Protocol of the Session on May 30, 2008

Frau Hüskens, ein Problem, das Sie angesprochen haben, war, dass gerade diejenigen Arbeitsplätze, die durch solche Mindestlohnregelungen zu teuer wären, ja dann in das Ausland abwandern würden.

Jetzt wissen wir aber auch schon seit ziemlich langer Zeit, dass zum Beispiel diejenigen produzierenden Betriebe, die sich wirklich auf dem Weltmarkt tummeln, mit Mindestlöhnen von 8 € die Stunde überhaupt kein Problem haben, weil sie meistens deutlich darüber liegen, und dass die Armutslöhne, über die wir reden, fast ausschließlich in wohnortnahen Dienstleistungsbetrieben gezahlt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt erklären Sie mir bitte, wie die Wachschutzgesellschaft, die hier ein Autohaus bewacht, es billiger in Rumänien machen soll, oder was wir mit der Frisöse machen, die ja immer als Beispiel angeführt wird, die demnächst dann in der Ukraine die Haare schneidet. Das ist das Problem, vor dem wir stehen, und deshalb läuft dieses Argument ins Leere.

(Herr Gürth, CDU: Fragen Sie doch einmal die Kollegen in Berlin! - Unruhe)

Herr Gallert, das tut es nicht. Wir können das am Beispiel der Frisöse, die Sie genannt haben, einmal durchdeklinieren. Wir sagen jetzt einmal, um es einfach berechnen zu können, eine Frisöse soll in der Stunde 10 € haben. Dann können Sie ja einmal ausrechnen, was der Haarschnitt dann demnächst kostet. Das heißt, wir werden folgenden Effekt haben: Die Leistung wird teurer und sie wird von weniger Menschen in Anspruch genommen.

Das bedeutet unter dem Strich, dass die Frisöse, wenn Sie Pech haben, dann zwar für kurze Zeit mehr verdient hat, aber auf lange Sicht schlicht und ergreifend arbeitslos sein wird.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Deshalb brauche ich tatsächlich andere Lösungen als einfach zu sagen, wir setzen einen Mindestlohn fest. Wenn Sie sagen, es gibt auch Länder, in denen er existiert und das alles ganz wunderbar funktioniert, dann müssen Sie aber dazu sagen, auf welchem Niveau der Mindestlohn liegt. Der liegt dort nämlich deutlich unter dem, was wir hier diskutieren.

(Widerspruch bei der LINKEN)

Wir müssen auch sagen, dass wir einen Mindestlohn, was den Markt anbelangt, im Endeffekt ja schon haben. Denn wir haben wenig Menschen, die unter dem arbeiten, was sie bekommen, wenn sie nicht arbeiten.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. - Wir kommen jetzt zu dem letzten Debattenbeitrag, dem Beitrag der CDU. Der Abgeordnete Herr Scharf hat jetzt das Wort. Bitte schön, Herr Scharf.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema der Aktuellen Debatte ist wichtig und richtig, aber es ist offensichtlich auch sehr verwirrend. Nach meiner Auffassung hängt das damit zusammen, dass schon die Begriffe nicht stimmen. Deshalb möchte ich zu Anfang wagen, Sie ein bisschen in diese Schwierigkeit mit hineinzunehmen.

Die Kontroverse der Armut mündet darin, dass man zum Beispiel die Empfänger von Leistungen nach dem SGB II oder XII zählen könnte. Man könnte auch 60 % des Medianeinkommens wählen, wie es im Moment die Bundesregierung und die Landesregierung machen.

Man muss aber wissen, dass es bei diesen relativen Einkommensarmutsmaßen - dazu gehört dieses Medianeinkommen - um ein Verteilungsmaß geht. Es geht nicht um Armut, sondern es geht um ein Verteilungsmaß.

Denn der Begriff der relativen Einkommensarmut stellt die Beziehung zwischen der individuellen Einkommenshöhe und der gesamtgesellschaftlichen Wohlstandsverteilung her. Er bezeichnet das Unterschreiten bestimmter Einkommensanteile. Man nennt das Quantile. Ob es 10, 20, 30 oder 60 % sind, wie es die EU will, oder ob es 70 oder 80 % sind, ist vollkommen willkürlich. Je nachdem, wie wir dieses Quantil wählen, bekommen wir ganz unterschiedliche Aussagen. Diese Aussagen gehen dann durch die Zeitung und kein Mensch versteht, worum es tatsächlich geht.

