Protocol of the Session on October 11, 2007

Herr Scharf, ich habe sehr interessiert eben Ihren Satz gehört, dass Sie die verbrecherischen Diktaturen in den letzten 90 Jahren alle auf den Sozialismus bezogen haben. Heißt das, dass die Zeit des Faschismus in Deutschland 1933 bis 1945 in Ihrer Auffassung eine Spielart des Sozialismus war?

Nein, überhaupt nicht. Dann hätten Sie mich missverstanden. Ich kann den Satz auch ein Stückchen in dem Sinne verallgemeinern, als letztlich Totalitarismen immer versprochen haben - ich sage es mit anderen Worten -, sie seien in der Lage, ein Himmelreich auf Erden zu errichten. Und das hat regelmäßig in der Hölle geendet.

Alle Versuche kommunistischer Diktaturen, sei es in Europa, sei es in Asien, sei es in Amerika, sind letztlich diesen Weg gegangen. Ich möchte einzelnen Protagonisten überhaupt nicht ihre guten Absichten absprechen, aber der empirische Befund ist so, dass alle diese Experimente in der Katastrophe geendet sind.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Das, meine Damen und Herren, darf nicht damit verwechselt werden, dass der Nationalsozialismus natürlich auch für Deutschland und auch in anderen Teilen der Welt eine Katastrophe gewesen ist. Nur darauf wollte ich hinweisen, meine Damen und Herren.

Sehr erfreut bin ich darüber, dass die stark gestiegene Verbundenheit der Sachsen-Anhalter mit ihrem Bundesland, das heißt auch mit einer gewissen Landesidentifikation, zu vermerken ist. Wir alle wissen, dass wir es in einem so genannten Bindestrichland immer schwer haben. Insofern bin ich über dieses Untersuchungsergebnis sogar ein Stück weit erstaunt. Die Zweifler sind jedoch durch den Sachsen-Anhalt-Monitor eindeutig widerlegt worden. Wir können es schaffen, eine SachsenAnhalt-Identität aufzubauen.

Für mich persönlich ist auch der Zusammenhang zum Regierungswechsel im Jahr 2002 evident; denn Sachsen-Anhalt hat sich in wenigen Jahren von dem „RoteLaterne-Land“ zu einem Aufsteigerland entwickelt. Ich glaube schon, dass deutliche Verbesserungen der Lebenssituation in einem Land auch dazu führen, dass sich die Menschen mehr mit ihrer Region und mit ihrem Land identifizieren können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine starke Identifikation mit dem eigenen Bundesland ist ein wichtiger Antrieb zur eigenverantwortlichen Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Umfeldes. Für die Identifikation sind die gemeinsame Herkunft, die gemeinsame Geschichte und gemeinsame religiöse Wurzeln konstituierend.

Ähnlich wie die europäische Identität konstituiert sich die sachsen-anhaltische aber auch und gerade aus den Erfahrungen der Gegenwart. Die Überwindung der Spaltung Europas, die letztlich die Neugründung des Landes Sachsen-Anhalt ermöglichte, ein moderater Wettbewerbsföderalismus und globale Standortwettbewerbe sowie der Dialog mit anderen Kulturen zählen zu diesen Erfahrungen.

Nicht zuletzt prägen auch Erwartungen an die Zukunft unsere Identifikation mit der Region, in der wir leben. Verbundenheit und Offenheit für fremde Einflüsse schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern befördern einander. Das Wissen um die eigenen Ursprünge schärft das Bewusstsein für Gemeinsames und Trennendes. Auf dieser Basis können wir uns bewusst auf Neues einlassen und voneinander lernen.

Umso deutlicher muss ich aus der Sicht der CDU-Fraktion sagen, dass uns das Umfrageergebnis, dass 23 % der Sachsen-Anhalter die Ansicht vertreten, Deutschland sei durch Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet, alarmiert hat. Wir müssen alles dafür tun, dass es einer kleinen Minderheit der Bevölkerung nicht gelingen kann, Fremde und Andersartige aus der Mitte der Gesellschaft an den Rand zu drängen. Die Feststellung, dass viele Bürger der ehemaligen DDR im natürlichen Umgang mit Menschen anderer Hautfarbe und Kultur ungeübt sind, kann keine Entschuldigung für Anfeindungen, Ausgrenzungen oder gar Gewalt sein.

