Protocol of the Session on May 30, 2008

und das wichtigste Kapital, das Kindern für ein selbstbestimmtes Leben gegeben werden kann. Deshalb dürfen wir nicht akzeptieren, dass sich Bildungsarmut von einer Generation in die nächste weiterträgt.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der FDP)

Deshalb wollen wir gleiche Bildungschancen für alle Kinder, und zwar von Anfang an. Das bedeutet für uns als SPD, dass wir auch die Wiedereinführung des Ganz

tagsanspruches prüfen und umsetzen wollen, was sich im Übrigen mit den bereits erarbeiteten Empfehlungen des Bildungskonventes deckt.

Wir werden mit mehr Bildungsangeboten im letzten Kindergartenjahr zur besseren Vorbereitung auf die Schule noch in diesem Jahr, nämlich ab September, beginnen. Im Entwurf unseres Kinderschutzgesetzes, welches in der nächsten Landtagssitzung eingebracht wird, sind Sprachstandserhebungen und Sprachförderung vorgesehen.

Aber daneben brauchen wir mehr Ganztagsschulen bzw. Gemeinschaftsschulen und die Wiederherstellung der Lernmittelfreiheit. Wir müssen es endlich schaffen, über die Programme für Schulverweigerer und Schulabbrecher die hohe Abbrecherquote zu senken. Dies alles muss Teil einer familienunterstützenden Infrastruktur sein, zu der aufsuchende Hilfen, Beratungsstellen und Kinder-Eltern-Zentren als Weiterentwicklung der Kitas gehören.

Viertens. Um das erhöhte Gesundheitsrisiko zu mindern, ist die verpflichtende Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen notwenig. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf unseren Entwurf des Kinderschutzgesetzes, in dem dies bereits vorgesehen ist.

Auf die Möglichkeiten der kostenlosen Mittagsversorgung werden wir im Rahmen des nachfolgenden Antrages der LINKEN eingehen.

Bei dieser Aufzählung möchte ich es bewenden lassen. Aber lassen Sie mich noch ein Wort zu einer Thematik sagen, die eigentlich in die Zuständigkeit des Bundes fällt. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat vorgeschlagen, die Sozialabgabenlast für Geringverdiener zu senken, da diese bei Geringverdienern höher ist als die Steuerbelastung. Diesen Vorschlag unterstütze ich. Auch wir als SPD unterstützen diesen Vorschlag ausdrücklich.

Meine Damen und Herren! Im Ergebnis der heutigen Debatte wünsche ich mir vor allem, dass wir eine gemeinsame Offensive gegen die Kinderarmut starten, um zusammen mit Verbündeten aus der Wirtschaft und den Nichtregierungsorganisationen zielgerichtete Maßnahmen zum Abbau der Armut in unserem Land zu ergreifen. Das Thema wird auch jenseits dieser Aktuellen Debatte aktuell bleiben. Also packen wir es an! - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Grimm-Benne. Es gibt eine Nachfrage des Abgeordneten Herrn Gallert. Wollen Sie die beantworten?

Jawohl. - Bitte schön, Herr Gallert.

Frau Grimm-Benne, Sie sprachen noch einmal über die gesonderte Erhebung der Regelsatzleistungen für Kinder und Jugendliche. Das ist eine Forderung, die wir seit

anderthalb Jahren auch artikuliert haben. Sie haben sie jetzt noch einmal unterstützt. Sie steht auch im Bericht der Landesregierung.

Mich hat Folgendes überrascht: Sie fordern die Landesregierung auf - deswegen frage ich Sie als Angehörige einer Koalitionsfraktion -, eine entsprechende Bundesratsinitiative dahin gehend zu unterstützen. Nun waren wir, als wir den Bericht und diese Position darin gelesen haben, eigentlich der Meinung, es wäre längst klar, dass die Landesregierung eine solche Position unterstützt.

Deswegen frage ich Sie: Welche Information haben Sie denn, dass Sie die Landesregierung dazu erst auffordern müssen?

Meines Wissens hat man sich im Bundesrat darauf geeinigt, einen gemeinsamen Antrag zu stellen, der hauptsächlich auf die Fragen der Ganztagsschulen, der Mittagsversorgung und der Lernmittelfreiheit ausgerichtet ist, und darauf, dass man noch einmal eine Überprüfung des Regelsatzes vornehmen will. Unsere Forderung geht aber weiter. Wir sagen, wir möchten gern einen gestaffelten Regelsatz haben, je nach dem Alter der Kinder. Es ist noch immer in der Prüfung, ob das von allen Ländern getragen wird.

