Protocol of the Session on June 9, 2006

(Beifall der SPD)

Vielen Dank, Herr Doege. - Damit ist die Aktuelle Debatte abgeschlossen; denn Beschlüsse zur Sache werden hierbei nicht gefasst. Damit ist der Tagesordnungspunkt 22 beendet.

Wir kommen nunmehr wie vereinbart zum Tagesordnungspunkt 14:

Beratung

Erstellung eines Vergabehandbuches für die Durchführung öffentlicher Auftragsvergaben des Landes Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD - Drs. 5/20

Änderungsantrag der Fraktion der Linkspartei.PDS - Drs. 5/60

Ich bitte, den Antrag einzubringen. Es spricht Herr Gürth.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, vor allem die mittelständische Wirtschaft in Sachsen-Anhalt zu stärken. Dies wird ein Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik in dieser Legislaturperiode sein. Denn volkwirtschaftlich ist wohl eines unstrittig: Wenn es uns gelingt, die einheimischen bzw. ortsansässigen Unternehmen zu stärken, damit sie sich in einem fairen Wettbewerb behaupten können, haben wir mit weniger Aufwand mehr erreicht, als all die Anstrengungen um einen großen Investor sonst bringen.

Der Antrag, der heute gestellt wird, ist ein erster Baustein bzw. eine erste Maßnahme. Wir haben uns nicht ohne Grund zunächst mit der Praxis der Vergabe öffentlicher Aufträge im Land beschäftigt.

Im Jahr 2005 sind in Sachsen-Anhalt von der öffentlichen Hand Bauleistungen - nur Bauleistungen - im Wert von ca. 1,3 Milliarden € vergeben worden. Wenn man sich anschaut, wie viel Umsatz ein Beschäftigter in der Bauwirtschaft, im Bauhauptgewerbe bringen muss, be

deutet das, wenn nur die Hälfte des Auftragsvolumens an Unternehmen im Land vergeben worden wäre, wäre das ausreichend Arbeit für 50 000 Beschäftigte gewesen.

Wenn wir heute aber in der „Mitteldeutschen Zeitung“ nachlesen, wie Herr Keindorf die Strukturveränderung im Handwerk im Süden des Landes beschreibt, dann können wir auch nachvollziehen, dass dies eigentlich nur spiegelbildlich für die Bauwirtschaft im ganzen Land anzuwenden ist.

In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der Unternehmen im Bauhaupt- und -nebengewerbe um 240 auf 3 014 zurückgegangen. Das allein ist noch keine dramatische Zahl; aber die Zahl der Beschäftigten ging im gleichen Zeitraum um zwei Drittel von 96 000 auf 31 000 zurück.

Das heißt, eine viel größere Anzahl kleinerer Unternehmen ist entstanden und immer weniger größere Einheiten sind auf dem Markt, die auch wirklich komplexe und komplizierte Bauvorhaben abwickeln können. Wenn dieser Trend nicht gestoppt wird, können wir keine größeren Bauvorhaben mit Unternehmen aus unserem Land bewältigen, weil die Kompetenz nicht mehr vorhanden sein wird.

Deswegen ist es wichtig, dass wir, wenn wir in Milliardenhöhe Aufträge der öffentlichen Hand ausschreiben, für einen fairen Wettbewerb ohne falschen Protektionismus sorgen, damit die Unternehmen eine Chance erhalten und sich wieder ermutigt fühlen, sich um öffentliche Aufträge zu bewerben.

Was ist das Problem hierbei? - Das Problem in der gegenwärtigen Vergabepraxis ist, dass immer wieder, immer häufiger festgestellt werden muss, dass das Prinzip des „Billigen Jakob“ durchgängige Praxis ist. Leichte Veränderungen sind zu spüren, sie sind aber nicht ausreichend.

Diejenigen unter uns, die in den Gemeinden tätig sind, vielleicht in Vergabeausschüssen im Kreistag, im Stadtrat oder im Gemeinderat, wissen, wie oft Vorlagen von der Verwaltung vorgelegt werden, wo fast automatisch nach der Submission der billigste Anbieter zur Auftragsvergabe empfohlen wird.

