Ich wurde im November 2006 in eine Schulklasse eingeladen und sollte den Schülerinnen und Schülern an Beispielen erklären, wie im Landtag Politik gemacht wird, zum Beispiel wie wir Gesetze auf den Weg bringen. Ich habe damals aus aktuellem Anlass das Ladenöffnungszeitengesetz als Beispiel genommen, habe erklärt, wie wir vorgegangen sind, und habe zum Schluss ausgeführt, dass gerade an diesem Gesetz nachgewiesen werden konnte, dass Bismarck Recht hatte. Dieser sagte, dass Politik Kunst ist, nämlich immer dann, wenn Interessen ausgeglichen werden sollen und müssen.
Dieser Aufgabe haben wir uns vor einem Jahr mit großer Intensität gestellt. Nach einem Jahr dürfen wir zu Recht fragen: Was hat es gebracht? - Sie erinnern sich sicherlich an die Erwartungen, die damals im Raum standen, aber auch an die Befürchtungen. Ich erinnere mich, dass die IHK aufschrieb: Dieses ist nun ein konsequenter Weg zur Deregulierung. Der Verband der Kaufleute schrieb: Das ist ein wichtiger Schritt zum Abbau bürokratischer Hemmnisse.
Auf der anderen Seite wurden die Befürchtungen - das war auch verständlich – insbesondere von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Handel formuliert: Was geschieht mit unseren Arbeitszeiten? Was geschieht mit den Familien? Welche Einschnitte und Veränderungen wird es bei den Zuschlägen geben?
Es gab sehr viele, man möchte beinahe sagen: philosophisch-religiöse Anfragen und Einwände, wie zum Beispiel unter der Überschrift: Wie viel Pause braucht der Mensch? Ich habe in einer meiner damaligen Reden Hannah Arendt zitiert, die gesagt hat: Wir dürfen den Menschen nicht nur auf Arbeit und Konsum reduzieren.
Wenn man sowohl die Erwartungen als auch die Befürchtungen von damals nimmt, ist man ein wenig versucht, heute zu sagen: Es ging aus wie das Hornberger Schießen, oder man wird an Shakespeare erinnert: Viel Lärm um nichts!
Im Februar dieses Jahres brauchte ich eine neue Brille und ging zu einem Optiker im Umfeld des Hohen Hauses. Im Gespräch habe ich mich als jemand geoutet, der das neue Ladenöffnungszeitengesetz mit verzapft hat, was mir bei der mich beratenden Optikerin nicht nur Anerkennung einbrachte.
Ich habe ihr damals die Befürchtung genommen und gesagt - das war, wie gesagt, im Februar -, dass sich in zwei, drei Monaten alles wieder gelegt haben werde und sie mitnichten noch um 22 Uhr auf Menschen werde warten müssen, die Brillen benötigten.
Es ist genau so gekommen. Wenige Monate später konnte man in der „Volksstimme“ lesen, dass die Geschäfte nur noch bis 20 Uhr geöffnet sein werden. Überhaupt haben die Medien sehr schnell berichtet, dass es zu einer Ernüchterung der Erwartungen und der Befürchtungen gekommen sei, dass die Resonanz gering sei und dass an vielen Stellen zur alten Regelung zurückgekehrt worden sei. Wenn man es vereinfacht - ich gestehe zu, sehr vereinfacht - formulieren würde, dann müsste man sagen, dass nur ein langer Donnerstag und ein langer Freitag dabei herausgekommen sind.
- Wie bitte? Ich kann Sie nicht verstehen, Sie müssten zum Mikrofon gehen. - Die Erkenntnis, dass neue Ladenöffnungszeiten nicht automatisch mehr Geld in das Portmonee bringen, hat sich inzwischen allgemein durchgesetzt.
Ich habe dann im August eine Kleine Anfrage gestartet, deren Beantwortung verständlicherweise - das Gesetz war ein gutes halbes Jahr alt - bei den Ergebnissen noch etwas dürftig war. Es ist richtig, die Umsätze sind leicht gestiegen, die Beschäftigtenzahl ein wenig, im Teilzeitbereich sogar etwas stärker. Eine Aussage, wie sich das in den so genannten Grenzregionen verhält - wobei wir im Raum Halle/Merseburg auf Leipzig blicken -, kann noch nicht getroffen werden.
Was ist mit den Beschäftigten geschehen? Was hat sich bei ihren Lohnsummen bewegt? Wie haben sich ihre Anstellungsverhältnisse verändert? Wie hat sich das Gesetz auf die Zahlung von Nacht- und Erschwerniszuschlägen ausgewirkt? - Wir wissen, dass der alte Tarifvertrag zwar gekündigt worden ist, aber noch gilt. - Auf all diese Fragen gibt es noch zu wenig Antworten.
Die Situation im Einzelhandel ist nach wie vor durchwachsen. Der Einzelhandel profitiert zum Teil von der guten Konjunktur. Es kommt aber auch - zumindest von den Vertretern des Einzelhandels - mit einer gewissen Berechtigung immer wieder die Aussage, dass nicht genug Geld ausgegeben wird.