Vielen Dank, Frau Grimm-Benne, für Ihren Beitrag. - Jetzt erteile ich der FDP das Wort. Frau Dr. Hüskens, bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Armut begleitet den Menschen spätestens seitdem er sesshaft geworden ist und Eigentum gebildet hat. Über den weitaus größten Teil unserer Geschichte waren Menschen dabei von existenzieller oder objektiver Armut bedroht, das heißt von Obdachlosigkeit, von Hunger, von einem Mangel an sauberem Wasser und medizinischer Versorgung. Das gilt in vielen Teilen der Welt auch heute noch und war auch in Deutschland bis weit in das 20. Jahrhundert eine reale Gefahr.

Erst die soziale Marktwirtschaft hat es geschafft, die objektive und existenzielle Armut erfolgreich zu bekämpfen, weil man sich zu ordnungspolitischen Werten bekannte, das Solidarprinzip rechtlich verankerte und, anders als in anderen Staatsformen, auch wirtschaftlich in der Lage war, dies zu finanzieren.

Aber Armut als subjektive Armut blieb und bleibt nach wie vor ein Thema - derzeit wieder stärker im Fokus, weil alle Statistiken, egal wie man an das Thema herangeht, uns im Augenblick zeigen, dass die Zahl der Menschen auch in Sachsen-Anhalt wächst, die von Armut bedroht oder statistisch als arm zu bezeichnen sind.

Dabei geht es aber um eine subjektive Armut. Ich glaube, das Beispiel von Frau Grimm-Benne vorhin mit der Einschulung hat sehr deutlich gezeigt, was wir als Armut definieren, nämlich den Umstand, dass das eigene Einkommen deutlich unter dem Landesdurchschnitt liegt und dass man sich in einer Reihe von Situationen eben nicht die Dinge leisten kann, die sich der Durchschnitt der Bevölkerung leisten kann.

Mir ist es völlig egal, welche statistischen Zahlen man heranzieht, und ich halte es auch nicht für wirklich ziel

führend, in einer solchen Situation dann darauf hinzuweisen, dass es in einer Reihe von Nachbarländern, im europäischen Ausland, schlimmer sei und dass die Zahl der Menschen, die dort von Armut bedroht sei, höher sei als bei uns.

Wir brauchen Lösungen, um diesem Phänomen, das sich tatsächlich wieder ausbreitet, zu begegnen. Vor allen Dingen müssen wir an dem Punkt ansetzen, an dem Menschen nicht eine kurze Zeit lang in Armut, also in wirtschaftlich schwierigen Situationen sind, sondern an dem es sich verstetigt, indem Menschen über eine lange Zeit arm sind und vor allen Dingen - Frau Grimm-Benne hat auf den Punkt vorhin auch hingewiesen - Kinder betroffen sind, indem sie quasi in dieser Armut mit einer Lebenshaltung aufwachsen, die dann außerordentlich schwierig zu korrigieren ist.

Als Liberale sehen wir eine Lösung zuerst darin, dass wir die Rahmenbedingungen so setzen müssen, dass die Wirtschaft unseres Landes in der Lage ist, Arbeitsplätze zu bieten, die den Menschen ein selbstbestimmtes, von staatlichen Finanztransfers unabhängiges Leben ermöglichen.

(Beifall bei der FDP)

Wir setzen weiter auf ein Schulsystem, das Kindern vom Kindergarten bis zu einem Beruf eine möglichst große Chancengerechtigkeit bietet

(Zuruf von der SPD: Ach du liebes bisschen!)

und in der Lage ist, auch die Bildungsferne mancher Elternhäuser, wie man das inzwischen so schön nennt, auszugleichen.

Wir setzen auf ein Sozialsystem, das einerseits Anreize schafft, den eigenen Lebensunterhalt selber zu erwirtschaften, andererseits aber auch denen, die dazu nicht in der Lage sind, effektive Hilfe bietet.

Um es einmal klar zu machen: Menschen in unserem Land haben ein Anrecht darauf, dass der Staat und die Gemeinschaft ihnen hilft; aber auch die Gemeinschaft hat ein Anrecht darauf, dass sich die Menschen zunächst einmal bemühen, ihren Lebensunterhalt in den Bereichen, in denen das möglich ist, selbst zu verdienen.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Auf welchem Niveau diese Hilfe gesichert wird, ist natürlich der Punkt, über den wir immer wieder diskutieren und den wir immer wieder neu austarieren müssen.

Der Abstand zwischen dem Einkommen der erwerbstätigen Bürger und den Bürgern, die von sozialen Transfers abhängig sind, muss immer ausreichend groß sein. Oder: Wir brauchen ein System staatlicher Leistungen, das so aufgebaut ist, dass der Weg über soziale Leistungen, über Zuverdienst bis hin zum Wegfall der Sozialleistungen für den Betroffenen immer auch ökonomisch interessant ist.

