Protocol of the Session on October 11, 2007

Restriktive Gesetze und Praktiken zur Gentechnik sollen die Menschen möglichst davor bewahren, frei darüber zu entscheiden, ob sie sich für gentechnisch veränderte Nahrungsmittel entscheiden, die vielleicht weniger mit Pestiziden belastet sind, oder für konventionelle Produkte.

(Herr Tögel, SPD: Da hilft nur auswandern, Herr Professor!)

- Nein, überhaupt nicht. Warten Sie noch einen Moment. - Schulen in freier Trägerschaft - -

(Zurufe von der SPD)

- Wir sprechen über Verantwortung und Freiheit. Das alles sind wesentliche Einschränkungen.

Meine Damen und Herren! Den Schulen in freier Trägerschaft in diesem Land

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Ich darf Sie nach- her einmal zitieren! - Zurufe von der SPD und von der CDU)

wird eine faire Behandlung durch das Kultusministerium verweigert, weil man die freien Träger offenbar nicht als bereichernde Frucht der bürgerlichen Selbstverantwortung betrachtet, sondern als fiskalische Belastung - das ist wörtlich so nachzulesen -, was sie nachweislich nicht sind.

(Beifall bei der FDP - Herr Gürth, CDU: Meinen Sie Ihre Kabinettsvorlage als Finanzminister?)

Die kommunale Selbstverantwortung, meine Damen und Herren, wird ausgehöhlt durch einen Zwang zur Einheitsgemeinde. Das ist völlig unabhängig davon, ob eine Gemeinde vernünftig wirtschaftet oder nicht.

(Beifall bei der FDP)

In den letzten Wochen wurde in diesem Land ernsthaft darüber diskutiert, ob der öffentliche Raum in unsere Städten nicht für alkoholfrei erklärt werden sollte. Nur der Hinweis auf die unlösbare Problematik des Picknicks mit Bier und Rotwein hat die Diskussion vorläufig beendet.

Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, ich frage Sie: Passen alle diese Gesetze und Maßnahmen - ich könnte noch mehr aufführen - und der Geist, der sie trägt, zu Ihrem Leitmotiv von Freiheit und Verantwortung, das Sie uns vor wenigen Minuten dargelegt haben? Sind diese Gesetze und Maßnahmen nicht eher das genaue Gegenteil?

Es mag sein - deshalb wandere ich auch nicht aus, Herr Tögel -, dass es sich bei einzelnen Gesetzen und Maßnahmen nur um sehr kleine Regelungsbereiche handelt, aber in der Summe ergeben sie einen Marsch weg von Freiheit und Verantwortung der Menschen hin zu einem Staat, der alles regelt und bevormundet.

(Beifall bei der FDP)

Den Menschen wird das nicht gut tun. Ihnen wird damit der Weg zum mündigen Bürger, der mit Freiheit verantwortungsbewusst umgeht, zunehmend verstellt.

Herr Ministerpräsident, Sie erwähnen in Ihrer Rede Karl Popper und Friedrich Hayek als Leitphilosophen von Freiheit und Verantwortung. Gerade der Liberale Hayek - ich habe ihn übrigens gelesen,

(Beifall bei der FDP - Oh! bei der SPD und bei der LINKEN - Zurufe von der CDU)

und zwar mit großem Vergnügen gelesen - hat nicht nur leidenschaftlich die Auswüchse des totalitären Sozialismus kritisiert, sondern er hat auch vor der schleichenden Entmündigung der Bürger durch den Staat gewarnt.

Hayeks Kritik ist aktueller denn je. Dafür sind maßgeblich die politischen Entscheidungen verantwortlich, die in den letzten Monaten sowohl im Bund als auch im Land getroffen wurden. Das gilt natürlich auch dann, wenn die Idee zur Freiheitsbeschränkung gar nicht aus SachsenAnhalt oder nicht einmal aus Deutschland kommt.