(Zustimmung von Frau Fischer, SPD)

Wer sich zu seinem Land Sachsen-Anhalt bekennt, dem muss es ein Herzensanliegen sein, dass sich Fremde hier bei uns wohlfühlen können und dass sie in diesem Land, von dem wir glauben, dass es eine gute Zukunft hat, selbst eine Zukunft sehen und finden. Nur dann werden sie auch die ehrlichen Anstrengungen zur Integration unternehmen, die wir von ihnen zu Recht erwarten und einfordern.

Sachsen-Anhalter, die stolz sind auf die reiche Geschichte ihres Landes, zum Beispiel als Ursprung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation in einem europäischen Reich mit integrativer Kraft, die stolz sind auf das Magdeburger Recht als einen der ersten Exportschlager auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt, die stolz sind auf ein Kernland der Reformation mit ihren weltumspannenden Ausprägungen und die stolz sind auf Sachsen-Anhalt als eine Region in der Mitte Europas - diese Sachsen-Anhalter können ihre Identifikation mit Sachsen-Anhalt nicht anders als integrativ verstehen, meine Damen und Herren.

Weltoffenheit ist für sie ein persönlicher Wert, weil Weltoffenheit für die genannten Errungenschaften SachsenAnhalts unverzichtbar ist. Dies sollten wir als engagierte Vorbilder für ein weltoffenes Sachsen-Anhalt überall dort deutlich machen, wo wir auftreten und Verantwortung tragen.

Ich möchte ein drittes Ergebnis der Studie ansprechen: die hohe Zustimmung der Sachsen-Anhalter zu dem politischen System, in dem sie leben, und zugleich ihr mangelndes Vertrauen in dessen Institutionen und deren Funktionsfähigkeit. Es ist von allen Rednern angesprochen worden: Die parlamentarische Demokratie wird bejaht; ihre Leistungen und ihre Repräsentanten werden jedoch sehr kritisch gesehen.

Wir müssen uns mit dieser großen Diskrepanz - verkürzt könnte man vielleicht sagen: zwischen Theorie und Praxis - offen und ehrlich auseinandersetzen. Ich will an dieser Stelle von diesem Pult aus keine vorschnellen Antworten geben. Aber ich will sagen: Das ist wieder einmal eine Frage, die uns ins Stammbuch geschrieben worden ist und die sich jeder Abgeordnete in seinem Wahlkreis, die sich jede Fraktion und wir uns als Parlamentarier insgesamt immer wieder stellen müssen.

Denn dass unser eigenes politisches Engagement, dass unser eigenes politisches Handeln so wenig öffentliche Akzeptanz findet, ist für jemanden, der sich persönlich abmüht und abrackert, eigentlich kein gutes Ergebnis. Aber es gilt nicht denjenigen zu kritisieren, der befragt worden ist, sondern es gilt, das Befragungsergebnis ehrlich an uns herankommen zu lassen.

Meine Damen und Herren! Welche Handlungserfordernisse sehe ich? Wie reagieren wir auf den gesellschaftlichen Befund, den uns der Sachsen-Anhalt-Monitor liefert? Wie können wir zu dem Gang in eine offene Gesellschaft ermutigen?

Als Christdemokrat bin ich davon überzeugt: Ausgangspunkt einer erfolgreichen landespolitischen Agenda ist das Bewusstsein um die Grenzen der eigenen Handlungs- und Gestaltungsfähigkeiten. Wir können und wollen gesellschaftliche Entwicklungen durch geeignete Rahmenbedingungen nur anregen. Wir können sie aber in der Regel nicht erzwingen und wir wollen sie in der Regel auch nicht erzwingen.

Die offene, plurale Gesellschaft erzwingen zu wollen, bewirkte genau das Gegenteil. Dies betone ich auch in einem Bewusstsein um politisch induzierte Fehlentwicklungen im Laufe des Einheitsprozesses, vor allem aber auch um die Wirkungen von 40 Jahren DDR, die bis in unsere heutige Zeit nachhaltig hineinreichen. Der Staatsapparat der DDR hat die offene Gesellschaft offen bekämpft, indem er alle Bereiche des gesellschaftlichen und, so weit irgend möglich, auch des privaten Lebens zu dominieren versuchte.

