Protocol of the Session on November 15, 2007

2. Wird sich die Landesregierung im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat für eine stärkere Beteiligung des Bundes an den Kosten für den Zensus 2011 einsetzen und wird sie eine abweichungsfeste Ausgestaltung der Verwaltungsverfahren für die Länder fordern?

Vielen Dank, Herr Kosmehl. - Für die Landesregierung erteilt die Antwort Herr Minister Hövelmann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich beantworte die Fragen des Abgeordneten Kosmehl namens der Landesregierung wie folgt.

Zu Frage 1: Die Gesamtkosten für die Durchführung des registergestützten Zensus 2011 sind noch nicht kalkuliert. Dies wird erst mit der Erarbeitung des Zensusanordnungsgesetzes, das die Erhebungsmerkmale und das Stichprobendesign für die Befragungen festlegt und am Ende des Jahres 2008 verabschiedet werden soll, möglich sein. Erst dann können auch konkrete Aussagen über die zu erwartenden Belastungen der Kommunen getroffen werden. Bisherige Schätzungen für die Länder und Kommunen gehen insgesamt von Kosten in Höhe von rund 500 Millionen € für die Jahre 2007 bis 2014 aus. Nach dem für die Schätzungen verwandten Königsteiner Schlüssel beträgt der Anteil für Sachsen-Anhalt rund 15 Millionen €.

Zu Frage 2: Sachsen-Anhalt hat sich in dem Verfahren zur Verabschiedung eines Zensusvorbereitungsgesetzes 2011 von Beginn an für die Aufnahme einer Regelung über Finanzzuweisungen des Bundes an die Länder zum Ausgleich der ihnen und den Kommunen durch die Vorbereitung und Durchführung des registergestützten Zensus entstehenden Kosten ausgesprochen und eine abweichungsfeste Ausgestaltung der Verwaltungsverfahren für die Länder gefordert.

Der zur Durchsetzung dieser Forderung durch den Bundesrat angerufene Vermittlungsausschuss des Deutschen Bundestages und des Bundesrates hat in seiner Sitzung am 7. November 2007 das Verfahren zum Zensusvorbereitungsgesetz 2011 ohne Einigungsvorschlag abgeschlossen. Der Bundesrat hat daraufhin am Freitag, dem 9. November 2007 einstimmig, also auch mit den Stimmen Sachsen-Anhalts, beschlossen, Einspruch gegen das vom Deutschen Bundestag verabschiedete Zensusvorbereitungsgesetz 2011 einzulegen.

Vielen Dank, Herr Minister. - Herr Kosmehl, bitte fragen Sie.

Herr Minister, der Vermittlungsausschuss hat meine Frage ein Stück weit überholt. Ich würde gern nachfragen - gern auch zur schriftlichen Beantwortung -, wie sich die Landesregierung zu der Frage des Rechts der

Einzelfallprüfung auf kommunaler Ebene bei Unklarheiten zur Erhebung der Daten positioniert hat. Sieht die Landesregierung in dieser Einzelfallprüfung datenschutzrechtliche Probleme?

Mit Ihrem Einverständnis werden wir diesbezüglich recherchieren und Ihnen die Antwort schriftlich zukommen lassen.

Vielen Dank, Herr Minister Hövelmann. - Damit ist die Fragestunde abgeschlossen und der Tagesordnungspunkt 4 beendet. Ich darf jetzt Seniorinnen und Senioren des Bahn-Sozialwerkes Magdeburg auf der Südtribüne begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir kommen zurück zur Aktuellen Debatte. Den ersten Teil haben wir schon heute Morgen abgearbeitet.