Der Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung Selbstbewusstsein angemahnt. Das kann ich nur unterstreichen. Wir müssen in unserem Land nicht alle Fehler nachmachen, die anderswo im Umgang mit Freiheit und Verantwortung gemacht worden sind. Gerade in einem Land, in dem 40 Jahre lang eine totalitäre Form des Sozialismus herrschte, sollte die Politik bei dem schleichenden Zugriff des Staates auf alle Lebensbereiche besonders vorsichtig und sensibel sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Für diese Sensibilität steht die FDP-Fraktion. Wir als Opposition werden weiterhin das, was Sie an Politik machen, beobachten und sehr genau hinsehen, wo Sie weiter an den Spielräumen der Freiheit und der Verantwortung, die unsere Gesellschaft tragen, nagen - auch nach dieser dem Wortlaut nach sehr liberalen Regierungserklärung des Ministerpräsidenten. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Professor Paqué. - Als letztem Debattenredner erteile ich Herrn Scharf von der CDU-Fraktion das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Sachsen-Anhalt auf dem Weg in eine offene Gesellschaft“ - diese Überschrift der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten deutet es schon an: SachsenAnhalt war bis 1990 keine offene Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund haben wir uns zum 17. Jahrestag der deutschen Einheit vor acht Tagen darüber vergewissert, wie weit wir auf dem Weg in eine offene Gesellschaft vorangekommen sind. Das hat in hohem Maße dazu beigetragen zu überlegen, wie wir mit der DDR-Vergangenheit umgehen sollen.

Wir konstatieren im Jahr 2007 die beginnende Historisierung der DDR. Schleichend entwickelt sich die gemeinsame DDR-Vergangenheit von einer Gegenwart des Zeitgeschehens zu einem historischen Gegenstand.

Der Unterschied zwischen Zeitgeschehen und Historie besteht darin, dass das Zeitgeschehen in einem unmittelbaren Bezug zur Gegenwart steht und von uns somit normativ und emotional interpretiert wird. Die DDR als

historischer Gegenstand hingegen wird durch wissenschaftliche Reflexion in die Gesamtgeschichte eingeordnet. Die unmittelbare Bezugnahme auf die Gegenwart im Sinne einer lebendigen Erinnerungskultur geht - das muss man feststellen - im Prozess der Historisierung der DDR Schritt für Schritt verloren.

Meine Damen und Herren! Diese Entwicklung birgt eine Gefahr, auf die der Autor und Journalist Robert Ide in seinem Anfang des Jahres erschienen Buch „Geteilte Träume - meine Eltern, die Wende und ich“ hinweist. Ide erzählt von Hoffnungen und Enttäuschungen der Ostdeutschen in Bezug auf die friedliche Revolution und die Wiedervereinigung. Er legt dar, dass die Wende und Wendefolgen innerhalb von Familien sehr unterschiedlich interpretiert werden.

Die Generationen der Eltern und der Großeltern verspüren ein deutliches Verlustgefühl mit Blick auf vielfältige scheinbare Sicherheiten, die mit der DDR verloren gingen. Hoffnungen in Bezug auf die Wende steht oft eine grundlegende Kritik an den Problemen des Wiedervereinigungsprozesses gegenüber.

Die Generation der Kinder hingegen versteht die Sichtweise ihrer Eltern zum Teil gar nicht mehr. Sie hat in der DDR von Freiheit geträumt, hat in der Zeit 1989/1990 die Freiheit gewonnen und sie inzwischen, so gut es ging, zur Verwirklichung persönlicher Ziele genutzt.

Eltern und Kinder finden, so Robert Ide, aus ihren unterschiedlichen Blickwinkeln heraus kaum zu einer gemeinsamen Sprache. Der innerfamiliäre Dialog über das gemeinsame Leben in der DDR ist gestört oder wird erst gar nicht begonnen. Kritische Fragen zur Vergangenheit der Eltern und Großeltern werden nicht gestellt oder bleiben unbeantwortet. Die unweigerliche Historisierung der DDR wird damit der Wissenschaft überantwortet.

Meine Damen und Herren! Erlauben wir uns gedanklich einen 17-jährigen Zeitsprung vom Jahr 1945 aus, so würden wir uns Anfang der 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts befinden. Auch damals wuchs eine Generation heran, die Fragen an ihre Eltern hatte, die viele Eltern selbst nicht stellten. Zur Entstehung eines Geschichtsbildes gehört das Einander-Erzählen von Geschichten. Daraus sublimiert eine Gesellschaft in einem vielschichtigen Prozess dann ihr Bild von Geschichte.

Solche Prozesse können wahrscheinlich nur sehr bedingt beschleunigt werden, sie bedürfen aber der wissenschaftlichen Begleitung, damit nicht unreflektierte Deutungen ein verzerrtes Bild der eigenen Geschichte zeichnen, was wiederum mit Sicherheit das Finden von nachhaltigen Entscheidungen für die Zukunft erschweren würde.

