Protocol of the Session on May 29, 2008

(Herr Kosmehl, FDP: Auszählen! - Minister Herr Dr. Daehre: Herr Kosmehl, nehmen Sie einmal eine andere Brille! Nehmen Sie die Weitsichtbril- le! Das reicht! - Unruhe)

- Das hat gereicht.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 16:

Beratung

Einrichtung einer Zentralen Beschwerdestelle Polizei

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 5/1256

Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD - Drs. 5/1288

Ich bitte nun Frau Tiedge von der Fraktion DIE LINKE, den Antrag einzubringen. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Herr Innenminister Hövelmann in seiner Presseerklärung vom 13. März 2008 schreibt - ich zitiere -:

„Erfolgreiche Polizeiarbeit lebt von der Akzeptanz der Gesellschaft und auch vom Vertrauen, dass die Opfer von Verbrechen der Polizei entgegenbringen. Transparenz, Öffnung und Dialog sind die Voraussetzung dafür, solche Akzeptanz immer wieder neu zu gewinnen“,

können wir dem nur vorbehaltlos zustimmen. Es geht dabei um eine weitere Öffnung der Polizei für den Dialog mit der Gesellschaft sowie für die Sichtweise der Opfer. Um das zu erreichen, beabsichtigt der Innenminister eine Zentrale Beschwerdestelle Polizei als alternative zentrale Instanz außerhalb des klassischen Dienstweges für Polizeibeamtinnen und -beamte sowie als Ansprechstelle für Bürgerinnen und Bürger, wenn ihnen eine Beschwerde auf anderem Weg nicht verfolgbar erscheint,

einzurichten. Auch dabei findet er unsere volle Unterstützung.

Aber das ist es dann auch schon gewesen. An dieser Stelle beenden wir unsere Laudatio und setzen mit unserer Kritik an. Denn die beabsichtigten Maßnahmen der Umsetzung, insbesondere die Entscheidung über die Ansiedlung der Zentralen Beschwerdestelle, ihr Aufgabenkatalog, die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten sind kritik- und fragwürdig, folglich mittels Sachverstand zu prüfen und finden in der geplanten Realisierung in keiner Weise unsere Zustimmung. Doch dazu im Detail später mehr.

Eine Reihe von Kritiken an der Arbeit der Polizei, aber auch Kritiken von Polizeibeamtinnen über innerbehördliches Agieren lassen die Vermutung zu, dass die Polizei nicht immer in dem erforderlichen Umfang bereit ist, sich einer öffentlichen Diskussion zu stellen. Nicht zuletzt deswegen wurde auch der Zehnte Parlamentarische Untersuchungsausschuss eingerichtet.

Der Menschenrechtskommissar im Europarat Thomas Hammarberg hat in seinem Bericht zu seinem Besuch in Deutschland Folgendes erklärt - ich zitiere -:

„Nach Auffassung des Kommissars muss die Polizei in einer demokratischen Gesellschaft bereit sein, ihre Maßnahmen überwachen zu lassen und dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Obwohl es interne Mechanismen gibt, die sich mit Fällen mutmaßlichen Fehlverhaltens der Polizei in Deutschland befassen, ruft der Kommissar die deutschen Behörden auf, zu diesem Zweck unabhängige Beobachtungs- und Beschwerdegremien einzurichten. Die Unabhängigkeit dieser Beobachtungsgremien kann nur wirksam gewährleistet werden, wenn sie außerhalb der Polizei- und Ressortstrukturen angesiedelt werden.“

Die Polizei steht vor folgendem Dilemma: Stellt ein Polizeibeamter zum Beispiel eine strafbare Handlung eines Kollegen fest, muss er wegen des Strafverfolgungszwanges gegen diesen Kollegen Anzeige erstatten, schon deswegen, um sich nicht selbst dem Vorwurf der Strafvereitelung im Amt ausgesetzt zu sehen.