Sind wir uns also als Lehre aus der jüngeren Geschichte unserer Begrenzungen bewusst und vertreten wir diese Haltung auch in der Öffentlichkeit, um der offenen Gesellschaft Raum zur Entfaltung zu geben; denn ein gutes, tolerantes und lebendiges Miteinander braucht zuallererst Freiheit. Es muss daher darum gehen und es muss gelingen, dass wir Eigeninitiative überall dort zulassen, wo sie möglich ist - Stichwort Bürokratieabbau -, dass wir Eigeninitiative aber auch offensiv einfordern - Stichwort: solidarische Sicherungssysteme - und auch die notwendigen Anstrengungen des Einzelnen.

In diesem Verständnis von unserer Rolle als Landesgesetzgeber können und sollten wir uns sowohl normativ als auch regulativ für eine offene Gesellschaft engagieren.

Wenn Sie, Herr Professor Paqué, meinen, wir stürzten uns von einer Überregulierung in die andere,

(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: So ist es!)

so muss ich sagen: Bestimmte Bereiche müssen aber auch wirklich reguliert werden und die Bevölkerung verlangt dies. Genau diejenigen, die zum Teil über Überregulierungen stöhnen, schreiben am nächsten Tag in Leserbriefen in der Zeitung: Es kann doch wohl nicht sein, dass gerade dieser eine Lebensbereich, der sie ärgert, nicht öffentlich geregelt worden ist.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Also müssen wir schon ein Stück weit schauen, dass wir einen verantwortbaren Mittelweg finden.

Welche Aufgaben sehe ich speziell für uns im Landtag von Sachsen-Anhalt? - Wir haben im Landtag schon viele Debatten über das schwierige Erbe der DDR geführt.

Auch in der aktuellen Auseinandersetzung um den Stiftungsrat der Gedenkstättenstiftung müssen wir uns dieser unserer Verantwortung erneut stellen. Es geht um die Funktionsfähigkeit einer wichtigen Einrichtung, die wir geschaffen haben. Es geht darum, dass die entstandenen Irritationen abgebaut werden. Die gegenwärtige Blockade im Stiftungsrat muss gelöst werden, damit wir uns nicht die Probleme, die andere ostdeutsche Länder auf ähnlichen Gebieten haben, auf Dauer auf den Tisch ziehen.

Deshalb sage ich an dieser Stelle ganz deutlich: Wir als CDU-Fraktion würden es wirklich begrüßen, wenn die Fraktion DIE LINKE ihre Schlüsselrolle in diesem Prozess erkennt, annimmt und darauf reagiert. Die Äußerungen von Frau Tiedge auch anlässlich der Sendung des Bayerischen Rundfunks am 3. Oktober 2007 haben nicht geholfen, in dieser Angelegenheit ein Stück voranzukommen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Die von Frau Tiedge ausgesprochene Bewertung von staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit zu DDR-Zeiten ist schlicht verharmlosend.

(Zustimmung von Herrn Stahlknecht, CDU)

Die Justiz der DDR verstand sich selbst als Klassenjustiz und unterschied sich dabei nach eigener Auffassung grundlegend von der Justiz in einer demokratisch legitimierten Gesellschaft. Diese Auffassung, denke ich, sollte unter uns Konsens sein. Deshalb spreche ich es an dieser Stelle noch einmal deutlich aus: Helfen Sie mit, die volle Arbeitsfähigkeit der Gedenkstättenstiftung herzustellen, indem Sie eine besser geeignete Kandidatin für den Stiftungsrat nominieren!

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und von der Regierungsbank - Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Ich möchte noch einen anderen Aspekt erwähnen, der für den Umgang mit der eigenen Vergangenheit vielleicht wichtig ist. Dabei beziehe ich unsere eigene Partei, unsere eigene Fraktion selbstverständlich ein.

(Oh! bei der LINKEN)

Die uns vorliegende Studie zu den politischen Einstellungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit offenbart eine deutliche Ambivalenz des DDR-Bildes der Sachsen-Anhalter. Privat, so sagen viele, konnte man gut leben. So sehen es nahezu alle Befragten. Die Einflüsse des DDR-Systems auf die eigene Lebensführung hingegen werden überwiegend negativ beurteilt.

