Protocol of the Session on May 30, 2008

(Heiterkeit bei der CDU)

scheinen auch bei der PDS die Hemmungen zu kommen und es wird gesagt: Wir müssen einmal darüber nachdenken, ob das Portmonee das wirklich hergibt.

Ressourcen werden knapp bleiben. Es ist Aufgabe der Politiker, über knappe Ressourcen nachzudenken. Das ist schon so. Aber frei darüber zu philosophieren, was man alles bezahlen könnte, wenn man Geld hätte - das kann man ja gern machen, aber als Politiker haben wir auch die Verantwortung, die Leute nicht auf falsche Spuren zu locken; denn die Enttäuschung wird hinterher umso größer werden.

Wenn wir Wünsche und Hoffnungen aufmachen, die wir hinterher alle wieder einsammeln müssen, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn wir hinterher fast nicht zu lösende Diskussionen über Politikverdrossenheit zu führen haben, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich finde es vollkommen richtig, wenn die Landesregierung die intergenerationelle Entwicklung von Armut in den Mittelpunkt des dritten Armutsberichtes stellen wird. Das ist ein Problem, das behandelt werden muss. Ich will auch ganz deutlich sagen: Um Gerechtigkeit in einer Leistungsgesellschaft zu erreichen, müssen die Bürgerinnen und Bürger spüren, dass sich Leistung lohnt, meine Damen und Herren. Nur mit Umverteilung sind die Bürger noch nie dauerhaft reicher geworden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Scharf, für Ihren Beitrag. Es gibt eine Nachfrage des Abgeordneten Herrn Gallert. Wollen Sie diese beantworten?

Herr Gallert, bitte.

Herr Scharf, ich habe mich an einer Stelle gemeldet, an der Sie versucht haben zu sagen: Lasst uns einmal aus Europa austreten, weil die diese 60 % als Armutsgrenze definiert haben und wir nehmen jetzt einmal etwas anderes.

Wissen Sie, das Problem ist nur, Sie haben diese andere Definition genau damit begründet, womit man die 60 % begründen kann. Es gibt keine objektive Armutsdefinition. Ich kann mich in vielen Ländern dieser Welt mit 1 € am Tag gesund ernähren. Ich kann es in Sachsen-Anhalt nicht. Ich kann in vielen Ländern dieser Welt für 50 Cent in ein Kino oder in ein Theater gehen. Das kann ich in Sachsen-Anhalt nicht. Das hängt davon ab, wie hoch das Bruttoinlandsprodukt ist, wie hoch die Wertschöpfung am Arbeitsplatz ist, und das bestimmt die Preise.

Deswegen ist es völlig daneben zu denken, ich könne unabhängig davon, wie die Durchschnittseinkommen in einem Land sind, eine objektive Armutsgrenze festlegen. Das geht völlig fehl. Deswegen ist diese 60%-Linie völlig vernünftig. Sie bestimmt nämlich, wie groß die Teilhabe

chancen innerhalb einer Gesellschaft sind. Alles andere sind Nebelkerzen, Herr Scharf.

Das war in dem Sinne keine Frage, sondern eine Intervention, aber wenn Sie antworten wollen, Herr Scharf. Bitte schön.

Doch, ich habe es als Frage aufgefasst. Dann antworte ich auch gern.

Der Abgeordnete Herr Krause möchte dann auch noch eine Frage stellen.

Herr Gallert hat rhetorisch sehr schön begonnen, indem er etwas kritisiert hat, was ich nicht behauptet habe. Ich habe ja nicht gesagt, wir sollten aus Europa austreten. Ich habe nur bemängelt, dass dieser unvollkommene Armutsbegriff, der - das sage ich absichtlich noch einmal - ein Maß für Verteilung, nicht für Armut ist, fälschlicherweise in Europa und in Deutschland benutzt werde.

Nun will ich mich nicht davon lösen, weil ich Naseweis bin oder sage, ich weiß etwas besser, aber, meine Damen und Herren: Wenn schon ausgefeilte methodische Konzepte vorliegen, die schon operationabel sind, von Amartya Sen, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften - den kriegt auch nicht jeder -, dann sollten doch Regierungen ernsthaft darüber nachdenken, ob sie sich dieser Methode vielleicht einmal annehmen.

In einer Frage gebe ich Herrn Gallert Recht. Selbst wenn sich die Regierungen entscheiden, sich diesem neuen Maßstab zu widmen, bleibt es eine politische Entscheidung. Man muss sich entscheiden, welchen Maßstab man nimmt. Ich plädiere sehr dafür, dass wir, wenn solche Maßstäbe, um gesellschaftliche Prozesse abbilden zu können, schwer zu entwickeln sind, eine Diskussion um den richtigen Maßstab brauchen.

Wir sollten uns doch aber bemühen, dass die Begriffe stimmen. Die alten Philosophen haben einmal gesagt: Kennst du den Begriff, kennst du die Sache. Ich denke, wenn man sich erst einmal um begriffliche Klarheit kümmert, dann hat man eine größere Chance, hinterher eine vernünftige Diskussion zu führen.

Ich bleibe dabei, auch wenn die Regierungen das im Moment noch nicht einsehen - dafür kann er nichts -: Der bisherige Maßstab, mit dem sie messen, ist Mist. Das darf ich als Abgeordneter sagen, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Scharf. Es gibt noch eine Nachfrage des Abgeordneten Herrn Krause. Wollen Sie diese beantworten?

Bitte schön, Herr Krause.

Herr Scharf, Sie haben sich in Ihrem Beitrag sehr leidenschaftlich der Begriffsbestimmung, der Definition, der Auslegung zugewandt. Meine Frage: Warum sind Sie eigentlich nicht auf die real existierende Armut und die Feststellungen im Armutsbericht eingegangen?

