Deshalb, meine Damen und Herren, gehören die Diskussionen, die im Moment sehr kontrovers über Arbeitnehmerrechte, über Teilhabegerechtigkeit, über Kinderbetreuung, über Bildungsgerechtigkeit, über einen Mindestlohn oder über die Bezugsdauer von Lohnersatzleistungen geführt werden, zu den elementaren Diskussionen, die wir im Moment brauchen, um den für uns gangbaren und guten Weg in eine offene Gesellschaft zu finden.
Wir können uns diese Diskussionen nicht ersparen. Je sauberer wir zu Ergebnissen kommen, die tragfähig sind, desto einfacher werden wir auch den Weg in die offene Gesellschaft finden. Ja, ich meine, meine Damen und Herren, auch die Diskussionen über den Solidarpakt, über die Begrenzung der Neuverschuldung und über die Generationengerechtigkeit gehören zur Sicherung der Zukunft einer offenen Gesellschaft.
Die Erlangung und die Sicherung von Wettbewerbsfähigkeit allein werden nicht ausreichen, die Bürger mitzunehmen. Wir müssen es schaffen, dass auch der „Normalbürger“ von den Vorteilen der offenen Gesellschaft möglichst durch eigene Erfahrungen überzeugt wird.
Drittens, meine Damen und Herren: Der Weg in eine offene Gesellschaft führt - davon bin ich überzeugt - über die Stärkung der Bürgergesellschaft. Das soziale Umfeld wirkt als Korrektiv gegen Extremismen, gegen Verlustempfinden und gegen die Angst, nicht gebraucht zu werden und keine geachtete Stellung in der Gesellschaft zu finden.
Gute Nachbarschaften, in denen man sich mit Achtung, Sensibilität und Hilfsbereitschaft begegnet, helfen gegen die Vernachlässigung von Kindern, die wir in Ost und West verstärkt beobachten.
Es kann keinen Zweifel daran geben, dass bei der Vielfalt der Aufgaben, die der Staat aus eigener Kraft nicht bewältigen kann, jeder mit seinen Fähigkeiten gebraucht wird. Der Staat kann und will nicht alles richten. Die Bürger müssen sich in der Bürgergesellschaft auch untereinander gegenseitig stärken.
Meine Damen und Herren! An dem Beispiel Kinderbetreuung wird auch eines deutlich, was uns zum Beispiel Seitz und Ragnitz ins Stammbuch geschrieben haben: Unsere Ausgaben für die Kinderbetreuung in Sachsen-Anhalt liegen je Einwohner um 50 % über denen in den finanzschwachen westlichen Flächenländern. Wir haben damit das bundesweit quantitativ und auch qualitativ am besten ausgebaute Betreuungsangebot für Kinder. Vor diesem Hintergrund ist wirklich zu überlegen, was wir verändern müssen, um die auch bei uns weiter vorhandenen Defizite in der Kinderbetreuung abzubauen; denn es kommen auch unter unseren guten Betreuungsbedingungen viel zu viele Kinder mit zu schlechten Voraussetzungen in die Grundschule.
Meine Damen und Herren, die Studie sagt mir aber auch eines: dass es nicht allein ein Finanzproblem zu sein scheint. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir mit den vorhandenen und im Moment offensichtlich bei uns auch großzügig ausgegebenen finanziellen Ressourcen einfach bessere Ergebnisse erzielen.
Es wurde vorhin schon kurz erwähnt, dass der Begriff der offenen Gesellschaft an die Schrift erinnert, die der Philosoph und Staatstheoretiker Karl Popper im Jahr 1945 veröffentlicht hat. Ich will hier keinen weiteren philosophischen Exkurs vom Pult aus veranstalten, aber doch wenigstens sagen, dass sie eine der Grundschriften dieses Jahrhunderts gewesen ist, die den nachkommenden Generationen immer wieder einen Weg gezeigt hat, der ernsthaft zu überlegen ist und der - das war von Karl Popper auch ganz deutlich beabsichtigt - als Abkehr von Totalitarismen jeglicher Art gemeint ist.
Das ist, glaube ich, ohne Karl Popper an dieser Stelle zu sehr in Beschlag nehmen zu wollen, die wichtige Botschaft, die wir auch heute noch von Karl Popper mitnehmen können und die uns allen wirklich eine Mahnung sein soll, den Weg in eine lebendige pluralistische Demokratie zu wählen, die den Staat auch in gewisser Weise in seine Grenzen weist; denn der Staat wird nicht all das richten können, was so mancher Bürger von ihm erwartet.