In der DDR war die Ausweitung des Privaten wichtig. Die engen Grenzen, die der Staat der persönlichen Entfaltung setzte, sollten möglichst weit hinausgeschoben werden. Die Erinnerungen an das private, dem Staatszugriff abgetrotzte Leben in der DDR sind daher eindeutig positiv besetzt. Ich erinnere an die vielen Geschichten, die heute immer wieder gern erzählt werden, wie man die Staatsmacht früher ausgetrickst hat. Ich muss dazu sagen: Das eine oder andere würde heute rechtsstaatlichen Ansprüchen auch nicht genügen.

(Zuruf von Frau Budde, SPD)

Aber man hat versucht, sich permanent dem Staat zu entziehen.

Natürlich, meine Damen und Herren, konnte auch in der sozialistischen Diktatur ein privates Leben gelingen. Familien existierten damals wie heute. Es wurden die entscheidenden Wertegrundlagen in den Familien gelegt oder sie wurden eben auch nicht gelegt. Das ist früher gelungen oder auch nicht gelungen. Es gab beruflichen und persönlichen Erfolg. Es gab Freundschaften und Freude.

Aber wehe der Staat, die Diktatur des Proletariats, angeblich inkarniert in der führenden Rolle der SED, erklärte einen Bürger zum Feind, zum Staatsfeind. Dann konnte einem Bürger schnell und oft unentrinnbar ein Schicksal ereilen, wie es heute in zahlreichen Dokumenten, Werken der Literatur und auch des Filmes nacherlebbar ist. Deshalb, meine Damen und Herren, muss allen Verharmlosern der zweiten deutschen Diktatur dieses immer wieder deutlich vor Augen gehalten werden.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Um ein anderes Bild zu wählen: Alle Nostalgiker müssen sich fragen lassen, ob sie nicht dem psychologisch schon im Alten Testament im Buch Mose beschriebenen Blick zurück zu den „Fleischtöpfen Ägyptens“ erliegen. Es ist keine neue Erfahrung.

Meine Damen und Herren! Wir müssen uns den gefühlten Wendeverlierern regulativ noch intensiver widmen. Immerhin 30 % sehen ihre Hoffnungen in die Wende nicht erfüllt. Für 26 % überwiegen persönlich die Nachteile der Ereignisse von 1989/90.

In vielen Bereichen konstatieren die Autoren des Sachsen-Anhalt-Monitors erschreckend hohe Zustimmungswerte hinsichtlich der Aussage, die Situation habe sich nach der Wende verschlechtert. Auffällig ist, dass vor allem Menschen mit niedrigem Schulabschluss und Ältere die Wendefolgen negativ beurteilen. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung ist in den vergangenen Jahren demografisch, aber wahrscheinlich auch abwanderungsbedingt gestiegen; denn diejenigen, die gute Arbeit gefunden haben, sind zum Teil abgewandert; diejenigen, die nichts gefunden haben, sind hier geblieben. Deshalb sind die Enttäuschten hier unter uns. Wir müssen mit ihnen leben, und wir müssen ihr Schicksal ehrlich annehmen, weil es gewendet werden muss.

Es gibt in meinen Augen nur einen Weg, den so genannten Wendeverlierern einen Weg in eine lebenswerte offene Gesellschaft zu eröffnen. Europa und damit auch die neuen Bundesländer müssen zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt werden. Wir müssen aus der höchst erfolgreichen wirtschaftspolitischen Konstruktion Europa und Deutschland eine sozialpolitisch erfolgreiche Konstruktion machen. Dazu gehört auch, dass wir die noch viel zu hohe Arbeitslosigkeit, ja immer noch Massenarbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern spürbar senken.

Deshalb, meine Damen und Herren, gehören die Diskussionen, die im Moment sehr kontrovers über Arbeitnehmerrechte, über Teilhabegerechtigkeit, über Kinderbetreuung, über Bildungsgerechtigkeit, über einen Mindestlohn oder über die Bezugsdauer von Lohnersatzleistungen geführt werden, zu den elementaren Diskussionen, die wir im Moment brauchen, um den für uns gangbaren und guten Weg in eine offene Gesellschaft zu finden.