(Unruhe bei der CDU)

Wollen Sie die Armut nicht zur Kenntnis nehmen?

(Zustimmung bei der LINKEN)

Herr Krause, ich habe mir durchaus überlegt, als ich mir mein Redekonzept überlegt habe, ob es überhaupt Sinn macht, im Plenum zu versuchen, mit einer Definitionsfrage anzukommen, weil mir vollkommen klar war, dass sofort - ich wusste nicht, dass Sie das sind - von irgendjemandem die Frage kommen wird: Wollen Sie die Armut wegdefinieren? Wollen Sie die Armut wegreden?

(Herr Krause, DIE LINKE: Das haben Sie klas- sisch gemacht! - Frau Bull, DIE LINKE: Das ha- ben Sie doch auch!)

- Wenn Sie aber richtig zugehört hätten, dann, glaube ich, hätten Sie gehört, dass ich an einigen wenigen Beispielen - in zehn Minuten kann man nicht mehr machen; ich könnte die anderen Beispiele aber auch nennen - durchaus versucht habe darzustellen, dass es das Phänomen der Armut gibt und auch in Deutschland gibt und dass wir hier wirklich eine Aufgabe haben.

(Frau Bull, DIE LINKE: Das ist doch einen Bin- senweisheit!)

Ich habe aber auch klar gemacht, dass ich die rein monetäre Betrachtungsweise für viel zu kurz gegriffen erachte, dass die Frage der Beteiligungsgerechtigkeit, der Entwicklungschancen in meinen Augen die schwieriger, aber eigentlich besser zu behandelnde Fragen wäre. Dabei bleibe ich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Scharf, für Ihren Beitrag.

Wir wären damit am Ende der Debatte der Fraktionen. Die Fraktionsvorsitzende Frau Budde hat um das Wort gebeten. Frau Budde, bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Debatten sind ja Debatten. Insofern nutze ich das Instrument, dass sich die Fraktionsvorsitzenden jederzeit zu Wort melden können.

Herr Gallert, ich teile ja Ihre Analyse. Ich teile auch Ihre Aussage, dass es manchmal in Zuspitzungen fast schon zynisch klingt. Ich unterstelle Ihnen auch nicht, dass Sie das Thema Armut instrumentalisieren. Insoweit unterscheide ich mich möglicherweise von anderen. Was mich aber stört, ist, dass das hier jedes Mal mit einem Alleinvertretungsanspruch vorgetragen wird, als würde

niemand anders auch nur über dieses Thema nachdenken. Das stört mich zunehmend mehr.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ich werde auch nicht in dieses Spiel verfallen und sagen: Berlin. - Das kam ja schon in einem Zwischenruf. Das ist alles richtig. Das mache ich nicht. Es ist nämlich nicht angemessen.

Was mich auch gestört hat, ist, dass sozusagen dogmatisch nur zwei Wege aufgezeigt werden: auf der einen Seite Feststellen der Tatsachen und auf der anderen Seite tätige Reue. - Ich glaube, wir werden an diesem Punkt nicht um einen dritten Weg, so schwierig er ist, herumkommen. Beides allein wird uns nicht reichen: Feststellen der Tatsachen und tätige Reue.

(Zustimmung bei der SPD)

Das ist das Schwierige, weil wir wissen, dass diese dritten Wege noch nie funktioniert haben, und wir heute vor einer Situation stehen, in der wir tatsächlich dazwischen einen Weg finden müssen, weil beides allein nicht reicht.

Was den Niedriglohnsektor angeht, habe ich mich dann endgültig entschieden zu sagen, doch, hierzu muss man noch etwas sagen. Es gibt nicht d i e Wahrheit über den Niedriglohnsektor oder über niedrige Löhne. Es gibt vielmehr die einen, die nicht können, und es gibt die anderen, die nicht wollen in diesem Bereich, die heute, obwohl sie gute Gewinne erzielen, ihre Mitarbeiter ganz bewusst nicht an der Umsatzsteigerung, an der Gewinnsteigerung teilhaben lassen wollen. Hier in Sachsen-Anhalt gibt es das.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der LIN- KEN)

Bei denen, die nicht können, ist es oftmals nicht nur eine Frage der Preise, sondern wie bei den anderen aus meiner Sicht auch eine Frage des Verfalls der moralischen Werte bei Verträgen in der Wirtschaft. Die einen können zum Teil deshalb nicht, weil sie untereinander ihre Verträge nicht bezahlen. Wenn hier ein kleiner Handwerker im Allee-Center für ein Unternehmen, das da drin ist, die Bodenbeläge macht und hinterher gesagt bekommt: „Das ist ja wunderbar, wie Sie das gemacht haben, aber zahlen kann ich es nicht; das hätte ich eigentlich schon vorher gewusst“, dann können die nicht mehr. Richtig, ein Stückchen sind es nicht nur die Preise, sondern ist es auch dieser Werteverfall, der immer weiter voranschreitet.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Dann gibt es die andere Seite, die sozusagen immer ein bisschen mit Pauschalen abgedeckt wird. Wenn bei Unternehmen zu Zeiten, in denen es ihnen schlecht geht - ich nenne zum Beispiel Doppstadt in Sachsen-Anhalt -, die Mitarbeiter auf Lohn verzichten und damit an der Weiterentwicklung, Stabilisierung und Sanierung des Unternehmens einen entscheidenden Anteil haben, dann ist es verdammt noch einmal die moralische Pflicht des Geschäftsführers und des Gesellschafters, wenn das Unternehmen wieder auf gesunden Füßen steht, sie auch an den Gewinnen zu beteiligen und mindestens wieder das Gehalt zu zahlen, das vorher gezahlt worden ist.