verblieben.

(Zustimmung von Herrn Prof. Dr. Paqué, FDP)

Wir haben jetzt die Föderalismusreform mit all ihren Wohltaten, aber auch mit ihren Nebenwirkungen. Der Strafvollzug ist eine solche Nebenwirkung. Worauf es jetzt ankommt, ist, dass die Befürchtungen, die gegen diese Kompetenzverlagerung ins Feld geführt worden sind, nicht eintreten.

Damit sind wir bei der Frage, wie wir es hinkriegen, dass wir im Vollzug auch künftig weitgehend einheitliche Standards haben. Dafür finde ich es nicht hilfreich - weder durch Baden-Württemberg noch durch Bayern -, dass der Wettbewerb nach unten eingeläutet worden ist. Mir wäre wichtig, wenn es so kommt - das steht im Übrigen auch in der Koalitionsvereinbarung -, dass wir ein Verfahren finden, um zu möglichst einheitlichen Standards und Regeln für diesen Bereich zu gelangen.

Dazu wäre die Jumiko - Jumiko ist die Justizministerkonferenz - der geeignete Ort; Herr Wolpert, darin gebe ich Ihnen Recht. Sie tagt wieder im November. Ich denke, das ist der Ort, wo wir ein Verfahren finden sollten, um über die Landesregierungen Verabredungen zu treffen, wie man dabei etwas Gemeinsames hervorbringen kann, dass also die Kleinstaaterei im Vollzug gar nicht erst entsteht.

Es gibt dafür durchaus Vorbilder: die Innenministerkonferenz. Die Polizeigesetze der Länder beruhen auch auf einem einheitlichen Musterentwurf. Ob man so etwas hinkriegt, ist sicherlich fraglich, aber zumindest sollte man es versucht haben.

Es kommt ein Weiteres hinzu. Wenn wir es jetzt schon machen, halte ich nicht unbedingt etwas davon, ein eigenes Jugendvollzugsgesetz zu machen. Wir haben nämlich den Strafvollzug insgesamt und müssen den Bereich dann insgesamt regeln. Wir sollten nicht zwei gesonderte Gesetze, für die Jugend und für die Erwachsenen, machen, sondern die Sache möglichst einheitlich in einer zusammenfassenden Regelung in Angriff nehmen.

Ich möchte noch betonen, dass aus tatsächlichen Gründen kein Handlungsbedarf besteht. Wir haben die JVA Raßnitz. Die ist noch von der Justizministerin Schubert auf den Weg gebracht worden. Wer es noch nicht gesehen hat: Die Bedingungen, die dort geschaffen worden sind - es hat sich auch keiner aus Raßnitz beim Bundesverfassungsgericht beschwert -, können sich im bundesweiten Vergleich sehen lassen. Das ist ein Erfahrungshorizont, mit dem wir uns auch mit in die Diskussion einbringen können, Herr Wolpert.

Ich denke, wir sollten uns im Ausschuss darüber verständigen, wie die Standards aussehen sollten und wie wir die Diskussion nicht nach unten, aber im Sinne der Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auch aus der Sicht von Sachsen-Anhalt beleben können. Insofern wird meine Fraktion einer Ausschussüberweisung zustimmen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Brachmann. Es gibt eine Frage von Herrn Dr. Köck. - Bitte schön.

Es ist keine Frage, sondern eine Kurzintervention. - Es ist das erste praktische Beispiel der Föderalismusreform, die zur Zeit ansteht. Ich denke, wir sollten uns rechtzeitig darüber Gedanken machen, wie wir dies in anderen Bereichen bewältigen wollen. Der Justizvollzug gehört sicher nicht zu den weichen Standortfaktoren. Aber wenn ich mir den Umweltbereich anschaue, bei dem es um harte Standortfaktoren geht, dann ergibt sich die Frage der Standards und des Nivellements nach unten. Das ist ein ganz gravierendes Problem. Wir sollten uns rechtzeitig darauf einstellen.

Aber dazu muss ich nichts sagen.

Das war eine Art Zwischenbemerkung. - Jetzt spricht für die Linkspartei.PDS Frau von Angern.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Linkspartei.PDS begrüßt den doch recht schnellen Vorstoß der FDP zur Initiierung eines Gesetzentwurfs zur Regelung des Jugendstrafvollzuges.