Doch was passiert dann oft: Der Spieß wird umgedreht. Nicht selten sind dann gerade diese Beamten schweren Vorwürfen und Anschuldigungen ausgesetzt. Sie werden ausgegrenzt und man betitelt sie als „Nestbeschmutzer“ oder als „Kameradenschwein“. Das gipfelt dann in Repressionen bis hin zum Mobbing. Oftmals endet das in einer Mauer des Schweigens und der Isolation unter den eigenen Kollegen. So manches - das muss ich an dieser Stelle auch sagen - erinnert mich dabei ansatzweise an Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International mahnt schon seit Langem die Errichtung von unabhängigen Beschwerdestellen in den Ländern an,

(Minister Herr Dr. Daehre: Seit 1985!)

nicht zuletzt auch unter dem Aspekt, dass durch Transparenz und Offenheit die Akzeptanz der Polizei in der Bevölkerung gestärkt wird. In vielen europäischen Ländern gibt es diese Beschwerdestellen bereits und sie haben sich bewährt - so in Frankreich und Großbritannien.

Eine vergleichbare Stelle gab es von 1998 bis 2001 auch in Hamburg. Diese wurde jedoch - wen wundert

es? - von dem damaligen Innensenator Schill wieder abgeschafft. Diese Stelle bestand aus drei ehrenamtlichen Mitgliedern, die vom Senat eingesetzt wurden. Ihre Unabhängigkeit war gesetzlich garantiert, sie hatten das Recht auf Auskunft und Einsicht in alle Akten und Unterlagen, unterlagen keinem Strafverfolgungszwang und konnten dem Innensenator Einzelfälle zur Prüfung vorlegen. Allerdings musste auch festgestellt werden, dass eine rein ehrenamtliche Konstruktion mit einem kleinen Unterbau für die Bewältigung der Aufgaben nicht ausreichend ist.

Als oberste Messlatte für die Ansiedlung einer solchen Beschwerdestelle ist ein hohes Maß an Objektivität und Neutralität anzulegen. An dieser Stelle beginnen unsere Probleme und üben wir ausdrücklich Kritik an den Plänen des Innenministeriums zur Umsetzung.

Dabei ist zum einen die beabsichtigte Ansiedlung der Beschwerdestelle beim Landespräventionsrat, der unter Vorsitz des Staatsekretärs agiert, als äußerst problematisch zu betrachten. Eine unmittelbare Anbindung an das Innenministerium ist damit vorprogrammiert - gewollt oder ungewollt.

Zum anderen sollte man sich die der Beschwerdestelle übertragenen Aufgaben und Kompetenzen sehr genau ansehen. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich die Zentrale Beschwerdestelle als besserer Briefkasten oder bessere Postverteilungsstelle. So sollen Beschwerden aus der Bevölkerung oder von Polizeibeamten entgegengenommen und an das Innenministerium zur Prüfung und Bearbeitung weitergeleitet werden. Nach Abschluss der Bearbeitung erhält die Beschwerdestelle einen Bericht über eingeleitete Maßnahmen.

Es gibt keine eigenen Ermittlungsbefugnisse und nur mit Zustimmung des Ministeriums des Innern darf an die Öffentlichkeit gegangen werden. Das hat dann letztendlich kaum noch etwas mit einer unabhängigen Beschwerdestelle zu tun.

Rechtsanwalt Rolf Gössner fordert eine Beschwerdestelle mit folgenden Rechten und Kompetenzen: Akteneinsichtsrecht, Auskunftsrecht, Ladungs- und Vernehmungsrecht, Zutrittsrecht und das Recht auf selbständige Öffentlichkeitsarbeit, um nur einiges zu nennen. Dem können wir nur uneingeschränkt zustimmen.

Dabei soll diese Beschwerdestelle keine parallele Ermittlungsinstitution zur Staatsanwaltschaft sein. Als Vorbild könnte der Wehrbeauftragte bei der Bundeswehr dienen, der bekanntermaßen auch eine Berichtspflicht gegenüber dem Parlament hat.

Nun werden wir von den Kolleginnen der Koalition in der heutigen Plenardebatte - der Änderungsantrag sagt das Gleiche aus - die gleichen Argumente hören wie bereits im Innenausschuss. Nachdem wir eine Anhörung beantragt hatten und zunächst einmal von den Kollegen der SPD signalisiert wurde, dass diese Anhörung begrüßt wird, wurde eine Auszeit beantragt. Man kam letztendlich zu der Einsicht und zu der Aussage, dass die Einrichtung einer Beschwerdestelle rein exekutives Handeln sei, man müsse sich damit nicht weiter befassen, der Landtag habe damit nichts zu tun.

(Herr Kolze, CDU: So ist es!)

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, so stiehlt man sich aus der Verantwortung, so drückt man sich vor einer Entscheidung und Positionierung.