Ich sage deswegen ganz eindeutig an die Adresse aller Stadt-, Gemeinde- und Kreistagsmitglieder: Es ist eine Mär, dass der Billigste den Zuschlag bekommen muss; denn die Vergabekriterien der Verdingungsordnung schreiben fest, dass das wirtschaftlichste Angebot zu nehmen ist und nicht das billigste.

Es ist auch eine Mär, dass der Landesrechnungshof verlangt, dass der Billigste den Zuschlag bekommen muss, was auch immer wieder von Gemeinde- und Stadträten oder Kreistagsmitgliedern aus der Praxis der Auftragsvergabe berichtet wird. Der Landesrechnungshof hat schriftlich kundgetan, dass er nicht den Zuschlag für den billigsten Anbieter verlangt, sondern der Landesrechnungshof verlangt den Zuschlag nach der Verdingungsordnung, nach den Vergaberegeln.

Folgendes ist die Ursache dafür: Wenn eine Stelle der öffentlichen Hand den Zuschlag an den billigsten Anbieter vergibt, wird oftmals nicht weiter geprüft. Bekommt der zweit-, dritt- oder viertbilligste den Zuschlag, dann bedeutet das, dass vielleicht nachgefragt wird oder es in der Praxis mehr Bieterklagen oder Konkurrentenklagen gibt. Man geht vor die Vergabekammer oder die Rech

nungsprüfungsstelle und fragt, wieso hast du nicht die Chance genutzt, Geld zu sparen. - Diese Arbeit will man sich nicht machen und vergibt den Auftrag an den vermeintlich Billigsten.

Was ist in der Praxis die Folge? Nicht selten - leider Gottes sehr oft - müssen wir feststellen, dass dieses vermeintliche Schnäppchen uns alle - vor allem den Steuerzahler - teuer zu stehen kommt, weil dann gerechtfertigte Gewährleistungsansprüche nicht mehr geltend gemacht werden können; denn die Firmen, die von sonst woher kommen, sind oftmals nicht mehr anzutreffen.

Ich rede gar nicht davon, dass bei uns im Land so viele Baustellen existieren mit so viel Sprachgewirr von so vielen Nationen, und das bei der gleichzeitig hohen Anzahl arbeitsloser Bauarbeiter. Das ist immer schwer zu vermitteln.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein weiteres Problem ist inzwischen die Unübersichtlichkeit, die von einer Vielzahl von Änderungen des Vergaberechts herbeigeführt worden ist. Die letzte große Vergaberechtsänderung fand im Jahr 1999 statt. Sie beinhaltete substanzielle Änderungen; zum Beispiel die Schutzrechte für Bieter auf Einhaltung der Vergabevorschriften waren ein Kernpunkt der letzten Änderung, aber noch lange nicht alles.

Die nächste Änderung des Vergaberechts steht an, sie ist eigentlich überfällig; denn sie sollte bereits im letzen Jahr abgeschlossen werden. In diesem Jahr wird damit zu rechnen sein.

All dies führt dazu, dass oftmals Unsicherheit bei den Vergabestellen und erst recht bei den Ausschüssen herrscht. Deswegen schlagen wir vor, dass wir in Sachsen-Anhalt ein Vergabehandbuch erstellen. Die Erstellung eines Vergabehandbuches ist ein erster Schritt. Mit diesem wollen wir ein standardisiertes, verständlicheres und transparentes Vergabeverfahren in Sachsen-Anhalt anstreben.