Ich will dieses Buch an dieser Stelle heute aber nicht überinterpretieren. Es war mehr oder weniger, denke ich einmal, der Aufhänger für unsere Debatte, ist aber heute nicht Thema eines philosophischen Seminars.
Ich komme zum Schluss meiner Ausführungen. Die offene Gesellschaft wird nach meiner Auffassung keine Zukunft haben, wenn es keinen Konsens darüber gibt, dass unsere Gesellschaft nur überlebensfähig und überlebenswert ist, wenn die Glieder der Gesellschaft jetzt bereit sind, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen.
Unsere Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit sind weder selbstverständlich noch für alle Zeiten politisch gesichert. Diese drei Grundwerte sind Maßstab und Orientierung unseres politischen Handelns. Sie erfordern und ergänzen einander. Ihre Gewichtung untereinander sinnvoll zu gestalten, ist unsere Aufgabe und Kern unserer politischen Auseinandersetzung. Ich verstehe auch so manche Auseinandersetzung in diesem Saal immer wieder als ein Ringen um das Verhältnis dieser drei Werte zueinander.
Aber Demokraten unterscheiden sich von Antidemokraten darin, dass sie sich nicht gegenseitig absprechen, diese drei Werte als Grundwerte unserer Gesellschaft anzuerkennen. Es kommt auf das Ringen um ihre richtige Gewichtung an.
Eine offene Gesellschaft erfordert die Kraft für eine sinnvolle Selbstbeschränkung, aus der Verantwortung für die zukünftigen Generationen gewonnen werden kann. Christlich gesprochen will ich an dieser Stelle absichtlich noch einmal den von mir sehr geschätzten Alois Glück zitieren.
Alois Glück hat den Begriff einer modernen Askese wiederholt in die politische Diskussion gebracht. Es geht nicht darum, Selbstgeißelung oder eine Bußbewegung oder vielleicht ein Ventil für ein schlechtes Gewissen von Wohlstandsbürgern zu eröffnen, sondern es geht darum, eine moderne Askese als ein Prinzip der Beschränkung selbst zu erkennen, wenn es um die Chancen und um die Rechte nachkommender Generationen geht. Diese Selbstbeschränkung kann uns wahrscheinlich auch helfen, den Weg in eine gute offene Gesellschaft zu finden. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Scharf. - Der Fraktionsvorsitzende Herr Gallert hat um das Wort gebeten. Bitte schön.
Es gibt für diese Wortmeldung einen einzigen Anlass, und der wird die wenigsten in diesem Raum überraschen. Es geht um die Aufforderung an unsere Frak
tion, die Besetzung des Beirates der Gedenkstättenstiftung zu verändern, die in der letzten Zeit hart in der öffentlichen Diskussion war. Ich will dazu hier Stellung beziehen und diese Haltung auch noch einmal begründen.
Wir werden dieser Aufforderung, Herr Scharf, nicht nachkommen. Ich will auch noch einmal begründen, warum wir das nicht tun werden, auch nach dem von Ihnen zitierten Filmbeitrag des Bayerischen Rundfunks, der übrigens in der Art und Weise seiner Entstehung fast einzigartig ist. Ich will darauf aber nicht im Einzelnen eingehen.
Es steht folgendes Problem in Rede: Frau Gudrun Tiedge hat in diesem Beitrag gesagt, sie bereue nicht, Jugendstaatsanwältin geworden zu sein, und es habe in der praktischen Arbeit eines Staatsanwalts in erheblichem Maße Übereinstimmung zwischen dem gegeben, was sie erledigt hat, und dem, was ein Staatsanwalt in der Bundesrepublik erledigt. Das ist das, was sie gesagt hat, und das ist das, worauf Sie abgestellt haben.
Sie hat darüber hinaus auch noch etwas anderes gesagt. Das war in der „Volksstimme“ abgedruckt, der Bayerische Rundfunk hat es natürlich weggeschnitten, was nicht anders zu erwarten gewesen ist, und zwar dass sie ausdrücklich bereue, an Verfahren beteiligt gewesen zu sein, die Ausdruck des politischen Strafrechts gewesen seien.
Jetzt haben wir folgendes Problem: Muss Frau Tiedge bereuen, dass sie in der DDR Jugendstaatsanwältin geworden ist oder muss sie das nicht? - Das ist zugegebenermaßen eine schwierige Frage.