Ich rufe erneut Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Debatte

Ich rufe das zweite Thema auf:

Öffentlich geförderte Beschäftigung in Sachsen-Anhalt - eine Reise ins Ungewisse

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 5/964

Ich bitte Frau Dirlich, für die Antragsteller das Wort zu nehmen. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin natürlich ein bisschen gespannt darauf, wie oft das Wort „Populismus“ in der heutigen Debatte fallen wird. Wir waren uns dieser Gefahr natürlich bewusst. Wir haben uns trotzdem für diese Debatte entschieden, weil eines Fakt ist, meine Damen und Herren: Wir können die Frage nach der Zukunft der Arbeitsmarktpolitik des Landes Sachsen-Anhalt zurzeit nicht beantworten. Sie werden verstehen, dass das für uns eine unbefriedigende Situation ist. Das ist sie auch deshalb, weil dieses Thema für uns immer enorm wichtig war und auch in Zukunft sein wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Dafür gibt es mehrere Gründe, zum Beispiel die Bürgerarbeit. Das Mindeste, was man dazu sagen muss, ist wohl, dass dieses Programm in der Tat mit großem Anspruch - mit wirklich großem Anspruch - gestartet ist. Ich will dieses Projekt nicht noch einmal ausargumentieren. Wir haben das Für und Wider lange und oft diskutiert. Das müssen wir also nicht noch einmal tun. Aber immerhin gab es an einer einzigen Stelle in SachsenAnhalt - mir fällt wirklich keine weitere ein - eine Chance, den Spruch „Aus dem Osten was Neues, und das für die ganze Republik“ zu verwirklichen. - Schade.

(Beifall bei der LINKEN)

Leider ist der Minister - das muss man ihm sagen - als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet. Das ist ein

alter Spruch, aber er passt leider zu gut. Wir finden das bedauerlich. Das Ergebnis ist nämlich, dass das Projekt Bürgerarbeit auf Sparflamme gesetzt wird.

Von der Bundesregierung wurden aber neue interessante Programme aufgelegt, zum Beispiel das Programm Kommunal-Kombi. Obwohl wir gerade einmal die Grundzüge dieses Programms kennen, wissen wir eines jetzt schon und haben es im Übrigen schon bei der Ankündigung des Programms gewusst: Die Kommunen werden nicht in Lage sein - zumindest nicht allein -, dieses Programm gegenzufinanzieren. 500 € sollen vom Bund für dieses Programm pro Mensch und Monat gezahlt werden, das sind 50 % der geförderten Summe. Dann bleiben - das ist eine einfache Rechnung - 500 € übrig, die von der Kommune oder von den Trägern oder von wem auch immer zu tragen sind. Denn es heißt ja KommunalKombi.

Der Bund geht davon aus, dass die Kommunen Kosten der Unterkunft einsparen und so Reserven entwickeln. Einmal abgesehen davon, dass das natürlich nur auf die Landkreise zutrifft, weil die Städte keine KdU sparen - denn sie geben keine aus -, und abgesehen davon, dass den Kommunen dadurch Bundesmittel verloren gehen, abgesehen von all dem wissen wir, dass die KdU in den allerseltensten Fällen 500 € erreichen. Es bleibt die Frage: Was wird das Land tun? - Aus unserer Sicht bisher Fehlanzeige.

Für das Programm Jobperspektive will der Bund 75 % der Kosten pro Mensch und Monat tragen. Auch hierbei bleibt die Frage, wer die restlichen 25 % trägt. - Schon wieder die Kommunen, die Träger, Vereine, Verbände, Gesellschaften? Natürlich werden sich die Kommunen auf ihre Haushaltsdefizite zurückziehen und werden logischerweise darauf verweisen. Natürlich wissen wir schon seit Jahren, dass die meisten Träger mit 25 % Eigenbeteiligung restlos überfordert sind. Viele kleine Projekte, die auf dieses Programm angewiesen wären, sind damit komplett überfordert. Es bleibt die Frage: Was wird das Land tun? - Bisher Fehlanzeige.

Sie werden sich fragen: Wie komme ich zu dieser Einschätzung, zu der Einschätzung „Fehlanzeige“? - Zur Illustration dazu einige Zahlen aus dem Haushalt. Ich habe mir, um das noch ein bisschen heftiger zu demonstrieren, zum Vergleich die Zahlen aus dem Jahr 1998 herangezogen. Damit wird es natürlich bitter.