Aber gerade wir als Parlamentarier sind diejenigen, die sich auch mit Vorfällen bei der Polizei beschäftigen sollten und müssen, und das auch außerhalb von Untersuchungsausschüssen. Wir müssen Rede und Antwort stehen, was wir dagegen zu tun gedenken.

Da soll es uns nichts angehen, wie und wo eine solche Beschwerdestelle arbeiten soll, die Konflikte entschärfen könnte oder gar nicht erst entstehen lässt, die aber auch strukturelle Probleme aufzeigen könnte? - An dieser Stelle haben wir eine andere Auffassung von parlamentarischer Verantwortung und die werden wir uns auch nicht nehmen lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

So forderte der ehemalige Hamburger Innensenator Harthmut Wrocklage, beileibe kein Mitglied der LINKEN, eine unabhängige, externe Kontrollinstanz für die Polizei, die bei Bund und Bundesländern den jeweiligen Parlamenten und nicht den Innenbehörden untersteht.

Meine Damen und Herren! Wir wollten mittels einer Anhörung im Innenausschuss künftig Beteiligte bzw. Ansprechpartner einer Beschwerdestelle, gewerkschaftliche Vertreterinnen und diejenigen, die bereits Erfahrungen mit einer solchen gesammelt haben, zu Wort kommen lassen, um uns deren Vorstellungen von einer unabhängigen Stelle mitteilen zu lassen - vor allem auch deswegen, weil die Mobile Opferberatung jetzt schon öffentlich angekündigt hat, unter den jetzigen Vorstellungen nicht mitarbeiten zu wollen.

Frau Tiedge, möchten Sie eine Frage von Herrn Harms beantworten?

Zum Schluss. - Doch diese Anhörung ist nicht gewollt gewesen, insbesondere aufgrund der Entscheidung der Kollegen der CDU-Fraktion. Mehr als bedauerlich, denn so wie angedacht, wird diese Beschwerdestelle ein zahnloser Tiger werden, der mehr eine Alibifunktion als wirkliche Aufklärungsfunktion hat.

Vielleicht ist unser Antrag dazu angetan, dass zumindest im Innenministerium eine derartige Anhörung durchgeführt wird und wir im Innenausschuss über die Ergebnisse dieser Anhörung informiert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. - Jetzt bitte Ihre Frage, Herr Harms.

Frau Tiedge, inwiefern ist der negative Name „Beschwerdestelle“ Programm dieses Unternehmens?

Ich verstehe Ihre Frage nicht.

Ich verbinde mit dem Begriff „Beschwerdestelle“ eine negative Vorstellung. Es gibt ja auch positive Verpackungen, zum Beispiel „Qualitätszirkel“. Solche Begriffe kennen Sie gewiss. Warum haben Sie gerade einen so ne

gativen Begriff wie „Beschwerdestelle“ ausgewählt, um das Ziel dieses Vorhabens zu verdeutlichen?

Den Begriff „Beschwerdestelle“ haben wir uns nicht ausgesucht. Das ist ein offizieller Begriff für derartige Stellen in den Ländern, wo es sie bereits gibt. Der Begriff ist auch vom Innenminister so genannt worden. Das ist also keine Erfindung von uns.

Vielen Dank, Frau Tiedge. - Nun erteile ich Herrn Innenminister Hövelmann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nach den Ereignissen der letzten Monate, insbesondere als das Tätigsein der Polizei in SachsenAnhalt hin und wieder Gegenstand öffentlicher Debatten und kritischer Nachfragen war, Überlegungen angestellt, wie wir auf eine solche gesellschaftliche Situation und Diskussion reagieren können.

Ich habe mir berichten lassen, welche unterschiedlichen Möglichkeiten es gibt, auf der einen Seite Bürgern, auf der anderen Seite aber auch Beamtinnen und Beamten der Polizei die Gelegenheit zu geben, sich außerhalb des klassischen Dienstweges und von bereits vorhandenen Beschwerdeinstitutionen und Beschwerdewegen mit ihren Fragen, Sorgen und Problemen bezüglich der Arbeit der Polizei an jemanden zu wenden.

Wenn ich die Reaktionen der letzten Wochen richtig verstanden habe, dann geht mein Vorschlag den einen nicht weit genug und den anderen zu weit. Das zeigt, dass es insgesamt ein so schlechter Vorschlag nicht sein kann.