Vergabestellen und Unternehmen sollen von Salzwedel bis Zeitz mit einheitlichen Formularen und Verfahrensabläufen öffentliche Aufträge ausschreiben. Dies schafft Übersichtlichkeit, Vergleichbarkeit und auch mehr Rechtssicherheit. Gerade kleine und mittlere Unternehmen sollen so wieder ermuntert werden, sich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf an dieser Stelle auch daran erinnern, dass wir Anfang der 90er-Jahre eine Vielzahl von Privilegien im Vergaberecht hatten, Sonderbedingungen wie die Mehrpreisregelung mit dem Einstiegsrecht und vieles andere mehr. Dennoch ist es uns nicht gelungen, Aufträge entsprechend im Land zu platzieren.

Die Ursache sowohl hierfür als auch für die vorhin beschriebene Vergabepraxis liegt oft darin, dass man die Verdingungsordnung schon kennt, aber nicht mehr mit den Richtersprüchen bei den entsprechenden Klagen hierzu mitkommt. Das Verdingungsrecht, das Vergaberecht ist inzwischen Richterrecht. Wenn wir, die öffentliche Hand, nicht in die Schulung unserer Mitarbeiter investieren, werden auch die notwendige Verbesserung der Qualität der Ausschreibung und die Änderung der Vergabepraxis nicht zu erreichen sein.

Deswegen geht mit dieser Initiative ein Programm von Schulungen und Weiterbildungen einher. Letztere richten sich an die Vergabestellen, an die Mitarbeiter in den

Vergabestellen. Diese müssen sich auch an die Ehrenamtlichen richten, die über Auftragsvergaben mit entscheiden, und sie müssen auch für die mittelständische Wirtschaft angeboten werden.

Die heutige Initiative ist ein erster Schritt dazu. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Gürth. - Nun spricht Herr Minister Haseloff. Bitte schön.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann es relativ kurz machen, weil der Abgeordnete Gürth schon umfänglich auf den Problemkreis zu sprechen gekommen ist. Ich möchte noch einige Ergänzungen aus der Sicht der Landesregierung dazu machen, warum wir diesen Antrag, den die Koalitionsfraktionen gestellt haben, begrüßen und vor allem was wir in Vorbereitung der Abarbeitung schon veranlasst haben bzw. welchen Zeitplan wir uns vorstellen.

Dass die Investitionsaktivitäten, die die Landesregierung befördern möchte, weiterhin Vorrang haben, das brauche ich nicht zu sagen. Das gilt genauso für das Schließen der Infrastrukturlücke, für die Erhaltungsmaßnahmen und all das, wofür die öffentliche Hand die Verantwortung trägt.

Auf der anderen Seite haben wir ein sehr komplexes Vergaberecht. Der Komplexitätsgrad ist oftmals so, dass selbst Fachleute, die viele Jahre damit gearbeitet haben, bei bestimmten Aufträgen bzw. Fallgestaltungen Schwierigkeiten haben, das Recht sicher, stringent und effizient anzuwenden.

Aber auch andere Begründungen sind gegeben worden, wie die Veränderung der Betriebsgrößen innerhalb der Gesamtstruktur des Bauhaupt- und Baunebengewerbes. Wir haben zwar, wie gesagt, wenig an registrierten Unternehmen verloren, aber doch eine ganze Reihe von Arbeitsplätzen. Die Betriebe sind also „eingedampft“. Das heißt, wir haben es mit vielen kleinen Betrieben zu tun.

Deswegen muss es, wenn wir das Vergabehandbuch angehen, auch ein Anliegen sein, neben Handreichungen, Hinweisen und rechtlichen Hilfestellungen vor allen Dingen dafür zu sorgen, dass auch entsprechende Empfehlungen gegeben werden, wie Arbeitsgemeinschaften gebildet werden können, damit es die kleinen Unternehmen wirklich schaffen, sich an den entsprechenden Losen, an den entsprechenden Aufträgen auch überregional zu beteiligen. In diesem Bereich gibt es viele Erfahrungen, die wir niederlegen können.