Im Jahr 1998 hat das Land Sachsen-Anhalt aus dem Kapitel 05 04 - das war damals das Arbeitsmarktkapitel im Sozialministerium - ca. 200 Millionen € ausgegeben. Ich habe es in Euro umgerechnet, ich habe die EU-Anteile an den ESF-Mitteln herausgerechnet, weil sie auch jetzt zumindest aus dem Kapitel 08 04 herausgerechnet sind. Zirka 20 Millionen € waren es. Im Jahr 2008 sollen es noch 32 Millionen € sein und im Jahr 2009 noch ca. 26 Millionen €.

In Kapitel 08 04 Titelgruppe 65, die die wichtigsten Arbeitsmarktaktivitäten des Landes enthält, waren es im Jahr 1998 ca. 88 Millionen € und es werden in den Jahren 2008 und 2009 - jetzt halten Sie sich fest! - noch 2 Millionen € sein. Das macht, glaube ich, die Entwicklung der Arbeitsmarktpolitik in Sachsen-Anhalt ein Stück weit deutlich.

Natürlich ist auch uns bekannt, meine Damen und Herren, dass die Arbeitslosigkeit zurückgegangen ist - allerdings natürlich nicht ganz so stark; das muss man zugeben -, von ungefähr 270 000 Arbeitslosen im Jahr 1997

auf aktuell im vergangenen Monat 185 000 Arbeitslose. Es ist ein enormer Rückgang, aber natürlich zwischen 88 und zwei besteht eine andere Relation als zwischen 270 und 180. Das ist auch klar.

Natürlich wissen wir zweitens, dass das Land durch Gesetzesänderungen weitestgehend aus der Verantwortung für die Arbeitsmarktpolitik entlassen wurde. Die Strukturanpassungsmaßnahmen wurden schlicht abgeschafft, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen müssen vom Land nicht mehr mitfinanziert werden und das letzte verbliebene eigene Programm der Landesregierung - das hieß damals am Anfang „Neue Wege in der Arbeitsmarktpolitik“; ich weiß nicht, ob sich noch jemand dunkel daran erinnert - hat es beim Regierungswechsel von SPD zu CDU damals sogar bis in die Koalitionsvereinbarung geschafft, allerdings nur mit dem Hinweis, dass es schnellstens beerdigt werden soll.

Es ist drittens leider nicht gelungen, die Bürgerarbeit bundesweit gesetzlich zu verankern und entsprechend zu finanzieren. Das hatten wir schon.

Es bleibt also die Frage: Was wird das Land tun? - Zurzeit können wir darauf nur eine Antwort erkennen, nämlich: Das Land verabschiedet sich aus der Arbeitsmarktpolitik und verzichtet darauf, eigene Akzente zu setzen. Das muss bei uns natürlich die Frage provozieren: Muss das so sein? - Wir denken, dass Berlin deutlich macht, dass es nicht so sein muss. Nein, es muss nicht so sein. Berlin geht den Weg genau in die andere Richtung; Berlin greift das Bundesprogramm „JobPerspektive“ auf und installiert in Berlin den von uns schon sehr lange geforderten und auch in diesem Haus schon oft diskutierten öffentlich geförderten Beschäftigungssektor ÖBS.

Es lohnt sich in der Tat, einen Blick in dieses Programm zu werfen. Menschen mit einem entsprechenden Hilfebedarf und mit zugegebenermaßen vielfältigen Vermittlungshemmnissen können, wenn festgestellt wird, dass sie langfristig keine Chancen haben, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz zu finden, bis zu 24 Monate lang einen Beschäftigungszuschuss erhalten. Von diesem Beschäftigungszuschuss - ist sagte es vorhin bereits - will der Bund 75 % tragen. Anschließend an diese 24 Monate soll der Beschäftigungszuschuss ohne zeitliche Unterbrechung unbefristet erbracht werden, wenn eine Erwerbstätigkeit ohne Förderung in den nächsten zwei Jahren nicht in Sicht ist.

Das ist ein Programm, dessen Hürden zugegebenermaßen sehr hoch liegen, aber ein Programm, das wirklich interessant ist und das sich erstaunlicherweise den Forderungen nach einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor sehr weit annähert. Das finden wir eben sehr interessant. Der Bundesgesetzgeber legt nämlich diese öffentlich geförderte Beschäftigung ausdrücklich auf Dauer an. Das steht genau so in den Handlungsanweisungen drin: Es wird auf Dauer angelegt.

