Protocol of the Session on May 30, 2008

Dann gibt es die andere Seite, die sozusagen immer ein bisschen mit Pauschalen abgedeckt wird. Wenn bei Unternehmen zu Zeiten, in denen es ihnen schlecht geht - ich nenne zum Beispiel Doppstadt in Sachsen-Anhalt -, die Mitarbeiter auf Lohn verzichten und damit an der Weiterentwicklung, Stabilisierung und Sanierung des Unternehmens einen entscheidenden Anteil haben, dann ist es verdammt noch einmal die moralische Pflicht des Geschäftsführers und des Gesellschafters, wenn das Unternehmen wieder auf gesunden Füßen steht, sie auch an den Gewinnen zu beteiligen und mindestens wieder das Gehalt zu zahlen, das vorher gezahlt worden ist.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Es darf nicht sein, dass Druck auf die Belegschaft aufgemacht wird, dass die Belegschaft geteilt und gesagt

wird, wer für Lohnerhöhungen sei, sei gegen Doppstadt, und wer gegen Lohnerhöhungen sei, sei für Doppstadt. Das ist ein Verfall, den ich schlimm finde.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Das ist kein Einzelfall, leider.

Ich weiß nicht, wie die Politik dabei helfen kann. Die Menschen müssen sich auch selbst helfen. Mir macht es aber Angst, dass sich die Menschen nicht mehr trauen, sich selbst zu helfen und die rechtlichen Möglichkeiten, die wir in Deutschland haben, in Anspruch zu nehmen. Das ist keine Frage gesetzlicher Regelungen. Das ist richtig schlimm, was in dieser Gesellschaft und auch hier in Sachsen-Anhalt passiert.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Ja, wir haben ein Stück weit auch gesetzlich Vorschub geleistet in anderen Bereichen. Ich halte es tatsächlich nicht für eine Übergangslösung, muss ich sagen. Ich halte dieses Phänomen der niedrigen Löhne, des immer größer werdenden Sektors derer, die arbeiten, aber davon nicht leben können - entweder nicht selbst oder auch mit ihren Familien nicht -, ich halte das nicht für eine Übergangsphase, in der wir nur warten müssen, bis sie zu Ende geht.

Wir haben dem Vorschub geleistet mit dem Thema Leiharbeit, auch wir als Sozialdemokraten. Das habe ich hier auch schon einmal deutlich gesagt. Wir haben gehofft, dass es ein Übergang ist. Es ist aber kein Übergang. Es verstetigt sich. Es sind zum Teil mehr als 50 % der Belegschaften, die über Leiharbeit gefahren werden.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Es gab einen kritischen Artikel zum Thema DHL-Ansiedlung. Den sollte man sich einmal durchlesen. Das sind Tatsachen. An diesen Punkten müssen wir nicht nur leise, sondern laut auch über gesetzliche Regelungen nachdenken. Das ist der Punkt, an dem wir Verantwortung haben, an dem wir nicht einfach sagen können, das ist einfach so und das ist ein Übergang.

Dann noch ein Wort zu den Alleinerziehenden. Ich war auch überrascht davon, dass die Alleinerziehenden - man hat es ja vermutet - diese große Gruppe sind. Ich habe lange darüber nachgedacht, warum. Also, die alleinerziehende Chefärztin oder die alleinerziehende Landtagsabgeordnete ist sicherlich nicht in diesem Block enthalten. Das Problem ist nicht nur alleinerziehend, sondern alleinerziehend und alleinverdienend und Niedriglohn verdienend. Das ist die Kopplung. Das müssen wir dann auch so benennen. Das ist die Ursache.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Wenn man sich klassische Familien anguckt, zwei Kinder, Ehemann, Ehefrau, im Westen, einer verdient nur - der ist auch alleinverdienend. Der ist zwar nicht alleinerziehend, aber der ist alleinverdienend, und trotzdem funktioniert es. Das heißt, es muss auch an den Einkommensverhältnissen liegen und nicht nur an der Form, wie man zusammenlebt oder nicht zusammenlebt.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Stahlknecht, CDU)

Ich weiß, dass ich die Redezeit nicht überziehen darf. Deshalb will ich an diesem Punkt Schluss machen. Wir werden sicherlich noch oft Gelegenheit haben, um darüber zu reden. Ich will nur noch einmal deutlich sagen

- weil Ihr Arm, Herr Gallert, so schnell hoch ging -, dass ich keine perfekte Lösung für diesen dritten Weg habe. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir an dieser Stelle nicht nur schwarz oder weiß und auch nicht nur tätige Reue oder Tatsachen und Fakten haben.

(Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Ich brauche auch keinen Nobelpreisträger, der mir die Armut erklärt. Es ist gut, wenn Leute das machen. Aber um das zu begreifen, brauche ich mich nur im täglichen Leben umzugucken. Darüber theoretisiere ich auch gar nicht.

Aber dieser dritte Weg wird darüber entscheiden, ob wir unsere Gesellschaft wieder ein Stückchen weiter zusammenführen. Er wird auch darüber entscheiden, inwieweit die Menschen bereit sind, weiter an der Demokratie teilzunehmen. Das alles ist letztlich für uns und für alle Menschen, die hier leben, auch eine Überlebensfrage. Deshalb müssen wir nach diesem dritten Weg fragen und ihn Stückchen für Stückchen auch mit einer Lösung versehen.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Budde. - Es gab eine Nachfrage von Herrn Gallert. - Nicht mehr. Sie wollen jetzt als Fraktionsvorsitzender das Wort nehmen. Das erteile ich Ihnen jetzt. Bitte schön.