Warum sage ich das, meine Damen und Herren? - Weil ich der Auffassung bin, dass die Bundesregierung, aber leider auch die Landesregierung dieses in meinen Augen völlig untaugliche Maß immer noch dazu benutzen, um eine mögliche Armut irgendwie messen zu können. Denn es geht um einen Verteilungsmaßstab.

(Zuruf von Herrn Gallert, DIE LINKE)

- Ja, Herr Gallert, das müssen auch Sie als Lehrer einmal akzeptieren.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Ja!)

Es geht um die Messung eines Verteilungsmaßstabes, es geht aber nicht um die Messung von Armut.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Doch!)

Denn diese Verteilungsmaßstäbe haben alle die Krankheit: Wenn der Volkswohlstand gleichmäßig wächst, ändert sich dieses Maß nicht ein bisschen. Ändert sich die Armut dadurch? - Ich würde schon sagen: Sie ändert sich dadurch.

(Beifall bei der CDU)

Aber dieses Maß, meine Damen und Herren, kann diese Entwicklung überhaupt nicht aufnehmen.

Es gibt andere Maße. Damit erfinde ich nichts Neues; man muss sich nur ein bisschen in die Literatur einlesen. Der Nobelpreisträger Amartya Sen hat Armut als „die nicht möglichen Verwirklichungschancen“ definiert. Das ist inzwischen operabel, das ist auch messbar.

Ich habe gelesen - das hat mich auch ermutigt -, dass die EU ernsthaft überlegt, künftig auf diese Armutsdefinition umzuschwenken. Ich kann unsere Landesregierung nur ermuntern, sich diesen modernen, neuen Begriffsdefinitionen vorsichtig zu nähern. Dann können wir vielleicht auch einmal dazu kommen, die Diskussion ein Stück weit vernünftig zu führen. Im Moment tragen wir nur zur Begriffsverwirrung bei.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Gallert, an Sie gerichtet, will ich einmal sagen: Was ich versucht habe vorzutragen, ist wissenschaftlich gewiss eine interessante Definition. Aber mir ist vollkommen klar, dass es eine politische Diskussion ist. Sie haben ein Interesse daran, Armut zu instrumentalisieren, weil es Ihnen darum geht, das Thema zu instrumentalisieren.

(Lebhafter Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP - Zuruf von Frau Rogée, DIE LINKE)

Wer nämlich daran interessiert wäre, Armut als das mangelnde Maß, Beteiligungschancen verwirklichen zu können, zu begreifen, der würde auch ein Interesse daran haben, dass wir diese Diskussion etwas umfangreicher führen können und sie nicht nur auf den reinen monetären Aspekt zurückführen.

Freilich ist der monetäre Aspekt wichtig; das weiß ich ebenso. Ich denke, dass man jemandem, der seit Jahren in den Sozialausschüssen der CDU aktiv ist, nicht unterstellen wird, dass ihm dieses Thema nicht wichtig ist. Aber mir ist auch die Eindimensionalität dieser Diskussion durchaus bewusst. Wenn wir aus dieser Eindimensionalität nicht herauskommen - Sie wollen das nicht -, dann kommen wir, meine Damen und Herren, in der öffentlichen Diskussion nicht weiter.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Ich komme einmal zur Bildung. Bildung ist in diesen Fragen ein Schlüsselbegriff. Denn Bildung ist der Schlüssel zur Teilhabe und ist die unbedingte Voraussetzung für gute Ausbildungs- und Beschäftigungsverhältnisse.

Wir müssen erkennen, dass in Deutschland die Bildungschancen von Kindern zu stark vom Bildungsniveau der Eltern abhängen. Damit haben wir ein Problem. Das haben wir erkannt; das hat auch die Landesregierung erkannt. Das ist auch hinreichend erörtert worden.

Aber ich sage Ihnen jetzt einmal eine andere Wahrheit: Das ist nicht nur eine Geldfrage. Ich bin der festen Überzeugung, dass reiche, hedonistische Elternhäuser für Kinder ein Armutsrisiko sind.