Die Arbeitgeber haben den Manteltarifvertrag gekündigt. Man gewinnt ein wenig den Eindruck - das will ich mit aller Vorsicht formulieren -, dass das neue Gesetz dazu benutzt werden soll, den Tarifvertrag mit Einschnitten und Flexibilität zugunsten der Arbeitgeber zu verändern. Weil es einen neuen Tarifvertrag noch nicht gibt, kann auch der Minister das Verfahren zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung für den Manteltarifvertrag für den Einzelhandel zurzeit nicht einleiten, was damals in der Entschließung des Landtages zum Ausdruck kam.
Wenn wir über unsere Landesgrenze hinausschauen, dann nehmen wir zur Kenntnis, dass es in Berlin eine Verfassungsklage der evangelischen und der katholischen Kirche gegen das Berliner Ladenschlussgesetz und darin insbesondere gegen die Sonn- und Feiertagsregelung gibt. Wer in Berlin regiert, ist allgemein bekannt. Wir sind nun gemeinsam gespannt darauf, zu welchem Ergebnis Karlsruhe kommen wird.
Meine Damen und Herren! Es ist notwendig, an dieser Stelle einen Blick in die Volkswirtschaft zu werfen, und wir sind es insbesondere den Betroffenen schuldig, uns zu informieren. Ich bin deshalb dafür, dass wir im Ausschuss eine Anhörung durchführen.
Ich glaube, es ist ganz vernünftig, wenn man diese erst im neuen Jahr durchführt, weil dann die Ergebnisse des Weihnachtsgeschäfts - allein dieser Begriff müsste fast verboten werden - mit einfließen können. In diesem Sinne bitte ich um Ihre Zustimmung zu diesem Antrag. - Vielen Dank.
Bevor ich nun Herrn Minister Haseloff das Wort erteile, haben wir die Freude, Lehrerinnen und Lehrer für Sozialkunde aus dem Altmarkkreis Salzwedel auf der Südtribüne begrüßen zu dürfen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor fast genau einem Jahr, am 30. November 2006 ist das Ladenöffnungszeitengesetz des Landes Sachsen-Anhalt in Kraft getreten, ein Gesetz, das auf Flexibilisierung ausgerichtet war, nicht auf Wirtschaftsförderung im Sinne von Umsatzsteigerung. Das ist damals immer wieder auch von mir betont worden.
Die Einzelhändler haben seitdem die Möglichkeit, weitestgehend frei darüber zu entscheiden, zu welchen Zeiten und für wie lange sie ihre Läden öffnen. Gerade das war das Ziel der Landesregierung: Deregulierung und Entbürokratisierung auch bei den Öffnungszeiten im Einzelhandel, der im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen sehr lange mit zeitlichen Einschränkungen zu kämpfen hatte.
Erinnern wir uns: Von Kritikern der Flexibilisierung wurde auch im Rahmen der damaligen Landtagsberatung in die Diskussion eingeworfen: Was soll das? Wer will bzw. soll denn rund um die Uhr einkaufen? Das lohnt sich ja nicht usw. usf. - Davon war die Landesregierung aber weder ausgegangen, noch rechnete sie mit einer solchen Entwicklung, das heißt mit einer Rund-um-die-UhrÖffnung von Einzelhandelsgeschäften.
Nun, nachdem fast ein Jahr vergangen ist, hat der Alltag unsere Einschätzung bestätigt. Ein jeder konnte und kann es beobachten: Die Einzelhändler öffnen dann, wenn sie es für richtig halten, das heißt, wenn es sich für sie rechnet.
Kam es in der Anfangszeit noch zu einer längeren Öffnung der Geschäfte, so wurden die Zeiten doch recht schnell wieder den tatsächlichen Bedürfnissen bzw. den wirtschaftlichen Erfordernissen angepasst. Zu Rund-umdie-Uhr-Öffnungen ist es nur wenig gekommen. Das haben wir alle selbst feststellen können.
In der damaligen Diskussion sind aber weitere Hoffnungen bzw. Befürchtungen mit dem Inkrafttreten des Ladenöffnungszeitengesetzes geäußert bzw. verknüpft worden, von denen wir nicht wissen, ob und gegebenenfalls inwieweit sie sich im Laufe des vergangenen Jahres bewahrheitet haben. Wir wissen, die Praxis bis zu dem Zeitpunkt der weitgehenden Freigabe der Ladenöffnungszeiten währte Jahrzehnte. Wir haben jetzt erst knapp ein Jahr lang neue Erfahrungen sammeln können.
Daher begrüße ich es für die Landesregierung ausdrücklich, wenn sich der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit durch eine Anhörung von Kammern, Verbänden, Kirchen, Einzelhändlern und Gewerkschaften ein Bild darüber verschafft, wie sich die Auswirkungen dieses Gesetzes im ersten Jahr nach seinem Inkrafttreten darstellen. - Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass das Ladenschlussgesetz so schnell wieder auf die Tagesordnung kommt, hätte ich, ehrlich gesagt, nicht vermutet.