Im Mai dieses Jahres hat das Bundesverfassungsgericht das nach Meinung der Fachwelt bereits seit langer Zeit überfällige Urteil gesprochen und für den Jugendstrafvollzug ein eigenes Gesetz gefordert, das insbesondere dem Erziehungsgedanken Rechnung trägt. Auch die Linkspartei.PDS vertritt die Auffassung, dass wir uns

trotz des zeitlichen Spielraums, der vom Bundesverfassungsgericht bis zum Ende des Jahres 2007 gesetzt wurde, schon jetzt dieser Thematik widmen sollten.

Wir dürfen gerade den Jugendstrafvollzug nicht zum Experimentierfeld machen, sondern benötigen vernünftige Konzepte, deren Umsetzung zum Ziel hat, jugendlichen Straftätern zu einem straffreien Leben zu verhelfen. Ich gebe zu, dass ich es besonders bemerkenswert finde, dass gerade die FDP gleiche Standards in allen Ländern einfordert, damit kein Zwei-Klassen-Vollzug entsteht. In diesem Punkt stehen wir an Ihrer Seite; denn gerade beim Strafvollzug kritisiert meine Partei im höchsten Maße die durch die Föderalismusreform entstandene widersinnige Gefahr der Rechtszersplitterung. Nach Ansicht der Linkspartei.PDS ist Strafvollzug ein Teil des Strafrechts und müsste damit bundesweit einheitlich gelten.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Nun zu den einzelnen Regelungsinhalten. Der Jugendstrafvollzug muss zum einen erzieherisch ausgestaltet sein und zum anderen an der Wiedereingliederung, sprich der Resozialisierung der Jugendlichen orientiert sein. Das bedeutet im Konkreten, dass wir innerhalb unserer Jugendanstalten ein ausreichendes Angebot an Integrations- und Bildungsmaßnahmen vorhalten müssen - dies natürlich auch in dem Wissen, dass dies Geld kostet und dass die Forderung nach mehr Geld für eine Jugendanstalt nicht gerade populär, aber nichtsdestotrotz sehr wichtig ist.

Das Erziehungsprinzip im Jugendstrafrecht basiert auf der Beistandspflicht des strafenden Staates auch in schwierigen Konstellationen. Das bedeutet, im Notfall die möglichen Vorkehrungen gegen desozialisierendes Verhalten zu treffen. Wenn wir uns die Rückfallquoten von bis zu 80 % bei der Verhängung der Jugendstrafe anschauen, dann müssen wir eingestehen, dass genau dies dem Staat bisher eben nicht gelungen ist. Dabei reicht es gesellschaftspolitisch nicht aus, zu sagen, dass das alles vermurkste junge Menschen sind. Nein, es bedarf Alternativen zum bisherigen Vorgehen. Genau diese Chance haben wir jetzt.

Aus meiner Sicht haben wir nicht nur die Chance, sondern auch die Pflicht, ein wirksames Resozialisierungskonzept zu entwickeln und den Jugendstrafvollzug darauf aufzubauen. Gerade das Jugendstrafrecht eröffnet mit seinen individuellen Sanktionsformen eine Vielzahl von Möglichkeiten. Diese müssen nur ausgeschöpft werden, damit sie eine nachhaltige Wirkung entfalten können.

Genau dafür sollten wir auch die momentane Situation nutzen. Niemand schreit momentan nach härteren Strafen. Es ist sogar festzustellen, dass die Jugendkriminalität leicht zurückgeht. Das heißt, wir befinden uns momentan in einer unaufgeregten Situation, die zudem ausreichend Zeit für einen intensiven Diskurs mit der Fachöffentlichkeit ermöglicht. Genau diese Fachöffentlichkeit verfügt bereits über Ideen und Konzepte, die wir unbedingt in unsere Meinungsfindung einbeziehen sollten.

Deshalb schlägt meine Fraktion vor, dass sich der Ausschuss für Recht und Verfassung dieser Thematik annimmt. Meine Fraktion wird im Rahmen der Selbstbefassung bzw. bei einer Überweisung des Antrags an den Ausschuss ein Gespräch mit Fachleuten zum Thema Jugendstrafvollzug empfehlen, bei dem wir unaufgeregt unsere Vorstellungen diskutieren können und möglichst