Schauen Sie sich einmal die Preisverleihungen bei Mathematikolympiaden an. Dort finden Sie viele vietnamesische Kinder, weil die integrationswillig sind, weil sich die Elternhäuser darum kümmern, weil diese wissen, was Bildung wert ist. Meine Damen und Herren, das ist nicht eine Geldfrage.

(Lebhafter Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD - Beifall bei der FDP)

Ich will das Thema damit überhaupt nicht wegdiskutieren. Natürlich weiß ich, dass in Elternhäusern, in denen ständig darum gerungen wird, wie man bis zum Monatsende mit dem Geld auskommt, andere Themen die Familiendiskussionen beherrschen. Die müssen wir schon ernst nehmen. Wir machen aber einen riesengroßen

Fehler, wenn wir meinen, diese familiären Probleme durch Sozialtransfers lösen zu können, meine Damen und Herren. Hier haben wir eine Aufgabe.

Es gibt auch Hoffnung: Die Pisa-Studie 2006 schätzt ein, dass in Deutschland erste Tendenzen zur Lockerung des Zusammenhangs zwischen der Bildungsnähe des Elternhauses und den Bildungschancen der Kinder bestünden. Wir sind aber erst am Anfang des Weges. Wir müssen wirklich sehen, dass wir eine riesengroße Aufgabe vor uns haben, meine Damen und Herren.

Die Handlungsempfehlungen, die die Landesregierung entwickelt, sind durchaus richtig und wichtig. Wir müssen sehen, dass der Zusammenhang zwischen Armut, Erwerbstätigkeit und Entwicklung der Kinder wirklich, wie dargestellt, besteht. Wir müssen aber eben auch feststellen - das steht in den Berichten drin -, dass intakte Familienverhältnisse mit stabilen Paarbeziehungen und ein Erziehungsstil des Förderns und Forderns ein entsprechendes soziales Umfeld erzeugen und für Reichtum sorgen, meine Damen und Herren. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Verwirklichungschancen der Leute tatsächlich verbessern.

Es geht überhaupt nicht um eine Stigmatisierung Alleinerziehender. Natürlich brauchen die die Hilfe. Wir müssen doch aber wissen, meine Damen und Herren, wenn man laufend davon redet, dass es egal sei, in welchen Beziehungen die Menschen lebten und ob man die sozialen Beziehungen auflöse oder nicht, und dass eine Gesellschaft das alles hinterher wieder reparieren könne, dass sie es nicht reparieren kann. Sie kann es nur teilweise und notdürftig reparieren. Je mehr wir dafür tun, dass intakte familiäre Verhältnisse in Deutschland bestehen, meine Damen und Herren, desto höher wird auch die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Kinder von Armut befreien können. Das muss man einfach wissen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Dazu gehören selbstverständlich die Veränderungen, die auf Bundesebene diskutiert werden, im Steuerrecht, im Familienrecht, die Familien unterstützenden Maßnahmen.

Ich will der Landesregierung, der Staatssekretärin Dienel ganz deutlich sagen: Wenn sie bei ihrer entsprechenden Pressekonferenz darüber nachdenkt, dass das Ehegattensplitting hinderlich wäre, dann will ich dazu sagen, darüber kann sie nachdenken. Das ist aber keine Politik dieser Koalition und keine Politik dieser Regierung und mit der CDU wird es eine Abschaffung des Ehegattensplittings nicht geben. Das muss man einmal ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU)

Man muss auch ganz deutlich sagen, dass alles irgendwie finanziert werden muss. Ich habe mit Interesse gelesen, was im Bildungskonvent schon so alles beschlossen worden ist. Die Rechnung hat aber noch keiner aufgemacht.

Nun sagen die einen, wir wollen einmal ganz frei darüber nachdenken, wie eine schöne Welt auszusehen hat. Das kann man ja machen. Aber ich will - ich habe überlegt, ob ich es mache; ich mache es doch - jetzt einmal Herrn Höhn zitieren. Der hat auf die Forderung von Oskar Lafontaine gesagt: Wir müssen überlegen, wer das alles bezahlt. Das heißt, an einer gewissen Grenze - die scheint bei 50 Milliarden € zu liegen -

(Heiterkeit bei der CDU)