Herr Miesterfeldt hat davon gesprochen, dass das neue Ladenöffnungszeitengesetz jetzt fast seinen ersten Geburtstag feiert. Wir haben das Ladenschlussgesetz an diesem Tag verabschiedet; es wäre fast 50 Jahre alt geworden. Das war ja immer auch das Thema nach dem Motto: Relikte der Vergangenheit müssen weg.
Sie haben es „viel Lärm um nichts“ genannt. Ich denke, wir müssen darüber reden. Wenn wir diese Anhörung machen, werden wir vielleicht erfahren, ob es ein bisschen mehr als nur Lärm gibt. Das sollten wir uns angucken.
Ich habe, wie Sie wahrscheinlich auch, im Internet recherchiert und bin auf das gestoßen, was der Präsident des Hauptverbandes des deutschen Einzelhandels Josef Sanktjohanser bei der Delegiertenversammlung am 13. November 2007 in Berlin gesagt hat: In diesem Jahr werde die Branche real mit einem Umsatzverlust abschließen. Grund für die schwache Umsatzentwicklung im Handel ist nach seinen Worten maßgeblich die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu Beginn des Jahres 2007. So sei der Einzelhandelsumsatz in den ersten drei Quartalen des Jahres 2007 preisbereinigt um 1,6 % gesunken. Die Zahl der Beschäftigten im Einzelhandel, so führt er weiter aus, sei allerdings bei rund 2,7 Millionen annähernd gehalten worden.
In seinen Ausführungen konnte ich kein Wort über die wirtschaftlichen Erfolge des Einzelhandels infolge der längeren Ladenöffnungszeiten finden. Herr Haseloff, Sie haben natürlich Recht, die Landesregierung hat das nicht zum Hauptthema gemacht, aber für die Einzelhändler war es allemal das Ziel der Aufgabe des Ladenschlussgesetzes, die Umsätze umzuverteilen.
Ja, meine Damen und Herren, als ich Ihren Antrag gelesen habe, habe ich gedacht, eigentlich könnten wir den Antrag nur unterstützen und damit auf eine Debatte verzichten. Ich glaube aber, dass einige doch traurig gewesen wären, wenn ich das gemacht hätte.
Ihre Euphorie hier im Hohen Hause war groß, als das Ladenschlussgesetz zu den Relikten gepackt wurde, wo es seit Längerem schon hin sollte. Gegen die Interessen der Beschäftigten und der kleinen und mittelständischen Unternehmen wurde das beschlossen. Es gab genügend Proteste; aber wir werden darüber ja noch einmal im Detail reden.
Ab dem 1. Dezember 2006 war der Weg zum Rund-umdie-Uhr-Shopping freigegeben. Jetzt sollten die Umsätze nur noch so sprudeln. Nach dem Weihnachtsgeschäft trat aber die Ernüchterung ein. Die Öffnungszeiten, die ohnehin nur bis 22 Uhr ausgedehnt wurden, vor allen Dingen in den Stadtzentren, wurden schnell wieder auf 20 Uhr zurückgefahren. Die Kunden wollten sich einfach nicht so schnell umgewöhnen.
Jetzt wird seit ein paar Wochen nach heftigen Auseinandersetzungen unter den Einzelhändlern - zumindest war es so in der „Volksstimme“ zu lesen - im Stadtzentrum Magdeburgs und im Bördepark Magdeburg ein erneuter Versuch unternommen, insbesondere die Weihnachtszeit für die Ausdehnung der Öffnungszeiten zu nutzen. Der Anlass ist natürlich wie eh und je derselbe: Es ist ein Kampf um Marktanteile. Die Wettbewerber wollen nur das Beste für die Kunden. Jeder will natürlich den meisten Umsatz für sich haben.
Immer wieder haben meine Fraktion und ver.di darauf hingewiesen, dass die Verlängerung der Öffnungszeiten zulasten der Verkäuferinnen und der kleinen Einzelhandelsstrukturen gehen wird. Bereits jetzt entfallen 70 % des Gesamtumsatzes des deutschen Lebensmittelhandels auf die fünf größten Unternehmensgruppen: Edeka, Rewe, Metro, Schwarz und Aldi. In diesen Unternehmen lautet die Devise: Kosten senken durch Einsparungen bei Personalkosten.
Während die Arbeitnehmer davon hätten ausgehen können, dass sie bei einer stärkeren Arbeitsbelastung insbesondere durch die Verlängerung der Öffnungszeiten mehr Geld bekommen würden, hatten die Arbeitgeber ganz andere Pläne. Bereits zum 31. Dezember 2006 haben sie den Manteltarifvertrag des Einzelhandels gekündigt mit dem Ziel, insbesondere die Zuschläge für die zusätzlichen Belastungen zu streichen. Das heißt, die Tarifrunde im Einzelhandel steckt seit elf Monaten fest. Ich wünschte mir, dass die Kolleginnen im Einzelhandel doch den Mut der Lokführer hätten.