Auf solche eine Möglichkeit - das wissen wir schon seit Langem, meine Damen und Herren - warten viele Betroffene schon seit Jahren.

Wir haben damals den ersten Vorstoß mit „Aktiv zur Rente“ gemacht, der ja auch wieder eingestampft werden musste. Das habe ich vorhin noch gar nicht erwähnt; man kann gar nicht alles anführen.

Aber für viele soziale Projekte wird händeringend auf eine Chance gewartet. Wir wissen das schon seit sehr

langer Zeit. Ich habe das auch in diesem Haus schon sehr oft gesagt. Wir haben es auch schon sehr, sehr oft diskutiert: Gerade in sozialen Projekten, in denen Beziehungsarbeit geleistet wird, in denen man Menschen an die Hand nehmen will, in denen es um Vertrauen zu den Bezugspersonen geht: In diesen Projekten ist es einfach kontraproduktiv, wenn die Ansprechpartnerinnen und -partner ständig wechseln. Inzwischen - wenn man es auf der Basis der Ein-Euro-Jobs betrachtet - wechseln sie, wenn es ganz dumm kommt, alle drei Monate. Das geht in diesen Projekten wirklich nicht. Ich habe es jetzt ganz bewusst ein Stück übertrieben; ich weiß natürlich auch, dass es andere Beispiele gibt - zum Glück.

Das Wichtigste ist: Die Struktur der Arbeitslosigkeit hat sich aus unserer Sicht geändert. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen steigt zwar prozentual nicht so gravierend - es ist an vielen Stellen schon Entwarnung gegeben worden -, aber die Länge der Arbeitslosigkeit bestimmter Personengruppen steigt und die Perspektivlosigkeit bestimmter Personengruppen steigt. Es ist doch erstaunlich, dass die Bundesregierung mit ihrem neuen Programm genau auf diese Tatsache reagiert.

Ich glaube, dass wir aus diesem Grund die Chancen, die in diesem Programm stecken, in Sachsen-Anhalt nicht verschenken sollten. Das ist unsere Forderung an die Landesregierung, die wir zu gegebener Zeit auch mit eigenen Vorschlägen untersetzen wollen. Aber zunächst einmal wollen wir tatsächlich wissen: Wohin, meine Damen und Herren, geht die Reise? Sie darf nicht ins Ungewisse gehen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Dirlich. - Nun erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Haseloff das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Dirlich, ich weiß nicht, wie Ihr Bettvorleger aussieht. Ich hoffe nur, dass ich mich etwas von ihm unterscheide.

(Heiterkeit und Zustimmung)

Das Thema mit seinen zahlreichen Fassetten haben wir im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit und im Finanzausschuss schon ausführlich diskutiert. Zu „JobPerspektive“, „Kommunal-Kombi“ und „Bürgerarbeit“ gibt es kein Herrschaftswissen der Landesregierung. Ich stelle das deswegen voran, weil die Fraktion DIE LINKE in ihrem Debattenantrag den Vorwurf mitschwingen lässt, man informiere nicht genug. Dabei ist alles im Netz verfügbar, zumindest das, was an Fakten innerhalb des laufenden Haushaltsfindungsverfahrens bereits zur Verfügung gestellt werden kann.

Wenn hinsichtlich der Umsetzung dieser Instrumente noch einiges unklar ist, dann hat das nicht die Landesregierung zu vertreten. Denn es gibt zum Beispiel noch keine Richtlinie des Bundes zum Programm KommunalKombi, nur Gespräche zwischen dem Bund und den betroffenen Ländern.

Der neue § 16a im SGB II, auch JobPerspektive genannt, enthält einen Lohnkostenzuschuss, der sowohl im öffentlich geförderten Arbeitsmarkt als auch in der Privatwirtschaft eingesetzt werden kann; Letzteres aber nur, wenn Brüssel es erlaubt. Das müssen wir noch abwarten.