Wir müssen Lösungen finden für die Frage, dass auch bei Tätigkeiten, für die der Markt in der Regel nur einen niedrigen Lohn zahlt, ein Nettoeinkommen erreicht wird, von dem man in Deutschland leben kann. Ich glaube nicht, dass das, was wir derzeit beobachten, ein Übergangsphänomen ist. Wir werden auch künftig Arbeit auf dem Markt haben, von der man allein nicht leben kann. Deshalb brauchen wir in diesem Bereich kreative Ansätze.

Die FDP hat dazu eine ganze Reihe von steuerrechtlichen und arbeitsrechtlichen Vorschlägen gemacht: vom gerechteren Steuersystem über das Bürgergeld bis hin zu einem finanzierbaren Gesundheitssystem. Wir werden auf dem Parteitag in München, der heute beginnt, an diesen Modellen weiter feilen.

Ich kann Sie alle einladen, das einmal zu lesen, weil diese Ansätze nicht so simpel und einfach sind wie das, was heute hier vermehrt vorgetragen worden ist. Diese Ansätze setzen vielmehr tatsächlich bei Reformen auf der Bundesebene an, die wir meiner Meinung nach brauchen. Denn wenn wir hier wirklich glauben, was ja ehrenwert ist, mit kostenlosem Essen in der Schule oder Lernmittelfreiheit das Problem zu bekämpfen, dann ist das, wie wir alle wissen, zwar nett, aber es führt nicht zum Ziel.

Es wird auch nicht helfen, Herr Gallert, zu sagen, wir brauchen Mindestlöhne oder wir müssen nur die Sozialtransfers ordentlich erhöhen, dann werden wir keine armen Menschen mehr haben. Dazu müssen wir auf der anderen Seite sagen: Die Wirtschaft muss dies auch erbringen und wir müssen dafür sorgen, dass die Wirtschaft dann nicht gezwungen ist, so zu reagieren, wie sie es in der Vergangenheit immer getan hat, wenn wir an diesen Schrauben gedreht haben. Wenn ich nämlich auf der einen Seite Sozialtransfers erhöhe, Arbeit teurer mache, habe ich auf der anderen Seite sofort den Effekt, dass die Wirtschaft ihre Produkte marktfähig halten muss. Das bedeutet in der Regel Verlagerung von Arbeitsplätzen in das Ausland, und das bedeutet auch, dass man Rationalisierungen in den Unternehmen vornimmt und auf diese Art und Weise versucht, die Produkte wieder wettbewerbsfähig zu machen.

Dies ist in einer Marktwirtschaft nun einmal so, und wir können nicht nach dem Motto „Wünsch dir was“ sagen: Wenn der Staat das möchte und es entsprechend durchsetzt, wird der Rest schon funktionieren. - Nein, er wird nicht funktionieren und Sie werden sehen, dass dann nicht diejenigen betroffen sind, die Sie immer so gern im Fokus haben, nämlich die so genannten Reichen. Das Problem wird der Mittelstand haben, der seit Generationen diese Republik trägt, und das Problem werden die Menschen haben, denen Sie helfen wollen. Dann werden nämlich noch mehr Arbeitsplätze wegfallen, weil sie zu teuer sind.

Vor diesem Hintergrund halte ich den Weg, den Sie hier gehen, für zu simpel gedacht; er ist sicherlich aller Ehren wert, aber er wird nicht funktionieren.

Wir müssen auf die komplizierteren Lösungen setzen. Wir brauchen meiner Meinung nach in Berlin tatsächliche Reformen und nicht das verzweifelte Aushandeln von kleinsten gemeinsamen Nennern, damit wir in der Republik dafür sorgen können, dass die Wirtschaft auf der einen Seite der Gesellschaft ermöglicht, die Sozialtransfers zu bezahlen, die sie bezahlen muss, und auf der anderen Seite dafür sorgt, dass möglichst viele Menschen eine Arbeit haben und selbstbestimmt über ihr Leben verfügen können. - Ich danke Ihnen.

(Lebhafter Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Dr. Hüskens. Es gibt eine Nachfrage des Abgeordneten Herrn Gallert. Möchten Sie diese beantworten? - Bitte schön, Herr Gallert.

Frau Hüskens, dass die von mir, wie Sie meinen, aufgezeigten simplen Lösungen nicht funktionieren, widerlegen fast alle europäischen Länder. Dort funktioniert es sehr gut.

(Zurufe von der CDU)

- Ich wollte den Kollegen der CDU nur sagen: Ich frage jetzt Frau Hüskens und nicht Sie. Schön, dass Sie da sind, aber trotzdem.

(Heiterkeit)

Frau Hüskens, ein Problem, das Sie angesprochen haben, war, dass gerade diejenigen Arbeitsplätze, die durch solche Mindestlohnregelungen zu teuer wären, ja dann in das Ausland abwandern würden.