Wir haben die Situation, dass nach wie vor, wie Herr Gürth schon zu Recht sagte, immer der - auch juristisch - sicherere Weg gewählt wird. Das heißt: Geht ein Auftrag an den Markt, dann wird bei der entsprechenden Bearbeitung in den Verwaltungen letztlich erst einmal das billigste Angebot ausgesucht. Die Aktenlage, die man alternativ sehr stark anreichern und unterfüttern müsste im Sinne dessen, dass vom billigsten Angebot auf das wirtschaftlichste Angebot umgeschwenkt werden kann, ist nicht einfach. Aufgrund der Erfahrungen, die partiell mit der Kommunalaufsicht oder mit dem Landes

rechnungshof gemacht wurden, zieht man sich einfach in die Defensive zurück und macht genau das, was wir nicht brauchen, nämlich nicht alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die das Vergaberecht trotz allem bietet.

Wir müssen daneben versuchen, eine Transparenz für die Unternehmen herbeizuführen, das heißt zu erreichen, dass sie genau wissen, unter welchen Konditionen die öffentliche Hand die Aufträge an den Markt bringt. Das muss von Kommune zu Kommune, von Verwaltung zu Verwaltung einheitlich sein, sodass die Planbarkeit für die Unternehmen zu einer Routine und zu einer Sicherheit bei der Bewerbung führt.

Des Weiteren muss es zu einer Übereinstimmung von Haushalts- und Wettbewerbsrecht kommen. Das ist eine ganz klare Maxime, die wir in diesem Zusammenhang im Blick behalten müssen.

Letztlich muss es auch eine Sicherheit geben, bis zu welchen Losgrößen wir bestimmte Gesamtaufträge herunterbrechen können, damit dann entsprechend zugegriffen werden kann.

Selbst bei den PPP-Modellen gibt es Möglichkeiten, über die öffentliche Hand steuernd einzuwirken. Es geht nicht darum, den Markt zu ersetzen, sondern darum, dass wir an dieser Stelle ordnungspolitisch innovativ und kreativ wirken.

Wir haben deswegen für das geplante Vergabehandbuch, dessen Erarbeitung auch schon Bestandteil des Koalitionsvertrages ist, eine Gliederung in mehrere Teile vorgesehen. Ein Hauptteil wird sich sozusagen als Ratgeber darstellen, in dem die Begrifflichkeiten noch einmal geordnet werden, in dem die Rechtsgrundlagen - die europäischen, die bundesdeutschen und die landesbezogenen - und auch ihre Verzahnung noch einmal klargestellt werden.

Des Weiteren werden wir auf Vergabegrundsätze unter Nutzung von E-Vergabe, also der elektronischen und internetbezogenen Vergabe, zu sprechen kommen, und wir werden letztlich noch einmal ganz klar auf die Geschäftsbedingungen, die zu beachten sind, hinweisen. Das heißt, wir müssen hierfür eine gewisse Schulungskapazität zusätzlich einbuchen, die es möglich macht, entsprechend sicher mit diesen Instrumentarien umzugehen.

Es gehört dazu auch ein gewisses Behördenmarketing, das wir gerade den öffentlichen Strukturen dringend empfehlen müssen und das wir synchronisieren müssen, damit eine gewisse Einheitlichkeit für die Unternehmen ermöglicht werden kann. Es geht uns dabei nicht um Gleichmacherei, es geht vielmehr darum, dass die Dienstleistungsstrukturen im Land Sachsen-Anhalt generell verbessert werden müssen, und es geht auch um den Rechtsschutz des Bieters. Das heißt, gerade wenn es darum geht, unterhalb der Schwellenwerte zu agieren, dann müssen wir justiziable Verfahren praktizieren.

Die Nachprüfungsverfahren und die Schadenersatzansprüche müssen ebenfalls Themen sein, sodass wir damit im Teil 1 den Ratgeber sichergestellt und auch als Leitfaden platziert haben.

In den Teil 2 wollen wir eine Formularsammlung aufnehmen. Das heißt, aus vielen einzelnen Fallgestaltungen und aus den Erfahrungshorizonten, die in den letzten 16 Jahren in Sachsen-Anhalt aufgelaufen sind, wollen wir diese Handreichung zusammenfassen und für das