Jawohl, die Staatsanwaltschaft in der DDR, die Justiz in der DDR war ein Machtinstrument der herrschenden Klasse. Sie war Ausdruck der Diktatur des Proletariats. Sie hatte keine demokratische Legitimation, wie wir es in einem Rechtsstaat verlangen. Das hatte die Justiz nicht. Das hatte die Polizei nicht. Das hatten auch andere Bereiche wie die Volksbildung nicht.
Die Volksbildung hatte sehr wohl einen substanziellen Auftrag zur ideologischen Indoktrination, zur Herausbildung eines sozialistischen Persönlichkeitsbildes, zur Herausbildung eines festen Klassenstandpunktes. Übrigens war das nicht nur der Auftrag der Staatsbürgerkunde- und der Geschichtslehrer, sondern genauso der Sportlehrer, der Musiklehrer, der Kunsterziehungslehrer, der Deutschlehrer.
Wenn wir diese konsequente Position vertreten, du musst aufgrund deiner Stellung in dem System der Deutschen Demokratischen Republik bereuen, dass du in diesem Bereich tätig gewesen bist,
(Unruhe bei der CDU - Herr Gürth, CDU: Inoffi- zielle Mitarbeiterschaft bei der Staatssicherheit ist ja wohl noch etwas anderes!)
Ich muss ganz deutlich sagen, dass ich einen solchen Vorschlag noch nicht gehört habe. Ich habe ihn bei Polizeiveranstaltungen noch nicht gehört, ich habe ihn bei Veranstaltungen vor Lehrern noch nicht gehört und ich habe ihn zum Beispiel auch nicht bei dem letzten Anwaltstag während des Grußwortes der Landesregierung gehört, bei dem eine Menge DDR-Juristen herumgesessen haben. Deswegen glaube ich, dass man auch in dieser Position sehr wohl geteilter Meinung sein kann. Ich habe noch nicht erlebt, dass jemand substanziell Schwierigkeiten gehabt hat, weil er gesagt hat, er bereue es nicht, in der DDR Lehrer gewesen zu sein, Polizist gewesen zu sein oder in der Justiz gearbeitet zu haben.
Das ist der Unterschied in der Bewertung. Den mögen Sie anders sehen. Aber wenn Sie ihn anders sehen, dann sehen Sie ihn bitte konsequent in jeder dieser Berufsgruppen anders. Verlangen Sie das von allen, nicht nur von Frau Tiedge.
Weil ich nicht glaube, dass dies in dieser Gesellschaft wirklich mehrheitsfähig ist, werden wir wegen dieser Aussagen von Frau Tiedge unsere Position nicht revidieren. - Danke.
Meine Damen und Herren! Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Wir sind damit am Ende der Aussprache. Beschlüsse in der Sache werden nicht gefasst. Tagesordnungspunkt 1 ist damit abgeschlossen.
Entsprechend § 45 unserer Geschäftsordnung findet auf Antrag monatlich eine Fragestunde statt. Das tun wir jetzt. In der Drs. 5/904 liegen drei Kleine Anfragen vor.
Die Frage 1 betrifft das Verbandsgemeindemodell im Burgenlandkreis und wird vom Abgeordneten Dr. Frank Thiel gestellt. Bitte sehr, Sie haben das Wort. Für die Landesregierung erhält danach Innenminister Herr Hövelmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Rahmen der Kommunaltour der Fraktion DIE LINKE im Burgenlandkreis wurde uns mitgeteilt, dass sich der Innenminister auf einer Beratung am 19. September 2007 vor Bürgermeistern und Verwaltungsamtsleitern positiv zur Bildung von Verbandsgemeinden in der Region ausgesprochen hat. In den Verwaltungsgemeinschaften „An der Finne“, „Wethautal“ sowie „Unstruttal“ haben Willensbekundungen von Gemeinderäten deutlich gemacht, sich für das Modell der Verbandsgemeinde entscheiden zu wollen. Genehmigungen des Verbandsgemeindemodells würden jedoch den im Leitbild zur Gemeindegebietsreform dargestellten Grundsätzen widersprechen.
1. Wäre für die aufgeführten Verwaltungsgemeinschaften die Bildung einer Verbandsgemeinde abweichend
vom oben genannten Leitbild zur Gemeindegebietsreform genehmigungsfähig und, wenn ja, unter welchen Bedingungen?
2. Welche Voraussetzungen müssten seitens der betroffenen Gemeinden in den oben genannten Verwaltungsgemeinschaften für eine Genehmigungsfähigkeit des Verbandsgemeindemodells erbracht werden und in welcher Form?
Vielen Dank. - Bevor ich dem Herrn Minister das Wort erteile, begrüße ich Seniorinnen und Senioren aus Naumburg. Herzlich willkommen!