Ich frage: Finden wir auf dem Weg in die offene Gesellschaft zu einer lebendigen Erinnerungs- und Aufklärungskultur? Eine Meinungsumfrage kann auf diese Frage und auch auf andere hier einleitend formulierte Fragen naturgemäß keine abschließenden Antworten geben.

Bevor ich auf einige Ergebnisse des Sachsen-AnhaltMonitors eingehe, schicke ich vorweg, dass ich eine einleitende Beschreibung der Intention dieser Studie schon ein Stück weit vermisst habe. Hätte es eine solche gegeben, dann hätten wir die Studie auch besser einordnen können.

Ich würde die Intention des Sachsen-Anhalt-Monitors wie folgt zusammenfassen: Es ist wichtig, dass wir in

größeren Abständen die gefühlte Stimmungslage im Land verifizieren. Wir begegnen damit der Gefahr, dass jeder, insbesondere extremistische Parteien und Gruppierungen, diese Stimmungslage für sich vereinnahmen kann. Ich denke, die Ergebnisse der Studie lassen eine solche Instrumentalisierung auch überhaupt nicht zu.

Darüber hinaus müssen wir danach fragen, inwieweit Erfolge in Politik und Wirtschaft, die wir derzeit verzeichnen, bei den Menschen auch tatsächlich ankommen. Werden sie auch als Erfolge der politischen Institutionen verstanden? Stärken sie das Vertrauen der Bürger in das politische System? Ich halte es für überlegenswert, diese Studie in einigen Jahren zu wiederholen, um dann auch die Wechselwirkungen zwischen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen in einer Langzeitstudie erneut zu untersuchen.

Wo, meine Damen und Herren, steht Sachsen-Anhalt auf dem Weg in eine offene Gesellschaft? Der Sachsen-Anhalt-Monitor 2007 legt in dieser Hinsicht einen Schwerpunkt auf den Umgang der Sachsen-Anhalter mit ihrer Vergangenheit und nicht so sehr auf ihre Erwartungen für die Zukunft.

Eines wird dabei sehr deutlich: Die Sachsen-Anhalter verklären den DDR-Sozialismus nicht. Im Gegenteil: Die Noten für das DDR-System fallen schlecht aus und die Vorteile der Wiedervereinigung überwiegen klar. Auffällig ist, dass die Befragten stark unterscheiden zwischen dem privaten Glück in der DDR-Zeit und dem DDRSystem als solchem, das ihnen Chancen verbaute und Freiheit nahm. Ich komme darauf später noch einmal im Detail zurück.

Erschreckend ist für mich, dass immerhin 16 % der Befragten im Notfall eine Diktatur dem demokratischen Rechtsstaat vorziehen würden. 78 % sehen den Sozialismus als eine gute Idee an, die nur schlecht ausgeführt worden ist. Angesichts unzähliger sozialistischer und kommunistischer Experimente in nahezu allen Teilen der Erde steht für uns als CDU jedoch fest, dass die sozialistische Idee gescheitert ist.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD und bei der FDP)

Unter keinem der sozialistisch inspirierten Regime ist es gelungen, vergleichbare Freiheiten, Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit wie in Deutschland zu etablieren.

Interessanterweise haben sich gerade die schlimmsten Diktaturen der vergangenen 90 Jahre auf sozialistische Ideale berufen. Der Sozialismus steht der offenen Gesellschaft offensichtlich entgegen.

Darüber aufzuklären bedeutet nicht, die Ideale von gleichberechtigter Teilhabe, Solidarität und Frieden in der Welt infrage zu stellen, die auch Sozialisten vertreten. Es geht vielmehr darum, dass der Sozialismus immer wieder versucht hat, ein bestimmtes Verhalten der Menschen zu erzwingen und dass Sozialisten es auch heute immer wieder mit diesem Instrumentarium versuchen wollen.

Herr Scharf, Herr Gallert möchte eine Frage zu Ihrer Aussage eben stellen.

Ja, kann er.

Herr Gallert, bitte.

Herr Scharf, ich habe sehr interessiert eben Ihren Satz gehört, dass Sie die verbrecherischen Diktaturen in den letzten 90 Jahren alle auf den Sozialismus bezogen haben. Heißt das, dass die Zeit des Faschismus in Deutschland 1933 bis 1945 in Ihrer Auffassung eine Spielart des Sozialismus war?