Ja, da bleibt mir auch nichts anderes übrig, nachdem sich Frau Budde so über mich geärgert hat. Ich will noch einmal eines sagen. Erstens gehört es bei uns mit ins Gehalt hinein, dass wir so etwas tun. Aber deswegen bin ich nicht nach vorn gegangen, nein.

Frau Budde, wenn Sie sich darüber ärgern, dass wir das mit einem Gestus des Alleinvertretungsanspruches machen, dann kann ich verstehen, dass man sich in der SPD darüber ärgert.

(Frau Budde, SPD: Das glaube ich nicht!)

Ich sage allerdings ganz deutlich: Ich will das gar nicht. Ich will gar keinen Alleinvertretungsanspruch für die Dinge, die wir machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich weiß, dass ich in einer größer und stärker werdenden Partei bin. Aber so größenwahnsinnig bin ich nun nicht, dass ich annehme, dass wir diese Gesellschaft allein umschubsen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Nein, wir haben einen anderen Weg. Da sage ich, den beschreiten wir zurzeit ziemlich erfolgreich. Bei der Mindestlohndebatte haben wir es doch gesehen. Die haben wir angefangen. Inzwischen hat sie die SPD übernommen und war in Hessen mit dieser Geschichte gut beraten.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Frau Budde, SPD)

Wir waren in der letzten Legislaturperiode für die Ganztagsbetreuung in der Kindertagesstätte. Inzwischen ist es die SPD auch. Wir waren für die kostenfreie Schülerbeförderung. Inzwischen hat die SPD auch einen sol

chen Beschluss gefasst. Da sage ich ausdrücklich: Jawohl, das wollen wir, weil wir dafür gesellschaftliche Mehrheiten brauchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen werden wir das natürlich weitermachen.

Ich sage ausdrücklich, die neue Idee, die jetzt im Raum steht, zu sagen, wir senken die entsprechenden Sozialversicherungsbestandteile innerhalb des Lohns für Niedrigverdienende und werden sie dadurch auffüllen, dass wir Reiche besser besteuern, finde ich hervorragend. Wir sollten darüber wirklich diskutieren. Deswegen habe ich da überhaupt kein Problem.

Ich würde mich freuen, wenn wir viel weniger dieser Positionen im Alleinvertretungsanspruch haben. Es wird doch - sind wir doch einmal ehrlich - sogar bei der CDU inzwischen darüber diskutiert. Was ist denn das, was Rüttgers bei der Rücknahme der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I macht? Das ist doch tätige Reue. Wir finden es hervorragend, wenn der CDU-Arbeiterführer aus Nordrhein-Westfalen solche Positionen inzwischen umsetzt, wenn auch nur abgemildert.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Frau Feuß- ner, CDU)

Ich sage ausdrücklich: Ich und meine Partei begeben sich gern mit jeder anderen Partei in die Konkurrenz um solche Dinge. Deswegen sage ich: Für mich ist das kein Problem. Für mich ist das ein Erfolgsrezept. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank - Jetzt hat der Herr Ministerpräsident noch einmal um das Wort gebeten, meine Damen und Herren. Ich sehe ansonsten keine weiteren Wortmeldungen zu dem Thema.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht mir jetzt wirklich nur um eine Klarstellung. Ich denke, dass dieses Thema für uns alle, für alle Fraktionen, nicht nur wichtig ist, sondern auch wichtig bleiben wird. Ich weiß, dass wir uns auch in ein, zwei, drei oder fünf Jahren immer noch damit werden beschäftigen müssen; denn wir werden die Welt so schnell nicht ändern können.

Das setzt aber voraus, dass wir solche Berichte in regelmäßigen Abständen machen. Das ist auch der bisherige Wille des Landtages gewesen. Ich würde vorschlagen, dass wir dies mindestens alle zwei Jahre machen. Das setzt weiterhin voraus, dass wir für uns nicht willkürlich irgendwie selbst zurechtgeschneiderte Definitionen machen. Da wird das Durcheinander doch noch größer.

(Beifall bei der CDU)

Das setzt voraus, dass wir bei Definitionen bleiben, die wissenschaftlich fundiert sind, nicht eigenhändig von uns, sondern von Sozialwissenschaftlern, und dass wir die Definitionen anwenden, die international im Raum der EU zur Vergleichbarkeit vorgegeben werden. Das sind die Definitionen, die wir beim letzten Bericht angewendet haben. Wenn die EU das für Europa ändert, dann müssen wir das natürlich auch ändern. Aber ein Abweichen davon vermindert die Vergleichbarkeit.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen will ich nur diese methodischen Dinge geklärt haben. Diese Arbeiten sind von Mitarbeitern des Sozialministeriums gemeinsam mit Mitarbeitern des wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Universität in Halle gemacht worden. Ich bin außerordentlich dankbar für diese solide Arbeit. Ich möchte, dass wir sie auf der Grundlage vereinbarter Definitionen fortführen, um die Vergleichbarkeit über Zeitreihen und die Vergleichbarkeit innerhalb Europas nicht zu verlieren, und dass wir uns darauf einigen, Ihnen wenigstens alle zwei Jahre einen solchen Bericht vorzulegen. - Danke.

(Beifall bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Ministerpräsident. Das Gesagte wurde noch einmal ein Stückchen zusammengeführt. Ich glaube, das war auch die Debatte wert. Herzlichen Dank!

Meine Damen und Herren! Beschlüsse werden entsprechend unserer Geschäftsordnung nicht gefasst. Die Aktuelle Debatte ist damit abgeschlossen.